Prolog: Das Urteil
16. Juli 2030
Ich höre Schreie und Schüsse, sehe Menschen, die sterben. Bekannte, sowie Freunde. So etwas zu sehen und zu überleben macht einen Menschen krank. So krank, wie ich es jetzt bin. Ich habe Alpträume von diesen Tagen. Die Albträume spielen sich in meinem Kopf tagtäglich ab. Die Szenarien, die ich versuche zu vergessen. Will nicht mehr schlafen, nicht essen. Sie wollen mich zwingen, doch ich weigere mich. „Es wird sowieso wieder hochkommen“, sage ich dann immer und es ist auch nicht gelogen. Ich fühle mich schwach und glaube…nein hoffe, bald sterben zu müssen. Dieses Grauen will ich nicht mehr erleben.
Es tut mir leid um Larry und auch um jeden, der durch mich sterben musste, aber ich kann dann endlich alles hinter mir lassen. Ich hoffe, durch meinen Tod meine Taten sühnen zu können. Dies ist mein letzter Eintrag.
Margret Deen. 17.50 Uhr
Ich legte den Stift beiseite und klappte das Buch vorsichtig zu. Dann atmete ich tief durch. Das ist jetzt also mein Ende. Ich hoffe, sie werden Larry am Leben lassen, dachte ich und als ich die Schritte hinter mir hörte, schloss ich meine Augen. Spürte, wie meine Hände unkontrollierbar zu zittern begannen.
Dieses Ende hatte ich nie gewollt. Ich hatte geahnt, dass mein Tod bevorstehen würde, wenn etwas schief gehen sollte… aber doch nicht so. Ich wollte, dass die Menschen sahen, was die Hovers mit uns taten und sie sollten sich dagegen wehren. Ich wollte ihnen die Wahrheit präsentieren. Ihnen die Augen von den Lügen der Hovers öffnen. Ja, das war es, was ich wollte und jetzt? Nichts davon würde geschehen, denn niemand würde jemals etwas davon erfahren. Im Geheimen könnten sie uns töten und schließlich sagen, wir wären im Krieg umgekommen. Wer würde den Hovers nicht glauben? Sie haben den Krieg beendet, sie würden niemanden benutzen, nur um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ich hasste diese Gedanken, verabscheute sie!
Tief einatmend erhob ich mich von dem Stuhl und prägte mir diesen Raum noch einmal ganz genau ein: Den kleinen Holzstuhl, auf dem eine winzige Lampe stand, die kaum Licht spendete. In der rechten Ecke jenes Strohbett, auf dem ich seit fast drei Monaten kein Auge zumachen konnte, ohne dass mich die schrecklichsten Bilder verfolgten. Bilder, aus den Tagen, als es die Hovers noch nicht gab. Als noch niemand von ihnen wusste, bis auf ein paar Leute, zu denen auch ich gehörte. Und dann noch das kleine Gitterfenster, dessen Licht nur an den schönsten Tagen die Zelle ein wenig erhellte. Meine Zelle. Ich würde nie wieder hierher zurückkehren. Niemand würde wissen, wer ich war und was ich tat. Selbst das konnten sie manipulieren: Sie stellten mich als verrückte und kranke Frau dar, sodass niemand davon erfahren würde, was wirklich geschah. Wie ich versuchte ihre Pläne zu durchkreuzen und tat was ich für richtig hielt. Wenn ich es doch nur geschafft hätte, ihr wahres Gesicht der Bevölkerung zu zeigen oder die Menschen vor ihnen gewarnt hätte.
Hätten sie mir geglaubt? Für diese Frage war es nun zu spät, doch sie wich nicht aus meinem Kopf und ich konnte mir unzählige Szenarien vorstellen, wie ich es den Menschen preisgab.
Schnelle Schritte näherten sich meiner Zelle und als ich mich umdrehte, fand ich mich zwei Mutanten gegenüberstehend vor, die mit ausdruckslosem Gesichtsausdruck zu mir blickten.
Mit einem Klirren schloss der Linke meine Zelle auf und der Rechte trat hinter mich und ergriff meine Hände.
Ich stöhnte vor Schmerz leise auf, während er mir Ketten um meine Handgelenke legte, dann wurde ich von beiden weggeführt.
Als ich in dem riesigen Gerichtssaal gelangte, überkam mich sogleich eine eisige Kälte, hervorgebracht durch die unheilvolle Stille im Raum und nur meine Schritte und das Klirren der Ketten um meinen Handgelenken, durchbrachen diese.
Die Wände waren mit goldenen Kringelmustern auf weißem Hintergrund verziert, an der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, der den ganzen Raum erhellte, und am hinteren Ende standen Sitzbänke, auf denen nur einige Menschen saßen. Nur wenige Gesichter erkannte ich wieder, doch sie blickten mich voller Schuldgefühle an, während sie aber keine Schuld am Geschehen trugen. Einzig und allein trug ich für das ganze Chaos die Schuld.
Ich setzte mich auf einen der sieben nebeneinander gereihten Stühle, der neben den Anderen noch leer war. Den Menschen, die mich unterstützt hatten und die nun dasselbe Schicksal ereilen würde, wie auch mir. Es war so still im Raum, dass man eine Nadel hätte fallen hören können und die Luft war zum Zerreißen angespannt.
Dann blickte ich nach vorne zum Pult und auf die Personen, die von dort auf uns hinabschauten.
Die Hovers. Ihre dunklen Mäntel und die Kapuzen die mich dabei hinderten, ihre Gesichter zu erkennen, um zu verhindern, dass man ihre Identität erkannte. Einer von ihnen erhob sich und hielt ein Stück Papier in die Höhe, dann las er das Urteil, welches meinen Tod bedeutete: „Wir haben uns für folgendes Urteil für die Rebellen Pattie Gold, Blake Corris, Denny Colman, Chloe Kies, Nicole Rose, Billy Wood und Margret Deen entschieden. Jeder einzelne von ihnen wird diese Woche am 18. Juli 2030 um 18 Uhr auf dem königlichen Platz hingerichtet werden. Es dürfen sich nur Leute daran beteiligen, die ebenfalls etwas mit dem Aufstand zu tun hatten.“ Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. In zwei Tagen werde ich sterben, dachte ich.
Plötzlich stand noch einer der Hovers auf und räusperte sich. Ist es noch nicht vorbei?, war mein ängstlicher Gedanke.
„Damit jeder weiß, was geschehen wird, sollte sich jemals wieder jemand gegen uns auflehnen, haben wir außerdem beschlossen, fünfzig Jahre nach dem Todeszeitpunkt der Rebellen ihren Enkelkindern dasselbe Schicksal ereilen zu lassen.“ Die Welt stand still. In meinem Kopf war Leere. Ich konnte nicht atmen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich weggelaufen.
Mit meinem Tod hatte ich mich bereits abgefunden, selbst mit dem Tod der anderen, doch aber nicht mit Dem unschuldiger Kinder, die rein gar nichts hiermit zu tun hatten.
Klagende Stimmen erfüllten den Saal und die Gesichter der Anderen waren kreidebleich. In allen konnte man dieselbe Frage erkennen, die auch ich mir in meiner Verzweiflung stellte: Was haben wir nur getan?