„Hast du geübt?“
Seine Stimme vermochte es, dass sich ihre Nackenhaare sträubten. Lad wirbelte herum und blickte in die dunklen Augen des Elfs, der ihre Finger schwitzig werden ließ.
„Du?“, brachte sie heraus und lächelte verlegen. Ihre Zunge fühlte sich bleischwer an. Auch an diesem Tag hatte sie ein Tuch um ihren Kopf geschlungen und behielt ihre spitzen Ohren verborgen vor der Welt und somit auch vor ihm.
„Ich wusste nicht, dass du mir in den Westen folgen würdest, Lys Feu. Hast du mit dem Schwert geübt, wie ich es dir gezeigt habe?“, er beugte sich vor, um sie eingehend zu mustern.
Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten. Sie brannten regelrecht. Rasch senkte sie den Blick und sein raues Lachen klang an ihre Ohren.
„Ja, ich habe geübt“, nuschelte sie und wagte es kaum den Blick zu heben. Mit seiner schlichten Feststellung, hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie fühlte sich wie ein Kind, dass man erwischt hatte, wie es etwas Verbotenes tat, weil sie ihm gefolgt war. Es war eine Weile her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte. Xantha hatte seither die Rolle ihres Übungspartners übernommen, doch war ihre Freundin niemand, der kämpfen gelernt hatte. Warum sollte eine Frau, die ihr Leben mit Gelegenheitsarbeiten finanzierte, auch kämpfen wie ein Mann für den Krieg? Lad wusste, dass sie es nur ihr zu Liebe tat.
Seine Hand legte sich an ihre Schulter, „Dann zeig mir, wie gut du geworden bist.“
Wie von allein bewegten sich ihre Füße. Sie folgte ihm die Landstraße, die aus dem Dorf herausführte, in dem Xantha und sie zur Zeit Arbeit gefunden hatten, entlang und zum Wald. Dabei ließen sie die Felder, denen Lad zugeteilt war, neben sich liegen.
Tausend Fragen schossen durch ihren Kopf. Was empfand er ihr gegenüber? War er beeindruckt, dass sie ihm aus der Wüste heraus folgte? Dachte er, sie wäre verrückt, ihm nachzulaufen? Für den Moment, den sie hier neben ihm ging, verdrängten diese Fragen, die andere, die sie sich tagtäglich stellte: War Xantha ihr böse, dass ihr Leben nicht mehr gesichert war, sondern ein stetes auf und ab?
Sie hatte Xantha damals bei der Hand genommen und in ein Abenteuer hineingezogen, das weniger ergiebig war, als sie gedacht hatte. Sie hatte ihr versprochen, sie in eine grüne Wildnis zu entführen und das hatte sie getan. Doch statt einer festen Unterkunft zu finden, schlugen sie sich von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Immer auf der Suche nach einer Arbeit. Oft schliefen sie im Freien. Beeren, Wurzeln und Früchte, die ihnen die Natur schenkte, bildeten ihre Grundnahrung auf ihren Wegen.
Ihr Gewand war durch karge Nahrung weiter geworden und sie hatte kaum Zeit gehabt, richtig zu üben. Wenn sie Arbeit fanden, war es meist auf den Feldern und nach einem langen Tag, waren sie müde und dankbar, wenn sie auf Stroh schlafen konnten. Nie hatte Xantha ihr einen Vorwurf gemacht oder sie mit bösen Blicken gestraft. Es schien, als könne dieses friedliche Gesicht, neben dem sie aufwachte, nie jemanden Böse sein und trotzdem fragte sie sich genau das.
Nun blickte Lad zu ihm auf und bemerkte, dass er sie längst ansah und ihr ein Lächeln schenkte. Prompt sah sie zur Seite und er hob leicht eine Braue. Wo war das Mädchen, das darauf gebrannt hatte, sich jeden Tag mit ihm zu messen?
Er hielt inne, als sie einen Platz zwischen den Bäumen erreichten, der ihm ideal schien. Wortlos reichte er ihr sein zweites Schwert und sah zu, wie sich ihre Finger darum schlossen. Kratzer und Risse auf der Haut zeugten von der Feldarbeit, die sie verrichtete.
„Du arbeitest hart“, er konnte nicht anders, als Mitleid mit ihr zu haben, „Bist du bereit?“ Seine Finger umschlossen den Knauf des Schwertes kräftig. Er positionierte sich vor ihr und winkte ihr mit der freien Hand, den Anfang zu machen.
Kurz sah er ein Zögern in ihrer Haltung. Sie war nervös, doch dann spannten sich ihre Muskeln an und ihr Blick wurde fest. Entschlossenheit lag darin und seine Mundwinkel zuckten leicht. Da war es wieder. Das Mädchen, das er in der Wüste getroffen hatte. Forsch und bereit zuzuschlagen.
Lad hatte sich gesammelt und griff ihn nun an. Spielerisch parierte er ihren ersten Schlag und zog sie langsam in einen Tanz der Klingen. Vollführte mit ihr eine Kreisbewegung. Er konnte sehen, wie ernst es ihr war und wie sehr sie sich bemühte.
Seiner Einschätzung nach war sie mit kleineren Waffen sicher noch immer besser als mit einem Schwert. Immer wieder zuckte ihre freie Hand oder schloss sich um das Heft. Sie suchte offensichtlich Halt. Eine zweite Waffe.
Minutenlang fochten sie und der Schweiß stand auf der dunklen Haut seiner Stirn. Ihre Angriffe wurden zunehmend aggressiver. Er sah die Ungeduld in ihrer angestrengten Miene. Dies sah er als Zeichen, dass es soweit war, es zu beenden. Geschwind drehte er sich mit ihr und drückte sie gegen einen Baum. "Du bist ungeduldig und dann schwindet auch deine Konzentration", schmunzelte er und hielt ihr Handgelenk fest im Griff.
Schnaufend sah sie ihm ins Gesicht. Ihre Finger gaben seiner Berührung nach, als er sie vom Schwert nahm.
Sie sank am Stamm des Baumes hinab und blieb keuchend im Gras sitzen. Alles hatte sie gegeben, um zu zeigen, dass sie nichts vergessen hatte.
„Wie ist dein Name?“, sie sah ihn von der Seite her an, befeuchtete ihre trockenen Lippen. „Es ist besser, wenn du ihn nicht kennst, Lys Feu“, entgegnete er und der Tonfall seiner Stimme, ließ sie wissen, dass sie besser nicht weiter fragte. Zu gern hätte er es ihr gesagt. Irgendetwas an ihr war es, dass ihn vergessen ließ, dass sie jemand war, den sein Volk nicht mit Wertschätzung achtete. Im Gegenteil. Menschen waren als Diener gerade noch brauchbar, doch etwas an ihr war anders. Vielleicht die Tatsache, dass sie keine Angst vor ihm hatte und er ihr Potential zum Kämpfen erkannte.
Er ließ den Blick auf ihr ruhen. Bedauerte einen Augenblick, dass sie nicht so lange leben würde, wie einer seiner Art. Dann wandte er sich ab und schüttelte leicht den Kopf. Was war er nur für ein Dummkopf, wenn er so dachte.
Langsam ließ er sich neben sie sinken, streifte einen Handschuh ab und griff nach ihrer Hand. Die Schwielen daran hatten teils Blasen gebildet, die ihr sicher wehtun mussten. Ihr Gesicht verzog sich, als er darüberstrich.
„Du musst sie kühlen und behandeln. Auch die Kratzer beachten. Sie könnten sich entzünden und dir noch mehr wehtun“, er streckte vorsichtig ihre Finger. Lange, feingliedrige Finger, die nicht für die Arbeit eines Bauernmädchens gemacht waren.
Ein Zucken verriet ihm, dass sie die Hand zurückziehen wollte, doch er hielt sie fest. Spürte die Wärme ihrer Haut und drehte den Kopf zu ihr. Lads Wangen glühten.
„Das weiß ich alles“, erwiderte sie beinahe flüsternd.
Erstaunt hob er die Augen. War sie derart außer Atem von ihrem Training oder warum verhielt sie sich ihm gegenüber so seltsam? Eine Antwort suchend fing er ihren Blick auf und versank in den grauen Teichen. Es war ein eigenartiges, warmes und fremdes Gefühl, das ihn durchfuhr.
Er kannte die Kälte, den Hass, das Feuer, das Zorn oder ein guter Kampf in einem weckte, doch dieses Mädchen vor ihm löste etwas Anderes aus. Wie eine Motte vom Licht, wurde er von ihr angezogen. Bisher war alles ein Spiel gewesen. Ein paar Übungen mit dem Schwert und Dolchen, die er ihr beibrachte, da er ihren Kampfgeist gesehen hatte am ersten Tag in der Wüste. Ein Geist, der noch nicht geweckt war. Jung und ungeformt. Er wollte diesen nutzen und lehren. Warum genau sie, hatte er sich bereits gefragt, doch irgendetwas sagte ihm, dass er es tun müsse.
„Wieso bist du nicht in Acolan geblieben? Dort sahen deine Hände nie so aus und du warst nicht so... mager“, durchbrach er die eingetretene Stille zwischen ihnen.
Lad zuckte leicht mit den Schultern „Wir verloren die Arbeit. Meine Freundin Xantha und ich“, sie legte den Kopf leicht in den Nacken, „Der Wirt hat günstigere Arbeitskräfte gefunden und die Betten, die wir besetzten, wollte er auch wiederhaben. Es gab also keinen Grund mehr für uns zu blieben.“
„Aber es war eure Heimat?“, er ließ ihre Hand langsam los, „Wenn zwei Frauen sie verlassen, ist das doch ein hohes Risiko.“
„Xantha hat ihre Familie bereits vor langer Zeit verlassen und ich stamme nicht aus Acolan. Ich komme aus einer grünen Gegend. Sie nahm ich mit, weil ich ihr die Wälder zeigen wollte. Den Duft, den sie haben. Das Gras unter den Füßen und die Bäche, die den Durst stillen.“, sie brach ab und sah aus den Augenwinkeln zu ihm. Ein breites Grinsen auf den Lippen. „Nicht, dass du denkst, ich wäre dir den ganzen Weg gefolgt, Elf.“
Nun war es an ihm aufzulachen, „Niemals wäre ich auf diese Idee gekommen. Ich dachte nur nicht, dass jemand wie du so einen langen Weg voller Gefahren auf sich nimmt oder mehr kennt, als sein Zuhause. Noch dazu als Frau. Du kannst kämpfen, aber noch nicht gut genug, um dich wirklich zu verteidigen. Manch einer könnte auf dumme Gedanken kommen.“
Er sah zu, wie sich ihre Augen verengten. „Jemand wie ich?“, zischte sie, „Wer denkst du bin ich? Ich kann gehen wohin ich will. Du bist nicht mein Vater, der mir etwas vorschreiben kann. Und was das Kämpfen betrifft. Ich werde so lange üben, bis ich dich mit verbundenen Augen schlagen kann!“
Beschwichtigend hob er die Hände. Ihre Kampfansage war unmissverständlich: „Ich verstehe. Zwar bezweifle ich, dass du je die Stärke haben wirst, die von Nöten wäre, aber vielleicht die Gewandtheit. Man kann seinen Gegner durch Schnelligkeit und gezielte Treffer ebenfalls niederstrecken. Du legst deinen Schwerpunkt zu sehr auf Stärke, wenn du ein Schwert in Händen hältst. Sieh es ähnlich wie mit den Dolchen, mit denen wir anfangs übten. Es kommt auf die Bewegung an und weniger auf die Kraft, die du hineinlegst.“
Die Anspannung wich aus ihrem Blick und Lad hörte ihm neugierig zu.
„Du musst schnell sein, wendig und du musst lernen mit den Schatten eins zu werden. Letzteres dürfte etwas schwer werden mit deiner hellen Haut, aber vielleicht kannst du sie verbergen“, erklärte er ihr ruhig, „Es dauert Jahre, um gut zu werden. Die Sinne müssen geschärft sein und du darfst dich durch Fehlschläge nicht unterkriegen lassen. Du musst aus ihnen lernen.“
Warum erzähle ich ihr das eigentlich? fragte er sich noch während er sprach. Wollte er sie ins Unglück stürzen? Eine Frau, die eine Waffe trug, konnte sich zwar wehren, war aber für viele eine noch größere Herausforderung und sie konnte ernsthaft Schaden davontragen. Aber andererseits, was kümmerte es ihn überhaupt?
Sie würde ohnehin bald sterben, wenn er ihr Alter richtig einschätzte. Oder früher, wenn sie einen Mann fand und diesem ein Kind gebar. Es bestand immer ein Risiko, dass dabei etwas schiefging und trotzdem, musste er ihr noch etwas sagen, was ihm auf der Zunge brannte. Doch vorerst erzählte er ihr mehr von den Techniken, die sie anwenden könnte und lauschte ihr, wenn sie von ihrer Reise erzählte und wie sie in den letzten Wochen geübt hatte.
Erst als die untergehende Sonne ihr rotes Licht zur Erde sandte, blickte er sie mit ernster Miene an.
„Ich ziehe bald in den Krieg, Lys Feu. Nicht weit von hier wird einer stattfinden“, er atmete schwer aus, „Darum weiß ich nicht, ob wir uns wiedersehen.“
Er erhob sich, schwerfälliger als er es gewohnt war. Ein Ziehen in seiner Brust, das er nicht deuten konnte, hielt ihn zurück und es wurde nicht besser, als er sich ein paar Schritte von ihr entfernte. „Gib gut Acht auf dich“, sein Blick über die Schulter galt ihr, die leicht nickte. Es war ein letzter Blick, um sich ihr Gesicht unbewusst einzuprägen. Erst später würde er merken, dass er es nicht vergessen konnte.
Er spürte ihren Blick im Nacken noch, als er ging und sich in die Tiefen des Waldes begab. Sie folgte ihm nicht. Es war kein richtiger Abschied gewesen und er wusste, dass es fraglich war, ob sie sich noch einmal sehen würden, denn der Krieg konnte auch über diese Gegend ziehen. Fern genug war er nicht.