I
Eng an ihre Mutter und Geschwister gekuschelt lag Kätzchen Mina im Heu, als es auf einmal das Geräusch von schweren Schuhen hörte. Von seiner Katzenmama hatte es gelernt, dass dieses Geräusch gefährlich war, nichts Gutes verhiess. Aengstlich drängte es sich noch näher an den warmen Körper der Mutterkatze.
Auf einmal hob eine grosse Menschenhand das schützende Heu in die Luft. Ein lauter Fluch ertönte. "Wieder Junge! Samantha! Kannst du es denn nie lassen? Sei froh, dass du so gut bist im Mausen, sonst..."
Samantha fauchte und fuhr ihre Krallen aus.
"Ja ja, heute lasse ich sie dir noch, deine Jungmannschaft. Aber nicht lange. Du weisst, was ich mit ihnen machen werde."
Samantha fauchte wieder.
Der Bauer lachte grob und liess das Heu wieder fallen.
Zitternd rückten die vier Kätzchen noch näher an ihre Mutter heran. Diese leckte sie, wollte ihre Kinder beruhigen. Aber ihr eigenes Herz schlug wild und das spürten die Kleinen.
"Mama, was bedeutet das alles?" Der kleine Felix fand als erster die Stimme wieder, während Mina immer noch am ganzen Körper zitterte.
"Schschsch... alles ist gut... geht diesem Mann einfach immer immer aus dem Weg, hört ihr? Entfernt euch nie zu weit von mir! Und wenn er so ein langes braunes Ding hervorholt, das aussieht wie ein Ast, rennt um euer Leben!"
"Mama, warum ist der Bauer so böse mit uns?"
Samantha seufzte. Wenn sie das wüsste! Schon so viele Junge hatte er ihr erschossen...
II
Ein Auto rollte auf den Hofplatz, eine unbekannte Familie stieg aus. Neugierig näherte sich der kleine Felix, um sie sich näher anzusehen. Mina hingegen drückte sich eng an ihre Mama. Sie hatte gelernt, dass das Leben gefährlich ist.
Der Bauer schlurfte heran, verhandelte kurz mit diesen Leuten, die sich für seine jungen Katzen interessierten.
"Natürlich könnt ihr sie haben. Ich erschiesse sie sonst. Kann keine mehr gebrauchen", murrte er.
Nun ging es schnell. Felix und Mina fanden sich unvermittelt in einer Katzentransportkiste wieder, unterwegs in eine neue, unbekannte Zukunft.
III
Liebevoll streichelten kleine Kinderhände die beiden Ankömmlinge. Immer wieder hörten Mina und Felix, wie schön sie seien, wie sehr sich alle freuten, dass sie hier bei ihnen waren.
Noch mussten die beiden viel lernen. Katzenklo, gutes Essen, ein ruhiges, warmes Zuhause - beide brauchten Zeit. Felix fand sich rasch zurecht, war ein richtiger Lausbub, der die Kinder und die Eltern zum Lachen brachte.
Mina fühlte sich schlecht. Sie mochte nicht essen. Verkroch sich, hatte Heimweh nach ihrer Mama. Sie wurde mit jedem Tag schwächer.
IV
Mina musste in die Tierklinik. Alle machten besorgte Gesichter.
V
Mina konnte wieder zu Hause. Aber essen mochte sie nach wie vor nicht.
VI
Still setzte sich Eljie neben das kranke Kätzchen, streichelte es sanft.
"Magst du mir erzählen, Mina?" fragte sie leise. Mina war noch schwach, darum zeigte sie Eljie nur Bilder. Bilder des schrecklichen Bauern, der so laut war und grobe Schuhe trug. Die Angst, erschossen zu werden. Der Schrecken, auf einmal in der Klinik zu sein, obwohl sie spürte, dass dies zu ihrem Besten gedacht war.
"Wohin gehöre ich eigentlich", wimmerte sie leise. "Das ist alles einfach zu viel...!"
Eljie nickte verständnisvoll. "Du brauchst jetzt Zeit, Mina. Zeit, um dich an deine neue Familie zu gewöhnen. Zeit, um Wurzeln zu schlagen."
Mina schmiegte sich in Eljies Arme, entspannte sich.
"Weisst du, Mina, Katze sein kann wunderschön sein", begann Eljie zu erzählen. "In einem glücklichen Katzenleben kannst du gemütlich an der Sonne liegen, spielen, neugierig deine Umgebung auskundschaften, vielleicht sogar Mäuse fangen... In dieser Familie wirst du gestreichelt und verwöhnt, bekommst gutes Essen und darfst ruhig irgendwo schlafen. Hier, kleine Mina, wirst du geliebt!"
Diese Aussichten munterten Mina zusehends auf. Eljie spürte, wie in ihr langsam der Schalk und die Lebensfreude einer jungen Katze erwachten. Mina begann davon zu träumen, einen Schmetterling zu jagen...
"Mina, es ist letztlich deine freie Entscheidung, ob du leben oder lieber gehen willst," sagte Eljie leise. "Du hast die Wahl. Du und der Schöpfer. Bedenke einfach, dass dir diese Familie das Leben neu geschenkt hat, indem sie dich vor dem bösen Bauern gerettet hat."
Tief in sich drin begann Mina zu verstehen.
"Was könnte dich unterstützen, kleine Mina?"
"Beten" , kam die prompte Antwort. "Und bitte viel streicheln und ja - bitte viel Geduld haben mit mir..."
Eljie spürte, wie in Mina eine grosse Dankbarkeit aufkeimte.
"Bitte sag meiner neuen Familie, wie gut sie es machen und wie froh ich bin!"
Mina lächelte ein hoffnungsvolles Katzenlächeln.
VII
Mina hat sich für das Leben entschieden und ist heute eine schöne, gesunde, glückliche Katzendame.