„Sicher, dass du nichts willst? Es is‘ noch genug da!“, bemerkte mein Banknachbar schmatzend. Mir war aber gar nicht nach essen. Der Eintopf roch zwar essbar, aber mir war, als hätte ich mir erst vor kurzem den Magen vollgeschlagen. Der zu kurz geratene Krieger gluckste: „Na, dann bleibt mehr für mich! Soll einer verstehen, warum du nach solch einer Schlacht nix fressen willst! Hast du etwa Angst, dass dich dabei einer absticht?“, meinte der Zwerg fast beiläufig und schöpfte mit der Kelle mehr Eintopf in seinen Fressnapf. Ich beobachtete, dass er sich dabei besonders auf die Fleischstücke konzentrierte und sie gezielt aus dem Kessel angelte. Ihm schien der Kampf nichts anzuhaben. Als wäre er tötend aufgewachsen. Sicher sah er schon viele Schlachten. Bitterer Alltag für den Vollzeitsöldner.
„Es war mein erster Kampf“, gestand ich.
„Ha!“, rief der Zwerg, „Ein Frischling! Deine Art ist selten geworden. Dann hattest du heute bestimmt nur Glück! Aber das is‘ immer so. Den ersten richtigen Kampf überlebt man nich‘, weil man kämpfen kann – sondern weil man das Glück hatte, nich‘ in die Axt eines Veteranen zu rennen!“
Ich nickte nur. Ihm war offensichtlich nicht viel daran gelegen, seinen Kameraden Mut zu machen.
Es war bitterkalt. Die Tannen um uns herum trugen eine schwere Last aus Schnee und Eis. Schroffe Felsen klafften hier und da aus der Erde und warteten nur auf neue Körper, die in der Hitze des Kampfes gegen sie schmetterten. Zwischen den Zelten, welche nach dem Sieg eilig aufgestellt wurden, brannten Lagerfeuer. Niemand wusste, wie viel Zeit bis zur nächsten Auseinandersetzung blieb. Töten, Zelte aufbauen, essen, schlafen, töten, Zelte abbauen, weiterziehen. Das war ihr Alltag und ich seit heute bis zum Hals mittendrin. Der Feind oft in der Überzahl. Meist ein wild zusammengewürfelter Haufen aus Barbaren und Felsschreitern. Kaum taktisches Vorgehen und so viel Übermut, dass man damit den Gladdrini wieder aufrichten könnte – das war jedenfalls die Meinung von Schlachtenwühler Grek. Mir war nicht klar, welchen Dienst dieser schwer gepanzerte und ständig wütende Hüne unserer Streitmacht erwies, dass man bereit war, Dezimierung und Korruption zu tolerieren. Glaubte man den Gerüchten, dann erledigte er über zweihundert Feinde in einer einzigen Schlacht. Diese und andere Geschichten im Zusammenhang mit Grek erzählte man sich sogar in Kriefstein, jenseits des großen Berges. Dort wurde ich geboren und dort lebte ich bis zu dem Tag, als die Krone denjenigen Ruhm und Gold versprach, die sich freiwillig der Nordkraft anschlossen. Einem Zweig des Heeres. Sie erledigten die Drecksarbeit. Bis zu der Zeit meines Beitritts war ich ein Taugenichts, ein Raufbold. Arm und ohne jegliche Zukunft. Ich hatte nichts zu verlieren und hatte keine Skrupel, anderen für Gold auf die Schnauze zu hauen. Aber der Krieg war schlimmer als alles, was ich vorher gesehen hatte oder wagte, mir vorzustellen.
„He!“, riss mich der Zwerg aus meinen Gedanken: „Du sollst zuhören, wenn ich mit dir rede!“, meckerte er mich an. Ich nickte ihm nur zu und entschuldigte mich artig. Aber irgendwie konnte ich ihm nicht richtig folgen. Sein Akzent war fies, genau wie sein Mundgeruch. Sein Gesicht sah aus, wie eine alte Wurzel mit vielen Narben und einer dicken Knollennase. Niemand, dem man Nachts begegnen wollte.
Noch blutverschmiert durch meinen ersten Kampf, versank ich in Selbstmitleid. Ich fühlte mich wie Dreck, der gerade unter einem Fingernagel herausgepult und in die Welt geschnipst wurde. Zwischen all diesen gestandenen und furchteinflößenden Kriegern wirkte ich wie ein schmächtiger Knirps.
„Willste mich beleidigen oder was?!“, brüllte mich der Zwerg an und holte mit der Faust aus, um mir eine zu verpassen. Kurz, bevor er seine Drohung in die Tat umsetzen konnte, ertönte in der Ferne das Kriegshorn. Das Lager verfiel plötzlich in Hektik, der Feind war nah! Ich fühlte mich verloren und war mir nicht sicher, ob ich diese Nacht überstehen würde. Der Zwerg sah auf, ließ von mir ab und entspannte seine Faust. Er stützte sich auf meiner Schulter ab, packte beherzt seine Axt, sprang auf und sprintete los. Dabei brüllte er Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ebenso wenig, wie die Sprache unserer Feinde. Eine Sprache war uns aber allen geläufig, egal ob Freund oder Feind: Der Kampf auf Leben und Tod.