B l i n d
Zwischen Liebe, Ungeduld und Entscheidungen
Kapitel d r e i
Früher oder später muss man Partei ergreifen, wenn man ein Mensch bleiben will.
Graham Greene
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Selten hatte Albus so wenig Verständnis in den Mienen seiner Freunde gesehen. Selbst Scorpius Malfoy, als Cousin und Familienmitglied, schien so wenig von dem Mädchen und der Situation zu halten, dass es Albus übel aufstieß. Er schluckte schwer und schmeckte jenen bitteren Geschmack, der aus seiner Galle die Speiseröhre empor gejagt wurde.
»Entschuldigst du mich für einen Moment«, bat er und drängte sich an Megcine vorbei, ohne jedoch ihre Zustimmung abzuwarten. Regungslos blieb die Hexe an ihrem Platz, vermied es jedoch in die Richtung der Jungen zu sehen. Die Musik übertönte die Stimmen, verdrängte die Worte und hallte von allen Wänden wider.
»Findest du das nicht etwas respektlos?« Geradewegs schritt Albus auf Scorpius und Lester zu, die ihn weiterhin argwöhnisch dreinblickend taxierten.
»Respektlos?«, hakte der junge Malfoy nach, in dem Wissen, dass er gemeint war.
»Immerhin ist sie deine Cousine«, erklärte Albus ruhig und in angemessener Lautstärke.
»Und wenn schon«, entgegnete Scorpius kühl. »Wir sind vielleicht miteinander verwandt, das bedeutet aber nicht, dass ich sie mögen muss.«
»Das sagt ja auch niemand«, so sehr Albus sich auch bemühte die Situation zu entschärfen, es würde ihm nicht gelingen.
»Aber?« Eine helle Augenbraue hob sich zum ebenso hellen Haaransatz, während Scorpius die Arme vor der Brust verschränkte. Albus verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge. Er wusste nur allzu gut, dass der junge Mann vor ihm seine Eigenarten hatte und er war lange bereit gewesen jene zu akzeptieren. Doch auch wenn sie eine jahrelange Freundschaft verband und auch, wenn sich alles in ihm gegen diesen einen Gedanken wehrte, Albus wollte nicht begreifen, dass jemand wie Scorpius Hyperion Malfoy so abgebrüht und kalt sein konnte.
»Bist du blind, Potter?«, nun war es Lester, der noch mehr Öl ins Feuer goss.
»Hey«, fauchte Albus plötzlich und hob beschwichtigend die Hände. »Was ist euer Problem?«
Man strafte ihn mit Schweigen. Zwar öffnete Lester den Mund, doch nicht ein Ton schien aus diesem herauszukommen. Albus' Blick streifte Scorpius, der wortlos blieb, aber dennoch angespannt die Kiefer aufeinander presste.
»Ich habe mich doch bloß mit ihr unterhalten.«, fuhr Albus fort und versuchte so den Unmut seines besten Freundes zu besänftigen. »Sei nicht so ein Arsch!«
Doch Scorpius verzog nur für einen flüchtigen Augenblick das Gesicht, ehe er mit den Schultern zuckte. Zwischen Sympathie und Antipathie schien es wahrlich nur ein schmaler Grat zu sein.
Kopfschüttelnd ließ Albus von seinen Freunden ab. Sein Blick streifte erneut über die Häupter seiner Schulkameraden hinweg. Er wusste nicht, nach was er suchte, doch sein Unterbewusstsein dirigierte ihn augenblicklich in die Richtung, aus der er gekommen war.
Sie war weg.
Es wunderte ihn nicht, dass Megcine nichts von dem Vorfall gehalten haben mochte. Sie war nicht dumm, kannte ihren Cousin beinahe besser als er und wusste um den Zwist, der zwischen ihnen vorherrschte.
Auf beunruhigende Art tat sie ihm leid.
Im Gegensatz zu ihrem Bruder, schien Megcine unscheinbar, still und hätte sich gut in die Riege der Geister einreihen können, zumindest, wenn man Scorpius und den Rest der Gruppe um ihn gefragt hätte.
»Sie ist meine Schwester«, hatte Thornton gemeint, als man Megcine den sprechenden Hut auf den Kopf setzte und dieser sofort Slytherin verkündete. Scorpius neben ihm hatte nur den Kopf geschüttelt und ein paar unfeine Flüche von sich gegeben. Für den jungen Higgs war es nicht verwunderlich, dass man das Mädchen in das Haus schickte, das traditionsgemäß den Sitten seiner Familie entsprach. Ähnlich Albus' Sippe, die mit ein paar »Ausrutschern« beinahe ausnahmslos in Gryffindor vertreten waren, abgesehen von ihm, seiner Cousine Dominique und deren bereits studierende, ältere Schwester Victoire.
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Seufzend streifte Albus erneut durch die Menge, jedoch stets darauf bedacht, am Rande des Geschehens zu bleiben. Hände wurden in die Luft gerissen, Leiber geschüttelt und Stimmen, wenn gleich auch etwas schräg klingend, erhoben. Er wollte nicht, dennoch schob er den Ärmel seines Jacketts den linken Arm hinauf und versuchte angestrengt, etwas auf dem Ziffernblatt seiner Uhr zu erkennen.Die Lichter wechselten im Takt der Musik, die in diesem Jahr um einiges abwechslungsreicher schien, als die vergangenen Feste. Wer auch immer für die musikalische Untermalung zuständig war, hatte seinen Job wohl richtig gemacht. Trotzdem graute es ihm bei dem Gedanken daran, dass nur allzu bald ruhigere Klänge ertönen würden, und der Begriff »Kuschelkurs« eine neue Definition erhielt.
»Ich habe es geahnt!«, knurrte Albus und hoffte, dass ihm seine Ohren einen üblen Streich spielten.
Der Fluchtinstinkt scheuchte ihn aus der Großen Halle hinaus auf den Gang. Die Lichter der Fackeln ringsum warfen lange Schatten an die Wände und auf den steinernen Boden. Er hörte Gelächter und mädchenhaftes Kichern in der Nähe, scherte sich jedoch nicht darum.
Wie erwartet schmetterte die Band einen »Schmuseblues« und Albus konnte den Pärchen einfach nicht mehr länger zusehen. Der kurze Blick in den Saal hinein hatte genügt, dass ihm das Bisschen Nahrung, das er mühselig die Kehle hinunter gewirkt hatte, nun wieder in obere Gefilde zurückkehren wollte. Er zwängte den Drang nieder und nachdem er ein paar Mal erfolgreich tief Luft geholt hatte, schwand das Bedürfnis, die Jungentoilette aufzusuchen.
Ein plötzlicher Gedanke kam in ihm auf:
Warum sollte er nicht einfach wieder zurück in die Kerker verschwinden? - Immerhin war er beim Abendessen dabei gewesen und hatte sich eine gute Stunde auf der Feier herumgedrückt. Doch sein Auftrag manifestierte sich um so deutlicher, je eher er an eine Flucht dachte:
Scorpius
Ihn würde er wieder einsammeln müssen, ebenso wie den Rest der Gruppe, sofern jene nicht allein wieder zurück in ihre Betten fanden. Doch sein bester Freund war bekannter Weise ein Kapitel für sich. Der Malfoy-Spross verstand sich bestens darauf, ihm das Leben in dieser Beziehung schwer zu machen. Während sich Scorpius verausgabte, auf welche Art und Weise wollte sich Albus nicht vorstellen, blieb ihm selbst nichts anderes übrig, als wieder zurück zu gehen, auszuharren und zu hoffen, dass die Krankenstation am nächsten Tage nicht zu den Orten zählte, die er würde betreten müssen.
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Mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, betrachtete Albus die Erst- und Zweiklässler, die, angeführt von den Vertrauensschülern, in ihre Gemeinschaftsräume zurückgebracht wurden. Statt Scorpius, scheuchte Feodora Nott die Schar junger Schüler vor sich her und verzog das Gesicht zu einer mehr als genervt zu entlarvenden Miene. Als sich ihre Blicke begegneten, zuckte Albus nur mit den Schultern. Er war nicht zum Vertrauensschüler ernannt worden. Dieses Amt hatte Scorpius inne, der, weiß Merlin wo, sein mochte.»Brauchst du Hilfe?«, fragte er über die Köpfe der jungen Slytherins hinweg, doch Feodora schüttelte nur unter verdrießlichem Gesichtsausdruck den Kopf. Über ihre Reaktion war Albus enttäuschter, als das Mädchen selbst. Gern hätte er so einen Vorwand gehabt, um länger als Nötig der Feierlichkeit fernzubleiben. Ob Scorpius wollte oder nicht, eine Standpauke seiner Klassenkameradin war ihm sicher, doch er würde es nur mit einem Grinsen abtun.
Scorpius verstand es sehr wohl, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Mit Worten und Taten. Schmeicheleien, Charme und ein Lächeln auf den Lippen reichten meist aus, und man fraß dem Jungen aus der Hand. Egal, was er anstellte. Ob das verhexten seiner Mitschüler zum Spaß, oder aus Ernst, nie konnte man ihm allzu lang böse sein, obwohl er gern den Bogen überspannte.
Im Gegensatz zu seinem besten Freund, sah sich Albus eher als klugen Diplomaten, der sich bemühte, Reibereien und Streitigkeiten zu vermeiden und diesen, sofern möglich, aus dem Wege zu gehen. Doch meist war er es, der sich für die Taten seines Freundes rechtfertigte, auch wenn Scorpius ihm stets versicherte, er müsse sich nicht bemühen. Sein starkes Rechtsempfinden stand ihm meist im Weg und stellte ihm ein ums andere Mal ein Bein nach dem anderen.
Auch die Bitte, er sollte alles »locker« angehen lassen, wie seine Freunde ihm beinahe täglich rieten, konnte er nicht erfüllen. Albus hatte gern alles unter Kontrolle, statt es schleifen zu lassen oder zu riskieren, einen Fehler zu begehen.
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Langsam wurden wieder tanzbare Stücke zum Besten gegeben und Albus zwang sich wieder in die Halle zurück. Er schlich an den Tischen vorbei und versuchte, eine Sitzgelegenheit zu erspähen. Die Dritt- und Viertklässler machten sich nun daran, in ihre Schlafsäle zurückzukehren und somit minimierte sich die Schar an Feierwütigen mit der Zeit. Nun hatte Albus auch die Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen. Er reckte den Hals und entdeckte seine Cousinen Rose und Dominique, die, unabhängig von einander, die Atmosphäre und den Verlauf der Party zu genießen schienen.Ehe er sich auf einen Stuhl fallen ließ, suchte Albus nach einem Tisch, auf dem sich, hoffentlich, etwas befand, das man gefahrlos trinken konnte. Er griff nach der klebrigen Kelle, die in der großen Schüssel voll Punch viel zu oft untergegangen war und schöpfte etwas von der pinken Flüssigkeit in seinen Becher. Das Gemisch roch widerlich süßlich, doch es war alle mal besser, als das Gebräu, das Scorpius verteilt hatte. In einem Zug stürzte Albus den stark nach Grapefruit und Himbeere schmeckenden Trunk hinunter.
»Ist dir langweilig?«
Hastig wandte sich Albus um. »Du schon wieder.«, sagte er knapp und betrachtete die junge Frau vor sich. »Was ist mit deinen Haaren?«
»Die Perücke hat gejuckt«, erklärte Megcine mit einem knappen Zucken der Schultern. »Warum erwische ich dich ständig an einem der Tische?«
Nun war es Albus, der die Achseln zucken ließ. »Du hast Recht, mir ist wohl langweilig.«
»Darf ich dir eine Frage stellen?«, wollte sie wissen und Albus war sich nicht sicher, ob er es ihr erlauben sollte. »Warum bist du immer so ernst?«
»Warum nicht?«, entgegnete Albus forsch, da es ihm nicht behagte, wenn man persönliche Fragen an ihn richtete.
»Schlag doch auch mal über die Strenge.«, meinte sie in ernstem Ton, doch ihr Gesicht zierte ein Lächeln.
»Bist du verrückt?«, unschlüssig, wie er reagieren sollte, war die Frage von seinen Lippen gewichen.
»Warum nicht? Schließlich hast du doch auch mal das Recht dazu.«, sagte Megcine mit ausdrucksloser Miene, doch Albus schüttelte nur den Kopf. »Alle anderen genießen die Feier, nur du nicht.«
»Na und? Du tanzt doch auch nicht.«, rechtfertigte er den Verlauf des Abends.
»Stimmt, aber trotzdem habe ich meinen Spaß.«, meinte sie.
»Ach ja?«, fragte er und zog ungläubig die Stirn in Falten.
»Ich muss nicht tanzen, aber ich sehe mir gern die anderen an, wie sie versuchen, einigermaßen im Takt herum zu hüpfen.«, erklärte das Mädchen.
»Du amüsierst dich also über die kläglichen Versuche deiner Klassenkameraden?«, wollte er wissen und Megcine zuckte ungerührt mit den Schultern, nickte jedoch. »Ist das nicht etwas ... ?«
»Was? Gemein? Und wenn schon, ist mir egal. Über mich macht man sich schließlich auch lustig.«, sagte sie mit ernstem Gesicht. »Also, Albus Potter, lass den Drachen aus der Höhle. Ich sag's auch niemandem.«
»Und wie komme ich dann ...«, die Vernunft erwischte ihn wie eiskaltes Wasser, als er daran dachte, wie er dann wieder in die Kerker kommen sollte.
»Ist doch egal. Die anderen machen sich doch auch keine Gedanken. Und das machen sie warum nicht?«, sie ließ eine Pause entstehen und wartete, doch Albus zuckte nur ratlos dreinblickend mit den Schultern. »Weil sie es nicht müssen. Weil immer jemand da ist, verstehst du? Und dieser jemand bist du.«
»Willst du mich zum Feiern animieren?«, hakte er nach und konnte kaum glauben, dass das ruhige und in sich gekehrte Wesen vor ihm wirklich das Mädchen war, das man als seltsam und langweilig abgestempelt hatte.
»Wie komme ich dazu? Nein, ich will dich zwingen!«, ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen und Albus hätte schwören können, dass sie es wirklich tun würde.
»Ein anderes Mal, vielleicht.«, wiegelte er ab und hob abwehrend die Hände.
»Seltsam«, meinte Megcine und legte den Kopf schief, so dass ihr das braune, etwas unordentlich aussehende Haar über die Schultern fiel, »und ich dachte man würde mich für langweilig und spröde halten, aber du bist mindestens genauso schlimm.«
»Spröde? Wie kommst du darauf?«, fragend zog Albus die Augenbrauen zusammen.
»Ich weiß nicht«, gab sie zu. »Muss ich wohl irgendwo aufgeschnappt haben.«
»Ist ein ziemlich weitgefasster Begriff.«, wagte Albus zu bemerken.
»Findest du?«, hakte das Mädchen nach. »Schon möglich. Auf manche wirke ich wohl so. Aber viele machen sich nicht einmal die Mühe, jemanden richtig kennen zu lernen. Ein Buch nur nach dem Einband zu beurteilen ist ziemlich schwach und armselig.«
Albus nickte, ihre Worte allerdings stimmten ihn nachdenklich. Schweigend ließ er den Blick durch die Menge schweifen und blieb letztendlich wieder an dem Mädchen hängen. »Du bist aber nicht spröde.«, sagte er und empfand, das dies der Wahrheit entsprach. »Ich halte dich für ziemlich klug.«
»Danke«, meinte Megcine knapp, jedoch zuckte nicht ein Muskel in ihrem Gesicht.
»Du hältst mich also auch für spröde?«, ihre Anschuldigung wollte er nicht auf sich sitzen lassen.
»Ich halte dich für ernst, verbissen und unlustig«, spie sie aus, »trocken, abweisend und unnahbar. Aber das macht wohl nichts.«
Verwirrt über die Vielzahl an Beschreibungen seiner Art, zuckte Albus kurz mit den Augenlidern.
»Ist dir nicht gut?«, hakte Megcine nach und wirkte wenig begeistert von der Vorstellung, ihn einmal quer durch das Schulgebäude schleifen zu müssen.
Ein flüchtiges, kehliges Lachen entkam ihm. »Du willst mich provozieren.«
»Du hast mich ertappt.«, gedehnt wich die ironische Bemerkung von ihren Lippen, ehe sie mit den schmalen Schultern zuckte.
»Willst du ein Stück gehen?«, fragte Albus.
»Wohin?«, fragte sie ernst und ohne eine Miene zu verziehen.
»Keine Ahnung«, lachte er, aber dass ein Mädchen ihn so verunsicherte, behagte ihm gar nicht.
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Zu seiner Überraschung hatte Megcine seinem Vorschlag zugestimmt. Zwar hatte sie angemerkt, dass es ihm nur darum ginge, wieder von der Feier wegzukommen, doch Albus hatte nicht den Drang verspürt, ihr zu widersprechen.Megcine war ein Mädchen mit Tiefgang, Ehrgeiz, Mut und Stolz. Die verschlossene Art, die beinahe schüchtern wirkte, stellte sich als Schild heraus, der ihr Schutz bot. Doch als beide durch die Dunkelheit der Flure streiften, war nichts mehr von dem Makel an Selbstbewusstsein zu spüren. Das Mädchen hatte Witz und teilte die gleiche ironisch-sarkastische Ader wie er. Die stets etwas zu ernst und zu steif wirkende Megcine konnte, bei näherer Betrachtung, mit Klugheit und Humor mehr erreichen, als sie sich selbst zu traute.
»... und als ihm dann die Milch aus der Nase schoss, ist Mutter beinahe die Wände hochgegangen.«, lachte sie. »Das Esszimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Und man hat uns ohne Nachtisch ins Bett geschickt.«
Albus war, durch die Kameradschaft mit Thornton und dem beinahe brüderlichen Verhältnis zu Scorpius, bestens in die Familienverhältnisse der Higgs und Malfoys eingeweiht, doch die Geschichten, so simpel sie auch sein mochten, auch mal von einer anderen Seite zu hören, zeigten eine ganz neue Seite der Sippschaft.
»Aber erzähl ihm das bloß nicht. Thornton ist in dieser Sache immer sehr eigen und von Scorpius fange ich lieber gar nicht erst an!«, gebot sie ihm und gestikulierte wild mit den Armen rudernd ihre Bitte.
»Ja«, entkam es ihm gedehnt und er stimmte unweigerlich mit dem Mädchen in der Tatsache überein, dass auch der Malfoy-Spross definitiv eine Spur zu »eigen« war.
»Er kann mich nicht besonders gut leiden«, sagte Megcine plötzlich und hielt vor einer Statue inne. »Nur weil ich damals schon etwas mehr Geschick und Talent zum Zaubern hatte, als er und dass, obwohl er ja älter ist.«
Albus schwieg. Es war kein Geheimnis, dass Scorpius Malfoy und Megcine Higgs nur auf dem Papier mit einander verwandt waren, und auch nicht, dass er es nicht ausstehen konnte, wenn jemand besser oder talentierter war, als er.
»Es kratzte damals gewaltig an seinem Ego. Und wie du wahrscheinlich schon bemerkt hast, ist das Verhältnis zwischen uns nicht gerade familiär.« Albus hatte, durch die vielen Gespräche mit seinen Cousinen erwartet, dass Bedauern oder Traurigkeit aus ihren Worten zu hören war, doch Megcine hatte die Gründe für den Zwist deutlich, klar und mit einer ernüchternden Kälte ausgesprochen. »Sich als Siebenjähriger von seiner kleinen Cousine verhexen zu lassen, hat ihn wohl sehr geprägt.«
Albus zuckte nur mit den Schultern. Auch bei seiner Sippe war es nicht selten vorgekommen, dass man sich Streiche gespielt oder die ersten kleinen Verwünschungen und Zauber an Brüdern, Schwestern oder Cousins ausprobiert hatte.
»Das war bei uns nichts anderes.«, erklärte er und versuchte zu verstehen, was Scorpius so hatte werden lassen.
»Wie ich bereits sagte: Scorpius ist sehr eigen und ekelhaft nachtragend noch dazu.«, merkte Megcine an. »Wäre es Thornton gewesen, der ihn verhext hatte, dann wäre ein Platzhirschgehabe dabei herausgekommen, mehr nicht. Doch mein Bruder drückt sich eher vor Konfrontationen und Scorpius verträgt ohnehin keine Nebenbuhler.«
Argwöhnisch dreinblickend hob Albus eine Augenbraue und betrachtete das Mädchen im Halbdunkeln.
»Denk jetzt bitte nicht, dass ich schlecht von meiner Familie rede oder sie nicht mag, im Gegenteil! Aber manchmal lässt der eine oder andere keine Entschuldigungen oder die Wahrheit zu. So etwas nenne ich engstirnig und verbohrt.«, meinte sie und setzte sich wieder in Bewegung. »Ich denke, wir sollten wieder zurück gehen.«
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Wortlos gingen sie nebeneinander her. Nie hatte Scorpius auch nur mit einer Silbe erwähnt, dass das Mädchen ihn in Kindertagen verhext hatte und auch Thornton hielt sich stets bedeckt, was die Vergangenheit betraf.»Ich habe Thornton den Brief gegeben.«, meinte Albus, als er die Stille beinahe nicht mehr aushielt.
»Ich weiß«, sagte Megcine ungerührt. »Ich habe nichts anders von dir erwartet. Wie du siehst, eilt dir dein Ruf voraus.«
»Was für ein Ruf?«, hakte er nach und konnte sich nur schwer vorstellen, dass ihm so etwas wie ein Image anhaftete.
Erneut hielt das Mädchen inne und stemmte die Hände in die Hüften. »Albus Severus Potter. Ernst, spröde, unlustig, humorlos, verkalkt, lasterhaft...«
»Verkalkt? Ich bin nicht verkalkt!«, protestierte er, doch Megcine zuckte nur leichtfertig mit den Schultern. »Lasterhaft?«
»Erzählt man sich«, erklärte sie.
»Ich bin nicht Lasterhaft.«, rechtfertigte sich Albus. »Ernst und spröde und unlustig lasse ich mir ja noch gefallen., aber ...«
»Ist ja gut, reg' dich wieder ab! Das lasterhaft ist von mir. Nenn' es dichterische Freiheit.«, bemerkte das Mädchen und wieder schwangen Ernst und Ernüchterung in ihren Worten mit. »Das war ein Scherz, Albus. Ich wusste doch, dass du humorlos bist.«
Ihm war, als hätte ihm jemand einen Knoten in die Zunge gehext, oder gar ein Holzbrett vor den Kopf geschlagen. »Ich habe nur den »Sohn des Retters der magischen Welt«-Bonus«, knurrte er verteidigend, denn für jene, die Wert auf das eine oder andere gewisse »Ansehen« legten, gab es in seinem Umfeld genügend Plätze. »Und der ist mittlerweile auch schon ziemlich ausgelutsch und abgenutzt.«
»Ich weiß«, gab Megcine zurück. »Aber dafür halte ich dich für Verantwortungsbewusst, sonst hätte ich dir wohl kaum den Brief gegeben. Das ist doch positiv, findest du nicht?«
»Möglich«, zähneknirschend entwich ihm die wagte Zustimmung. »Ihr müsst also über die Weihnachtsferien hierbleiben?«
Nun war es Megcine, deren Kiefer sich aufeinander rieben. »Er hat es euch also erzählt?«
»Na ja«, begann Albus und kratzte sich am Hinterhopf, »er war so blass, dass er beinahe umgekippt wäre, also drückte er Lester den Brief in die Hand.«
»Lester? Oh je, da hätte er ihn lieber gleich an einen Troll weitergeben sollen, der hätte wenigstens noch etwas damit anfangen können. In Fetzen reißen, oder als Anzünder verwenden.«, das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust und Albus konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel nach oben schnellten. »Sie machen Winterurlaub in der Schweiz und da Thornton und ich zwar alt genug sind, man uns jedoch nicht für vertrauenswürdig erachtet, müssen wir hier bleiben. Thornton kann wenigstens noch zu einem von euch, aber so habe ich wenigstens meine Ruhe.«
»Und was ist mit euren Verwandten?«, wollte Albus wissen und dachte an das Weihnachtsfest zu hause und bei den Weasleys, das jedes Jahr gebührlich zelebriert wurde und an die Mengen von Braten und Stollen, die Oma Molly auffuhr.
Megcine zuckte nur mit den Schultern. »Ich verzichte dankend.«, damit beließ sie es dabei.
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Ihm behagte es ganz und gar nicht, wieder die Große Halle betreten zu müssen. Die Musik dröhnte zwar nicht mehr durch die Gänge, dennoch gab es hier und da noch ein paar Gestalten, die wild tanzend den entstandenen Platz zu nutzen wussten. Wieder andere saßen an den Tischen, lachten und tranken Punsch oder blickten apathisch und mit glasigen Augen von einer Ecke des Raumes in die andere oder bestaunten fasziniert die schwebenden Kürbisse und Kerzen und die verzauberte Gewölbedecke, über die gerade ein Blitz zuckte.Endlich entdeckte er Duncan, der sich mehr schlecht als recht mit einem Jungen aus Ravenclaw unterhielt. Von dem Satyr war nicht mehr viel zu entdecken, auch schien sein Versuch, positiv bei der Damenwelt Eindruck zu schinden, fehlgeschlagen zu sein. Weder erblickte er Lester, noch Thornton und von Scorpius fehlte gänzlich jede Spur.
»Babysitter«, zischte Megcine und trabte gemächlich auf einen der Tische zu, auf denen sie anscheinend noch etwas Essbares vermutete. Albus schüttelte nur das rabenschwarze Haupt, als er ihr nach sah und ging gemächlichen Schrittes auf Duncan zu.
»Albus«, johlte der Akins-Spross unwillkürlich, als dieser in sein Sichtfeld rückte. »Das ist Albus Severus Potter, einer meiner besten Freunde!« Lallend und gedehnt spie Duncan die Worte aus und der junge Mann neben ihm blickte teilnahmslos zu Albus auf. Cameron Krowler, einer der Jäger der Ravenclaws, nickte knapp und bemühte sich den philosophischen Ergüssen Duncans über Quidditch zu folgen. Kurz schweifte sein Blick über den Tisch und Albus wusste, in welchem Zustand sich sein Kamerad befand. Beim zwölften Becher, den er zählte, gab er es auf, die restlichen, auf dem Tisch verteilten Gefäße zu beziffern. Seufzend wandte er den Kopf in eine andere Richtung.
Mechanisch suchte er den Saal erneut nach seinen Freunden ab. Langsam schweifte sein Blick über die letzten Tanzwütigen, vorbei an den abstrusen Wesen, die jedoch nichts gruseliges mehr an sich hatten. Ein Kribbeln zog sich von seinem Rücken in den Nacken hinauf. Der Urheber dieses unangenehmen Gefühls war schnell auszumachen:
Scorpius blickte zu ihm herüber, als wolle er ihm sofort einen Fluch auf den Hals jagen. Genervt schnalzte Albus mit der Zunge und stiefelte langsamen Schrittes auf seinen Freund zu. Der blonde Junge mit den wild frisierten Haaren betrachtete sein Gegenüber abschätzig.
»Ich dachte, du willst dich amüsieren?«, fragte Albus und hielt dem Blick des Jungen stand.
»Kann ich nicht!«, erwiderte Scorpius kalt. »Die stört.« Mit einem Nicken deutete er auf Megcine, die in einiger Entfernung zu ihnen stand und noch immer die Überreste des Buffets inspizierte.
»Warum? Sie macht doch gar nichts.«, erklärte Albus und erntete nur eine skeptisch erhobene Augenbraue. »Warum bist du denn so verdammt nachtragend?«
»Nachtragend? Ich bin nicht nachtragend. Ihr habt also miteinander gesprochen? Was hat sie denn erzählt?«, verlangte Scorpius zu wissen und verschränkte, gebieterisch, die bemalten Arme vor der Brust.
»Nicht viel, nur dass du immer noch ziemlich wütend bist, da sie dich als Kind verhexte.«, Albus ahnte nicht, welcher Gedanke sich soeben im Gehirn seines Freundes manifestiert hatte.
»Verhext, ja? Beinahe umgebracht hätte sie mich!«, zischte der junge Malfoy.
»Dramatisierst du da nicht etwas?«, hakte Albus nach und wusste nur zu gut, wie sehr Scorpius zur Übertreibung neigte. »So schlimm wird es ja wohl nicht gewesen sein.«
»Nicht schlimm? Ich lag zwei Wochen im St. Mungo.«, verteidigte sich Scorpius und blieb bei der Version seiner Geschichte.
»Wie alt ward ihr? Fünf?«, wollte Albus wissen und schüttelte den Kopf über so viel Irrsinn. »Sie wusste bestimmt nicht einmal, was sie tat.«
»Nimmst du sie in Schutz? Die Kleine ist falscher und hinterlistiger als wir alle zusammen!«, beschwor ihn Scorpius und wirkte in seinem Stolz verletzt, da ihm nicht einmal sein bester Freund glaubte. »Sie hat mich eiskalt durch die Luft fliegen lassen, dieses Biest! Und als sie mich wieder herunter ließ, tat sie das natürlich über Großvaters Goldfischteich. Lungenentzündung. Wir hatten Januar und der Arzt meinte, dass ich das fast nicht überlebt hätte! Aber meine Rache werde ich noch kriegen.«
»Du strafst sie mit Spott und Nichtachtung, reicht dir das nicht?«, leise Verzweiflung kam in ihm auf, als Albus den Jungen bat, endlich mit dem Schwachsinn und den Rachegelüsten aufzuhören.
»Sie hat dich verflucht!«, Wut wallte in Scorpius' Stimme auf.
»Sei nicht albern!«, knurrte Albus, doch der junge Mann ließ sich nicht beirren, geschweige denn läutern. Ein beunruhigendes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit, als er Scorpius dabei zu sah, wie dieser seine Umgebung nach etwas absuchte. Als er es fand, legte sich ein hinterlistiges Grinsen auf seine Lippen.
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Kurz verschwand er und Albus schwante Böses, denn wenn Scorpius etwas besonders gut konnte, dann waren es Rachepläne schmieden, deren Erfolge für sich sprachen. Keine zwei Minuten später, war wieder bei ihm mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht. In der Hand des Jungen verweilte ein Gefäß, dessen Inhalt golden schimmerte und einen stark-alkoholgetränkten Geruch verströmte.»Da du meine Kunst allem Anschein nach nicht zu würdigen weißt, muss ich mir eben jemand anderen suchen.«, damit hielt er den Becher in die Höhe und Albus konnte nichts weiter tun, als an dem Kloß in seiner Kehle zu schlucken. Gerade wollte er protestieren und Scorpius den Becher entwenden, als dieser ihn aufhielt. »Warte, ich will etwas ausprobieren.«, meinte Scorpius mit einem beinahe bösartigem Lächeln auf den Lippen. »Hey, Megcine.«
Das Mädchen hörte, wie jemand ihren Namen rief, blickte sich kurz suchend um und erkannte ihren Cousin, der sie unter Winken aufforderte, zu ihm zu kommen. Megcines Gesicht zierte Vorsicht, dennoch ließ sie es nicht anmerken, dass ihr die Situation alles andere als geheuer schien.
»Warum lässt du sie nicht einfach in Ruhe?«, zischte Albus ergeben und konnte das Unverständnis im Blick seines Freundes nur allzu deutlich erkennen. Scorpius hielt ihn für verrückt, in die Bresche für dieses Mädchen springen zu wollen.
»Warum sollte ich?«, fragte er knurrend und grinste wieder, als Megcine vor ihm zum Stehen kam.
An Sinneswandel und Bekehrung war in diesem Augenblick nicht zu denken. Scorpius würde seine Rache bekommen und das Gefühl des Siegs und Triumphs würde berauschender sein als jeder Drink und jedes Mädchen, das je gehabt hatte.
»Mein Freund Albus hier, hat mich davon überzeugt, dass ich unsere momentane und vergangene Situation noch einmal überdenke.« Albus schluckte bei den vor Falschheit strotzenden Worten.
Unruhig ließ er den Blick zwischen dem arrogant grinsenden Scorpius und der etwas ratlos dreinblickenden Megcine hin und her schweifen. Er hoffte, dass Megcine die Lüge, die sie in großen Letten anschrie, entlarvte.
»So?«, hakte sie nach und sah von ihrem Cousin zu Albus, dem alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war.
»Ja, und als Friedensangebot dachte ich, dass wir gemeinsam den Rest des Abends ohne Zank und Streit verbringen könnten. Natürlich nicht ohne auf meine Großzügigkeit dir gegenüber anzustoßen. Hier.«
Mit einer erhobenen Augenbraue und einem erhabenen, herausfordernden Grinsen reichte er ihr den mit der Spezialmischung versetzten Punsch. Scorpius noch immer fixierend, griff Megcine nach dem Becher und setzte ihn an ihre Lippen.
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