Cyberdoggo saß mit Sonnenbrille auf der Schnauze an der Ecke des letzten Diners vor dem Industrial District 4. Smog verdeckte nicht nur den Blick in den Nachthimmel, sondern auch auf die Skyline auf der gegenüberliegenden Seite des Randy Rivers, der nicht nur durch die anhaltende Schifffahrt völlig verdreckt wurde, sondern auch durch ansässige Firmen, die seit der anhaltenden Korruption der Umweltschutzbehörde kaum mehr an Abwasservorschriften gebunden waren.
Cyberdoggo wusste das und es stank ihm, im wahrsten Sinne des Wortes. In der Nähe des Diners war es aber noch auszuhalten. Zumindest übertünchte der Geruch von altem, wiederverwendeten Bratfett in den Fritteusen und zuckersüßen Milchshakebechern im Mülleimer die vorbeifließende Brühe. Der heiße Sommer trug allerdings sein übriges dazu bei, dass die Gerüche schnell übel wurden.
Bald würde er die nötigen Credits zusammengekratzt haben, um sich beim Malachitmann das nächste Implantat zu gönnen. Dieses Mal würde er sich endlich den Riechblocker für die Schnauze einsetzen lassen, das er immer wieder hinausgezögert hatte, weil andere Verbesserungen wichtiger waren. Wie das silberblaue Adamantgebiss, mit dem er nicht nur sämtliche legierte Prothesen mühelos knacken konnte, sondern auch eine breite Palette von Metallen oder Stein. Krallen aus Titan rissen fürchterliche Wunden ins Fleisch seiner Feinde, halfen aber auch bei Klettereinsätzen über Zäune oder beim Graben durch die toxisch verkrusteten und mit Chemikalien verseuchten Untergründe der Stadt.
Neben anderen Spielereien wie dem Plasmaschneider in der Schwanzspitze oder den doppelt verstärkten, kugelsicheren Rippenpanzer wurde es endlich Zeit für den Riechblocker. Der Malachitmann verlangte dafür eine horrende Summe, denn die benötigten Teile waren teuer und nur schwer zu beschaffen. Überhaupt zählte der Wolf zu den eher selteneren Kunden bei den Implant Docs.
Mit einer Pfote richtete er seinen rosa Irokesen, prüfte in seiner Sonnenbrille die Uhrzeit. In vier Minuten sollte sein Kontakt Ludvig auftauchen, möglichst mit einer guten Nachricht, die ihm eine weitere Spur aufzeigen sollte. Explizit hatte er ihm mitgeteilt, dass synthetische Gerüche aus Polizeiakten ihn nicht weiterbringen würden. Für derartige Fälle mussten es schon echte getragene Kleidungsstücke sein.
Cyberdoggo blinzelte. Sein linkes Augenimplantat hatte in den letzten Tagen eine Fehlfunktion entwickelt, die sich der Malachitmann dringend ansehen sollte. Die einzelnen Menüs wurden abends körnig, flackerten hin und wieder gar, was die Nachtsicht mindestens erschwerte, wenn nicht sogar negativ beeinflusste. Möglicherweise verursachte die Sommerhitze diese Fehlfunktion.
In seinem Kopf spielte die Titelmelodie von ›The Good, the Bad and the Ugly‹, einem uralten Film, den keiner mehr kannte. Er hatte das Lied vor einigen Tagen in seinem Bau aufgeschnappt, als es im Radioprogramm ›Scheiss, der zehn mal so alt ist wie du‹ lief. Er drehte sein rechtes Ohr nach rechts, um den Anruf anzunehmen.
»Ja, Ludvig?«
»Cyberdoggo, ich werde mich leider etwas verspäten. Hier ist mieser Stau. Ich glaube im District ist eine Sumpfbombe hochgegangen.«
»Diese verdammten Swamp Surfers machen echt Ärger. Kannst du was sehen?« Der Wolf schlenderte unter lautem Klackern seiner Titankrallen hinter den Diner, setzte sich in die Lieferanteneinfahrt eines kleinen Lebensmittelgeschäfts.
»Warte, ich streame.«
Der Wolf empfing auf seinem rechten Auge eine brauchbare Übertragung der Situation. Teile der Straße samt Leitplanke waren zerstört. Signallichter von kombinierten Einsatzkräften tauchten den abgesperrten Straßenabschnitt in eine Lichtshow aus blauen und roten Farben. Dampfender grüner Schleim klebte an Krater, Brocken und am Wrack eines Transporters, den die Druckwelle auf ein Siechfeld geschleudert haben musste.
»Was für ein Transporter ist das? Zoom mal ran. Ah, verstehe. Ein autonom fahrende Truhendrohne. Kannst du sehen, was sie geladen hatte? Ich verwette meinen letzten Brotchip, dass es Smaragde waren.«
»Futterst du den Kram immer noch?«
»Kommt man schwer von los, wenn man einmal angefangen hat.«
»Shiiiiet. Ja, ich geh näher ran, Moment. Wenn es nur nicht so heiß wäre. Der Asphalt schmelzt meine Schuhsohlen. Verdammter Smog.«
Cyberdoggo war dankbar über gefühlsechte Pfotenballen aus Superfilm Kicks 92 Mark 2b. Selbstreinigend, wasserabweisend.
»Und?«
»Warte, ich scanne den Code.«
Urdoggo sah, wie eine völlig verzogene Lade an der Seite des Wagens aufklappte, auf deren Innenseite ein Smaragd abgebildet war.
»Tja, eigentlich hätte ich jetzt einen Smaragd bekommen. Aber du hattest recht!«
»Danke, dass du deine tägliche Truhe dafür geopfert hast.«
»Nicht schlimm, die Nachttruhe verpenne ich eh meistens.«
»Zu gerne wüsste ich, was die mit all den Smaragden anstellen wollen.«
»Verdammter Mist!«
Cyberdoggo sah auf. »Was ist?«
»N paar Typen mit Plasmaknarren tauchen hier auf. Die ballern auf die Cops!«
»Zeig her!« Der Wolf sah Kerle in dunklen Westen mit den menschenarmlangen Sturmgewehren, deren Läufe vor jedem Schuss violett aufglühten. »Das sind Z96! Man, ich hasse diese Dinger.«
»Oh Shit! Die schießen auf mich!« Im Videofeed schlugen mehrere Geschosse in Ludvigs Auto ein. Er duckte sich hinter der Ladefläche.
Der Wolf ging aus der Einfahrt zurück auf die Straße. »Wie weit bist du weg?« Im selben Moment überstrahlte grelles Weiß das Video. Cyberdoggo erkannte glühende Teile über den Dächern in der Ferne, die durch eine Explosion in die Luft geschleudert wurden. Kurz darauf hörte er einen lauten Knall. Alarmsysteme von Autos und Geschäften heulten los. »Bin unterwegs!«
Cyberdoggo fiel sofort in den Sprint, drehte sein linkes Ohr nach außen, um Zusatzimplantate durchzuscrollen. Diesmal musste es der Speedboost sein. Der würde ihm am nächsten Tag einen fürchterlichen Muskelkater bescheren, doch gegen Schusswaffen gab es nur ein Mittel: Geschwindigkeit. Mit einem Lauscherwink bestätigte er die Auswahl. Tapfer ertrug er die Injektionen durch winzige Ampullen unter seiner Haut.
Bald darauf fühlte er zusätzliche Kraft und Ausdauer, die er sofort auf die Straße umsetzte. Die Titankrallen bohrten sich bei jedem Schritt in den weichen Asphalt. Seine Sprünge wurden weiter. Die Hinterläufe drückten sich kräftiger vom Boden ab. Menschen schreckten auf, riefen ihm mit erhobener Faust nach. Mit einem Satz sprang er auf ein Auto in der Mitte einer Kreuzung, was tiefe Furchen im Blech und einen erschrockenen Fahrer hinterließ. Er sprengte weiter nach vorn, krallte sich an einem Bus fest und kletterte aufs Dach. Von dort machte er einen Satz auf eine überdachte Imbissbude und sprang weiter in die nächste Straße hinein.
Durch einen Knurrer schob sich das Adamantgebiss über seine Zähne. Er konnte den Feind riechen. Zwei Kreuzungen weiter bog er ab, sah von dort bereits das Siechfeld. Violette Strahlen durchzuckten die Nacht. Sirenen und Geschrei überfluteten das Feld.
Mit einem Satz überquerte er die Ecke einer Kreuzung und stürmte weiter auf den Stau zu. Er flog über Autodächer hinweg, bis er die ersten glühenden Gewehrläufe sah.
Mit einem weiten Sprung und geöffnetem Maul warf sich Cyberdoggo einem Gangster entgegen, der dem kauernden Ludvig gerade eine Salve verpassen wollte.