Ich sitze in der Cafeteria und bin in meine aktuelle Aufgabe vertieft. Ich muss klitzekleine Perlen auf noch kleinere Fäden aufziehen, und das immer in der richtigen Reihenfolge. Blau, grün, weiß. Blau, grün, weiß. Es ist manchmal wirklich ein Fluch, in einer Eventagentur zu arbeiten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er reinkommt und sich nach mir umsieht. Ich versuche mich weiter auf meine Aufgabe zu konzentrieren und nicht zu ihm hochzusehen, denn das tue ich sowieso schon den ganzen Tag.
Im Spiegel an der Säule kann ich ihn beobachten, wie er den ganzen Raum nach mir absucht und es so aussehen lassen will als sähe er nur nach, wann es endlich etwas zum Essen gibt. Ich habe ihn viel ignoriert in den letzten Tagen, oder zumindest versucht, ihm das Gefühl zu geben. Wir dürfen nicht zu viel Zeit miteinander verbringen, weil es uns dann umso schwerer fällt nach Hause zu gehen.
Als er mich endlich entdeckt, schaue ich schnell den senfverschmierten Tisch an. Ich tue so, als wäre ich damit beschäftigt die Flecken mit meinem Ärmel wegzuwischen als er rüber kommt und sich auf den freien Stuhl neben mich setzt. "Na, was machste Schönes?" "Anspruchsvolle Aufgaben, siehst du doch." "Kann ich dir helfen?" fragt er und nimmt mir den Faden aus der Hand. Seine Finger berühren meine nur eine Sekunde aber das ist mehr als genug. Ich lasse den Faden fallen und die kleinen Perlen kugeln nacheinander auf den Boden. Blau, grün, weiß. Blau, grün, weiß…
Ich muss nichts sagen, er weiß auch so, was jetzt passieren wird. Ich habe mich so lange versucht von ihm ferngzuhalten, aber jetzt ist er mir zu nah gekommen. Und diese eine Millisekunde in seiner Gegenwart hat meine gesamte Willenskraft wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen.
Er folgt mir, als ich die Cafeteria verlasse. Die schwüle Sommerluft schlägt uns entgegen. Es ist einer dieser heißen Tage, an dem man eigentlich jeden körperlichen Kontakt vermeiden möchte, aber ich kann an nichts mehr anderes denken als seine Hände auf meiner Haut zu spüren, seine Lippen auf meinem Hals und seinen Körper auf meinem. Er nimmt meine Hand und führt mich durch eine graue Tür in den Hintereingang, vorbei an Regalen mit Kondensmilch und Papiertüchern. In der dunkelsten Ecke gräbt er seine Hände in meine Haare und lässt alle Versprechen zu Nichtigkeiten und alle Erwartungen wahr werden. Seine Lippen legen sich mit einer Bestimmtheit auf meine, als könnte er so dafür sorgen, dass alles was heute passiert hinter ihnen verschlossen bleibt.
Wir haben so oft über das hier geredet, dass ich das Gefühl habe, es schon längst getan zu haben. Aber eben nur fast. Bis jetzt kann er mich als harmlosen Flirt abtun und ich kann ihm einreden, dass er alles richtig macht. Bis jetzt.
Er hält mein Gesicht in seinen Händen und schaut mich an, seine dunklen Augen warten auf ein Zeichen des Protests, aber ich schaue wieder auf den Boden. Hier gibt es keine Senfflecken zum wegwischen. "Wollen wir das wirklich machen?" fragt er. Ich zucke mit den Schultern und sehe zu ihm hoch. Er küsst mich auf die Stirn und lässt deine Arme zu Boden sinken. Ich will ihm sagen, dass ich nicht möchte, dass er aufhört und, dass ich bereit bin für die Konsequenzen aber ich bleibe still und feige. "Lass uns wieder reingehen", sagt er und dreht sich von mir weg. Meine Hand greift nach seiner, aber in der letzten Sekunde überlege ich es mir anders und stecke sie in meine Tasche. "Ok, ist wahrscheinlich besser so."
Er schüttelt ganz still und leise den Kopf und geht zurück in die Cafeteria. Ich folge ihm und steuere auf den Tisch zu, an dem ich noch vor ein paar Minuten mit ihm gesessen habe, in der Hoffnung, dass wir darüber reden. "Bis später," sagt er und geht an mir vorbei zur Tür. Er dreht sich nicht einmal mehr um und auf einmal wünsche ich mir nichts weiter, als den ganzen Tag mit ihm Perlen auf Fäden aufzureihen. Blau, grün, weiß. Blau, grün, weiß...