Was wäre, wenn … Brenna eine Sklavin des Elfenkönigs wird?
Fortsetzung von „Gefahr im Reich der Dunkelelfen“, Kapitel 12.
Du verbringst den vollen Abend neben dem Thron des Elfenkönigs. So schrecklich deine Lage ist, dieser Abend ist vor allem langweilig. In der großen Halle ist nicht viel los. Einige Berater kommen und erstatten Bericht, allerdings in der Sprache der Elfen, sodass du nicht viel verstehst. Du bist nur erleichtert, dass deine Gefährten nicht hereingeschleift werden. Keine Nachricht ist momentan die beste Nachricht von ihnen.
In der neuen Kleidung fühlst du dich ungeschützt. Du hast immer Rüstungen getragen, nicht, was immer dieses Netz aus Metall und Samt darstellen soll. Die Blicke der Dunkelelfen machen die Sache auch nicht besser. Sie starren dich an wie Wölfe ein verirrtes Kaninchen. Die Wachen, die an den Seiten der Halle stehen, stoßen sich feixend an und deuten auf dich. Du ziehst den Stoff immer wieder über deinen Brüsten zurecht. Es scheint nicht genug davon da zu sein, um sie zu bedecken.
Für den Anfang hast du beschlossen, still abzuwarten. Im Moment werden dich alle im Blick haben, also solltest du besser keinen Ärger machen. Nicht nur um deinetwillen – die magischen Samtbänder bestrafen alle Frauen gleichzeitig. Eure Leinen sind an einer Halterung am Ende des Throns zusammengeknotet. Ihr sitzt somit im gleichen Boot, auch wenn ihr bei weitem nicht gleichberechtigt seid.
Drei Frauen haben eine Art Sonderstellung, die du ihnen nicht neidest. Sie kriechen auf den Schoß des Königs und lassen sich wie Hunde streicheln. Kommt eine andere Frau dem Thron zu nahe – etwa, weil sie die Botschaft eines Spähers überbringt – fauchen die drei sie sogar an, die Hände mit zu Krallen gekrümmten Fingern erhoben. Ein paar der Gefangenen versuchen, die Aufmerksamkeit ihres Herrschers durch aufreizende Posen zu erlangen, und auch da greifen die drei ein.
Es sind eine Dunkelelfe, die vielleicht nicht einmal entführt wurde, eine bronzehäutige Kriegerin aus Bereenga und eine Orkin mit grüner Haut und feuerrotem Haar, die die Hackordnung anführen. Du hältst dich aus diesen Spielchen heraus. Immerhin willst du die Aufmerksamkeit des Königs gar nicht!
Als der Abend endlich vorbei ist, bringt der König euch wie ein Rudel Jagdhunde in euren Zwinger – in diesem Fall eine Reihe luxuriös eingerichteter Zimmer in einem separaten Teil des Schlosses, ein Flügel des großen Anwesens mit Sälen, Einzelzimmern und einer weitläufigen Gartenanlage. Wären da nicht die Wachen und die hohe Mauer, könnte es beinahe ein Paradies sein.
Die Leinen werden von euren Samthalsbändern gelöst und der König geht. Nun seid ihr unter euch, bis auf einige Diener, die offenbar für euch bereitstehen. Die anderen Frauen geben ihnen jedenfalls wie selbstverständlich Befehle, während du dich unwohl umsiehst. Instinktiv suchst du nach einem Fluchtweg. Die Mauer ist gefährlich hoch, aber du könntest vielleicht hinüberklettern. Das Problem ist, dass dort überall Wachen stehen. Die müsstest du zunächst ablenken …
„Hey, du … bist aus Kalynor, oder?“
Du drehst dich um. Eine Frau ist zu dir getreten, die ebenfalls zu eurer Gruppe gehört. Sie hat hellere Haut, braunes Haar und eine eher untersetzte Statur. Der Elfenkönig bevorzugt sichtlich kräftigere Frauen.
Wie dich.
„Ja“, antwortest du. Lügen hätte sicherlich keinen Zweck. „Du auch?“
Zu deiner Überraschung schüttelt sie den Kopf. „Mondsee.“
Das erklärt es. Die Bewohner der Mondsee sehen den Kalynorern ziemlich ähnlich.
„Ich bin Itjara.“ Grinsend reicht sie dir die Hand.
„Brenna.“
„Du hast dich bisher gut geschlagen.“ Itjara hakt sich bei dir unter und zieht dich in den Nachbarraum. Hier tragen die Diener soeben Speisen zusammen. „Aber dein Tag ist vermutlich noch nicht um. Du solltest dich stärken.“
Dein Magen knurrt bestätigend. Deine letzte Mahlzeit war ein wenig Brot am Morgen, was schon viel zu lange zurückliegt. Die lässt dich von Itjara darin beraten, was von den fremdartigen Speisen gut schmeckt, und welche Speisen man besser stehen lässt. Dazu zählen die Lieblingsgerichte von Ayshin, To’Gaya und Bradha – den Oberzicken. Sie lassen sich die feinsten Köstlichkeiten liefern und dulden es nicht, dass jemand ihnen das wegnimmt.
Schon jetzt rufen die drei dir irgendetwas zu, während du die Speisen aussuchst. Aber da du ihre Sprache nicht verstehst, hast du nur das spöttische Gelächter der anderen als Ansatzpunkt, worum es geht.
Bis Bradha, die Orkin, ihre Stimme in gebrochenem Kalynorisch erhebt. „Macht dick, Neue! Wirst rund wie Fass!“
Der Rest des Hühnerhaufens gackert aufgeregt, aber du drehst dich nicht um.
„Hast du gehört?“ Bradha steht grollend auf. „Macht dich fett wie Gans zum Schlachter.“
„Ignorier sie“, flüstert Itjara dir zu. „Sie sind nur neidisch, weil heute dein erster Tag ist.“
„Mein erster Tag …“ Du lässt den Knochen sinken, den du gerade abnagst. „Du meintest, dass er noch nicht vorbei wäre. Was genau heißt das?“
Itjara legt den Kopf schief. „Wir müssen alle da durch. Der König will sein neues Spielzeug natürlich auch ausprobieren.“
Ein eiskalter Schauer überrollt dich. „Scheiße. Ich soll ihn ficken?!“
„Aye. Wenn du einen Rat willst, mach es langweilig, aber nicht zu langweilig. Wenn er das Interesse an dir verliert, lässt er dich töten. Aber wenn du einfach mitmachst, vergisst er dich. Dann geht er wieder zu den dreien da …“ Sie nickt zu der Orkin und ihren beiden Gefährtinnen. Die drei sehen während ihres Gesprächs immer noch gelegentlich zu dir. Sie sitzen auf einem Sofa auf einem erhöhten Podium, offenbar eine Art Bühne, von der aus sie das Geschehen am Tisch überblicken, wo ihr anderen sitzt. To’Gaya – die Kriegerin aus dem fernen Bereenga – hat einen Diener sogar angewiesen, die Kapri zu dir zu stellen, eine Art Muschelspeise, die für sie reserviert ist. Zum Glück hat dich Itjara rechtzeitig vor der Falle gewarnt.
Itjara ist wirklich nett. Sie verspricht nicht nur, dir die Sprache der Dunkelelfen beizubringen, angefangen mit den Namen der verschiedenen Speisen, sondern passt auch ansonsten auf dich auf. In den etwa drei Stunden, bis du voraussichtlich zum König beordert wirst, trichtert sie dir die Höflichkeitsformen ein, die du beachten solltest.
„Sei immer unterwürfig.“ Sie lässt den Blick über die alten Narben wandern, die deine neue Kleidung nicht verbergen kann. „Ich bin sicher, dass dir das schwer fällt, aber versuch es! Der König liebt feurige Weiber, also gib ihm das nicht. Dann kann man hier eigentlich sehr gut leben.“
„Ich kann aber nicht bleiben!“ Aji und Allyster sind noch irgendwo draußen. Sie benötigen deine Hilfe! Und den Schöpferstein, um Kalynor zu retten.
Itjaras Blick wird mitleidig. „Das schlag dir besser aus dem Kopf. Die Eunuchen bewachen uns rund um die Uhr. Wenn wir zu rebellisch werden, dann … finden sie Möglichkeiten, um zum Gehorsam zu zwingen.“ Sie streicht über das trügerisch weiche Halsband und seufzt tief. „Es gibt kein Entkommen.“
„Das werden wir noch sehen“, brummst du entschlossen. Andere Frauen mögen sich ja an das Leben zwischen weichen Kissen und goldenen Käfigstangen gewöhnen, aber für dich ist das nichts. Das feine Essen verursacht dir schon jetzt Magendrücken. Ein Spanferkel wäre dir tausendmal lieber! Und auch deine Partner für die Nacht suchst du dir lieber selbst aus.
Je näher die gefürchtete Stunde rückt, desto schlimmer wird das Gefühl der Übelkeit.
„Was passiert, wenn ich ihm vor die Füße kotze?“, fragst du Itjara unglücklich. „Wie schnell bin ich dann tot?“
„Ziemlich schnell.“ Sie drückt dich fest. „Aber das wirst du nicht tun. Du schaffst das, verstanden?“
Da bist du dir langsam nicht mehr so sicher. Du hast schon mit einigen widerlichen Typen geschlafen, ohne deinen Mageninhalt zu verlieren, aber da warst du jedes Mal besoffen …
Du richtest dich auf. „Itjara? Habt ihr Alkohol?“
Die ehemalige Piratin grinst breit. „Du bist ein Mädchen nach meinem Geschmack!“ Ohne ein weiteres Wort rennt sie los und kommt mit einer ganzen Flasche teuren Weins wieder. Du entkorkst sie mit den Zähnen und setzt die Flasche sofort an die Lippen. Erst nach ein paar Schlucken setzt du den Wein ab. „Wolltest du auch was?“
Itjara sieht dich voll neuerwachtem Respekt an. „Nein, nein. Nimm alles.“
Dir wird bewusst, dass du fast die Hälfte hinabgestürzt hast. Das alles nimmt dich wohl doch mehr mit, als du dachtest.
„Ich will die wirklich nicht allein trinken!“, beharrst du.
„Noch etwas“, sagt Itjara zur Antwort: „Die Königsgarde wird euch die ganze Zeit dabei zusehen.“
„Was?!“
„Sie können ihren Herrscher ja nicht mit einer kalynorischen Kriegerin allein lassen. Also müssen die Wachen dabei sein, nur falls du irgendwas Dummes versuchst.“
Du hast deine Meinung geändert. Du brauchst doch die ganze Flasche!
°°°
Etwas schwankend betrittst du das Zimmer, in welches dich die Wachen geführt haben. Der Raum ist größer als der Schankraum der Taverne, in der diese katastrophale Mission begonnen hat. An der einen Seite steht ein riesiges Bett mit einem blauen Baldachin und vielen Kissen. Du bleibst bei der Tür stehen, nah bei einem flackernden Kamin, der den doch eher kalten Raum erwärmt.
Wachen stehen an den Seiten, vier flankieren dich. Insgesamt ist ein Dutzend anwesend. Der Knoten in deinem Magen wird noch etwas enger.
Der Elfenkönig steht in der Mitte des Raumes und beobachtet dich mit lauerndem Blick. Einen Moment herrscht Stille, während ihr einander anstarrt.
„Du willst nicht betteln“, stellt der König nach einer Weile fest. Er spricht die Gemeinzunge mit einem harschen Akzent. Dann verfällt er ins Elfische und weist zum Bett.
Du bleibst stehen.
„Eines solltest du wissen. Du wirst unsere Sprache lernen, oder du kriegst Schwierigkeiten. Und jetzt geh zum Bett!“
Das hast du bereits vorher verstanden, aber dieses Geständnis legst du hier besser nicht ab. Langsam trittst du vor. Jeder Schritt fühlt sich an, als würdest du Stiefel im Gewicht eines Pferdes tragen. Der König stellt sich hinter dich. Sein Atem kribbelt in deinem Nacken, als du stehen bleibst.
„Hinlegen“, knurrt dein neuer Besitzer finster.
Du kannst dich nicht überwinden, dich umzudrehen und auf das Bett zu steigen. Dein Herz hämmert wie verrückt. Der Alkohol war wohl doch keine so gute Idee, denn nun ist dir schwindelig.
„Du denkst wohl, du könntest hart tun?“, flüstert der Elfenkönig. Im nächsten Moment zischt er eine einzige Silbe.
Das Halsband zieht sich um deinen Hals zusammen. Nach Luft schnappend versuchst du, den Samt offen zu halten, aber du kommst mit den Fingern nicht unter den Stoff. Alles dreht sich vor dir. Diesmal zieht sich das Band viel enger zusammen als zuvor, bis es in deinen Ohren klingelt.
Als sich das Band wieder etwas lockert, findest du dich auf dem Bett wieder. Der dünne Stoff, den du trägst, ist von deinem Kampf völlig verrutscht. Der schlimmste Anblick ist jedoch der Ausdruck im Gesicht des Elfenkönigs. Der Scheißkerl ist nicht nur zufrieden, dass du endlich gehorcht hast, er genießt die Situation sichtlich. Sein Blick fordert dich geradezu auf, dich weiter aufzulehnen.
Stattdessen weichst du zurück, doch auch das war ein Fehler. Mit einem Zischeln verengt er das Band wieder, um dich zwischen den Kissen festzuhalten. Ohne Luft hast du auf der viel zu weichen Matratze keine Chance. Wie ein Kaninchen vor dem Wolf kannst du nur zusehen, wie der König seine Kleidung ablegt. Als er über dich krabbelt, verengt er das Band weiter, bis du hörbar um Luft ringst.
Scheiße, das macht ihn erst an! Während er deinen Körper in Besitz nimmt, wird dir klar, dass die Frauen im Harem jeden Schritt eurer ohnehin unangenehmen Vereinigung mitbekommen werden. Der König nimmt dir mit seiner Magie den Atem, bis du völlig willenlos bist. Falls du jemals dachtest, dass dein Leben hier einfach wäre, so wird dir diese Illusion jetzt genommen.
°°°
Mitten in der Nacht bringen die Wachen dich zurück in den abgesperrten Teil des Schlosses. Diesmal taumelst du nicht vor Trunkenheit – die Wirkung des Alkohols ist viel zu früh verflogen, wenngleich sie den anfänglichen Schmerz überdecken konnte. Doch dein Körper ist zerschunden. Der Elfenkönig war rücksichtslos. Die Atemnot hat alles noch schlimmer gemacht.
Und als du in die große, nur noch spärlich erleuchtete Halle trittst, wird dir klar, dass der Tag immer noch nicht vorbei ist. Erneut fühlst du dich wie ein Kaninchen. Eine nahezu unbekannte Hilflosigkeit, an die du dich wohl gewöhnen musst. Du bist ins Nest der Vipern gestolpert und die Schlangen empfangen dich zischelnd und giftig.
Itjara ist nirgendwo zu sehen. Dein Empfangskomitee besteht aus Ayshin, To’Gaya und Bradha. Die drei Schlangenkönginnen empfangen dich mit kühlem, spöttischem Blick.
„Ihr braucht gar nichts zu sagen“, fauchst du ihnen entgegen, in der Gewissheit, dass sie dich vermutlich sowieso nicht verstehen werden. Du bist zu müde für diesen ganzen Mist. „Ich will genauso wenig hier sein wie ihr mich hierhaben wollt!“
„Warum du machen dann?“, fragt Ayshin dich. Die Elfe spricht mit dem gleichen Akzent wie ihr König.
Verwirrt runzelst du die Stirn.
Ayshin legt einen Finger unter das Band an ihrem Hals und sieht es herab, um dir eine rote Stelle zu zeigen. „Wir schon einmal hatten wie dich … Ich, nicht wir.“
„Häh?“
„Du kriegst unsern Platz nicht“, grollt Bradha finsteren Blickes. „Brauchst nicht erst versuchen!“
Schulterzuckend gehst du an den dreien vorbei. Du hast nicht genug Energie übrig, um irgendeinen Sinn aus ihren Sätzen zu bilden.
Zum Glück hat dir Itjara eine kleine Tour deines neuen Zuhauses gegeben, sodass du weißt, welche Zimmer leer sind. Du nimmst eines davon, rollst dich zusammen und wartest auf den Schlaf. Doch so müde du auch bist – du liegst wach, ohne Ruhe finden zu können. Da ist ein Druck in deiner Kehle, als müsstest du heulen. Seit Jahren hast du nicht mehr geweint, auch heute bleiben deine Augen trocken.
Stunden vergehen. Vor den Fenstern zieht bereits grau der Morgen auf, als deine Augen endlich zufallen.
Und es ist nicht viel heller, als Itjara dich weckt.
„Hey, Süße. Du hast gestern ja eine beeindruckende Show geliefert.“
„Hrmm?“ Zu mehr bist du nicht fähig.
„Wir kriegen die Dauer ja über die Halsbänder mit“, erklärt die Piratin, während sie sich zu dir setzt. Sie steigt in deiner Achtung ein ganzes Stück, denn sie hat Frühstück mitgebracht – unter anderem weiteren Wein. Diesmal ist er weniger süß als das Gesöff gestern, wie du nach ein paar Schlucken anerkennend feststellst.
„Trink nicht zu viel“, warnt Itjara dich. „Man sollte dir besser nichts ansehen.“
„Wieso? Lästern die Vipern dann wieder über mich?“
„Die Vipern? Nein.“ Ernst schüttelt sie den Kopf. „Wir müssen gleich raus. In den Thronsaal.“
„Oh.“ Langsam dämmert dir, dass das stundenlange Sitzen gestern noch unter deine Schonfrist fiel. Umso mehr, als ihr schließlich abgeholt und wieder angeleint werdet. Den ganzen Tag verbringt ihr beim Thron des Herrschers der Dunkelelfen und lauscht den Berichten der Späher und den Bitten des einfachen Volkes. Itjara übersetzt flüsternd für dich, sodass du dir langsam ein paar Brocken der Elfensprache aneignen könnt. Solange ihr einen dekorativen Eindruck macht, ist dem König nämlich egal, was ihr so treibt. Ihr seid Schaustücke, die er seinen Besuchern vorführt.
Du versuchst, Itjaras Übersetzungen zu folgen und deine Augen offen zu halten. Du hattest viel zu wenig Schlaf, sodass du kaum wach bleiben kannst. Außerdem lenken die drei Königsvipern dich ab. Ayshin, To’Gaya und Bradha werfen dir immer wieder finstere Blicke zu.
„Meine Güte, die stellen sich aber auch an“, murmelst du schließlich. „Ist ihnen nicht klar, dass ich lieber überall sonst wäre?“
„Darum geht es nicht mehr“, flüstert Itjara leise zurück. „Du warst gestern lange … fort.“
„Ja, und? Ist ja nicht meine Entscheidung gewesen!“
„Länger als wir normalerweise weg sind.“ Die Piratin sieht dich ernst an.
„Scheiße … ihr musstet nicht so viel mitmachen?“
„Meist dauert es ein, zwei Stunden. Aber du … nun, jedenfalls fürchten sie jetzt um ihre Stellung. Neulinge sind immer eine Gefahr für die alten Königinnen, aber du bringst auch noch ein großartiges Talent mit dir! Kein Wunder also, dass sie dich so ansehen.“
Du musst die Offenbarung erst einmal verdauen. „Ich habe genau das getan, was du mir gesagt hast! Ich war ganz ruhig und …“
„Vielleicht liegt es daran, dass du aus Kalynor bist.“ Itjara bewegt die Augen warnend, weil du zu laut geworden bist. In der großen Halle wird jedes Flüstern verstärkt. Und wenn ihr zu sehr stört, geizt der König nicht mit seiner Macht über die Halsbänder.
„Scheiße“, wiederholst du leiser. „Was mache ich denn jetzt?“
„Wir finden eine Lösung“, sagt Itjara tröstend. „Immerhin, als neue Erste Geliebte hättest du auch beträchtlichen Einfluss!"
Du schüttelst über ihr Grinsen den Kopf. „Ich will das nicht. Ich muss hier raus – davon hängen Leben ab!“
Itjara seufzt. „Mehr, als du glaubst. Es gab … vor einigen Jahren … einen Vorfall im Harem. Der König ließ sich in seinem Rausch mitreißen und hat vergessen, das Halsband rechtzeitig zu lockern.“
Du starrst die Piratin sprachlos an. Das Gemurmel in der großen Halle tritt in den Hintergrund, während du an die letzte Nacht zurückdenkst.
Es kam dir da schon ein paar Mal zu knapp vor. Aber du hast überlebt. Bisher.
„Damals hat nur Ayshin überlebt“, fährt Itjara leise fort. „Und sie will sicherlich nicht zulassen, dass du alle erneut in Gefahr bringst. Das wird Krieg geben!“
Krieg. Du kennst Krieg. Schon seit Jahren verdienst du damit dein Geld. Doch der Harem ist unvertrautes Terrain. Du hast deine Säbel nicht mehr, die Waffen, die als einziges von deinem Vater geblieben sind. Das Schlachtfeld und die Waffen sind dir fremd. Und du weißt genug über den Krieg, um genau zu wissen, was mit Soldaten und Söldnern geschieht, die ihre Waffen nicht beherrschen.
Itjara drückt beruhigend deine Hand. „Wir schaffen das, Brenna. Ich bin ja bei dir.“
°°°
Wenigstens hast du diese eine Verbündete. Ohne sie wärst du verloren. Denn die nächsten Tage sind die Hölle. Jeden Abend wirst du von den Wachen abgeholt und verbringst die Nacht mit dem Elfenkönig. Nicht, dass du besonders viel davon mitbekommen würdest – die meiste Zeit bist du damit beschäftigt, Luft zu erkämpfen.
Ihr seid bald alle heiser und erschöpft. Das macht die Vipern jedoch nicht harmloser, ganz im Gegenteil. Sie scheinen zu glauben, dass du all das absichtlich machst. Die anderen Frauen schlagen und treten dich, stehlen deine Nahrung, versuchen sogar, dein Haar in der Nacht abzuschneiden, als du endlich einige Stunden Schlaf ergatterst. Neben den drei Königinnen machen jetzt die meisten Frauen mit. Abends versuchen sie, dich festzuhalten. Einmal sperren sie dich in einen Schrank, in dem die Wachen dich erst einmal finden müssen.
Das ist in deinem Interesse, aber du würdest es vorziehen, weniger Knüffe und Beleidigungen abzukriegen. Die Frauen im Harem sind – Itjara ausgenommen – nicht deine Verbündeten. Einige wenige versuchen zwar auch, sich bei dir einzuschmeicheln, doch das tun sie, weil sie dich als zukünftige Haremskönigin sehen. Ihre Treue ist nichts wert.
Doch es gibt keinen Aufschub. Falls du nicht rechtzeitig beim König bist, macht er euch über die Halsbänder Beine. Er ist euer wahrer Feind, doch es gibt keine Hoffnung, dass ihr euch gegen ihn zusammenschließt.
Also bist du mit deinen Fluchtplänen ziemlich allein. Itjara ist die einzige, auf die du dich verlassen kannst. Sie hilft dir, die Sprache der Dunkelelfen zu lernen, und macht dir Mut. Denn von deinen Gefährten weißt du immer noch nichts. Konnten sie mit dem Stein fliehen? Sind sie bereits tot? Und was ist aus Elred und Arthrax geworden? Du weißt gar nichts von ihnen. Der König lässt vermutlich absichtlich alle Berichte über kalynorische Eindringlinge und Spione schriftlich übermitteln, damit du nicht weißt, was aus Allyster und Aji geworden ist. Vielleicht stehen sie kurz davor, dich zu befreien, vielleicht benötigen sie dringend deine Hilfe – du kannst es nicht wissen. Also kannst du dich nur selbst retten.
Glücklicherweise hast du endlich einen Plan. Er beinhaltet Feuer und wird sehr dazu beitragen, deine Laune nach diesem grässlichen Kapitel zu heben. Allerdings musst du zwischen den Tagen im Thronsaal und den Nächten noch irgendwie Zeit finden, alles vorzubereiten.
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Wie viele Tage du bereits im Harem lebst, weißt du nicht mehr. Sie schwimmen ineinander, inzwischen müssen es mehrere Wochen sein. Das Leben in Freiheit hast du schon fast vergessen. Doch du bist entschlossen, es zurückzugewinnen. Zu stur, um aufzugeben, machst du inzwischen nur noch aus Prinzip weiter. Ein schwächerer Mensch wäre durch Schlafmangel, Erniedrigungen und pure Erschöpfung gebrochen gewesen. Du bist sicher, dass das den meisten Frauen hier passiert ist. Nur Ayshin scheint freiwillig hier zu sein und Itjara hat sich irgendwie ihren freien Willen bewahrt.
Die Piratin hilft dir auch, indem sie Zunder und Streichhölzer für dich versteckt. Schließlich ist es so weit. Wenn die Elfen dachten, dass sie dich in einer entzündbaren Waldstadt gefangenhalten können, dann haben sie deine Bereitschaft, andere in Gefahr zu bringen, unterschätzt.
Du musst warten, bis eure Zeit im Thronsaal um ist. Auch heute gibt es keine Nachricht von deinen Gefährten. Inzwischen bist du recht gut darin, die Sprache der Dunkelelfen zu verstehen, auch wenn es mit dem Sprechen noch hapert. Somit weißt du jetzt einiges über Unruhen in den südwestlichen Bezirken, wo die Dunkelelfen offenbar von einem anderen Volk überfallen wurden, aber nichts davon interessiert dich.
Als ihr in euren Wohnbereich zurückgebracht werdet, bauen sich die drei Vipernköniginnen vor dem Tisch mit dem Essen auf.
„Du brauchst nichts, Miststück“, faucht Ayshin dich an. Das ist ihr neuer Trick. Sie halten dich vom Essen ab, so gut sie können.
Heute versuchst du nicht, dich mit ihnen darum zu prügeln. Das wirst du auf deiner Flucht zwar vermutlich noch bereuen, da du deine Kraft brauchen wirst, aber du hast keine Zeit.
„Ich werde ja heute noch ausgezeichnet speisen“, knurrst du auf Elfisch.
Das nimmt den dreien erst einmal die Luft aus den Segeln. Du marschierst in das Zimmer, das du inzwischen in Beschlag genommen hast, und greifst unter das Bett.
Die trockenen Zweige und Streichhölzer sind noch dort. Ein Grinsen kriecht auf dein Gesicht. Jetzt kannst du für alles in den vergangenen Wochen Rache nehmen!
Ohne die Beleidigungen der anderen Frauen zu beachten – dass du sie jetzt besser verstehst, ist ein Nachteil von Itjaras Lektionen – versteckst du die kleinen Zunderbündel zwischen Sofas, während du so tust, als würdest du sauber machen. Du gehst schnell vor, stopft ein brennendes Streichholz zu jedem Bündel und eilst weiter. Du hast bestimmt zehn solcher Bündel platziert, bevor jemand den ersten Rauch bemerkt. Während die Diener herbeieilen, um ein Sitzkissen zu löschen, lecken Flammen aus verschiedenen anderen Verstecken. Und du hast noch knapp vierzig Streichhölzer.
Wenig später füllt beißender Rauch die Gänge des Haremsflügels. Der Garten brennt, die Mauer, die Schlafzimmer, einfach alles. Du hast dich vielleicht etwas zu sehr mitreißen lassen. Hustend eilst du durch die rauchgeschwängerten Gänge zu deinem Ausgang. Es ist nur ein schmaler Weg, der ins Lager der Küche führt. Sobald du die Treppe hinabgelaufen bist und dich in dem steinigen, feuchten Gang befindest, wird die Luft besser. Der Rauch bleibt über dir zurück. Du rennst schneller auf die Tür mitten im Gang zu.
Normalerweise stehen hier Wachen. Aber die sind jetzt effektiv abgelenkt. Ein gezielter Tritt bricht das Schloss der Tür auf, dahinter erwartet dich ein dunkler, ähnlich steiniger Gang mit kaum ausgekleideten Wänden. Von der Decke fallen feuchte Tropfen herab, angenehm kühl nach dem Inferno, das du oben entfesselt hast.
Du kannst die Freiheit bereits schmecken. Der Weg wird dich ins Lager bringen, und von dort kannst du den Wegen der Bediensteten folgen. Die führen dich aus dem Schloss heraus in den Wald. Je weiter du dich vom König entfernst, desto schwächer wird auch der Zauber der Halsbänder, wie Itjara dir erklärt hat. Irgendwann wirst du deines ausziehen können, dann bist du wirklich frei.
Deine Schritte hallen von den feuchten Wänden des Tunnels wider. Du gehst rasch, rennst aber nicht, denn es ist dunkel. Nur ein paar spärliche Lichter erhellen deinen Weg. Du suchst nach den Umrissen einer Tür oder Klappe, während du dir fröstelnd die Arme reibst. Im Tunnel ist es eisig kalt … fast wie in einem Kühlraum.
„Da!“, zischt plötzlich eine Stimme vor dir.
Du hältst an. „Itjara? Was … was machst du hier?“
Du hättest erwartet, dass sie noch hinter dir ist. Falls sie überhaupt fliehen will – du hast es ihr angeboten, aber nie eine richtige Antwort erhalten.
„Ich habe es Euch gesagt!“, sagt Itjara. „Sie will fliehen.“
Mit wem spricht sie? Die Antwort erhältst du in Form eines allzu vertrauten, gezischten Wortes.
Während sich das Halsband zusammenzieht, siehst du eine Öllampe aufflammen. Neben Itjara stehen der Elfenkönig und mehrere Wachen, die dich nun umringen. Itjara hält sich tapfer, doch der Elfenkönig lässt eure Halsbänder aktiv, bis die Wachen dich gefesselt haben. Du bist auf die Knie gesunken. Inzwischen bist du viel zu erschöpft, zu müde. Wie mag es den anderen Frauen nur gehen? Wenn sie dem Haus noch nicht entkommen sind, verbrennen sie jetzt gerade bei lebendigem Leib, weil die Halsbänder sie ersticken!
Endlich lässt der König euch wieder atmen. Itjara stellt sich neben ihn, als er vor dich tritt.
„Sie hatte Hilfe“, flüstert die Piratin. „Ayshin, To’Gaya und Bradha, vor allen anderen.“
Der König stößt ein finsteres Knurren aus. „Ayshin?“
„Sie waren neidisch, denke ich“, fährt Itjara ruhig fort. Du kannst nicht widersprechen, die Wächter haben dich geknebelt. „Sie haben die Kalynorerin benutzt, um Euch auszutricksen, mein Lord.“
„Dafür werden sie bezahlen!“, grollt der König.
Du reißt die Augen auf, als er einen Degen zückt. Du bist die erste, die bezahlen wird. Für die Dummheit, dass du auch nur einer Viper vertraut hast.