Juni 68, Rom
Sie wartete auf ihn.
Auf den Mann, der griechisches Schauspiel dem Blut besiegter Gladiatoren vorzog. Den, der zum Missfallen des gewaltliebenden Adels den traditionellen Blutkämpfen keine staatlichen Gelder zumaß. Statt sich blutiger Schaulust hinzugeben, stand er selbst als Cantor in Amphitheatern, schritt über erdige Bühnen und rezitierte griechische Verse aus vergangenen Zeiten.
Still und heimlich dankte sie ihm für seine Sensibilität gegenüber des öffentlichen Spektakels. An regulären römischen Vormittagen wurden gefangene Kreaturen abgerichtet aufeinander gehetzt. Dieser Spaß, dem die Bevölkerung fröhnte, bildete nur den glorreichen Auftakt, für die später folgenden Gladiatorenkämpfe, den ersten Ton eines schmerzverzerrten Klageliedes. Eine frühe Warnung für die Stunden, zu denen sie sich nicht gegen ihre eigene Anwesenheit zur Wehr setzen konnte.
Manches Mal fanden Hinrichtungen jeder Art ihre Liebhaber unter Pöbel und Senatoren, eh ausgebildete Männer in den Arenen gegeneinander antraten. Noch weniger als er mochte sie es zuzusehen, wie das Blut der Sterbenden die heiße Erde tränkte.
Im Gegensatz zu ihm musste sie den Rufen der Menschen folgen, die im Kampf unterlagen. Sie trug die Verantwortung dafür, die Todgeweihten aus der Welt der Lebenden zu geleiten. Ihr oblag es, jedem menschlichen Wesen den letzten Atem zu nehmen.
Mit den Morituri konnte sie interagieren, für den Bruchteil eines Wimpernschlages ihren Schmerz spüren und ihren wirren Gedanken lauschen. So lange sie bei ihnen blieb, durfte sie mehr über das Leben erfahren, das diese bald verlassen würden. Einige der Sterbenden bat sie um Vergebung. Sie schienen zu jung, um von dieser spannenden, undurchschaubaren Welt zu scheiden. Wenn sie Menschen begegnete, die ihren Lebtag gelitten hatten, wünschte sie sich, zu wissen, ob es ein Leben nach ihr gab. Gern wollte sie den armseligen Kreaturen versichern, dass es von nun an friedlicher für sie würde.
Nur konnte sie nicht in Erfahrung bringen, was nach ihr kam. Dieser Blick blieb ihr verwehrt. Sie wusste zu genau, welche Verletzungen, Lebensweisen und grausamen Traditionen zu ihr führten. Sie wusste, dass ihr Künstler, den sie seit zwei Dekaden beobachtete, Blutvergießen nicht ertragen konnte.
Trotz seiner römischen Herkunft verehrte er das seichte Leben, das Griechische: Die Sprache war weicher, der Wein fruchtiger, das Obst saftiger, das Land lieblicher, das Jahr milder, die Dichtkunst harmonischer, der Gesang melodischer und die Musik klangvoller als im verstaubten, dekadenten römischen Reich.
Weil er die Kunst und Schönheit liebte, blieben ihr die brutalen Kämpfe und ihm unschöne Anblicke erspart. Ohne sich seiner Rolle bewusst zu sein, hatte er ihr mit seiner Sensibilität mehr Frieden in ihrer ewigwährenden Verpflichtung erlaubt als manch vom Volke verehrter Kaiser.
Ihren Dank würde sie nicht äußern. Nicht ihm gegenüber. Niemandem gegenüber, ausgenommen ihrer eigenen, stillen Gedankenwelt.
Der Adel verachtete seine schauspielerischen Bemühungen; zumal er sich dank seiner Vorlieben unter das niedere Volk mischte, deren triviale Ablenkungen annahm und auf Zuspruch hoffte. Einfältigkeit meinte er mit Einfalt zu imponieren.
Das musische Spiel auf der Kithara machte er indes zu seinem Handwerk und entlockte den Saiten himmlische Melodien. Seine Stimme aber blieb brüchig, so sehr er sie auch übte. Wort um Wort begleitete seine Melodien, Wort um Wort versagte er mehr darin, ein großartiger Redner zu werden. Zuspruch konnte er auf der Bühne nie erreichen. Nicht einmal von denen, die angeblich so leicht zu befriedigen waren.
Sie wartete auf den Mann, der seinen Sinn für Ästhetik nicht nur in griechischen Versen sondern auch in der Architektur auslebte. Für die wohlhabenden Bürger der Stadt Rom ließ er lichtdurchflutete Badehäuser errichten. Ausladende Kältebecken gefolgt von Schwitzräumen, Ruhearealen und wohlriechenden, öligen Düften. Die Thermenanlage auf dem Campus Martius, früher außerhalb, doch mittlerweile im Norden des Stadtgebietes, wurde dank ihm vom Aqua Virgo gespeist: Jenem Aquädukt, das auch die nahegelegenen Agrippathermen mit frischem Wasser versorgte. Die eigenen Badehäuser, generös nach ihm benannt, gehörten zu seinen kleineren Bauvorhaben, die er realisieren ließ. Der erste geglückte Versuch, dem keine zwei Sommer später die Umwandlung des römischen Stadtbildes folgen sollte.
Die weiteren künstlich angelegten Wasserläufe befüllten die Villen der ewigen Stadt mit flüssigem Leben. Doch in den schmalen Gassen, dort wo kein Wasser rann und die meisten Menschen ihr Dasein fristeten, staute sich selbst im Schatten sonnige Hitze. Schmutz und Gestank rangen um die Oberhand dieser Viertel.
Wenn sie durch diese schmalen, hohen Gassen schlenderte, fragte sie sich, wie die Hitze roch und wie sich die flimmernde, fäkalgeladene Luft anfühlen würde. Sie fragte sich, ob die Tuniken an verschwitzter Haut klebten, ob der Stoff Wunden aufkratzte und ob sich der Geruch von Tieren, getrockneten Kräutern und sonnengedörrtem Fleisch mit dem der Menschen vermischte.
Ungern besuchte sie die engen Gassen. Ungern brachte sie Trauer und Stille in diese gedrängten aber lebendigen Mietshäuser mit ihren winzigen Höfen.
Jedes Lachen verstarb in ihrer Nähe, sobald sie neben einem erkaltenden Körper wachte. Sie wehrte sich, solange sie konnte, den Menschen das letzte zu nehmen, was sie besaßen.
Doch Rom wuchs, türmte aus Verzweiflung ein Stockwerk auf das nächste, und ließ die Gassen schmaler und düsterer werden, um der stetig wachsenden Bevölkerung Platz innerhalb der Stadtmauern zu gewähren.
Ein gefundenes Fressen für tilgende Flammen. Ein Grauen, dem sie folgen musste.
Nach dem verheerenden Brand ließ er die kaiserlichen Gärten des Palatin öffnen, um all denen eine Unterkunft zu verschaffen, die ihre im Feuer verloren hatten. Er hielt die Nahrungsversorgung für die Bevölkerung aufrecht. Gar staatliche Gelder opferte er, um den Menschen alsbald ihre Wohnstatt an unbeschädigten Orten errichten zu lassen.
Selbst das spirituelle Rom erhielt stanta pede die göttliche Unversehrtheit zurück, die der lodernde Hitzesturm ihm entrissen hatte. Die erhabenen Säulen des Vestatempels und sein eingefallenes Runddach wurden erneuert, sodass die Priesterinnen ihr Amt wiederaufnehmen und die Flamme der Vesta hüten konnten.
Erstaunlich, dachte sie. Kaum versiegte das schädigende Feuer, entzündete das gute Feuer neue naive Hoffnung in der geschundenen Bevölkerung. Die gleiche Gefahr ging davon aus, doch niemand fürchtete es.
Aus den ehemals engen, nunmehr niedergewalzten Gassen und Wohnvierteln ließ er die eingestürzten Häuserreste entfernen. Seine Anordnungen sorgten dafür, dass das verbrannte Rom aschegetränkt aufatmen und sich im neuen Glanz erheben sollte. In der Senke zwischen den sieben Hügeln Roms, dort, wo das einfache Volk lebte, hatte der Brand seinem größten Hunger nachgegeben und alles vertilgt, was die ewige Stadt ihm hinwarf. Selbst an den Hügeln hatte er geleckt. Gierig. Unersättlich. Seine Rauchschwaden kesselten die Stadt ein. Scharf und beißend. Eine zusätzliche Belastung, die Panik, Verzweiflung und Verletzungen schürte.
Einigen zerstören Stadtteilen bescherte er breite befestigte Straßen und solide Mauern zwischen den Siedlungen, damit sich kein Brand je wieder so unkontrollierbar ausbreitete. Neue Wohnhäuser dürften nicht mehr nah und hoch gebaut werden, sie mussten unbrennbare Grundfeste besitzen. Andere vom Feuer getilgte Flächen ließ er begrünen.
Sie hatte staunend zugesehen wie Wiesen, Felder und Weideflächen für ganze Herden aus ehemals qualmendem Boden sprossen. Weinberge schenkten trockenen Hügeln Schatten und Fruchtbarkeit. Aus der verkohlten Erde sprudelten zahlreiche Brunnen, einer beeindruckender als der andere. Künstliche Wasserläufe boten in der unerbittlichen Sommerhitze Kühle und Erfrischung für Körper und Geist. Marmorne, erhabene Villen erlaubten in ihrem Schatten Schutz vor der sengenden Sonne, die das römische Reich Jahr um Jahr heimsuchte. Ein frisch angelegter See ließ das Auge glauben, es würde auf das weite Meer hinausblicken.
Das wahre Prunkstück, das goldene Herz dieser Anlage, begründete das Domus Aurea. Mühelos überragten seine Mauern die begrünte Umgebung. Von außen glänzte es mit jedem einfallenden Lichtstrahl, zog beeindruckte und neidische Blicke auf sich.
Innen begrüßten sie schützende Kühle, weite Räume, marmorne Büsten und steinerne Helligkeit. Stumme Deckenmalereien begleiteten sie, wenn sie ungesehen durch die hohen Hallen dieses Palastes schritt. Gelegentlich lugte sie Wachmännern über die Schulter und fragte sich, was sie dachten, mit welchen Zielen sie dienten und wie lange sie ihrem Kaiser noch hörig sein würden.
Keines der lebenden Wesen bemerkte sie. So wenig, wie sie ihre Umgebung spürte. Ob zehrende Flamme oder schneidende Winde nördlich des römischen Reiches, ihr Empfinden blieb taub und trübe. Marmor verschaffte ihr kein anderes Gefühl als das Leinen, aus denen Tuniken und Togen gewebt wurden.
So nutzte sie freie Augenblicke, um das architektonische Meisterwerk wie eines unter vielen zu betrachten, in denen sie im Laufe der Äonen wandelte.
Den Speisesaal am Südhang des Esquilin bedachte sie besonders gern mit ihrer Anwesenheit. Nicht nur in der Hoffnung, eines Tages möge der Kaiser an seinem Essen ersticken, und sie könnte seinem Leiden fröhnen. Meist beschränkte sie ihr Augenmerk auf die Andersartigkeit der Bauweise.
Die Wände des Saals formten ein Achteck und boten ihr die erste außergewöhnliche architektonische Form seit Dekaden. In der hoch oben gespannten Kuppel drehte sich ein auf Elfenbein gemalter Himmel. Ein eigenes sternengesprenkeltes Firmament kreiste über dem Kopf des Mannes, der selbst so eigen war wie die gesamte Palastanlage, die von nun an das Stadtbild Roms prägte.
Obwohl sie allen Büsten in die Augen gesehen hatte und sich mit jedem Mal wünschte, sie könnte die litischen, leblosen Abbilder zertrümmern, war sie gezwungen, für die Statue ihren Blick zu heben, die sie am meisten hasste.
Golden ragte vor der Domus Aurea ein Abbild des Sonnengottes in die Höhe. Es strahlte jeden Morgen mit der Sonne, brannte in mittäglicher Hitze und glühte unheilvoll, wenn Horizont und Sonnenlicht am Abend aufeinander trafen.
Ihr blieb unmöglich zu bestimmen, ob die Statue Sol oder Helios darstellen sollte, zumal die Mimik an die des graecophilen Künstlers angeglichen wurden, der sie hatte erschaffen lassen.
Einen Künstler. Das mochte er in sich selbst sehen. Auch sie sah in ihm einen Rhetoriker, einen gescheiterten Sänger, Maler, Bildhauer und begabten Kitharaspieler. Einen Kaiser entdeckte sie in dem goldenen Götzenbild hingegen nicht. Noch weniger einen Gott.
Dem Gott Sol würde das gemeine Volk nie widersprechen. Es würde ihn gleichsam ehren und fürchten, dennoch nie das Wort gegen seine Launen erheben. Das Volk Roms erhob seine Stimmen jedoch gegen ihren vergoldeten Kaiser.
Missmutige Stimmen brodelten so unheilvoll wie die Verwüstung, die Rom im Monat Julius Caesars niedergebrannt hatte. Das Feuer zwang die Hauptstadt des mächtigen Imperiums innerhalb eines Augenblickes in die Knie. Ein Meisterstreich, der zuletzt den Galliern gelang, die vierhundert Jahre zuvor die ewige Stadt bis auf ihre Grundfesten zerlegten.
Die Flammen ließen Hunderttausende ohne Obdach und verschlangen etliche Stadteile, nährten Angst und Leid in den Herzen der römischen Bevölkerung. Über eine Woche hinweg fraß sich das Feuer entlang der dicht bebauten Siedlungen durch die Stadt, unaufhaltbar, ungezähmt wie ein abgerichtetes, erzürntes Tier, trug es die Zerstörung in seinem Inneren. Auch nachdem seine Wut gestillt war, züngelten Tage später Flammen aus der Erde, ehe sie in ihrem Keim erstickt werden konnten.
Solch ein Ungeheuer könne kein Gott geschickt haben, hörte sie die Vermutungen und dunklen Ahnungen aus überfüllten Mietshäusern aufsteigen, deren Fenster sich neidisch auf das Areal der Domus Aurea senkten. Es musste aus Menschenhand stammen. Vielmehr aus der Hand jenes Kaisers, der die niedergebrannten Gebiete als eigene Palastanlage neu errichten ließ.
Bei allem, was sie diesem Mann vorwarf, dieses Unglück hatte nicht er ausgelöst.
Das Feuer gebar sich aus dem Spiel heißer Winde, trockenen Holzes und einem unvorsichtigen Verkäufer unter den Rängen des Circus Maximus. Die Rennbahn bildete den sportlichen und sozialen Mittelpunkt Roms: Wagenrennen. Wetten. Euphorische Menschenmengen. Sehen und gesehen werden. Ebenso der ideale Ort für Händler aller Art. Dicht gedrängt in kleinen Hütten, boten sie ihre außergewöhnlichen Waren für eine außergewöhnlich kaufbereite Bevölkerungsschicht dar. Es brauchte kaum mehr als einen Hauch der Unaufmerksamkeit, ein falsch eingeschätztes Risiko, einen Funken, der übersprang.
Die erste Seele, die dieses Feuer mit sich riss, hatte sie ihrem schwelenden Körper entnommen und die ewige Freiheit geschenkt.
Mit der ersten Flammenbrunst hallten Rufe der Warnung und der Angst durch die Stadt. Beide getragen vom Wind, eilig in alle Richtungen verteilt. Beide gefolgt von todbringender, orangeroter Hitze. Letztendlich auch von ihr selbst, wenn sie jede qualvolle Empfindung auslöschte.
Grauer Qualm blieb zurück, so schwer und betäubend wie die Nebelwände des Nordens. Für einen Moment herrschte Stille.
Sobald die letzten Funkenstürme sich legten und die ersten schwelenden Schwaden sich öffneten, schrie das Volk nach einem Schuldigen. Der Kaiser habe das Feuer für seine eigenen Vorhaben gelegt, darauf legte man sich fest. Und wenn es nicht aus seiner Hand kam, dann habe mit Sicherheit er die Anweisung gegeben.
Als Kaiser und der Brandstiftung Angeklagter, suchte er nach anderen, denen er den Auslöser des Feuers zuschreiben könnte. An einen ungünstigen Zufall, an die Wahrheit, würde das Volk nicht glauben. Die Menschen glaubten nicht einmal an den Zorn der Götter. Sie gierten nach einen Schuldigen auf Erden und sie bekamen schnellstmöglich Schuldige vorgesetzt.
Sonderbare Menschen mit unrömischen Riten wurden für verantwortlich erklärt. Sie hielten Orgien ab, betitelten sie als Nächstenliebe und teilten Leibe in ihren Festmahlen auf, den Leib Christi, um dem einen Gott zu opfern, der die Demut, die mehreren Göttern zustand, für sich beanspruchte. Wer so einem eitlen Gott diente, könne nur Schlechtes bringen. So säte sich das Misstrauen wie wenige Nächte zuvor die Funken der Flammen.
Die unbeliebte und von eingefleischten Römern misstrauisch begutachtete Sekte der Christiani bot sich an. Hatten sie das Feuer nicht sogar begrüßt und willkommen geheißen? Diese Menschen warteten auf ihren Untergang und den, der ihnen bekannten Welt. Womöglich hatten sie ihn selbst inszeniert, um ihrem Gott gefällig zu sein.
Diese Menschen, die kein Römer verstand und kaum ein Römer verstehen wollte, deren Anwesenheit mit heimlicher Neugierde und öffentlicher Nichtachtung geduldet wurde, diese Gruppe bot das Ideal der Schuldzuweisung.
Aus dieser Sekte ließ der Kaiser Hunderte hinrichten, um zu zeigen, dass er den Verursachern der Katastrophe keine Gnade gewährte.
Einige wurden in das Fell wilder Tiere gewickelt, zum todbringenden Kampf gegen abgerichtete Hunde gezwungen. Andere erwartete die Bestrafung, die Brandstiftern vorbehalten war. Sie selbst wurden zu einem Teil dessen, was sie angeblich herbeigeführt hatten. Ans Kreuz geschlagen und den gierigen Flammen übergeben, erhellten sie die nächtliche Dunkelheit. Ein loderndes Mahnmal.
Behutsam löste sie jede Seele aus den brennenden Körpern und überreichte sie der Ewigkeit. Diese Menschen wurden zu Unrecht bestraft. Sie wollte ihnen das größte Leid ersparen und in ihrem Wirkungskreis gegen den strafenden Kaiser agieren, obwohl sie ihm so treu diente wie keiner der Lebenden. Sie musste all die Seelen mit sich nehmen, deren Auslöschung er beauftragt hatte.
Sie würde mit ihrer Vergeltung warten, bis der Kaiser von ihr verlangte, auch ihn aus seiner aufgedunsenen, fleischigen Hülle zu befreien. Seine Feigheit würde ihn bald dazu treiben.
Wie einige Satiriker in ihren Versen postulierten, würde auch sie ihm Brandstiftung zutrauen, obwohl sie die Wahrheit kannte. Manchmal wünschte sie, es wäre seine Hand gewesen, die eine feurige Fackel über brennbaren Grund hielt. Solch eine verborgene Tat würden sie zu gern dem Mann anrechnen, der es nicht wagte, dem herrischen Strippen ziehenden Weib von Mutter die Stirn zu bieten.
Seine Mutter hatte ihn auf den römischen Thron gesetzt. Seine Mutter hatte Rivalen ausgeschaltet und in der Ehe mit Octavia, der Tochter seines Stiefvaters, ihm die Macht endgültig gesichert.
Doch interessierte er sich für seine Frau? Oder sein Volk?
Griechenland, das verehrte er. Musische Spiele. Ästhetik.
Er wusste, wie er zu Geld kam, dem Reich Wohlstand und sich selbst die Erfüllung seiner Wünsche bescherte.
Bereits Jahre zuvor, als er das feige Gift wählte, um dem Einfluss seiner Mutter zu entgehen und in die Fänge einer Giftspinne zu geraten, begann sie an den Eigenschaften des bis dahin wohlgebildeten Kaisers zu zweifeln. Kaum hatte er sich einer Spinne entledigt, fiel er einer zweiten vor die Füße. Bezirzen und in ihr Netz einwickeln ließ er sich von Poppaea - einer Frau, die seiner Mutter in kaltherzigem Kalkül in Nichts nachstand und sie in Brutalität überragte.
Welche Frau sonst würde ihren Erstgeborenen ertränken lassen und den Mann ehelichen, der es angeordnet hatte? Welche Frau würde sich an dem abgeschlagenen Kopf ihrer unbedarften Rivalin ergötzen? Eine Verbannung Octavias, erbaut auf Lügen, reichte Poppaea nicht. Sie wollte mehr. Diese Frau hatte immer mehr gewollt.
Der Kaiser blieb ihre Beute. Mal schmeichelte sie ihm, mal grub sie ihren Giftstachel tief in seinen Verstand. Doch als sie ihn zu sehr triezte, riss der Faden seiner Geduld und er trat sie und das Leben in ihr zu Tode.
Um das unschuldige Leben hatte sie getrauert - zu oft nahm sie kleine Seelen mit sich, denen es nicht erlaubt war, einen Blick in diese Welt zu werfen - doch nicht um dessen garstige Mutter.
Selbst mit Schreck in den Augen, womöglich sogar einem Funken Angst, zusammengekauert auf dem Boden, um ihren Unterleib gekrümmt, galt Poppaeas letzter Gedanke weder ihrem Mann noch ihrem Ungeborenen. Wenigstens würde sie ohne Falten sterben, noch jung und schön, wie sie immer sein wollte.
Zu gern hätte sie Poppaea in ihrer Eitelkeit schmoren lassen, dafür gesorgt, dass diese Frau am lebendigen Leib verfaulte, eh sie ihre Seele mit sich nahm. Doch eigenmächtige Entscheidungen dieser Größe waren ihr noch nie erlaubt gewesen.
Nach Poppaeas Ableben suchte der Kaiser ihr Ebenbild in anderen Frauen. Statilia Messalina wurde seine erste Wahl, Angetraute eines Senators, der wegen des Kaisers Interesse nicht nur seine Frau sondern auch sein Leben verlor. Doch der Kaiser behielt sie nur kurz als die seine. Vermutlich reichte die Ähnlichkeit zu seiner geliebten Poppaea nicht aus. Oder sie bewies sich als zu schlecht darin, fremdländische Verse zu rezitieren und ihn mit ihrem Gift den Verstand zu vernebeln.
An ihrer statt musste ein freigelassener Lustknabe die Rolle der Poppaea übernehmen. Sporus, so hatte der Kaiser ihn bereits vor vielen Sommern getauft.
Sie wusste nicht, ob er damit die Herkunft des Jünglings betitelte - schließlich bevorzugte der Kaiser das Griechische in jedweder Hinsicht. Womöglich wurde Sporus auch nach dem Samen benannt, dem potentiellen Leben, das er als Lustknabe keiner Frau mehr geben konnte.
Der junge Mann glich frappierend Poppaeas Antlitz, zum Glück nicht ihrem Wesen, sonst hätte auch ihn ein jähzorniges Ende ereilt. Sporus wurde nach römischer wie griechischer Tradition zu des Kaisers Ehefrau erhoben. Sie durfte dem Trauerspiel fernbleiben und wurde erst später wieder in die Nähe des Kaiser gezogen.
In den letzten Jahren wuchs das Misstrauen gegen ihn, den Kaiser, der sich als Künstler sah. Die Furcht vor unberechenbaren Handlungen keimte auf und mit ihr der Vorwurf, für sein Wohl statt für sein Volk zu leben. Erst vor wenigen Stunden hatte sie gehört, dass der Senat ihn als Hostis seines eigenen Reiches betitelte.
Ein Kaiser, der zum Staatsfeind erklärt wurde.
Vom Senat verstoßen, von seinen Getreuen verlassen, würde es nicht mehr lange dauern, eh auch den ehemaligen Kaiser eine Strafe römischer Art erwartete. Bevor er diese in Empfang nahm, würde er sich dem Urteil entziehen. Dessen war sie sich gewiss.
Doch er ahnte nichts von ihrer Existenz,obwohl er an Mors, Hades und Thanatos glaubte, sie verehrte. Er wusste nicht, dass sie den Übergang vom Lebenden in das Leblose geleitete und sich nicht nach seinen Vorstellungen zu richten hatte. Sie würde mit einer schlimmeren Strafe für ihn aufwarten als all jene, die ihm im Leben verfluchten. Sie würde nachholen, wozu sie all die Jahre nicht fähig gewesen war.
Mit jedem Schritt kam Nero ihr näher. Der letzte würde ihn in ihre Arme übergeben.
Sie wartete auf ihn.