Erinnerung, schön wie ein Traum
Erinnerungen ...
Erinnerungen waren etwas, das er nicht gern zu erdulden hatte. Rückblickend auf seine Existenz, die bereits mehr als ein Dutzend Menschenleben umfasste, waren die Dinge, derer er sich zu entsinnen vermochte, meist nicht unbedingt das, was man als schön bezeichnen würde.
Die Bilder von Krieg, Gier und menschlichen Abgründen, von Heuchelei und vorgetäuschter Gottesfurcht waren ihm ein Gräuel und nur zu gern wandte er sich von ihnen ab. Nach Jahrtausenden hatte er einfach genug davon gesehen und seine Ohren waren taub geworden für das Flehen der Unglücklichen, die sich ergangen in ungehörten Gebeten, die doch nichts ändern würden, denn Gott hatte die Menschen verlassen. Vor langer Zeit schon. Sie hatten es nur noch nicht begriffen.
Geblieben waren die Engel und ihre Ränkespiele, gefangen in immerwährendem Neid auf die Lieblingskinder ihres Herrn und Vaters. Angefüllt mit dem Willen zur Intrige, mit Freude an Schaden und Kummer und blind für das, was sie taten. Denn was waren die Menschen schon für einen Engel ... nur ein altes Spielzeug, abgenutzt und verstaubt, sich selbst überlassen und ohne Führung.
Er wusste, er müsste Mitleid mit ihnen haben, doch sein eigenes Dasein als Sterblicher lag so weit zurück, dass er sich kaum an die guten Dinge seines Lebens erinnern konnte. Er hatte sie vergessen, die Menschen, die er einst geliebt hatte, deren Gesichter oder den Klang ihrer Stimmen. Wie er so vieles vergessen hatte, als man ihn zum Krieger des Himmels machte. Zu Lebzeiten ein Soldat, im Tode weiterhin. Das war sein Schicksal. Doch er war des Kämpfens müde. Dreitausend Jahre Krieg, ob auf Erden oder im Himmel, waren einfach genug.
Er wollte die Erinnerungen, für die die Menschen lebten, jene an Liebe, an Glück und an Freude, diese, von denen man noch sprach, wenn das Leben sich dem Ende neigte und die man im Herzen behielt, bis man starb. Er selbst hatte solche Erinnerungen nicht. Man hatte sie ihm geraubt und nie die Gelegenheit gegeben, neue zu machen. Denn ein Krieger war ein Werkzeug zum Kampf. Und ein Engel eben ein Engel.