Luca sah, wie seine Hündin, die eben noch kläffend ein paar Vögeln hinterhergerannt war, stehenblieb, die Nase in den Wind hielt und schnupperte, bevor sie losstürmte und ihr Herrchen einfach stehen ließ, welches in der ersten Schrecksekunde außerstande war, zu reagieren.
»Scheiße«, fluchte der Jugendliche leise und pfiff auf den Fingern, um Nala zu sich zurückzurufen. Doch diese ignorierte ihn völlig, rannte immer weiter auf zwei Männer zu, die sich an einem der Teiche im Kyoto Garden aufhielten. Luca beschleunigte seine Schritte und konnte beobachten, wie seine Hündin an dem einen Mann, der vor einer der Bänke stand, die um den Teich herum verteilt waren, vorbeilief und den anderen, der dort Platz genommen hatte, schwanzwedelnd begrüßte. Als würde sie ihn ... kennen. Doch das konnte eigentlich gar nicht sein, oder?
»Was zum Teufel ...?«, entfuhr es dem Jungen leise, bevor er wütend nach dem Hund rief. »Nala! Verdammt noch mal! Komm sofort hierher!«
Das Tier hob kurz den Kopf und sah in die Richtung seines Herrchens, bevor es sich wieder dem Fremden zuwandte und ihn weiter beschnüffelte. Dieser machte selbst auf die Distanz auf Luca den Eindruck, als ob er es nicht wirklich wagen würde sich zu bewegen, als würde er sich ... fürchten. Der Jugendliche konnte zwar das Gesicht des Mannes nicht erkennen, also auch keine Gefühlsregung davon ablesen, weil dieser in die von Luca abgewandte Richtung schaute, aber die Körperhaltung und die war alles andere als entspannt.
Super, ein Mensch, den Hunde in Panik versetzten, hatte dem Blonden noch gefehlt. Wenn er Pech hatte, würde er noch eine Anzeige bekommen, weil er das Tier hatte laufen lassen, was hier eigentlich gar nicht erlaubt war, und offensichtlich auch außerstande war, es unter Kontrolle zu halten. Geschweige denn, dass es hörte, wenn man es rief. Denn so musste das Ganze ja auf Außenstehende wirken.
Dabei war Nala eigentlich gut erzogen und Luca konnte sich nicht erklären, warum sie sich so seltsam verhielt. Er hätte ihr Benehmen ja noch verstehen können, wenn es sich hier um einen Bekannten gehandelt hätte, aber ein völlig Fremder, mitten im Park? Luca war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, aber eines war klar, er musste seinen Hund da wegholen, bevor die Situation vielleicht noch eskalierte. Der Junge schnaubte genervt und rief erneut nach Nala, dieses Mal so energisch, dass sie tatsächlich von dem Fremden abließ und zu ihrem Herrchen zurückkehrte.
Luca hatte den Ort des Geschehens fast erreicht und blieb, etwas außer Atem, weil er die letzten Meter gelaufen war, stehen. Er stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab und holte erst einmal tief Luft. Die Hündin hielt derweil freudig wedelnd vor ihm an, setzte sich hin und sah zu ihm hoch, als erwarte sie für ihr Verhalten ein Lob. Und dieses bekam sie, wenn auch zähneknirschend, in Form eines Streichelns über den Kopf. Luca hätte Nala zwar am liebsten in der Luft zerrissen, aber eine Bestrafung hätte sie nur falsch verstanden und mit ihrem Zurückkommen verknüpft.
Die Leine am Halsband befestigend, murmelte der Junge: »Du bringst mich in Teufels Küche, Mädchen. Was ist denn bloß los mit dir?« Er hob den Kopf und sah zu den beiden Männern hinüber. Sein Herz klopfte wie verrückt.
»Es ... es tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was mit ihr los ist. Das tut sie sonst nicht. Ich hoffe, sie hat Sie nicht schmutzig gemacht, Sir, oder verletzt«, sagte er mit einem leichten Zittern in der Stimme, den Blick auf Nalas Objekt der Begierde gerichtet, welches sich noch immer abgewendet hatte und stocksteif auf der Bank saß.
Stattdessen antwortete sein Begleiter dem Jungen. »Ich denke nicht, dass Ihr Hund meinen Herrn verletzt hat und Schmutz kann man beseitigen. Dafür gibt es Waschmaschinen. Also kein Grund, sich Sorgen zu machen.«
Luca hob den Blick und sah in braune Augen, die ihn freundlich musterten. Ein amüsiertes Schmunzeln umspielte die Lippen des Mannes, der den Jugendlichen um mehr als einen Kopf überragte.
Luca nickte. »Gut, wenn Sie das sagen, Sir, aber falls doch noch etwas sein sollte ... Vielleicht sollte ich Ihnen meinen Namen und Adresse dalassen.«
Der Andere schüttelte leicht den Kopf. »Das wird nicht nötig sein. Meinem Herrn geht es gut, glauben Sie mir. Sie brauchen sich wirklich keine Gedanken zu machen.«
Zögerlich, weil noch immer nicht wirklich überzeugt, nickte Luca erneut, hielt dem Anderen aber dennoch eine der Visitenkarten hin, die sein Onkel für ihn vor Wochen hatte anfertigen lassen und von denen er immer eine oder zwei bei sich trug. Amüsiert lächelnd nahm der Fremde diese entgegen.
»Nun gut, wenn Sie darauf bestehen.«
»Das tue ich. Es mag ja sein, dass mein Hund auf den ersten Blick nichts angerichtet hat, aber falls doch, dann wissen Sie, an wen sie sich wenden können. Ich fühle mich so wenigstens etwas besser.«
Der junge Mann rief sich kurz ins Gedächtnis, wie lächerlich er es gefunden hatte, als Alan Summerson mit den kleinen Pappkärtchen zu ihm gekommen war. An dem Tag, an dem er ihm die Teilhaberschaft am Gestüt übertragen hatte. Denn was sollte er, Luca, mit so etwas - so hatte er zumindest gedacht. Aber sein Onkel hatte darauf bestanden. Ein Geschäftsmann brauche das, hatte Alan gesagt. Luca hatte nur geschmunzelt, denn er sah sich nicht als solcher, obwohl sein Onkel ja recht hatte. Und jetzt, in dieser Situation, war der Jugendliche froh, die Karten zu haben.
»In Ordnung. Dann ... dann werde ich mal verschwinden und Sie nicht weiter belästigen. Ich wünsche Ihnen trotzdem noch einen schönen Abend«, fuhr Luca nach einem Moment des Schweigens fort.
»Danke, das wünsche ich Ihnen ebenso.«
Mit einem letzten zweifelnden Blick auf den anderen Mann auf der Bank, drehte Luca sich um und ging langsam über den Rasen davon, Nala brav an seiner Seite.
»Sein Herr?«, murmelte er vor sich hin und sagte dann zu seinem Hund gewandt, »Du hast echt einen exquisiten Geschmack, wie mir scheint. Ein einfacher Bürger war nicht gut genug? Musste es direkt etwas aus der Oberschicht oder vielleicht noch Adliges sein? Was glaubst du, wenn das einer dieser selbstgefälligen, arroganten Arschlöcher gewesen wäre, von denen es ja gerade unter den Adligen genügende gibt. Der hätte mir das Leben zur Hölle gemacht. Und dich hätte man mir vielleicht sogar weggenommen. Da haben wir echt noch mal Glück gehabt, mein Mädchen. In Zukunft benimmst du dich gefälligst.«
Als hätte Nala ihn verstanden, stupste sie ihn an und leckte über seine Hand. Luca seufzte leise und setzte seinen Weg nach Hause fort. Er hatte die Nase gestrichen voll von diesem Tag. Einer, den man am besten aus dem Kalender streichen sollte. Erst die Sache mit Arian und dann dieses Theater mit Nala. Nein, das reichte für die nächsten Monate. So was brauchte niemand.
Mit einer Mischung aus Frust, Wut und Resignation im Magen verließ der junge Mann mit seiner Hündin den Holland Park.
Zuhause angekommen, hängte Luca Nalas Leine an die Garderobe im Flur und gesellte sich einen Moment zu Willow, die auf der Terrasse saß und die letzten Strahlen der Abendsonne genoss. Der junge Mann erzählte ihr, was im Park vorgefallen war. Seine Freundin lachte daraufhin leise und sah zu der Hündin, die sich im Schatten eines Baumes auf den kühlen Rasen gelegt hatte.
»Schade, das hätte ich gerne mitbekommen.«
»Ich fand das nicht witzig, Willow. Der Typ hätte mich anzeigen können. Und wer weiß, vielleicht tut er das ja noch.« Luca seufzte leise. Das komische Gefühl im Magen, das er die ganze Zeit schon verspürte, wollte einfach nicht verschwinden.
»Hätte, hätte. Hat er aber nicht und ich glaube auch nicht, dass da noch was kommt. Und übrigens: Nicht alle, die zum Adel gehören, sind Arschlöcher, die ihre Mitmenschen mit irgendwas malträtieren. Nicht jeder ist so mit Standesdünkeln behaftet wie dein Onkel. Also schere nicht immer alle über einen Kamm«, die junge Hexe hielt einen Moment inne und beobachtete Luca, dann fuhr sie fort, »stell dir mal vor, du triffst den Mann und er ist ein Graf oder Lord oder weiß der Geier was. Würdest du ihn dann ernsthaft von der Bettkante stoßen, nur deswegen? Ich denke nicht.«
Luca zuckte mit den Schultern und stand auf. »Keine Ahnung. Außerdem, was hat das jetzt mit dem zu tun, was im Park los war?«
Die Augen verdrehend antwortete Willow: »Nichts! Das war, was mir gerade durch den Kopf ging. Zum Thema adlige Mitmenschen und deine Vorurteile. Vergiss es einfach. Streichen wir den heutigen Tag am besten aus dem Kalender.«
Sich langsam von dem Gartenstuhl erhebend, erwiderte der junge Mann, ohne weiter auf das Ganze einzugehen: »Wenn du so weit fertig bist, können wir auch früher nach Reading abhauen. Ich geh mal ein paar Sachen packen.« Er überlegte einen Augenblick. »Hast du unseren Stubentiger schon gesehen?«
»Ja, den hab ich oben in deiner Wohnung eingesperrt, damit er uns nicht noch entwischt, bevor wir fahren.«
»Gut, ich hätte nämlich keine Lust gehabt, ihn stundenlang zu suchen.«
Romeo, der graue Kater, lag dösend auf Lucas Bett und hob nicht einmal den Kopf, als sein Herrchen den Raum betrat. Der Jugendliche grinste nur, machte einen Schritt in Richtung der Schlafstätte und setzte sich. Dabei fiel sein Blick auf die zerknüllte Visitenkarte, die er vor seinem Spaziergang auf die Bettdecke gepfeffert hatte. Er nahm das kleine Stück Karton und entfaltete es, las noch einmal die Worte Arians, bevor er es in die Hosentasche steckte. Gedankenverloren kraulte er der Katze den Bauch, was diese mit Strecken und Schnurren beantwortete. Schließlich stand der junge Mann seufzend auf und ging hinüber in das Badezimmer, um ein paar Dinge zusammenzusuchen. Einige seiner Anziehsachen, die er unbedingt in Reading haben wollte, wanderten auch noch in die kleine Reisetasche. Als das erledigt war, holte er den Transportkorb für Romeo aus dem Wohnzimmer und lockte den kleinen Kater mit Leckerlis zu sich. »Komm, mein Süßer. Morgen kannst du auf dem Gestüt herumtollen. Ist ja nur ‘ne gute Stunde in der Kiste, dann bist du wieder frei.«
Nachdem das Tier gut verstaut war, nahm der junge Mann die Tasche mit seinen Klamotten und den Katzenkorb und machte sich auf den Weg nach unten. Dort stellte er die Sachen kurz auf dem Sofa ab.
»Bist du fertig, Willow?«
»Ja, ich bin gleich soweit. Gib mir noch fünf Minuten«, kam es aus dem Zimmer der jungen Frau zurück.
»In Ordnung, dann warte ich draußen im Auto«, erwiderte der Blonde, rief seine Hündin zu sich, nahm seine Sachen und verließ das Haus.
Er verstaute Hund und Klamotten im Kofferraum des SUV, setzte die Kiste mit dem Kater auf den Rücksitz und sich selbst dann hinter das Lenkrad. Einen Moment lang schloss Luca die Augen. Dieser Tag war wirklich zum Abgewöhnen gewesen.
»Nicht träumen. Wir können los«, die Stimme seiner Freundin und das Schlagen der Beifahrertür riss ihn aus seinen Gedanken.
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Im Holland Park löste sich Viktors Anspannung, die seinen Rücken hatte versteifen lassen, als der weiße Hund zielstrebig auf ihn zugelaufen gekommen war, nur langsam.
Das Tier schien ihn an seinem Geruch erkannt zu haben, denn es hatte an ihm herumgeschnüffelt und ihn begrüßt wie einen alten Bekannten.
Es hatte ihm gerade noch gefehlt, dass Luca ihn hier antraf, in Begleitung seines Butlers, wo Viktor doch eigentlich geplant hatte, aus dem Leben des Jungen zu verschwinden.
Stur hatte der Vampir sich nicht gerührt, als der Jugendliche stammelnd um Verzeihung gebeten hatte und der Adlige hatte Sebastian im Stillen gedankt, dass dieser so schnell geschaltet und sich der Angelegenheit angenommen hatte.
»Er ist fort, mein Herr«, sprach der Butler ihn nun an und Viktor wandte den Kopf herum. Er blinzelte in den abendlichen Sonnenschein und seufzte schließlich.
»Gut. Das war gleich zweifach grausam.«
»Herrchen und Hund haben eine gewisse Ähnlichkeit, fandet Ihr nicht?«
Der Vampir erhob sich und zog eine Augenbraue hoch. »Ehrlich gesagt hatte ich für die Schönheit des Tieres keinen rechten Blick ... ich war mehr damit beschäftigt, nicht die Fassung zu verlieren.«
»Was soll ich mit seiner Visitenkarte tun, mein Herr?«
Viktor betrachtete das Stück Pappe in den Händen des anderen Mannes und schnaubte schließlich leise. »Wirf’ sie weg ...«
Sebastian nickte leicht, schob die Karte allerdings in seine Hosentasche. Er kannte den Stolz seines Herrn. Dieser wollte unter keinen Umständen zugeben, wie gern er das Papier haben wollte und würde sich vermutlich nur ärgern, wenn der Butler es tatsächlich in den Müll warf.
»Lass’ uns nach Hause aufbrechen. Mir ist die Lust vergangen.«