Sie stehen an der Ecke Alexanderplatz, der Weihnachtsmarkt ist keine dreihundert Meter entfernt. Hier kommen viele Leute vorbei und sie verteilen Flugblätter, denn sie wollen sich Gehör verschaffen. Sie, das sind zwei junge Männer, die sich der evangelischen Organisation „Wuestenstrom“ verschrieben haben. Gezielt sprechen sie gleichgeschlechtliche Paare an. Um sie davon zu überzeugen sich einer Therapie zu unterziehen, die ihnen ein normales, heteronormatives Leben ermöglicht. Sie versprechen eine mögliche Heilung. Eine Heilung der Krankheit Homosexualität.
Dürfen die das? Das ist vielleicht die erste Frage, die man sich stellt. Schließlich wurde ‚Homosexualität‘ schon in den 90er Jahren vom ICD-10 gestrichen und ist somit keine anerkannte Krankheit mehr. Um diese vorangestellte Frage gleich einmal zu beantworten: Ja, sie dürfen. Denn in Deutschland gibt es kein Verbot gegen sogenannte Ex-Gay Therapien. Bevor wir uns aber gleich dem historischen Kontext dieses Themas widmen, möchten wir uns zunächst einmal mit einer wichtigen Definitionen bekanntmachen, die im Hinblick auf den weiterführenden Artikel als wichtig erscheint.
Zwei Wörter sind in diesem kurzen Artikel bereits mehrfach gefallen, das eine lautet ‚Ex-Gay‘ das andere ‚Homosexualität‘. Für uns zunächst von Bedeutung ist das Letztere.
Homosexualität: bezeichnet eine sexuelle Orientierung, bei der das sexuelle Verlangen auf Personen des gleichen Geschlechts gerichtet ist. Quelle: VLSP
Eine weitere Definition, nämlich die zu dem Begriff ‚Ex-Gay‘ sparen wir uns für einen späteren Zeitpunkt auf. Widmen wir uns also zunächst dem historischen Aspekt.
Homosexualität und Geschichte
In der Antike, sowohl bei den Römern, als auch bei den Griechen, noch bevor es den Begriff Homosexualität überhaupt gab, waren Beziehungen zwischen zwei Männern gesellschaftlich im Allgemeinen durchaus akzeptiert. Allerdings gab es eine klare Vorstellung für diese Beziehungen: Ältere Männer durften Beziehungen mit Jüngeren unterhalten. Bei dieser Art von, vorrangig sexuellen, Beziehungen ging es oft um die Ausübung von Macht. Das Verhältnis der Männer wurde zumeist von einem Lehrcharakter geprägt. Beziehungen zwischen Männern gleichen Alters waren hingegen ungern gesehen. (vgl. Hubbard, 2003, S. 8f.)
Im Mittelalter wiederum standen Beziehungen zwischen Männern, je nach Schweregrad der Ausübung unter Todesstrafe. Zu jener Zeit wurde der Begriff Sodomie geprägt.
Dieser Faden zieht sich weiter durch die Geschichte. Homosexualität wird, vor allem aus religiöser Sicht, als wider die Natur angesehen und steht somit unter Strafe. In den 40er Jahren, der Begriff Homosexualität ist mittlerweile etabliert, während des Nationalsozialistischen Regimes in Deutschland stand nach dem Paragraphen 175 bereits der Verdacht auf homosexuelle Handlungen, hierzuzählten schon auffällige Blicke, unter (Todes)Strafe. Hingegen zuvor in der Weimarerepublik wurden nur beischlafähnliche Tätigkeiten verfolgt. Aber immer gilt: Homosexuelle haben Verfolgung und Tod zu fürchten, sofern sie sich zu ihrer Liebe bekennen.
In den 50er Jahren bis hin in die 90er Jahre blieb der Paragraph 175 in Kraft.
Im ICD-10(Kürzel 302.0) stand Homosexualität als psychische Krankheit eingetragen. Mit der „Anerkennung“ der Homosexualität als Krankheit entstanden auch die sogenannten Elektrokonvulsionstherapien für Homosexuelle.
Ihren Ursprung haben diese, in dieser Art genutzen, Therapien im Amerika der 50er Jahre. Die Elektroschocks wurden in der Aversionstherapie angewandt um „Homosexuelles begehren“ mittels einer negativen Assoziation, also den Elektroschocks, abzutrainieren und „Heterosexuelles Begehren“ durch Ausbleiben eben dieser Konsequenz zu bestärken. Diese Therapien, die als einzige Heilung gegen die „Krankheit“ galten, fanden bald ihren Weg nach Deutschland.
Zwar wandelte sich das Verständnis für Homosexualität in den 70er Jahren zunehmend und die Therapien wurden nach und nach abgeschafft, allerdings gibt es bis heute Gruppen, die nach Heilung für Homosexuelle streben. Diese Gruppen gehören der Ex-Gay Bewegung an.
Hierzu eine kleine Definition:
Ex-Gay-Bewegung: eine Anzahl von meist religiös motivierten Gruppierungen, die eine Veränderung der homosexuellen Ausrichtung von Menschen für möglich und erstrebenswert halten, und diese Veränderung mit Konversionstherapien, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit fördern und bekannt machen wollen. Quelle: Queer.de
Ex-Gay und Konversionstherapien
Aber wie stellt sich die Ex-Gay Bewegung die Heilung von Homosexualität vor? Dafür muss ein wenig ausgeholt werden. Die eigentliche Frage lautet zunächst also: Welches Bild hat die Ex-Gay Bewegung von Homosexualität? Das wird schnell klar, wenn man sich einmal die Literatur von Anhängern der Bewegung, wie Richard Cohen, zu Gemüte führt. In seinem Buch „Ein anderes Coming-Out“ beschreibt der ehemalige Psychotherapeut welche Gefahren er in Homosexualität sieht und vertritt die These, dass Homosexualität aus Not und Missbrauch entsteht. Des Weiteren gibt er einen Einblick dahingehend, wie die eigene Homosexualität durch die Zuwendung zu Gott und Konversionstherapien überwunden werden kann. (vgl. Cohen, 2001)
Bei den sogenannten Konversionstherapien wird, ebenso wie ehemals bei der Aversionstherapie bei Homosexuellen, versucht die Homosexualität durch ein heteronormatives Begehren zu ersetzen. Allerdings ist man dazu Übergegangen statt Elektroschocks mit Seminaren und psychologischen Therapiesitzungen zu arbeiten, da, wie in Cohens Werk zu lesen, die Mediziner der Ex-Gay Bewegung davon ausgehen, Homosexualität entstehe, ähnlich einem Trauma, aus einer (emotional)belastenden Situation heraus. Solche Therapien werden auch Reparativtherapien (engl. reparative therapy) genannt. Der Name leitet sich von der Annahme ab, Homosexuelle Menschen würden mit ihrer sexuellen Orientierung versuchen sich selbst zu ‚reparieren‘. In therapeutischen Gesprächen, so die Annahme, geht man den Ursachen ihrer Homosexualität auf den Grund und führt so durch eine Aufarbeitung des Geschehenen zurück zur Heterosexualität. (vgl. Ellis, 1965)
Ist der Erfolg solcher Therapien wissenschaftlich belegt? Hier lautet die Antwort klar: Nein. Im Gegenteil, wissenschaftlich belegt ist die Unwirksamkeit solcher Therapien.
Verbot von Ex-Gay Therapien
Eben deshalb werden die Stimmen gegen solche Therapien immer lauter. In Amerika sind Ex-Gay Therapien, bis auf im Bundestaat Kalifornien, dieser beschränkt sich allerdings nur auf Minderjährige, nicht verboten. Für Deutschland gilt das gleiche. Das Bündnis 90/ Die Grünen legte erstmals 2013 eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung solcher Therapien vor, welche im März 2018 vom Europäischen Parlament befürwortet wurde aber nicht umgesetzt wird. (vgl. Bundestag: 18. Wahlperiode)
Ein Blick in die Zukunft
Betrachten wir abschließend noch einmal die Fakten:
Homosexualität ist keine Krankheit, alleine deshalb schon, sollte ein jeder stutzig werden, wenn das Wort Therapie fällt, denn das Wort Therapie suggeriert: Jemand ist krank und braucht Heilung. Fakt ist auch, die negative Wirkung von Konversionstherapien ist im Gegensatz zur Aussage der Ex-Gay Bewegung sogar wissenschaftlich belegt. Nicht ihre Homosexualität schadet den Jugendlichen und Erwachsenen, sondern der Umgang mit dieser in der Gesellschaft. Noch schlimmer: die vorgeblich hilfreichen Konversionstherapien schaden den, zum Teil noch minderjährigen, Betroffenen noch weitaus mehr, denn sowohl eine ‚erfolgreiche‘ als auch eine ‚nicht erfolgreich‘ abgeschlossene Therapie können schwere psychische Schäden, wie zum Beispiel Depressionen und Angststörungen nach sich ziehen. Wir müssen aufwachen, sowohl gesellschaftlich als auch politisch. Solche Therapien gehören nicht nur abgeschafft, wir müssen auch beginnen umzudenken. Es gibt mehr als eine Sexualität und das müssen wir nicht nur akzeptieren sondern Leben und der beste Weg damit anzufangen ist geschlechtssensible Pädagogik, die schon die Jüngsten unter uns betrifft und die erste Basis für ein neues Gender-Bewusstsein schafft. Liebe ist Liebe und davon hat unsere Welt ohnehin schon zu wenig.
Literaturquellen:
Cohen, Richard (2004): Ein anderes Coming Out. Homosexualität und Lebensgeschichte - Orientierung für Betroffene, Angehörige und Berater. Brunnen Verlag, 2. Auflage
Ellis, Albert (1965): Homosexuality: its causes and cure. New York, 1.Auflage
Hubbard, Thomas K. (2003): Homosexuality in Greece and Rome. Kalifornien, University of California Press, 1. Auflage
Hrsg.: Deutscher Bundestag (2018): Statement zur 18. Wahlperiode, Bundesanzeiger Verlag, PDF
Web-Literatur (Stand: Oktober 2018):
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/113/1811334.pdf