Superheldenfilme waren und sind das männliche Äquivalent zu romantischen Komödien. Es ist immer dasselbe. Insbesondere wenn sie mit den Mash-overs anfangen. Nichtsdestotrotz gucke ich sie mir an. Sowohl die Schnulzen, als auch die Feuchtträume der Autorinnen von eben erwähntem. Meine Scham hält mich nicht von dieser geheimen Leidenschaft ab. Zur Hölle, vermutlich diene ich schon seit drei Ewigkeiten als geheime Vorlage für mehrere mexikanische Telenovela. „La stupido est e amore a TV“. Welche gut betuchte Rentnerin mit Beziehungsproblemen, einem ungesunden Hang zu Tortillas und begründet vermuteter Agoraphobie würde es sich nicht ansehen? Meine Mutter wäre innerhalb der ersten Minute ein Fan fürs Leben geworden. Ich hätte mal wieder den Fernseher aus dem Fenster werfen wollen um mit diesem hübschen Aufhänger einen Dialog zu starten, der unsere Probleme umzäunt. Und hätte es dann nicht getan. Weil fliegende Fernseher nicht die Lösung für alles sind und Schuldschieberei nur zu Verwirrung und Geschrei führt und ich keine Lust mehr besitze, Monologe zu eröffnen in denen zwei Personen reden, die zu Dialogen mutieren in denen keiner zuhört damit alles zu einem Stummfilm wird in dem jeder schreit. Es sprengt meinen Schädel. Einmal ist schon mehr als genug gewesen, aber ich Glückspilz krieg natürlich so viele Dosen davon ab, wie Samstagabende in das Jahr passen. Sobald dieses dumme Gerät startet und ihre Augen stumpf werden geht es los. Noch kein Wort hat das geändert. Kein Flehen hat den verlorenen Glanz zurückbringen können. Ich wünschte, es wäre anders. Aber das ist es nicht. Also setze ich mich auf den Stuhl quer gegenüber dem Plasmabildschirm, greife in die fast leere XL-Tüte Tortillas die auf dem rechteckigen Glastisch mit der fast vollkommen zugestellten Platzdecke herumliegt, – der Einfachheit halber – lasse mich nicht stören von den kleinen glänzenden Sternen überall, die mein Auge piesacken – und nebenbei gesagt genauso wenig hier wären wie ich, wenn dieser blöde Bildschirm nicht leuchten würde – und versinke in meiner geheimen Leidenschaft. Nach anderthalb Stunden östrogenisiertem Testosteron stakse ich zur Tür in den Flur, wo ich nur kurz zögere, um mit dem Lichtschalter für die Wohnzimmerlampe zu liebäugeln. Auf diese Weise bekäme ich sie definitiv aus dem Sofa. Doch wie sonst auch lasse ich es sein. Nennt es wie ihr wollt, ich brauche Schlaf momentan einfach mehr als eine intakte Beziehung zu meiner Mutter. Wir schreiben morgen eine Mathe-Hü. Den stockdunklen Flur hinunter direkt links lag mein Paradies. Ein acht Quadratmeter großer Raum mit mäßig regulärer WLAN-Verbindung und einem ‚Angriff der Lamahörner‘-Poster, hinter dem meine Süßigkeiten Truhe verborgen liegt, die mir mehr als die Welt bedeutet. Aber nicht so viel wie eine mittelmäßige britische Fernsehserie. Im Allgemeinen liegt die Welt auf der Liste meiner Prioritäten für den Fall eines atomaren Kernkrieges mit Kakerlaken weit unten. Weiter als die Hormone eines Fünfzehnjährigen es rechtfertigen könnten. Sie hat mich dafür jedoch schon bezahlen lassen. Ich gehöre zu dem Prozentteil der Welt, dem man ihr geheimes Versteck mit Schokoriegeln ansehen kann. Aber wie ich so an mir runtersehe, muss ich meine Antwort korrigieren. Mir kann man viel eher fünf geheime Verstecke ansehen. Tja, Sünden werden nun mal gesühnt, aber ich kann damit leben. Ich habe sowieso niemanden, der Schoki-Entzug erklären würde. Versteht mich nicht falsch, selbst wenn mein Erscheinungsbild keine größere Rolle spielen würde, würde ich beim Paartanz mit dem Stuhl enden. Immerhin habe ich schon das Charisma von einem. Meine Moral ist eher dürftig hinterfragt geblieben und meine Schlagfertigkeit ist so scharf wie ein Flummi. Witzige Erwiderungen auf Fragen oder gar Fragen an andere Menschen kann ich nicht bieten und das einzige was ich in meiner Freizeit treibe ist Wiederholungen mittelmäßiger Serien im TV zu schauen. Die Dialoge kann ich mittlerweile im Schlaf herunterrasseln, was mich nicht davon abhält mitzulachen, wenn die Off-Stimmen es tun, weil sie wohl die einzigen Gruppen sind, bei denen ich je von Herzen werde mitlachen können. Ich bin schrecklich egozentrisch. Das mit dem Leben und den Menschen ist einfach nix für mich. Da bleibe ich lieber in meinem kuschligen acht-Quadratmeter-Paradies, werfe mich aufs Bett wo mir meine Plüschtiere Platz machen und starre an die Decke. Wenn der Fernseher nicht an ist, wird alles schrecklich leise. Die Uhr tickt in einer Art rauschendem Intervall, Nachbarn erheben ab und zu ihre Stimmen und Tropfen klopfen an die Fensterscheibe. Ich habe die Angewohnheit alles schrecklich zu dramaturgisieren, jedes emotionale Wehwehchen wird zu einem ausgewachsenen Hurrikan und meine Stimmung ist ein Pendulum. Ich mache mich mit Gedanken fertig, die andere angeblich von mir haben, was sie vermutlich von mir denken und wie sie zu mir stehen, wenn ich eine gottverdammte Sache falsch mache, oder wieso nicht gleich zehn, dabei denken sie nicht wirklich über mich nach und das weiß ich, aber auch irgendwie nicht. Denn am Ende macht es ihnen trotzdem Ärger. Ich bin Ärger, ich bin Chaos, ich bin Destruktion. Ich will nicht mehr so sein wie ich bin, aber ich will auch nicht anders sein. Ich will nicht nicht sein, auch wenn es vieles für viele einfacher machen würde. Mich vermutlich eingeschlossen. Nie würde ich Dinge durchziehen, die gut für mich sind. Ich will niemand mehr enttäuschen mit den Dingen die ich nicht sage und nicht tue, selbst wenn es die kleinsten Enttäuschungen der Welt sein mögen, ich will sie nicht anrichten. Ich habe Angst. Ich höre sie in den Tropfen, die gegen mein Fenster prallen, sehe sie immer wieder am äußersten Rande meines Blickwinkels entlanghuschen. Sie will nicht gehen, sie treibt mir die Tränen in die Augen und hält mir die Hand vor die Brust, wenn ich einen Schritt vorwärts machen will. Und dann höre ich auf sie. Ich weiß, dass Mut nicht die Abwesenheit von ihr ist und so fort, aber das hilft mir nicht. Ich habe Angst vor der Angst, personifiziere sie schon, manifestiere sie in einem gedanklichen Monster und fühle dessen Anwesenheit so oft in meinem Nacken, in meiner Brust, neben mir, überall. Ich will mich vor ihr verstecken, vor ihr weglaufen, doch das geht nicht. Sie kommt mit. Ich will das nicht. Ich werde verrückt, mache mich verrückt, drehe durch und merke es und mache es dadurch nur schlimmer. Ich bin so paranoid. Und allein. Weil ich feige bin. Ich habe keine Ahnung was bei den anderen so in ihrem Leben vorgeht und ich frage auch nicht. Zu mehr als Smalltalk bin ich nicht fähig, wie das Anpacken an die Materie geht, habe ich nie gelernt und wenn ich ehrlich bin hat mich das auch nie gestört. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich habe so viele Fehler. Ich, ich, ich. Das ich darüber nachdenke, dass ich zu viel über mich nachdenke ist ein Ableger davon, an mich selbst zu denken. Egozentrisch bis ins Mark. Dabei gibt es so viele Sachen außerhalb von mir selbst. Und ich habe keinerlei Einfluss auf sie, keinerlei Verantwortung. Das wird wohl ein Grund gewesen sein, warum ich damals mit dem exzessiven Lesen begonnen hatte. Parallel zu Superman natürlich. Bedruckte Seiten in durchgedrückten Einbänden sind für eine lange Zeit das schönste gewesen, dass es auf dieser Welt gab. Sie waren Vertrauen und vertraut, machten mich nicht scheu, blickten mich nicht mit dem Hauch einer Erwartung an und gaben mir Sicherheit. Ich brauchte keine Barriere vor ihnen, sie haben nie nach mir gegriffen. Sie waren einfach nur da, wenn ich sie brauchte. Die Tribute von Panem waren da, als ich beinahe wegen der fehlenden Reaktion meiner Mutter geheult hätte. Rubinrot lenkte mich von meinem leeren Zimmer ab. Sie ließen mein Herz warm und geborgen sein, ließen alles an mir in dem Glauben, dass ich sicher sei. Und wisst ihr was? Die Welt ist voll von Büchern und drittklassigen Fernsehserien, die man in einem Raum ohne andere Menschen genießen kann. Ich muss nur einen Anker finden, dann treibe ich nicht davon. Außerhalb mag Angst machen und mich zum Weinen bringen wollen, doch sie waren immer da, diese Abenteuer zwischen den Seiten und sie werden noch da sein, sobald die Natur auch die letzte Faser verdaut hat. Sie sind nicht an einen Gegenstand gebunden, sie sind ein Medium an sich. Sie werden immer da sein. Ohne Erwartungen - und wenn es auch nur die kleinsten sind - die ich enttäuschen könnte. Ich mag ihnen nicht mehr so viel Aufmerksamkeit gewidmet haben, wie es einst war, doch sie werden nicht böse. Sie sind Liebe. Sie lassen mich zurückkehren und wieder gehen, bis auch ich dahinschwinde. Ich kann sie nicht traurig machen. Ich hoffe jeder hat so etwas. Es fällt mir nichts ein, dass so effektiv gegen Angst und Zweifel helfen könnte. Es mag zwar nicht verschwinden, aber es verliert an Wichtigkeit, kann später sein, oder letztendlich gar nicht. Träge rolle ich mich auf meinen Bauch, greife willkürlich nach einem Band auf der Kommode vor mir und verschwinde an einen weißen Sandstrand auf Hawaii. Das allmähliche Abklingen der Regentropfen an meinem Fenster registriere ich kaum.