„Ist er tot?“ fragte Catalina und sah in mein erstarrtes Gesicht. Ich zuckte mit den Achseln. „Wir müssen ihn hier raus schaffen.“ Ihre Stimme wurde rau und hart. Die Wärme ihrer Augen erlosch und machte einem kalten, berechnendem Geist Platz.
Sie trat an Isokes Zellentür und rammte den Schlüssel in das rostige Schloss. Energisch riss sie die Gitter auseinander und trat festen Schrittes zu dem regungslosen Körper. Vorsichtig legte sie ihm die Hände um die Schultern und drehte ihn auf den Rücken. „Er ist tot“, stellte sie mit nüchterner Stimme fest und schloss Isokes blinde Augen. Mit geübten Griffen zerrte sie das Laken unter seinem Körper hervor und band damit einen Knoten um seine Beine und Arme. „Wir müssen ihn hinaustragen und im Garten verscharren, bevor er anfängt zu stinken. Im Gewächshaus stehen Schaufeln und zu dieser Zeit dürften uns auch keine neugierigen Ohren zuhören. Die Menschen schlafen oder sind bereits auf dem Weg zur Arbeit. Pack mit an!“
Ich trat wie in Trance an Isokes Zellentür und starrte in das bleiche Gesicht meines Freundes. Die Schwärze seiner Haut war im Tod blass geworden, aber ein ruhiger Ausdruck lag in seinen Zügen. Noch nie hatte ich ihn derart entspannt gesehen.
„Jadan!“, fuhr mich Catalina an und sah mit zornigem Blick über die Schulter. Es war das erste Mal dass ich sie wütend erlebte. „Was tust du denn?“
„Es tut mir ebenfalls leid“, murmelte ich und zog die Zellentür krachend ins Schloss. Es knirschte als ich den Schlüssel, den Catalina stecken gelassen hatte, drehte und abzog.
Mit einem Satz war Catalina aufgesprungen und zur Tür gehetzt. Sie prallte gegen die massiven Eisenstäbe und schrie erbost auf. „Mach die Tür auf!“, schrie sie wutentbrannt und sah mich mit wildem Blick an. Sie langte durch die Stäbe und versuchte meinen Arm zu packen, doch ich war bereits außerhalb ihrer Reichweite. Benommen taumelte ich zurück und beobachtete wie Catalina mit hochrotem Kopf an den Gittern zerrte.
Mit einem Mal glätteten sich ihre Züge und sie sah mich milde lächeln an. Ihre Stimme war wie Zucker. „Jadan“, säuselte sie betörend und spielte mit einer ihrer langen Haarsträhnen. „Lass mich bitte raus, ich bin dir auch nicht böse, versprochen. Ich liebe dich und weiß, dass du mich nicht verletzten möchtest. Lass mich raus und wir vergessen die ganze Geschichte. Lass uns in Zukunft zusammenwohnen und nur daran denken, wie sehr wir uns lieben.“ Sie lächelte versonnen und legte die Stirn gegen die Gitter. Ihre großen, hoffnungsvollen Augen sahen mich an, kein Anzeichen einer Lüge war in ihnen zu erkennen. „Ich liebe dich!“, hauche sie erneut und streckt die Hand nach mir aus.
„Ich weiß, dass du das glaubst.“ Ich sah sie mit schräg gelegtem Kopf an und erwiderte ihr Lächeln, „Und erinnere mich noch an Isokes Worte. Er sagte einst, dass du wie ein Sturm in sein Leben getreten bist und sein Herz mitgerissen hättest, und das, obwohl dein eigenes vergeben war.“
„Bitte Jadan… Wir lieben uns.“
„Weißt du noch, dass du mich in der Hoffnung zu dir geholt hast, dass ich dich nach Egons Tod zurück ins Leben rufe? Nachdem dein Herz zusammen mit seinem aufgehört hat zu schlagen?“
„Und das hast du geschafft, geliebter Jadan. Dank dir lebe ich wieder!“ Tränen traten in Catalinas helle Augen und sie reichte mir sehnsüchtig ihre Hand.
„Wie hättest du oder Isoke wissen können, dass mein Herz am selben Tag stehen geblieben ist?“ murmelte ich tonlos, ignorierte ihr aufkommendes Schluchzen und wandte mich der steilen Treppe zu. Ich ließ meinen Blick ein letztes Mal über die finsteren Wände gleiten, die düsteren Zellen und Risse in der kahlen Steinmauer. Ich hatte mir früher Geschichten zu jeder einzelnen Fuge ausgedacht, Gedankenspiele wie ich fliehen könnte, über mein Leben und das derjenigen die ich liebte. Über Isoke, Egon und mich, wie wir alle zusammen der Dunkelheit entfliehen und zurück ins Licht finden würden.
„Leb wohl Catalina“, hauchte in tonlos und wandte mich von ihrem Gezeter ab, von Isokes leblosem Körper, der Dunkelheit und den Erinnerungen.
„Tu das nicht! Jadan! Wir lieben uns!“, Catalinas Stimme wurde schrill und verstummte abrupt, als ich die schwere Metalltür hinter mir zuzog.