In den nächsten zwei Wochen gingen die Umbauarbeiten im Elysium voran. Die Treppe nach oben auf die Balustrade war natürlich das Wichtigste, auch wenn Gabriel sie nicht mehr brauchen würde, wenn er und Luke erst einmal wieder „zu Hause“ wären, wie Sean es nannte. Doch jetzt, wo der neue Aufgang da war, wirkte das Loft weniger improvisiert und insgesamt mehr wie eine Wohnung für zwei junge Männer, die noch dazu ein Paar waren. Oscar entschied sogar, einen Balkon anzubauen. Er war als Handwerker nicht ungeschickt und mit ein wenig Hilfe von Lukes Dad und noch einem von den Bouncern, war auch das bald erledigt.
An manchen Tagen kam es vor, dass Oscar anstelle Gabriels oben im Loft übernachtete. Das war einerseits praktisch, andererseits übernahm er quasi die Nachtwache über den Club, die normalerweise der rothaarige Engel innehatte. Es kam sogar vor, dass Sean gemeinsam mit seinem Göttergatten im Elysium blieb. Das fand er in mehr als einer Hinsicht inspirierend. Zum einen erinnerte es ihn an ihre Jugend, bevor die beiden ein Stadthaus in einem der teuersten Viertel Londons bewohnten, und zum anderen kamen ihm so immer neue Ideen, wie man das Loft noch wohnlicher machen könnte. Mehr als einmal musste Oscar seinen süßen Dicken bremsen, damit der nicht Vorhänge anbrachte oder Deko Artikel besorgte, die nun wirklich nicht zu Gabriel oder Luke passten. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass diese Dinge dann in der eigenen Wohnung in Kensington landeten, aber das war er ja gewohnt.
Gabriel und Luke kamen gemeinsam an den Tagen vorbei, an denen der junge Sergeant seine Termine beim Psychologen hatte. Sie fuhren dann mit der U-Bahn in die Stadt bis zum New Scotland Yard, wo der Ire geduldig auf seinen Freund wartete, bis dessen Sitzung vorbei war. Nach dem Zusammenbruch bei seinen Eltern wurden Luke zusätzliche Termine gewährt und wie sich herausstellte, waren diese durchaus hilfreich. Der Psychologe redete mit ihm über seine Beziehung zu Blake, über seine Polizeiarbeit, über die neue, bessere Beziehung zu Gabriel und in den schwierigeren Sitzungen auch über die Vergewaltigung. Das alles war kein Zuckerschlecken, doch es war nach 60 Minuten vorbei und Luke nahm sich vor, in der anderen Zeit bei seinen Eltern, gemeinsam mit seinem Freund, nicht zu viel über diese Dinge nachzudenken. Das gemeinsame Teetrinken mit Sean und Oscar und reichlich viel zu süßer Torte, war an jedem einzelnen dieser Tage genau das Richtige, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.
In dieser Zeit kümmerten sich Luke und Gabriel intensiv und liebevoll umeinander und ließen sich zudem von Lukes Mum nach Strich und Faden verwöhnen. Für Kate kam da auch gar nichts Anderes in die Tüte, wie sie sagte. Sie hatte an dem hübschen, rothaarigen Iren einen echten Narren gefressen und Lukes Vater erlaubte sich hin und wieder eine scherzhafte Bemerkung darüber, dass ihre Kochkünste sich deutlich verbessert hätten, seit ihr Sohn mit Schwiegersohn im Haus sei. Für Luke war das alles eine echte Erleichterung, denn die Bitte Blakes, ihre Beziehung bedeckt zu halten, bis er sich seinen Eltern gegenüber geoutet hatte, war nur eine Art „Liebesdienst“ gewesen und Luke hatte dem äußerst widerwillig zugestimmt. Dass er jetzt mit Kate und Roger vollkommen offen sein konnte, sie ihm nichts nachtrugen und obendrein ihn und Gabriel so selbstverständlich und herzlich aufnahmen, war kostbarer Balsam für seine geschundene Seele.
An guten Tagen, die jetzt eigentlich die Regel waren, dachte Luke auch immer wieder mal über die Zukunft mit Gabriel nach. Schon bald könnten sie nach Belfast aufbrechen. Er stellte sich vor, dass diese Reise seinem Liebsten endlich half, mit seiner Familie Frieden zu schließen. Und wenn das so weit war, dann wollte er endlich die gemeinsame Zukunft mit ihm planen. Luke wusste, dass seine Mutter, sowie alle Mütter, sich immer gewünscht hatte, dass ihr Sohn eines Tages heiraten würde. Abgesehen davon, dass Kate ursprünglich nicht an einen Mann gedacht hatte, fand der junge Polizist, gab es keinen Grund, warum er seiner Mum diesen Wunsch nicht erfüllen sollte. Er würde Gabriel noch einmal fragen und dieses Mal so, dass der Engel ihn verstand.
Gabriel, Gabriel, Gabriel! Inzwischen konnte Luke an nichts anderes mehr denken. Solange wie sie noch damit beschäftigt gewesen waren, ihre Wunden zu versorgen, ihre Schmerzmittel zu nehmen und ihre Blessuren mit Salbe zu pflegen, war es ihm nicht in den Sinn gekommen, mehr zu verlangen als Küsse und Streicheleinheiten. Seit einigen Tagen jedoch, gingen sie nicht nur im nahegelegenen Park spazieren, sie hatten auch mit leichtem Training begonnen. Luke schätzte, dass sie beide eine überdurchschnittlich gute Kondition hatten. Er war schon von Dienst wegen gewohnt, zu trainieren und Gabriel als Tänzer stand ihm in nichts nach. Sie hatten sich daher relativ schnell erholt und kamen wieder zu Kräften. Und mit zunehmender Stärke und jedem Tag, den sie gemeinsam verbrachten, sehnte sich jede Faser seines Körpers nach mehr. Seinem Liebsten ging es nicht anders, denn so verrieten es seine Blicke, vor allem in den Abendstunden. Es war also an der Zeit, dass sie ihr temporäres, unfreiwilliges Zölibat aufgaben.
Die Idee, es heute Abend zu versuchen, kam Luke noch vor dem Abendessen. Er war mit Kate in der Küche und half ihr dabei das Dinner vorzubereiten, wie es sich für einen guten Sohn gehörte. Durch das Fenster, welches den Blick in den Garten freigab, sah er seinen Freund bei einfachen Dehn- und Gymnastikübungen. Einige Bewegungen zeigten deutlich, dass Gabriel schon wieder ans Tanzen dachte. Luke hat ihn oft genug bei seiner Show auf dem Tresen gesehen, um zu wissen welche Schritte, Drehungen, Sprünge oder Moves der Engel da draußen auf dem Rasen ausprobierte. Auch wenn das noch längst nicht wieder die Energie zeigte, die er brauchen würde, um das Elysium zum Kochen zu bringen, hatte es doch genug Energie, um Luke zu erhitzen. Wenn es tatsächlich etwas gebraucht hatte, das den Schalter in seinem Kopf umlegte, dann war es wohl das.
„Willst du deinem Freund nicht sagen, dass es besser ist, wenn er hereinkommt“, fragte Kate. „Nicht, dass er sich draußen verkühlt.“
Der Blonde musste für sich grinsen, sagte aber nichts außer „So empfindlich ist der nicht.“
„Was macht er da überhaupt? Ist das Aerobic?“
„Könnte sein, Mum“, flunkerte Luke. Er schaute hinaus zu Gabriel. Aerobic war sicherlich nicht das, woran ihn das gerade denken ließ.