Torbens Finger glitt angestrengt über das raue Papier des Backbuches, das vor ihm auf der mehlüberzuckerten Arbeitsplatte lag.
"Butter, Zucker, Eier, Mehl...", murmelte er nickend und warf der Teigmasse einen zufriedenen Blick zu.
"Backpulver?" Seine Stirn kräuselte sich. Nachdem er den Mixer und die leere Eierpackung weggeschoben hatte, entdeckte er das unter der Zuckerpackung hervorragende leere Tütchen, in dem sich einst das Backpulver befand.
Ja, das sah gut aus.
Leicht überfordert versuchte Torben nun die klebrige Masse auf dem Blech zu verteilen und seufzte, als er sich endlich die Hände waschen konnte. Jetzt nur noch die Apfelspalten darauf verteilen, die vorbereiteten Streusel drüberstreuen und dann wanderte sein Kunstwerk endlich in den Ofen. Das verschaffte Torben nun eine Stunde Zeit, um seine Vorbereitungen abzuschließen.
Nachdem er das Chaos in der Küche beseitigt hatte, trat er zufrieden in das kuschelig warme Wohnzimmer und ließ sich von den tänzelnden Flammen im Kamin hypnotisieren.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Zügen aus, als er das Vibrieren seines Handys spürte und die eingegangene Nachricht las.
Sind gerade beinahe trocken in den ICE gestiegen und sollten in zwei Stunden da sein. Freue mich schon, dich endlich wieder zu sehen, Schatz! deine Mina
Seufzend warf Torben einen Blick nach draußen. Das Weihnachtsfest kündigte sich mit Schneeregen und Temperaturen um den Gefrierpunkt an, die das Benutzen eines mit Rädern ausgestatteten Transportmittels zu einem echten Wagnis werden ließen. Dabei hatten sich Minas Eltern so auf den Anblick der schneebedeckten Baumkronen gefreut...
Seine Freundin und er hatten dem alten Pärchen eine Freude machen wollen, indem sie dieses schnuckelige Häuschen direkt am Waldrand mieteten, denn Minas Eltern hatten ihr ganzes Leben in einem kleinen Walddorf nahe Leipzig verbracht, in ihrem Zuckerkuchenhaus, wie sie es liebevoll genannt hatten. Erst als das Alter die anfallenden Arbeiten immer herausfordernder gemacht hatte, waren die beiden schweren Herzens in eine kleine Leipziger Wohnung umgezogen.
Torben schüttelte diese niedergeschlagenen Gedanken ab und wuchtete die Kiste aus dem Flus ins Wohnzimmer, die die Reise Gott sei Dank unbeschadet überstanden hatte. So konnte er nun die unzähligen kleinen und großen, schlichten und auffälligen Kerzen im Raum verteilen, die Mina doch so liebte. Er achtete penibel darauf, dem am Vormittag geschmückten Weihnachtsbaum ja nicht zu nahe zu kommen und betrachtete nach einiger Zeit zufrieden das Ergebnis. Ein letztes Mal auf die Uhr schauend, stellte er den Backofen aus und betrachtete den Kuchen, dessen Streusel nun eine schöne Bräunung besaßen. Dann machte er sich ans Tischdecken und erste Anzeichen von Aufregung machten sich in ihm breit.
Hoffentlich gefiel den Dreien, was er vorbereitet hatte. Immerhin kam Mina gerade erst von ihrer Geschäftsreise zurück und wie er seinen kleinen Wasserfall kannte, schwärmte sie ihren Eltern schon längst von diesem kleinen Häuschen vor, welches ihr Freund doch gerade so liebevoll herrichtete.
Mit mulmigem Gefühl im Bauch platzierte er Gläser, Tassen, Teller und Kuchengabeln auf dem dunklen Holztisch, der Zentrum des kleinen Wohnzimmers war. Machte er auch alles richtig, oder hatte er sich hiermit überschätzt...?
Ein durchdringendes Klong ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken und er sah sich verwirrt um. Mina und ihre Eltern sollten erst in einer knappen Stunde eintreffen und wer klopfte ausgerechnet an die Terassentür?
Vorsichtig trat er näher an die Scheibe, musterte die sich im Wind wiegenden Äste und die vorbeiwehenden Schneetropfen.
Ihm fiel nichts ins Auge, das dieses Geräusch verursacht haben könnte, bis eine Bewegung direkt vor der Scheibe ihn zurückzucken ließ. Mit rasendem Herzen spähte er auf die spärlich beleuchtete Terasse, auf der sich etwas Kleines schwerfällig bewegte.
Mit zitternden Fingern schaltete Torben die Taschenlampe seines Handys an und vergaß beinahe zu atmen, als er das Geschöpf erblickte.
Ein kleines, vierbeiniges Etwas lag dort zusammengekrümmt auf den vereisten Steinen, die Flanken hoben sich unregelmäßig und die Tatzen versuchten vergeblich auf dem Untergrund Halt zu finden. Das ehemals in rötlich-orangenen Nuancen erstrahlende Fell klebte nun an der dürren Gestalt und war von bläulich-weißen Flecken durchbrochen.
Hastig schob Torben die Tür auf und huschte in den kalten Schneeregen hinaus. Das kleine Geschöpf schien seine Schritte zu hören und reckte seinen Kopf in Torbens Richtung. Jämmerlich knurrend zog es seine Lefzen zurück und entblößte seine spitzen Zähnchen.
Kurz bevor er das zitternde Tier erreichen konnte, verschwand dies jedoch in glühendem Funkenregen. Torben zuckte zurück, sein Herz stolperte für wenige Schläge. Hatte es sich etwa gerade...?
Das leise Jammern drang nun leiser zu ihm vor und der zitternde Lichtkegel seines Handys erfasste das Geschöpf in einigen Metern Entfernung. Behutsam näherte Torben sich, sein Atem kam nur noch in kleinen, flachen Zügen. Er sprach leise auf das kleine Ding ein und streckte vorsichtig seine Hand danach aus. Es versuchte noch, ihn mit seinen kleinen Pfoten zu erwischen, doch dann ging ihm auch die letzte Kraft aus und es lag unbewegt vor ihm, nur die dunklen Augen folgten seinen Bewegungen.
Torben nahm es vorsichtig hoch und trug es an seine Brust gedrückt ins Wohnzimmer. Unter seinen Finger spührte er den langsamen Puls, den schwachen Herzschlag des Tieres, der sich alles andere als gesund anfühlte. Hastig zog er eine Decke von der Couch und breitete diese vor dem Kamin aus, bevor er das zitternde Lebewesen dort niederließ. Zögerlich strich Torben dem Kleinen über den Kopf und eilte dann in die Küche, um eine Schüssel mit Wasser zu befüllen und sich gleich noch ein Handtuch zu schnappen, um das nasse Fell abzureiben.
Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, konnte er das kleine Wesen dabei beobachten, wie es sich wackelig auf die Pfoten hievte und sich schüttelte, ähnlich wie Hunde es taten. Dabei splitterten die bläulichen Stellen aus seinem Fell wie zerbrechendes Eis und Torben meinte zu sehen, wie das Geschöpf kurz entflammte.
Sich wohlig in die Decke kauernd blickte es dem erstarrten Torben nun aus seinen schwarzen Augen entgegen, das glühende Fell geschmeidig und aufgeplustert.
Torben stellte - nachdem er seinen Schock und das mulmige Gefühl in seiner Bauchgegend überwunden hatte - die Schale behutsam vor dem Kleinen ab und ließ sich in gebührender Entfernung nieder. Er beobachtete, wie es die langen, dünnen Ohren aufstellte und die Nase schnüffelnd der klaren Flüssigkeit näherte, bis sie die Oberfläche durchbrach. Ein Zischen erklang und es zuckte zurück - Torben musste mehrfach blinzeln, bis er seinen Augen glaubte, dass von der Wasseroberfläche gerade Wasserdampf aufstieg.
Zögerlich tauchte die Zunge immer wieder ins Wasser ein und bald schon begann Torben sich um die Schüssel zu sorgen, in der das Wasser langsam begann, Blasen zu schlagen.
Zum Glück ließ der Kleine bald von der Schale ab und diese überstand die Hitze - zumindest äußerlich - unbeschadet.
Der Blick des Kleinen richtete sich nun neugierig auf Torben. Es erhob sich und erst da wurde Torben klar, was hier vor sich ging. Zum Flüchten war es längst zu spät und so kniff Torben lediglich die Augen zusammen, als das Wesen sein Bein anstupste. Er hatte einen brennenden Schmerz erwartet, doch er fühlte lediglich eine gerade noch so angenehme Hitze auf seiner Haut. Zögerlich streckte er seine Finger nach dem Geschöpf aus und schnappte nach Luft ob der knisternden Spannung, die sich aufbaute, je länger seine Hand das seidig weiche und doch so stark wirkende Fell berührte. Das Wesen drückte sich bald schon begeistert seinen Berührungen entgegendrückte und machte ihm selbstbewusst klar, welche Stellen er unbedingt kraulen musste.
Es strich ihm um die Beine, wickelte seinen langen, agilen Schwanz um Torbens Arm und verfiel in ein grollendes Schnurren, das ihm erste einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte.
Es klingelte an der Haustür und ein Blick auf seine Uhr bestätigten ihm, dass das nur Mina und ihre Eltern sein konnten. Er erhob sich taumelnd und sah sich suchend um, doch von seinem kleinen Freund war keine Spur mehr, nur das warme Prickeln in seinen Fingerspitzen erinnerte noch an das Feuerwesen.
Dann - er wollte gerade zur Tür hasten, da es erneut geklingelt hatte - warf er einen kurzen Blick zum Kamin und das Herz blieb ihm fast stehend. Dort, inmitten der Flammen, reckte das Wesen wohlig seinen Kopf und badete in den Flammen. Torben sah, wie es tief ein und aus atmete und die Flammen das Fell verschlangen, bis sie sich mit ihrem Geschöpf vereint hatten.
Der Kleine sah ihn aus großen Augen an, die Flammen loderten mit jedem Pulsieren seines Herzens auf und dann - verschwand es in einem gewaltigen Funkenregen.
Torben hörte Minas Rufe, doch er konnte sich erst nach einigen Sekunden aus seiner Starre lösen und zur Haustür stolpern. Er riss diese beinahe auf und blickte in das lächelnde Gesicht seiner Freundin, hinter ihr warteten ihre Eltern.
Mina beugte sich vor, um ihm einen Kuss zu geben und er sah ihr in die Augen.
Dort meinte er für einen Moment das selbe Feuer glühen zu sehen, das zuvor noch in dem kleinen Wesen gelodert hatte.