Sind so Tage …
… an denen sich das Aufstehen nicht lohnt, nur weiß das meist niemand zuvor.
Halbtrunken vor Müdigkeit, mit den letzten Schwaden eines seltsamen Traumes am zerklüfteten Ereignishorizont (mit Flugsauriern, getrockneten Kichererbsen und Oma in blau/weißer Dederon Kittelschürze – kein Schimmer, wie der Scheiß zusammenpasst) verlasse ich das Bett … irgendwie. Ich finde mich auf dem Laminat wieder, die Nase 2 cm tief im Belag vergraben. Der Kolben klopft nach innen und ich blicke nun halbwegs wach an mir herunter. Die Decke hat sich um meine Beine gewickelt und wollte offensichtlich nicht allein auf der Liegestatt zurückbleiben, hat nach dem Python - Prinzip einen Würgeknoten um meine unteren Extremitäten gelegt. Sich daraus zu befreien hätte selbst Houdini vor eine größere Herausforderung gestellt. Nach etwas längerem Kampf und dem ersten ernstgemeinten Fluchen des Tages wanke ich ins Bad. Jemand putzt meine Zähne, glotzt mir mit Augenringen, tief wie der Mariannengraben entgegen, und ich denke; das Phantom hinter Glas sieht schrecklich hässlich und zerzaust aus. Aber es ist wenigstens so freundlich, meinen Kreislauf noch etwas schlafen zu lassen. Die erste Ladung Zahnpasta – Sabber – Mix landet auf dem Shirt, wo sie hingehört. Ich brummle meine schlechter werdende Laune durch den Vollbart und gehe zurück ins Schlafzimmer, mir ein neues Oberteil zu suchen. Beim Umziehen sticht mir was ins Auge und ich bekomme zudem einen ausgewachsenen Würgereiz – ich hab die Zahnbürste noch immer im Mund. Auf den Rest der Hygiene kann ich dann großzügig verzichten, will mir nicht noch was brechen, Punkerdusche reicht!
Auf dem Weg zum Bäcker, mitten durch den Parkour aus Handy – Abusus – Passanten auf 2 und in 4 Rädern, die sich selbst alle freiwillig in ihrer Zwergenexistenz gefangen halten und ihre Umwelt allerhöchstens als Schemen am Rande blinkernder Displays wahrnehmen, rammt eine vermutlich ungute Idee mein Bewusstsein. Gehst Du schnell noch zur AOK – für meine Mutter ne Sachlage klären. Die Gute hat seit kurzem einen Pflegegrad und im Zuge dessen will ich einen Antrag auf Kombinationsleistung stellen. Was das ist könnt ihr mal schön selbst herausfinden, für mich und mein nicht geringes Maß an Selbstüberschätzung sollte das nur eine Angelegenheit von Minuten sein. Am Empfang hab ich die Sachlage dargelegt und erhielt einen mitleidigen Blick, als wolle ich einen 40 Tonner per Einschreiben nach Bolivien verschicken. Gut, nehme ich erst mal Platz, widme mich der Morgenlektüre und bin mir umgehend bewusst, dass Alt werden Lug und Trug ist. Apothekenrundschau studieren hat was von Kaffeesatz lesen. Hab im realen Leben noch nicht einen von deren Modelagentursenioren getroffen, die breit lächeln, während ihnen die Kacke in den Beutel läuft. Hauptsache Granufink, dann musst Du die Bettwäsche nur noch einmal die Woche lüften. Dämliche Dreckspostille, zack und ab ins Schäm – Dich – Eck!
Ich warte eine gefühlte Ewigkeit, mein Magen gibt mir Bescheid, dass wir doch eigentlich zum Bäcker wollten und draußen zieht die Sonne ihre Bahn. Ständig stöckelt eine andere Sachverwursterin um den Tresen und pickt sich ein neues Opfer aus der stummen Masse. Mich nehmen die nicht wahr, liegt mein Körper vielleicht immer noch im Schlaf? Sitze ich vielleicht unabsichtlich daheim in der Badewanne, bin weggenickt und schon längst ersoffen? Oder liegt es daran, dass ich beim Hereinkommen optisch an einer Blondine hängen geblieben bin, die sich hinterm Schreibtisch vor einem nervösen Herrn rekelt, der mehr Falten als Haare sein Eigen nennt. Im Sommer wird so eine Platte schneller heißer als ein Campingkocher und im Winter friert durch die Schwachstelle das Hirn ein. Der Kollege scheint rein optisch zwischen beiden Phasen festzusitzen. Zumindest frisst er der Pietzmaus aus den bekrallten Händen, ohne einen gewichtigen Anteil am Gespräch in der Tasche zu haben. Mit der würd ich auch gern reden, denk ich mir und weiß, dass ich einen Fehler mache. Nun ist der Wunsch nicht selten Vater des Gedankens und mein unbedachtes Synapsen - Halma führt mich zu Blondie. Jetzt ist mir klar warum ich so lange auf unbequemen Schemeln kauern musste.
Ich artikuliere in feinst ausgewogenem Dessau – Deutsch, wonach es mich gelüstet. Nach eben jenem Kombiantrag! Ihre Gelnägel fliegen grazil über das Keyboard und ich erhalte die freundliche Auskunft, eben jener Antrag sei schon bewilligt. Sehr schön – Moment mal – im Grunde verfällt mein Hirn schon in einen vorsichtigen Begeisterungstaumel, dass es sich nicht mit bürokratischen Bocksprüngen balgen muss – aber wer hat den Antrag gestellt? Ich war´s nicht, die unbefleckte Empfängnis ist eine faule Ausrede für´s Fremdficken, und sonst kommt niemand in Frage. Blondchen straft mich jetzt mit einem leicht abfälligen Augenaufschlag. Denn wenn ich es nicht war, und auch sonst niemand, dann war ich es eben doch. Dagegen verwehre ich mich, bin noch nicht senil - konfus, wenn auch auf dem besten Wege, bin auch gern und rücksichtsvoll an allem schuld, aber bei dieser Sache bin ich mir ganz sicher! Jetzt hackt sie schon merklich zorniger auf der Tastatur herum (Wäre es ein Klavier, hätten wir Smetana verlassen und würden uns Wagner nähern.), will im Archiv nachschauen und zaubert einen Antrag mit Mutters Unterschrift heraus. „Ja“, beginne ich innerlich zu wüten, da mir Inkompetenz genau so lästig ist wie Krätze, Klimawandel und Bolognese im Bart, „das ist Mutters Unterschrift. Was sie mir da aber gerade ins Tageslicht drapieren ist der Antrag auf den Pflegegrad, über die Hürde sind wir ohne Reißen schon längst hinweg.“ Krachend bohren sich ihre Nägel mitten durch die Tasten, der Bildschirm flackert ängstlich und sie wird giftig. Auch und vor allem, weil sie die rote Linie zu verlassen scheint. Jetzt entreißt sie dem Drucker die Genehmigung für besagte Kombileistungen und donnert mir die Zettelei auf den Tisch. Rauschschwaden entwinden sich aus ihren zierlichen, beringten Ohren. Und ich lasse locker, ohne Frühstück geht so was nicht und eigentlich ist es auch furzegal, Hauptsache genehmigt. Und ohne Antrag noch viel besser. Ich nicke ihr freundlich und dem nächsten Kandidaten bedauernd zu.
Erst auf dem Bordstein wird mir klar, dass ich mir den Gang hätte sparen können und fluche jetzt laut und öffentlich. Scheiß Sauerstoffverschwendung und das alles vor dem Frühstück, dabei geht es schon straff auf Mittag zu und ich habe mittlerweile Kohldampf für ne ganze Kohorte römischer Gladiatoren. Hunger macht zornig!
Mitten im Sturmlauf zum Brötchenschmied werde ich jäh ausgebremst. Meinen Weg blockiert ein unsicher dreinblickender älterer Herr mit kachektischem und beschlipstem Äußeren. Nicht ganz schlüssig ob er mich auch ansprechen sollte und einen grün bedruckten Flyer in seinen dünnen Fingerchen knetend, fasst er Vertrauen zu meinem Bart und beweist seine eklatante Schwäche in Sachen Menschenkenntnis.
Ob er mich ansprechen dürfe – Zu spät, denke ich. Und dann noch – Alter, hol niemals einen hungrigen Mann aus den Schatten.
„Wo brennt´s Meiner? Aber mach hinne, wir essen heute sehr spät!“
Er wirkt erleichtert, druckst aber weiter rum.
„Na wat steht denn druf uff deinem Zettel Meester“
Jetzt leuchten seine kleinen Schweinsäuglein hinter einer schwarzen, altmodischen Hornbrille. „Es geht um Gott!“ tönt er fröhlich.
„Bin ihm heut noch nicht begegnet, aber wenn gleich beim Bäcker die Brötchen alle sind, dann finde ich ihn, dit verspreche ich Dir!“
Damit kann er nun nicht gerade gut umgehen und verliert wieder jegliches Konversationstalent.
„Nimm ma Deinen Wachturm Väterchen und lerne auf seiner sonnenabgewandten Seite etwas über Menschen, dann wird Dir so was wie jetzt nicht wieder passieren!“
Ich halte ihm mit der rechten Hand freundlich die „Pommesgabel“ unter die Lupe und schiebe den nun sehr erblassten Vertreter Gottes aus der Sonne. Sieht nicht so aus, als würde er Hitze gut vertragen!
Der Bäcker hat Mittagspause!
Zu Hause angekommen stolpere ich auf der Treppe über das Spielzeug der dauergreinenden Rotznase meiner Untermieterin. Noch ein paar Dellen mehr fallen aber nicht mehr ins Gewicht, ich brülle trotzdem ein beherztes SCHEIßE durch das Treppenhaus.
Im Kühlschrank siehts aus wie in der Arktis, pures Abtauen.
Der Nachmittag schmiegt sich verdächtig unauffällig in´s Tagesgesamtgefüge. Jetzt nichts wie schnell rein in´s Auto und ab zum Supermarkt. Ich habe das Gefühl, meine Wangenknochen spenden schon Schatten, meine Innereien haben bereits aufgehört sich über die dauerhafte Abwesenheit von Kohlenhydraten zu beschweren. Wie schnell sich unter diesen Gesichtspunkten ein Einkaufswagen vollstopfen lässt, sollte ich mal bei Guinness recherchieren. Heute kann ich das toppen – kinderleicht.
An der Kasse stapelt vor mir eine etwas aus der Form geschlagene Mutter ihr Raubgut auf´s Band. Gut gelaunt und debil grinsend säuselt sie der Mischung aus Fräuleinwunder und Einzehandelsverkaufsmolch im Drehstuhl unverlangte Familiengeschichten zu, resolut unterbrochen von;
„Dit macht 33, 85“
„Ich zahle mit Karte“
Quatsch nich, mache! Zürnt der Teufel auf meiner Schulter.
„Sie haben die falsche Geheimnummer eingegeben“ weiß die Kassenelster.
„Oh, ich probier ´s noch mal“ stutzt die Dicke und nimmt natürlich die gleichen Ziffern mit dem gleichen Ergebnis. Wie erstaunlich!
„Is wieder falsch!“
Und auf in die dritte Runde mit voraussehbarem Ausgang.
Piep,Piep, Bääääp
„Ich hab kein Bargeld.“, nuschelt Fettie irritiert, während die Schlange hinter ihr einmal um den Äquator reicht. Jetzt gibt sie vor ihren Mann anzurufen, während die Verkaufsperle so clever ist, deren ganzes Geraffel zu stornieren. Gern wäre ich Zeuge des Ausgangs dieser blonden Begebenheit geworden, aber mich befallen langsam Halluzinationen von fliegenden, gebratenen Tauben. Eben bekomme ich noch mit, wie sie mit ihrer Mutter telefoniert, da sie sich ihren Ehepartner entweder zusammen geträumt hat, oder der schlau genug ist, sich so ne doofe Alte lang genug vom Hals zu halten, bis die Kneipe aufmacht.
„Mutter, Du musst mal ganz schnell zur Kaufhalle kommen, beeil Dich.“ - und aufgelegt. Mit keinem Wort erwähnt sie, dass sie aus eigenverantworteter Beschränktheit knapp im Beutel ist und Mama ihren gefälligst mitzubringen hat. Wäre bestimmt noch spannend geworden, aber ich muss jetzt unbedingt los, bevor mein Bewusstsein einen komatösen Zustand annimmt.
Auf dem Parkplatz kippe ich die Beute einfach nur noch ins Auto und ramme mir die Kofferraumklappe mitten durch den Nasenrücken. Ich blute wie ein Ochse in Pamplona und fühle mich auch so. Schön plan versenkt, denke ich und bei all den bunten Sternen, die plötzlich überall umherflirren, weiß ich nicht mehr ob das Trugbilder aufgrund massiver Nahrungskarenz sind, oder sie lieber im Zusammenhang mit dem neuen Scheitel auf dem Nasenrücken gebracht werden möchten.
Zumindest ist mein Appetit tatsächlich verschwunden und ich hab ne neue Survival Diät für die aktuelle Brigitte kreiert!
Daheim lockt das gemütliche Bett und die hinterhältige Decke züngelt am Fußende. Scheißegal, nur raus aus diesem Tag! Licht aus!
Nachklapp:
Auf die Frage, was ich denn mit meiner Nase gemacht hätte und dem Genuss diverser Vermutungen, hab ich gern erzählt;
„Bevor ich den Cut bekommen habe, lagen schon 3 regungslos am Boden!“
Hat nie jemand geglaubt. Die wissen eben alle, dass ich mir die Wunden, die ich nach Außen trage, auch selbst zugefügt habe. Dafür gibt es solche Tage!
Und wer die vermeiden will, sollte immer Aufbackbrötchen in Reserve haben!