Wind ging über die weite Ebene, zwei Lebende umringt von tausend Toten Körpern. Graue Wolkenmeere zogen über sie hinweg. Wind spielte mit den Blättern und erzeugte eine bedrückende Symphonie. Zum Requiem tanzte das Peitschengras im Takt. Die Anspannung des Kampfes hatte Felix und Lu noch vollkommen in ihrem Bann. Nur mit Mühe und Not waren sie dem tödlichen Schicksal entkommen, Lu war unverletzt aber von der Brutalität des Kampfplatzes sichtlich erschüttert. Der Flauschige betrachtete seine Hände, blutige Striemen zogen sich durch das Fleisch, es würde dauern bis heilten. Das wusste er. Doch ein Autor, der nicht schrieb, hatte nur wenig Sinn im aufkeimenden Krieg und war nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein.
Felix schüttelte den Gedanken ab, es war ja nur für ein paar Tage. Die konnte er nutzen, um seinen Schüler zu bilden. Seinen Schüler? Im Kampf hatte Lu etwas Weibliches, kämpferisches Unbesiegbares an sich. Er hätte sie als seine Schülerin bezeichnet. Doch jetzt wo der Kampf sein Ende gefunden hatte, wirkt er eher wie ein kleiner Junge, emotional überfordert zu verstehen, was gerade passiert war und unschlüssig darauf angemessen zu reagieren. Er hätte ihn als seinen Schüler bezeichnet. Lu war weder das eine noch das andere, Lu war vollkommen in dieser wechselnden Form, frei und nicht beschreibbar. - Konnte es vielleicht sein, das Lu ein, eine,… Nein das konnte nicht sein.
Der Gedankendrift war stark in ihm, Felix musste sich konzentrieren nicht immer wieder in die tiefsten Tiefen seines Ichs herabzusteigen. Er musste jetzt ein guter Lehrer sein, nein er musste einfach nur das einzig richtige tun!
Er streckte seinen Arm aus und reichte Lu die blutige Hand zum Aufstehen.
„Ich habe dich erst heut Abend erwartet, aber es freut mich, dass wir uns schon etwas früher sehen konnten.“
Lu nahm die aufhelfende Hand dankend an, irgendwie wollten Lu’s Beine nicht so wie Lu wollte, eine Stütze kam da gerade recht. Noch bevor Lu etwas erwidern konnte, erschien eine goldglänzende Lichtsäule auf dem ehemaligen Schlachtfeld. Aus diesem Licht schossen berittene Autoren auf Geflügelten Worten, welche sich sofort in himmlischen Höhen erhoben. Und als der Lichtkegel verschwand, offenbarte er die kleine, aber kriegerische Gestalt Khaelis, General of FairyShield. In ihrer silbern glänzenden Rüstung und dem wehenden blonden Haar war Khaeli ebenso kriegerisch wie anmutig. Das Schwert bereits gezogen um Winterdämonen das Leben zu nehmen und mit dem Schild sich vor deren eisigen Odem zu verteidigen. Doch es gab keine Winterdämonen mehr, die zu bekämpfen waren. Ein prüfender Blick bestätigte das, der Feenmuse. Felix und Lu kamen der Fee entgegen: „Flausch! Ich dachte, du brauchst Verstärkung? Takki war vorhin bei uns panisch an den Generalstisch geeilt und meinte du stündest allein gegen tausend Winterdämonen.“
„So war es auch. Sie hatten es auf ein paar neue User abgesehen, welche noch keine kreativen Schutzschilde aufgebaut hatten.“
„Doch wie sollen sie so tief in das Herz von Belletristica hereingekommen sein? Ein Trupp dieser Größe hätte uns doch auffallen müssen?“, Ratlosigkeit und Sorge machten sich auf der kraus gezogenen Stirn Khaelis sichtbar. Soweit im Inland waren Winterdämonen selten und ihr plötzliches auftauchen, vorbei an allen Wachtürmen, Trutzburgen bis hinein in eine der Grafschaften verhieß nichts Gutes für die Zukunft. Einen Feind, den man nicht kommen sah, konnte man auch nicht bekämpfen. Aber wie waren die finsteren Eisgesellen so tief vorgedrungen?
„Indolorecolli spameri“, unterbrach Felix die Gedanken der eisernen Fee, „Sie nutzen einen Spamer. Ich habe ihn Minuten vor dem Aufeinandertreffen getötet, dass sowohl Winterdämonen, als auch Spamer zeitgleich so nah beieinander hier auftreffen, kann kein Zufall sein.“
„Mit einem Spamer?“, fragte Khaeli irritiert. Noch nie hatten die Winterdämonen oder die Spamer zusammengearbeitet. Zwar war eine Absprache zwischen den beiden Kreaturenvölkern denkbar, aber wie war das möglich?
„Spamer nutzen Warpmagie, um in die Tiefen Belletristicas vorzudringen. Ich weiß nicht wie es die Winterdämonen anstellten, dass sie mit dem Spamer mitreisen konnten, aber ich weiß, dass sie es taten. An der Stelle wo ich den Spamer tötete, war auch Eis von Winterdämonen.“
„Was können wir dagegen unternehmen?“
„Nichts.“, entgegnete der Flauschige mit ernster Miene, „Aber die Adminen können von der Citadelle aus, jedes Mal, wenn jemand einen Warp einsetzt, sofort einen der Feenberufenen entsenden, um zu prüfen ob es ein neuer User oder ein Spamer ist. Im Fall eines Users führen wir ihn in ein sicheres Gebiet, im Fall eines Spamers wird dieser vernichtet und sofort Meldung gemacht, wo er erschien und, ob verdächtige Aktivitäten beobachtet wurden.“, erläuterte der Flauschige seinen Plan.
„Ich weiß nicht ob Big Ben dieser Plan gefallen wird.“
„Die Frage ist, ob er die Wahl hat anders zu entscheiden.“, Felix hielt inne und führt weiter aus: „Du spürst es ebenso wie ich. Dunkle Mächte greifen nach Belletristica, wenn sich Spamer, Trolle und Winterdämonen vereinen, könnte das einen Konflikt ungeahnten Ausmaßes bedeuten, wir brauchen so viel Aufklärung wie möglich.“
„Ich werde in der Citadelle Bericht erstatten. Wenn wir euch brauchen...“
„Werdet ihr uns finden.“, verabschiedete sich der Flauschige mit respektvollem Gruß. Khali rief die Reiter zu sich und sie verschwanden wieder in gleißend hellem Licht. Felix wies Lu den Weg, den sie nun zu gehen hatten. Der Flauschige und das Schülerwesen wechselten lange kein Wort. Die Ereignisse hatten über den Tag ein Siegel des Schweigens gelegt. Felix ließen so viele Fragen nicht los, immer wieder bauten sich Theoriegebäude in seinen Gedanken auf, umkreisten einander und kollidierten. Wie hatten die Winterdämonen es nur geschafft? Die Sicherheit Belletristicas stand auf dem Spiel. Luan folgte dem Meisterbellogen und hielt sich bedeckt. Es war nie gut, jemanden in seinen Gedanken zu stören und so ließ sie den Flauschigen für sich.
Es vergingen ein, zwei Stunden, in denen sich der Himmel wieder aufklärte und ein zartes Rot erkennen ließ. Die Abendröte hatte begonnen. Felix brach endlich das Schweigen, dass gefühlt eine Ewigkeit gedauert hatte: „Verzeih Lu, dass ich dich so lange ohne Worte neben mich hab laufen lassen, aber wenn etwas meinen Geist ergreift, vergesse ich gerne Zeit und Raum. Dort“, er zeigte auf eine lange grüne Hecke, in der ein hölzernes Tor eingewachsen war, beginnt dein neues Zuhause. Aber nicht nur deins, du solltest deinen Begleiter endlich herauslassen.“
Luan hatte sein treues Fagerleuer Calcifer, was das Schülerwesen liebevoll Calcy nannte, in seiner Glasflasche gebunden, damit das kleine Fagerleuer keinen Schaden während des Kampfes nehmen konnte. Lu kramte aus seinem schwarzen Rucksack ein gläsernes Fläschchen hervor, in dem einige Rubinsplitter und ein Fetzen Pergament, eine Zauberformel, lagen. Vorsichtig öffnete Luan die Flasche und flüsterte: „Flame…Calcifer wir sind da.“ Eine kleine rötliche Flamme leuchtete auf und Calcifer erwachte. Etwas benommen aber munterneugierig schoss das Fagerleuer aus seinem Refugium.
„Schön auch dich wiederzusehen, Calcifer.“, begrüßte der Flauschige das Fagerleuer, welches sich zu Luan gesellte. Der Flauschige streckte seinen Arm und öffnete mit einer Bewegung das Tor, ohne es zu berühren. „Tretet ein, der Biotopengarten heißt euch willkommen.“ Lu trat mit Calcy durch das Tor und spürte sofort eine Aura, lebendig, nicht greifbar, aber vorhanden. Was war das für ein Ort. Er erschien nicht auf der Karte, die Luan so oft studiert hatte.
„Dieser Ort ist nur jenen bekannt, die mich und meine Arbeit zu schätzen wissen. Es ist ein Hort für seltene Spezies, hier gebe ich ihnen Obdach, erforsche sie oder ziehe sie nach. Damit Wilderer nie nach diesem Ort hier suchen, bat ich Henri, du kennst ihn eher als Phobos Escanor, ihn nicht auf der Karte zu vermerken.“
Lu spürte noch immer die lebendige Aura, die es und Calcy umgab, verschiedenste Pflanzenarten stand in der Parkartigen Anlage. In der Ferne hörte man das Lachen einer Sartiere. Felix schritt unbeirrt den Weg entlang und gab Luan zu verstehen, dass heute noch nicht der Tag gekommen war, den Garten zu erkunden. Aber dieser Tag bald kommen würde. In diesem Wissen folgte Lu, ohne stehen zubleiben dem Bellologen, Calcy spendete etwas Licht und das Rot, in das Belletristica getaucht war, färbte sich weiter dunkel ein. Lu versuchte trotzdem Gehege oder ähnliches zu erspähen, aber außer Pflanzen war nichts zu sehen. Den suchenden Blick des Schülerwesens richtig deutend erläuterte Felix: „Der Biotopengarten ist 24 Hektar groß, aber noch längst nicht verbaut. Hier im Eingangsbereich finden sich eher reine Pflanzenbestände der gemäßigten Zone, wie Codiferopsida, Erdbeerkirschen oder Granatentrauben.“, führte Felix aus und ging mit Luan den geraden Sandweg weiter.
Granatentrauben! Lu erinnerte sich, sie hatte über diese Pflanzenart erst neulich gelesen und wollt unbedingt mit den Früchten der Pflanzen experimentieren. Oder so ähnlich. Den Eigentlich wollte Luan nichts weiter damit tun, als Streiche zu spielen oder einfach lauschen, wie schön die Früchte platzen und knallen. Kaum hatte Lu einen der Sträucher entdeckt, gab es kein Halten mehr. Das Schülerwesen schnappte sich ein paar der Früchte, verdrehte sie, wie es in der Systhema Natura Belletristica beschrieben war und schleuderte das Obst in die Luft. Unter lautem Knallen zerplatzen die Früchte und schleuderten ihre Samen durch die Gegend. Luan und Calcy freuten sich über ihre neue Entdeckung, der Flauschige seufzte: „Ach Luan du erschreckst noch die Bewohner des Gartens.“
„Welche Bewohner?“, fragte Luan verdutzt, Ausschau haltend ob sich im Halbdunkel etwas bewegte. Genau in diesem Moment wieherte es vom Himmel und eine schwarze Pferdegestalt sauste auf den Boden. Laut schnaubend und die Mähne schüttelnd, starrten zwei feuerrote Augen das Schülerwesen verärgert an.
Felix näherte sich dem Geflügelten Wort, welches seine Flügel bedrohlich aufgestellt hatte und strich dem Geschöpf beruhigend durch die Mähne. „Schon gut, Lu wollte dich nicht erschrecken.“, Felix kraulte weiter die Mähne des schwarzen Hengstes bis dieser unter einem schnaubenden, schüttelnden Kopf seine Flügel einklappte und wieder freundlich und geradezu sanft zu Lu schaute. „Komm näher.“, wies Felix sie an, „Das ist Fersengeld, ein Geflügeltes Wort und ein eher schüchternes, aber zum Teil auch sehr aufbrausendes Kerlchen. Es ist eines von dreien, die hier im Garten leben. Tagsüber fliegt er meist mit seiner Mutter durch das Reservat.“, erläuterte Felix, während Fersengeld den Kopf neigte, damit Luan ihn streicheln konnte. „Ich schätze, er wollte gerade seinen heimlichen Abendflug beenden, als du die Granatentraube in den Himmel warfst.“
„Heimlich?“
„Ja seine Mutter sieht es nicht gern, wenn er zu später Stunde noch außerhalb des Biotopengartens unterwegs ist.“, sich an das Pferdewesen wendend, „Also Abmarsch Fersengeld, keine Umwege und sofort zu deiner Mutter Pandora, klar?!“ Fersengeld wieherte einen Salut und galoppierte in die sich verdunkelnde Ebene. Der Flauschige schaute gehend Himmel, dort geleitete ein schwarzer, großer Prachthengst: „Sie suchen ihn bereits, die Nacht wird kalt und im Stall ist er besser aufgehoben.“, nach oben zeigend, ergänzte der Bellologe, „Wir können froh sein, dass es Fersengeld war, den du erschreckt hast, sein Vater Aveghul ist ein ganz anderes Kaliber. Wenn der wütend wird, dann Gnade dir dem Flausch. Er schäumt nicht nur vor Wut, er überschäumt förmlich.“ Während der Flauschige Lu dies erklärte, verschwand auch Aveghul vom Himmel und kehrte wohl in seinen Stall ein. Felix und Lu schickten sich an weiter zu gehen, es vergingen einige Minuten und das Rot stand immer tiefer. Da erblickte Luan einen Pavillon und zeigte in dessen Richtung: „Was ist dort?“
Dies ist ein Pavillon, nicht mehr als ein Unterstand, der aber durch Magie immer etwas wärmer ist als die Umgebung. Dort können sich wilde Geschöpfe schlafen legen, die hier im Garten hausen. Insbesondere in kalten Nächten nutzen sie es, die heutige Nacht wird so eine sehen. Deshalb sollten wir uns beeilen ins Haus zu kommen, der Rundgang durch den Park kann warten. Zumal es schwer werden dürfte das Haus in diesem Areal zu finden, wenn es vollends Dunkel geworden ist. Ich bin zwar gerade daran die Laternen für die Hauptwege funktionsfähig zu bekommen, aber das wird noch ein paar Tage dauern. Deshalb sollten wir vielleicht nicht im Dunkeln herumstolpern, wer weiß worüber wir fallen.“, sagte der Meisterbellologe belustigt, ehe er zielsicher dem Sandweg folgte. Schon bald erreichten Luan, Calcy und Felix eine Anhöhe. In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erkannte Luan eine weitere Hecke, die einen Holzzaun umschlossen hatte, nur der hölzerne Bogen, welcher sich über das Tor spannte, war pflanzenfrei. Luan folgte dem Bogen bis an dessen Spitze, wo eine Laterne hing, die zwei Lichter zu haben schien. In diesem Moment verschwand die Sonne endgültig hinter dem Horizont und es wurde Kohlrabenschwarz. Calcy erzeugte zwar einen gewissen Schein, aber es war definitiv zu wenig um auch nur zwei Meter weit zu sehen. Außerdem hätte Calcy sie anführen müssen, was das kleine Fagerleuer ohne zu wissen, wohin es muss, nur schwer hätte tun können. „Und jetzt?“, fragte Luan die schleichende Kälte bemerkend. Der flauschige zeigte mit einem Lächeln zur Laterne. „Lumus! Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, sich mit dem Feuer der Laterne verbinden ist verboten. Komm herunter und bring uns zum Haus, wir haben Gäste und die Wallanzen haben sich genug von deinen Feuerspielchen.“
Ein gelbrotes Fagerleuer erschien und die Laterne besaß nur noch einen Kerzenschein, der fast schon am Verglühen war. Es schwebte zu den Bellologen und begrüßte Calcy in dem es kurz aufleuchtete. „Das ist aber ein großes Fagerleuer.“, stellte Luan staunend fest.
„Nicht ganz, er macht sich gerade nur größer, um den Chef zu markieren.“, sich an das Fagerleuer wendend, „Lumus, ich bitte dich. Der Tag war lang und wir wollen ins Warme, bitte leuchte uns den Weg.“ Lumus loderte kurz auf, um Felix, Luan und Calcy zu bedeuten, dass sie ihm folgen sollten. So folgte Lumus dem Weg, Felix folgte Lumus, Luan folgte Felix und Calcy folgte Lu. Nach ein paar Minuten den dunklen Pfad beschreiten, erschien aus dem Dunkel das Haus, dass Felix suchte. Efeu-Ranken hatten, das Erdgeschoss des Hauses umwickelt. Mehr konnte Luan zu diesem Zeitpunkt vom Haus nicht erkennen, da wies Felix Lumus dankend an, dass es wieder in seine Laterne über den Hauseingang sich begeben sollte. So schwebte Lumus sich verabschiedend in die Höhe und betrat seine Laterne. Kaum hatte Lumus seinen Platz eingenommen, ging ein heller Schein von der Laterne aus und Luan konnte endlich die ebenholzfarbene Tür des Hauses erkennen. Lu musterte die große Tür, welche etwas nach vorn versetzt, in einen Vorbau des Hauses führen würde. Die Hausnummer war von den Efeublättern teilweise überdeckt, aber das verwitterte B war noch sichtbar. Gab es etwa ein Gebäude, dass mal den Buchstaben A trug oder existierte es immer noch? Felix schloss seinem Schülerwesen und dessen Fagerleuer auf und ließ die beiden eintreten. „Endlich daheim.“