„Guten Tag, Miss Perfect“, begrüßte Nico, Leonie grinsend. Leonie bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick.
„Haben wir heute keine gute Laune?“, fragte er und verzog seinen Mund zu einem Schmollmund.
Leonie lächelte. „Wenn man dich sieht, muss man doch gute Laune haben.“
„1.000 Gummipunkte an Leonie Sue. Sie hat voll ins Schwarze getroffen“, verkündigte Nico, in dem er seine Hände wie ein Lautsprecher um seinen Mund legte.
Leonie erwiderte nichts darauf, sondern ging los. Dafür, dass sie so zierlich war, hatte sie einen wirklich forschen Schritt.
„Und welches Pferd bekomme ich?“, fragte Nico neugierig.
„Erstens, man kann nie genau sagen, was für ein Pferd man reiten wird, da man schauen muss, ob es einen mögen wird“, erklärte Leonie.
„Ah und wie finde ich das raus?! Ich kann da doch nicht zu jedem Pferd eures Gestüts gehen und gucken ob es mich mag“, sagte Nico zweifelnd.
„Genau deshalb schaut man sich den Charakter des Menschen an und schaut welches Pferd zu einem passt. Ich hoffe nur, dass ich nicht allzu falsch liegen werde“, meinte Leonie.
Nico war gespannt, wie Leonie ihn einschätzte. „Und wie muss mein Pferd sein?“
„Es wird auf jeden Fall eine Stute“, sagte Leonie.
Das verstand Nico nicht. „Warum unbedingt eine Stute?“ Darauf sagte Leonie nichts. Sie konnte ihm schlecht erklären, dass unter seiner Sanften und liebevollen Hand, eine Stute besser passte. Deswegen wich sie seiner Frage aus und meinte: „Da du zu jedem anders bist, brauchst du ein Pferd, was sehr geduldig und gleichzeitig aber sehr stark ist.“
„In wie fern, bin ich zu jedem anders?“, fragte Nico.
Leonie runzelte die Stirn. Als ob er das, nicht selbst wusste. „Zu mir bis du unglaublich nett, gegenüber Oma Leonie bist du eigentlich immer sehr Respektvoll und dann sind da noch alle in meinem Alter oder auch alle bis auf Oma Leonie, zu denen bist du echt…“ Sie stoppte sich selbst. Fast hätte sie „arschig“ gesagt.
„Na komm schon, sag das böse Schimpfwort“, stichelte Nico.
Leonie ging nicht darauf ein. „Dein Pferd wird die Jungstute von Sternenschweif und Avanti. Die beiden sind unsere besten und wertvollsten Tiere. Deswegen habe ich ein bisschen bedenken, dass du mit deinen Reitkünsten, die Kleine kaputt machen wirst.“
„Warte Stopp, was ist eine Jungstute?“, wollte Nico wissen.
„Das ist eine junge Stute die noch nicht richtig für Turniere trainiert wurde, da sie noch zu jung ist, aber halt schon alt genug ist um geritten zu werden. Daher kann sie auch noch nicht verkauft werden“, erklärte Leonie. Sie öffnete die große Stalltür.
Nicos Blick schweifte über den großen Stall. Hier standen viel weniger Pferde, in viel größeren Boxen, als in den anderen Ställen. Was jedoch genau gleich war, war die penible Sauberkeit. Nico fielen die vergoldeten Buchstaben, an den Boxentüren auf. Sternenschweif, Avanti, Royal Rubin, Diamond, Kasimir und viele weitere Namen waren zu lesen. An den Pfosten hangen Auszeichnungen und Bilder. Etwas weiter an einer Wand, stand eine Glasvitrine, mit weiteren Medaillen und Pokalen.
„So leben also, die Besten der Besten“, sagte Nico staunend.
„Klar, wer viel leistet, wird auch reichlich belohnt“, erzählte Leonie und steuerte auf eine Box etwas weiter hinten zu. „Sie wird ab heute dein Pferd“, verkündete Leonie feierlich. Nico staunte nicht schlecht, als er große Tier ansah. Ihre pechschwarzen Augen, stachen richtig aus dem weiß glänzendem Fell. Nico hatte in seinem Leben noch nie so ein schönes Pferd gesehen. Seine Augen wanderten zum Namenschild. „Samira“, flüsterte ehrfurchtsvoll.
Leonie lächelte glücklich. Man musste ihm also nur das richtige Pferd vor die Nase setzten, dann konnte man ihn sehr wohl, für diese prachtvollen Tiere begeistern. „Du musst mit ihr reden. Du musst deinen und ihren Namen ganz oft benutzen, damit sie lernt, dass ihr zusammengehört. Außerdem braucht sie zu deinem Geruch, auch einen Namen“, erläuterte Leonie. Nico nickte. Also ging Leonie etwas zu Seite, damit sich Nico und Samira nur aufeinander konzentrierten.
Nico ging langsam auf Samira zu. „Hey Samira, meine Schöne. Ich bin Nico. Ich soll reiten lernen, deswegen werden wir beide wohl viel Zeit miteinander verbringen.“
Leonie beobachtete Samira ganz genau. Schließlich gab Stute sich zufrieden mit Nico und blies ihm ihren warmen Atem ins Gesicht. Leonie klatschte sie in die Hände und sofort hatte sie die volle Aufmerksamkeit von beiden. „Also auf geht’s, wir brauchen Sattel, Zaumzeug mit Zügeln und ihr Trensen-Gebiss. Du darfst niemals diese Sachen von einem anderen Pferd für Samira benutzen, denn das könnte zu Verletzungen führen.“
Nico hatte absolut keine Ahnung, wovon Leonie sprach. Doch erwies sie sich als eine gute Lehrerin. Geduldig erklärte und zeigte sie ihm, wie man Samira führte und sattelte. Nico dachte daran, wie abwegig er es gefunden hatte, als eine der Berufswünsche von Leonie, Lehrerin gewesen war. Doch bewies sie soeben, dass sie eine sehr gute Lehrerin sein würde. Nach ein paar Versuchen und Neustarts, bekam Nico das Satteln so hin, ohne Samira weh zu tuen. Samira hatte anscheinend keine Lust mehr, ständig neu gesattelt zu werden. Sie wieherte ungeduldig.
Leonie lehnte ihre Stirn an die des Pferdes. „Ist ja schon gut. Du musst ganz viel Geduld mit ihm haben. Er hat keine Ahnung von dir. Wenn er sich jetzt auf deinen Rücken setzt, darfst du nicht auf ihn hören. Merk dir ganz genau meine Stimme, nur die ist wichtig.“
Nico beobachtete erstaunt, wie Samira den Kopf hängen ließ. „Warum mach sie das?“
„Sie zeigt mir, dass sie verstanden hat was ich ihr gesagt habe. Sie zeigt mir, dass ich ab jetzt der Boss bin“, erklärte Leonie. Sie legte dem Pferd eine Hand auf die Nüstern und nickte nur.
„Und jetzt erkenne ich ihre Unterwürfigkeit an und danke ihr gleichzeitig“, erläuterte Leonie auch diese Handlung. Nico kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Auf welche Zeichen diese Pferde, alles reagierten. Leonie stellte eine Trittleiter auf die linke Seite von Samira.
„Also Nico, hör mir jetzt ganz genau zu“, sagte Leonie streng. Nico sah sie erschrocken an. So hatte sie noch nie mit ihm geredet.
„Jedes Pferd ist anders. Sie haben alle unterschiedliche Charakter. Und genau wie bei einem Menschen, muss man sich dann auch jedem Pferd anders gegenüber verhalten. Das fängt schon beim Aufsteigen und absteigen an. Konzentrier dich Nico!“, wies sie ihn an.
Nico sah sie wieder direkt an. Was hatte sie nur auf einmal?
„Wenn man ohne Sattel reitet hat Pferd seine ganz eignen Eigenarten, dich drauf zu lassen. Star zum Beispiel, geht immer auf die Knie. Jedoch ist es mit Sattel etwas anderes. Da steigt immer von der linken Seite ab und auch wieder auf!“, erklärte Leonie. „Wenn du dann auf ihr sitzt, heißt es ruhig zu bleiben. Keine hektischen Bewegungen, einfach grade und locker sitzen. Verstanden?“ Nico nickte bloß.
„Nico hast du es verstanden?“, fragte Leonie nochmal und strenger. Sie wollte nicht riskieren, dass er gleich wieder runterfiel oder gar so eine Angst bekam und sich festklammerte, sodass Samira jegliches Versprechen ihr gegenüber vergaß und los preschte, und dann wer weiß was geschah.
„ Ich habe verstanden und werde es genauso machen wie du es gesagt hast“, versprach Nico.
Leonie zeigte ihm erst wie das ging und gab ihm bei den ersten paar Versuchen noch Hilfestellungen. Irgendwann nahm sie die Trittleiter weg.
„Ich weiß, jetzt sieht Samira doppelt so groß aus. Das bedeutet einfach nur, dass du lediglich etwas mehr Schwung brauchst. Ansonsten bleibt alles gleich“, beschwichtigte sie Nico, als sie ihn sein zweifelndes Gesicht sah.
Doch auch nach tausenden von Versuchen kam Nico einfach nicht hoch. Aus seinem Augenwinkel, sah er wie Leonie sich ein Lachen verzweifelt ein Lachen verkniff.
„Sehr witzig“, sagte er schließlich missmutig. „Tut mir leid“, entschuldigte Leonie sofort. „Das werden wir jetzt ganz viel üben, bis du es auch ohne meine Hilfe schaffst.“ Sie gab ihm Hilfestellung und es klappte sofort. Nico saß grinsend oben auf Samira.
„Was ist denn jetzt so lustig?“, fragte Leonie stirnrunzelnd.
„Du bist jetzt einfach noch kleiner, als du es so schon bist“, sagte Nico, immer noch grinsend.
Leonie lachte. „Du bist blöd.“
Jetzt lachte Nico erst recht. Wenn das eine Beleidigung gewesen sein sollte, war es echt niedlich. In Leonies Wortschatz gab es anscheinend wirklich keine Flüche.
„Okay, ich werde Samira jetzt an der Longe führen. Versuch einfach ihren Rhythmus zu finden und sich anzupassen“, sagte Leonie.
Sie ließ Samira ein paar Schritte machen. Nico schien richtig Angst zu haben, also ließ Leonie die Stute wieder stehen bleiben. Das hätte Nico fast aus dem Sattel geworfen. Panisch ergriff er die Zügel und zog sie fest an. Leonie reagierte schnell, noch bevor Samira die Kontrolle verlor, zog sie den Führstrick fest, sodass Samira zwar einen Satz nach vorne machte, aber nicht los rennen konnte. Trotzdem flog Nico im hohen Bogen vom Pferd, reagierte aber sofort richtig und rollte sich geschickt ab. Schnell lief Leonie zu ihm rüber, den Führstrick fest in der Hand.
„Geht’s dir gut?“, fragte sie besorgt.
Samira stupste Nico freundlich an. Leonie hielt das Pferd schnell wieder auf Abstand. Entschuldigen konnte Samira sich auch später.
„Du bist blasser als ich“, sagte Nico schelmisch. Erleichtert umarmte sie ihn.
„Du Idiot! Es hätte sonst noch was passieren können“, schimpfte sie, mehr aus Erleichterung, als aus Ärger. Nico drückte sie kurz an sich.
„Es ist alles gut. Mir geht es gut“, sagte er sanft. Leonie ließ ihn wieder los und reichte ihm ihre Hand.
„Komm versuch aufzustehen.“ Nico ergriff ihre Hand und zog sich hoch. Er machte ein paar Schritte.
„Alles gut? Tut nichts weh?“, fragte Leonie sorgenvoll.
„Nein, es tut nichts weh“, beschwichtigte er sie und ging zu Samira rüber.
„Na meine Schöne? Da haben wir und beide wohl ein wenig erschreckt“, meinte Nico.
Das Pferd wieherte und ließ den Kopf hängen.
„Du kannst doch nichts für. Ich muss reiten erst mal lernen, du hast nur auf ein Zeichen reagiert“, munterte er das Pferd auf.
Samira wieherte nur. Fragend sah Nico Leonie an.
Diese erklärte ihm: „Bei dir hat sie sich schon entschuldigt. Sie weiß aber, dass ihr Fehler war nicht auf mich gehört zu haben, sondern auf dich. Und das muss sie jetzt lernen. Deswegen werde ich ihre Entschuldigung auch nicht annehmen.“
Nico fragte sich ob das nicht etwas zu hart war. Samira hatte sich doch nur erschreckt.
„Ich glaube das war´s erst mal für heute. Wir müssen uns alle erst mal von dem Schock erholen. Und wenn du jetzt nicht mehr reiten willst, dann werde ich mit Oma Leonie sprechen, sie wird das schon verstehen“, meinte Leonie. Sie ärgerte sich zu tiefst über sich selbst. Sie hatte versagt.
„Quatsch, jetzt werde ich erst recht reiten lernen. So ein kleiner Sturz, war vielleicht notwendig“, sagte Nico. Leonie lächelte. Sie musste also doch nichts Laura oder Oma Leonie erzählen. „Könnte dieser kleine Unfall vielleicht unter uns bleiben?“, fragte sie bittend.
Nico zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“
„Danke“, sagte Leonie.
„Was machen wir morgen?“, wollte Nico wissen und ging neben ihr her, zu den Ställen zurück.
„Genau dasselbe, nur ohne den Sturz. Du musst erst mal lernen die Balance zu halten. Ich denke, das werden wir erst mal ohne Sattel probieren. Vielleicht gewöhnst du dich dann besser an diese ganze Wackelei“, antwortete Leonie.
Nico half ihr, Samira zu versorgen. Als sie sich anschließend verabschieden wollten, fragte er sie noch: „Hast du Lust mit mir klettern zu gehen?“
Leonie hatte das Gefühl ihr Herz würde stehen bleiben. Klettern, niemals würde sie in den Baumgipfeln, auf komischen Holzplatten rumkriechen. Sie hatte ihre Freunde zwar immer begleitet, doch war sie nie selbst hochgeklettert. Aber nur mit Nico? Er hatte heute schließlich auch einige Ängste ausstehen müssen. Da würde sie sich doch noch zusammenreißen können.
„Ja können wir machen. Such dir aber ein Tag aus wo wir keine Reitstunde haben, glaub mir du wirst keine Lust auf diesen Muskelkater haben“, stimmte Leonie schließlich zu.
Nico strahlte übers ganze Gesicht. „Finde ich richtig gut. Ich hole dich dann am Samstagabend ab?“ Leonie nickte. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?
Nico hielt ihr seine Hand zu einem High-Five hin. Wenig begeistert schlug Leonie ein.