En-Die sah dem Feuernationsballon nach, bis er aus der Schlucht verschwunden war. Sokka und Zuko waren zum brodelnden Felsen aufgebrochen, ein Hochsicherheitsgefängnis der Feuernation, wo offenbar der Vater der Wasserstammgeschwister gefangen gehalten wurde. Zumindest vermutete Zuko dies, weswegen sich Sokka auch dazu entschlossen hatte, dorthin aufzubrechen, um seinen Vater zu retten, ohne den anderen etwas davon zu sagen. Der Feuerprinz hatte ihn jedoch überrascht und darauf bestanden, ihn zu begleiten. En-Die hatte sie beobachtet, war aber nicht in ihr Sichtfeld getreten. Das war etwas, das sie alleine schaffen mussten, ohne seine Hilfe. "Rubina, schütze sie auf ihrem Weg, denn er ist gefährlicher als alles, was sie bisher durchmachen mussten", flüsterte er einer der Fackeln zu, welche neben ihm auf dem Plateau des Lufttempels brannten. Die Fackel flackerte kurz, dann erlosch ihr Feuer und die Funken flogen in dieselbe Richtung davon, in welche auch der Ballon verschwunden war. "Du sprichst mit dem Geist des Feuers, habe ich recht?", ertönte da eine Stimme hinter ihm und der Schatten fuhr erschrocken herum. "Aang", meinte er erleichtert, als er den Avatar erkannte. Der Luftbändiger war einer der wenigen Menschen, die sich an ihn heranschleichen konnten. "Ja, das tue ich", antwortete er dann auf die Frage, die der Junge ihm zuvor gestellt hatte. "Verstehe", murmelte dieser und En-Die betrachtete ihn nachdenklich mit seinen violett leuchtenden Augen. "Warum fragst du?", hakte er nach und Aang sah ihn überrascht an. "Naja, ich habe Rubina bei den Sonnenkriegern getroffen", murmelte er dann. Der Schatten war offensichtlich etwas überrascht. "Wie geht es ihr?", fragte er neugierig und Aang schmunzelte schwach. "Es geht ihr gut. Sie sorgt sich nur etwas um dich, En-Die", meinte er, woraufhin der Schatten leicht lachen musste, ehe er seinen Blick zu den Sternen wandte. "Alsooooo, wohin sind Sokka und Zuko geflogen?", fragte Aang da und richtete En-Dies Aufmerksamkeit damit wieder auf sich. Doch dieser grinste nur und entblößte dabei seine messerscharfen Zahnreihen. "Solange du mir nicht alles erzählst, werde ich das auch nicht", meinte er bloß und ging zurück zum Lager. Aang seufzte. Es war ja klar, dass der Schatten bemerken würde, dass er ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte. Doch was sollte er tun? Er hatte Rubina versprochen, es ihm nicht zu erzählen. Und Aang hatte nicht vor, sein Versprechen zu brechen.
Am nächsten Morgen brach Aang mit Toph auf, um in der Schlucht Erdbändigen zu trainieren. Katara, Leila, En-Die, Teo, Haru und Duke blieben im Tempel. Der Schatten beschloss, die alten Wandbilder der Luftbändiger zu studieren. Leila begleitete ihn, auch wenn man ihr anmerkte, dass sie sich bei all dem Sonnenlicht nicht besonders wohl fühlte. "Leila, du musst mich wirklich nicht begleiten", versuchte En-Die sie zu Vernunft zu bringen, doch sie schüttelte energisch den Kopf. "Ich komme mit. Die letzten Tage hast du pausenlos damit verbracht, Sokka im Schwertkampf zu unterrichten. Jetzt will ich dich mal für mich alleine haben, wenn er schon nicht da ist", widersprach sie bestimmt und klammerte sich an seinen Arm. Der Schatten kicherte leise. "Na schön, dann komm mit", gab er nach und wollte losgehen, doch da versperrte ihm jemand den Weg. "En-Die, ich weiß, dass du weißt, wo Sokka und Zuko hin sind. Also sag es mir bitte", bat Katara, die mit verschränkten Armen vor ihnen stand. Der Schatten seufzte und schob sich an ihr vorbei. "Es ist besser, wenn du es nicht weißt", meinte er bloß und die Wasserbändigerin drehte sich wütend zu ihm um. "Besser? Seit wann entscheidest du, was für mich besser ist?", fragte sie ihn genervt. "Woher willst du überhaupt so genau wissen, dass ich eine Ahnung habe, wo sie hingegangen sind?", stellte En-Die seinerseits eine Frage, anstatt auf ihre einzugehen. "Du weißt es immer", antwortete Katara schlicht und der Schatten musste ein Lachen unterdrücken. "Du überschätzt meine Fähigkeiten bei weitem, meine Liebe. Ich weiß nur, dass du weißt, dass ich meistens das weiß, was du wissen möchtest. Aber eben nicht immer." Das Mädchen rollte mit den Augen. "Hör zu, ich vertraue Zuko noch immer nicht vollkommen…", begann sie und der Schatten fuhr herum. Sein eben noch fröhliches Gesicht war ernst geworden und sogar Leila trat sicherheitshalber ein paar Schritte zurück. "Zuko hat sich inzwischen schon mehr als nur einmal bewiesen, Katara", wies En-Die sie streng zurecht. Die Bändigerin war jedoch offenbar nicht bereit, einfach so nachzugeben: "Ich habe meine Mutter an die Feuernation verloren!" "Auch das ist etwas, das ich weiß. Und es ist in der Tat bedauerlich", meinte das dunkle Wesen. "Siehst du? Du kannst es mir nicht verübeln, misstrauisch zu sein!" En-Die antwortete nicht, als ob er wusste, dass sie noch nicht fertig war. "Die Feuernation hat diesen Krieg begonnen und so viele schreckliche Dinge getan! Es ist nur logisch, Feuerbändigern zu misstrauen!" Diesmal blieb der Schatten nicht still. Stattdessen baute er sich vor dem Mädchen auf und warf übertrieben dramatisch die Hände in die Luft, wobei auch sein Mantel im Wind aufbauschte. "Ach ja, weil ja alle Feuerbändiger gleich sind! Also lasst uns das Spiel spielen, wer schuldig ist und wer unschuldig ist!" "Das ist kein Spiel, En-Die!", rief Katara wütend. "Oh nein, das ist es wahrlich nicht und ich meine das durchaus ernst, Katara!", brachte das alte Wesen sie zum Schweigen. "Das hier ist das, was alle Kriege gemein haben! Alle beschuldigen sich gegenseitig, anstatt das zu tun, was sie von Anfang an tun hätten sollen: Sich hinsetzen und miteinander reden! Du hast die Gelegenheit, das zu tun, aber stattdessen entscheidest du dich, weiter zu hassen!" "Du verstehst es einfach nicht", murmelte Katara genervt. Da schüttelte der Schatten fassungslos den Kopf. "Ich verstehe es nicht? Machst du Witze? Ich? Natürlich verstehe ich, wie es ist, wenn man jemand Wichtigen verliert", meinte er und in seiner Stimme schwang nun kein Zorn, sondern vielmehr Trauer und Schmerz mit. "Nicht nur mein Volk, nein. Dieser Krieg ist nichts im Vergleich zu dem, was damals geschehen ist, als die Erdbändiger zu Kyoshis Zeit den ganzen Erdkontinent eingenommen haben. Und das weiß ich wiederum, weil ich dabei war." Das Mädchen runzelte zweifelnd die Stirn, woraufhin En-Die wieder ernst wurde. "Du nennst das hier einen Krieg? Das ist kein Krieg, zumindest nicht mehr, seit du geboren worden bist, Katara! Natürlich gab es hin und wieder kleinere Konflikte und vor deiner Geburt gab es Schlachten, die schrecklicher waren, als alles, was zu deinen Lebzeiten passiert ist, aber ich habe in einem größeren Krieg gekämpft, als du jemals erleben wirst, ich habe schlimmere Dinge getan, als du sie dir vorstellen kannst und wenn ich meine Augen schließe…", Endie machte eine Pause, als würde er sich an etwas Schreckliches erinnern, "…dann höre ich mehr Schreie, als jemals irgendjemand zu zählen imstande sein wird!" Katara war inzwischen ein wenig zurückgewichen. Ihr gefiel die Geschichte, die En-Die ihr da erzählte ganz und gar nicht. Sie hatte gewusst, dass der Schatten den großen Erdkrieg miterlebt haben musste, doch er hatte nie erzählt, dass er sich aktiv daran beteiligt hatte. "Soll ich dir verraten, was man mit all diesem Schmerz macht, Katara? Soll ich es dir sagen?", fragte er sie herausfordernd. "Du hältst ihn fest! Aber nicht, um andere zu hassen! Nein! Du hältst ihn fest, um sagen zu können: Niemals wieder soll jemand so leben müssen! Niemals wieder soll jemand diesen Schmerz fühlen müssen! Nicht solange ich noch lebe!" En-Die atmete schwer, als er aufhörte zu reden. Die ganze Sache stieß ihm offensichtlich sehr aufs Gemüt. "Nicht ein einziges Mal habe ich in Erwägung gezogen, dass alle Erdbändiger böse sind. Du solltest dasselbe bei den Feuerbändigern tun. Das ist das, was ich weiß und was du wissen solltest. Und jetzt entschuldige mich, ich habe noch einige Wandbilder, die ich begutachten möchte." Damit schritt der Schatten davon, dicht gefolgt von der Blutsaugerin. Katara jedoch rührte sich nicht von der Stelle und blieb alleine mit ihren Gedanken zurück.