Wir dachten, du wärest geheilt.
Wenige Tage später ging es erst los:
Angeschwollener Bauch, Schwellungen im Gesicht,
Bewegungsfreude weg, Jammern.
Kaum noch aufstehen können.
Wir haben dich bewacht, bald rund um die Uhr.
Selbst Essen wolltest du nicht. Nicht viel.
Schlucken fiel dir schwer. Trinken dafür im Übermaß.
Also musstest du immer wieder raus, wenn auch nur kurz.
Tag und Nacht. Wir hatten keine Wahl,
mochten dich nicht mehr alleine lassen,
auch nicht die Treppe erklimmen, wo doch dein Schlafzimmer ist. Denn das hast du nicht mehr geschafft, vor allem nicht schnell genug hinab zu kommen. Dieses Schreien, dich nicht vor noch zurück trauen auf der Treppe. Wir riegeln die Treppe zu deinem Schutz ab, trotz deiner traurigen Blicke, wenn einer von uns nach oben entschwindet.
Stattdessen richteten wir uns im Wohnzimmer ein, mit Matratze, die du dann bald okkupiert hast. Wir durften uns noch um dich herum ringeln.
Dafür hast du dort bequem geschlafen. Außer das halbe Dutzend Mal jede Nacht, die du raus musstest oder irgendeine Versorgung brauchtest.
Die Tierärztin wollte dein Leben beenden, oder dich vielen Untersuchungen unterziehen, vielleicht operieren, das Ganze ohne große Hoffnung auf Erfolg. Es drohte eine bis zu tägliche Behandlung mit Punktierung deines Bauches, um das, was sich darin ansammelt - vermutlich Wasser oder Blut - abzulassen. Schmerzmittel gegen den Druck des aufgeblähten Bauches gegen Organe und Lunge gebe es nicht.
Mit Tränen in den Augen verlassen wir die Tierarztpraxis. Mit dem Hinweis in den Ohren, dass es nicht in Ordnung sei, dich lange in dem Zustand zu belassen. Entweder eine aussichtslose, möglicherweise tödliche Behandlung oder Einschläfern.
In mir sagte alles NEIN zu beidem.
Wir quälen uns durch die Tage. Ich suche die innere Verbindung zu dir und bin mir ziemlich sicher, dass du ebenfalls nein zu beidem sagst.
Schließlich gab ich auf, nachdem du dich einmal an der Sperre vorbei nach oben gemogelt hast - und jämmerlich schriest, weil du nicht alleine wieder runter konntest. Dann sind wir beide gestürzt beim Rettungsversuch. Irgendwie habe ich dich doch recht heil wieder nach unten bugsiert. Dafür hatte ich wochenlang wahnsinnige Rückenschmerzen und brauchte einige Tage Ablösung bei deiner Betreuung.
In den Tagen, in denen ich mich um mich selbst kümmern musste, sah ich schließlich ein, dass ich dich gehen lassen muss. Dem Leben seinen Lauf lassen.
Du bist schließlich der Jüngste nicht mehr, für deine Größe und dein Gewicht bereits am Limit der angeblichen Lebenserwartung. Ich kann dich nicht für immer am Leben erhalten. Mit dem Entschluss, dich gehen zu lassen, legte sich ein unbeschreiblicher Frieden um uns, wie eine Umarmung von höchster Stelle. In mir wisperte es: Aber beten, beten darf ich doch? Möge geschehen, was das Beste ist für alle. Und deine ganzen Emotionen wahrnehmen, das darf ich doch auch? Alles das, was da scheinbar in dir aufgestaut war, nie ein Ventil finden durfte. Das darf ich doch? Und dir besseres Futter kaufen?
Nicht, dass ich mir das dein ganzes Leben lang hätte leisten können.
Außerdem verursacht es ein Vielfaches an Müll im Vergleich zu dem bisherigen, das auch schon medizinischen Bedürfnissen gehuldigt und ein Loch in meine Kasse gerissen hat. Aber darum geht es jetzt nicht. In diesen essentiellen Zeiten findet eine Art Besinnung auf das Wesentlich statt. Umweltschutz-Gründe, persönliche Befindlichkeiten und Wünsche - alles fällt in sich zusammen. Du darfst jetzt deine Häufchen nach Belieben im Garten hinterlassen, was früher ein schweres Vergehen gewesen wäre. Alleine hinaus - kein Problem. Katzen werden schon nicht herum streunen. Und wenn schon, sollen sie doch weglaufen. Wahrscheinlich würdest du sie gerade sowieso nicht beachten. Jedenfalls bin ich eh über mein körperliches Limit rüber, froh über alles, was ich nicht tun muss. Kaum noch eigenes Leben. In meiner Verzweiflung, meine Job-Suche aufgeben zu müssen, verspreche ich dir, dass ich keinen Job annehme, der mit dir nicht vereinbar ist. Dass du absolute Priorität in meinem Leben hast, so lange du da bist.
Alles erscheint in neuem Licht in dieser Dauer-Krise. Mein kürzlich begonnenes Achtsamkeitstraining für Tiere mit ihren Menschen hilft mir enorm weiter, mit all den Emotionen fertig zu werden. Stunden lang gebe ich dir täglich Heilsessions, mit Methoden, die ich die letzten zehn oder so Jahre gelernt habe.
Kaum, dass ich bereit bin, dich gehen zu lassen, nur noch um Frieden bitte - plötzlich kannst du aufstehen!
Zwei, drei Heilsitzungs-Stunden später und eine Schwellung im Gesicht ist zurück gegangen. Ich halte heimlich den Atem an, sage nichts. Traue mich nicht, das zu glauben, was ich sehe. Am nächsten Tag geht eine weitere Schwellung zurück. Noch zwei oder drei weitere Tage und ich kann an deiner Seite eine Nacht durchschlafen. Das Jammern und Japsen ist weg. Ich muss dir immer noch viel Abwechslung beim Futter bieten, um dich überhaupt zum Essen zu animieren. Doch langsam entwickelst du mehr Appetit. Zehn Tage später und bis auf ein bisschen Schwellung am Kopf sind alle Symptome verschwunden. Du stürzt dich auf das Futter und forderst mehr ein. Endlich!
Habe ich dich etwa in dieser Zeit an zu viele Luxus-Angewohnheiten gewöhnt? Hast du jetzt auf Dauer gelernt, dass dein Wunsch mir Befehl ist?
Jedenfalls lebst du. Gehst wieder freiwillig spazieren. Hast Lust dazu.
Wenige Wochen später genießt du den seit Monaten ersten Strand-Auslauf. Zwei Stunden bei Minustemperaturen - mein schönstes Weihnachtsgeschenk! Langsam ist es auch wieder okay, dir immer dasselbe Futter zu geben. Das neue bessere natürlich.
Ich fühle mich als der vielleicht dankbarste Mensch der Welt - und wundere mich immer noch über das Wunder deiner Heilung.
Langsam kehrt Alltag ein. Du kletterst wieder in dein Schlafzimmer, ich in meines. Welch Luxus, in einem Bett zu schlafen! Und dabei nicht mehrfach pro Nacht von einem Hund rausgeworfen zu werden, weil er irgendetwas braucht! Himmlisch. Das eigentliche Achtsamkeitstraining fängt für uns jetzt erst an - und zwar mit einem wieder selbst zu Kräften kommen für mich.
Natürlich weiß ich, dass dein Leben nicht für immer ist.
Ich hoffe, du hast möglichst gute Lebensqualität und die Zeit, die dir zusteht, sodass du irgendwann friedlich gehen kannst.
In Erinnerung bleibt die größere Nähe, die wir zueinander gefunden haben. Die Strapazen verblassen zu einem Wissen, dass sie da waren. Drei Monate lang kaum eine Nacht durchzuschlafen, hinterlässt Spuren.
Was war noch in dem Cocktail deiner Heilung? Jedenfalls das Versprechen, dass du hier bleiben kannst. Dass ich dich liebe und alles tue, was mir möglich ist, damit es dir gut geht.
Und jede Menge Gnade.
Außer der Erfahrung habe ich meinen Weg gefunden, fühle mich wie auf meine Spur gesetzt: Ich wollte immer etwas mit Tieren machen. Jetzt weiß ich, was ich lernen will - das, was ich gerade begonnen habe: Mit Tieren kommunizieren, heilen, für sie eintreten, ihnen eine Stimme geben.
Du begleitest mich weiter dabei, in meinem persönlichen Wachstum, meiner Herzöffnung.