Alle Kinder hassen Gemüse, oder? Na ist doch so. Und alle, die jetzt den Kopf schütteln, schwindeln, aber gewaltig!
Der kleine Kristoff Jänner jedenfalls hasste Gemüse – fast so sehr wie seinen Zahnarzt, Medizin nehmen oder Zähneputzen.
Seine Oma versuchte jeden Mittag auf’s Neue, den unwilligen Esser davon zu überzeugen, wenigstens einen Happen zu nehmen.
Doch so stur die Oma es versuchte, so stur weigerte sich der Achtjährige.
»Wenn du nicht regelmäßig deine Erbsen und Möhren isst, wirst du als Erwachsener eine Brille brauchen«, argumentierte die alte Dame.
»Wenn ich groß bin, kaufe ich mir ein paar neue Augen«, konterte der Junge – und schob das Gemüse unangetastet beiseite.
»Wenn du deinen Spinat nicht aufisst, kannst du nie so stark wie Popeye werden.«
»Popeye ist nicht stark, der ist gedoped!«
Diese Diskussionen erfolgten bei so ziemlich jedem Mittagessen und Kristoffs armes Gemüse blieb immer ungeliebt auf dem Teller zurück.
Nun war die alte Dame aber nicht dumm und merkte wohl, dass ihr schlauer Enkel Vergnügen an den Zankereien hatte.
Sie überlegte sich einen cleveren Plan und begann bereits beim nächsten Mittagessen mit der Umsetzung.
Während der kleine Kristoff gerade seine Schultasche in sein Zimmer brachte, tat die Oma das Essen auf. Ein paar Kartoffeln, ein kleines Stück Fleisch, ein Klecks Soße – das Mischgemüse mit den hell leuchtenden Möhren ließ sie weg.
Spitzbübisch grinsend beobachtete sie den kleinen Jungen, als dieser platznahm. Seine blauen Augen blitzten von seinem Teller auf den der Oma, er erkannte den Unterschied und seine Lippen zuckten. Leicht nur, doch die Oma bemerkte es.
»Na dann guten Appetit, Krissi«, kam es mit einem Lachen von der alten Dame, die genüßlich die Karotten verzehrte.
Sichtbar unzufrieden über den ausgebliebenen Gemüsestreit schob Kristoff sich die Gabel in den Mund.
Wenn er seiner Oma nicht sagen konnte, warum er das Zeug nicht essen wollte, war das Mittagessen ja mal voll langweilig!
Die Oma, entspannt wegen der fehlenden Diskussion, räumte einige Minuten später ihren Teller in die Spüle und ließ den immer noch brummigen Jungen in der Küche allein.
Kristoff schob den letzten Happen Fleisch zwischen die Zähne und merkte, wie seine Augen immer wieder zu dem kleinen grünen Topf mit dem Blumenmuster wanderten. Oma kochte darin immer das Gemüse und er konnte riechen, dass noch etwas davon übrig war. Er roch die Butter, die auf den Erbsen zerlaufen war.
Leise schob er den Stuhl zurück und trat an den Herd heran. Sich umsehend, ob auch niemand guckte, hob er den Deckel an und ein Schwall dampfiger Luft, die nach Butter und süßen Möhren duftete, drang ihm entgegen.
Einmal kosten würde ihn nicht umbringen, oder?
Mit Omas Rührlöffel fischte er ein paar Erbsen und Möhren raus. Er verbrannte sich den Mund, doch der süße Geschmack der Möhren und der gesalzenen Butter machte das wieder gut.
Wieder und wieder schob er sich neues Gemüse in den Mund und kaute mit vollen Backen.
Er schrak heftig zusammen, als er seine Oma lachen hörte, drehte sich vom Herd weg und wollte den Löffel hinter seinem Rücken verstecken. Doch dabei blieb er an dem Griff des mittlerweile leeren, aber noch immer heißen Topfes hängen. Dieser fiel runter, auf Kristoffs nur bestrumpfte Füße und die heiße Butter verbrühte ihn.
Erschrocken darüber, dass er beim Naschen erwischt wurde, durch den Lärm des fallenden Topfes und den Schmerz durch die heiße Butter, fing er an zu weinen und ließ den Löffel fallen.
Halb lachend, halb besorgt umarmte die Oma ihn, hob ihn aus dem Chaos und trug ihn in das Badezimmer, wo sie seine mit Butter bespritzten Füße kühlte.
»Oma, können wir heute Abend wieder Karotten haben?«, fragte Kristoff kleinlaut.
»Haben sie dir doch geschmeckt?«
Der kleine Junge nickte verlegen und wischte sich die verheulten Wangen trocken.
»Dann können wir natürlich. Du bist mir schon selbst so eine Karotte.«
Seine Oma vergaß bald, dass sie ihn “Karotte” genannt hatte, doch Kristoff tat es nicht. Ihm gefiel der Spitzname viel besser als das alberne “Krissi”, was seine Oma immer sagte. Und so begann das systematische Umerziehen der Oma, die sich langsam daran gewöhnte, auf taube Ohren zu stoßen, wenn nicht der richtige Spitzname benutzt wurde.
Und so wurde Karotte zu einer Karotte.