»Hey, Tatjana, kannst du heute Nelly für mich satteln? Ich muss noch schnell was klären.«
Tatjana sah ihrer besten Freundin Alina hinterher, die statt in den Stall ins Haupthaus ging. Was wollte sie denn da? Und was hieß, sie muss was klären? Was denn? Egal, sie war sich sicher, dass sie das schon noch früh genug erfahren würde.
Sie ging in den Stall, wo die anderen Reitschüler schon damit beschäftigt waren, ihre Pferde für den Unterricht herzurichten. »Hallo zusammen!«
»Hi Tatjana! Nanu, heute mal ohne Alina? Wie kommt das denn?«, fragte Franziska.
»Nee, die kommt gleich. Ich soll aber schon mal Nelly fertig machen.« Inzwischen war sie bei dem fuchsfarbenen Pferd namens Isidor angekommen, Tatjanas Lieblingspferd hier im Stall. Zum Glück war es meist so, dass sie auf ihren Lieblingspferden ritten durften. Nur hin und wieder mussten sie auch untereinander tauschen.
»Ein echter Reiter muss mit jedem Pferd klarkommen«, hatte ihnen ihre Reitlehrerin Diana bereits in ihrer allerersten Stunde erklärt. Das verstand auch jeder – selbst Dominik, der einzige Junge in ihrer Gruppe. Aber eigentlich war er ganz okay. Hin und wieder zogen sie ihn halt nur etwas auf, dass er nichts verstand, weil er ja ein Junge ist. Eigentlich totaler Humbug, aber zum Glück verstand Dominik Spaß und konnte mit ihnen darüber lachen.
Als Tatjana mit Isidor fertig war, ging Tatjana hinüber zu Nellys Box, eine bildhübsche Schimmelstute. »Hallo Nelly, Alina kommt gleich. Aber ich soll dich schon mal hübsch machen.«
In dem Moment kam Franziska zu ihr. »Warte, ich helfe dir. Zu zweit sind wir schneller fertig. Die anderen warten nämlich schon draußen. Wo bleibt Alina denn?«
Tatjana zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Sie ist rüber zum Haupthaus, irgendwas klären.«
Kaum waren die Mädchen auch mit Nelly draußen, kam Alina zu ihnen. »Leute! Ihr glaubt es nicht!«
Alle sahen sie erwartungsvoll an.
»Was denn?« Dominik hob eine Augenbraue.
»Wie einige von euch vielleicht wissen, habe ich am Samstag Geburtstag. Und da habe ich mir überlegt, dass ich euch alle dazu einladen könnte. Aber ich wollte nicht so einen langweiligen Geburtstag, wo wir alle an einem Tisch sitzen und uns haufenweise Kuchen in uns hineinschaufeln, sondern es musste etwas ganz Besonderes sein.« Sie sah zur Reitlehrerin hinüber. »Diana, magst du ihnen erzählen, was ich mir überlegt habe? Ich bin einfach so aufgeregt.«
»Aber sicher doch. Ich finde deine Idee übrigens grandios. So etwas gab es auf dem Heinrichshof noch nie.«
Langsam wurden alle ungeduldig.
»Na, was ist es denn nun?«, wollte Tatjana wissen.
»Wir machen einen Reitausflug.«
»Und das soll was Besonderes sein? Das machen wir doch ständig«, maulte Zeynep.
»Ja, aber doch keinen Ausritt zur Geisterstunde«, ließ Diana die Bombe platzen.
»Wie bitte?« Franziska glaubte, sich verhört zu haben.
Aufgeregt zappelte Alina von einem Fuß auf den anderen. »Versteht ihr, wir reiten quasi in meinen Geburtstag hinein. Ich dachte mir, Mitternachtspartys gibt es schon. Aber einen Mitternachtsritt? Von so etwas habe ich noch nie gehört. Das heißt, Freitagabend geht es relativ spät los und kurz nach Mitternacht machen wir ein Picknick und feiern meinen Geburtstag. Na, was haltet ihr davon?«
Alle redeten nun wild durcheinander. Die Stimmung wurde immer ausgelassener und natürlich wollten alle mitmachen – vorausgesetzt, ihre Eltern stimmten dem Spektakel zu. Aber dafür würde Diana schon sorgen, sagte sie. Sie würde mit allen Eltern persönlich sprechen. Außerdem war sie als erwachsene Begleitperson bei dem Ritt selbstverständlich dabei.
»So, und nun rauf auf die Pferde. Sonst ist eure Reitstunde zu Ende, ehe sie überhaupt begonnen hat.«
Weil alle in Gedanken bei dem Ausflug am Wochenende waren, konnten sie sich nicht so recht konzentrieren, sodass Diana einige mahnende Worte an ihre Schüler schicken musste.
Nach der Reitstunde und nachdem die Pferde versorgt waren, machten sich Alina und Tatjana gemeinsam auf dem Heimweg. Sie wohnten direkt nebeneinander und waren daher von kleinauf schon die besten Freundinnen.
»Du hättest mir ja ruhig davon erzählen können, was du zu deinem Geburtstag planst. Seit wann haben wir denn Geheimnisse voreinander?«
»Sorry, Tatjana, diesmal ging es wirklich nicht anders. Ich wusste schließlich nicht, ob Herr Heinrich meinem Vorschlag zustimmen würde. Und falls es nicht geklappt hätte, wäre wenigstens nur ich traurig und enttäuscht gewesen.«
Tatjana nickte. Das leuchtete ihr ein. Umso besser, dass der Party nichts mehr im Weg stand, sobald Diana mit all ihren Eltern gesprochen hatte. Sie hoffte wirklich sehr, dass alle mitdurften. Ihre eigenen Eltern würden dem sicherlich zustimmen. Sie ließen ihren Kindern all die Freiheiten, die sie brauchen, solange sie keinen Mist bauten und die Schule nicht zu kurz kam.
Bis Freitagabend wussten Tatjana und Alina nicht, ob wirklich alle eingeladenen Gäste kommen würden. Sie hatten am Nachmittag Kuchen gebacken und Alinas Mutter hatte noch einen Salat beigesteuert. Auch für die Getränke würde ausreichend gesorgt sein. All das würden Alinas Eltern zum vorher bestimmten Picknickplatz bringen, schließlich wollten sie mit ihrer Tochter feiern – nur reiten mussten sie deshalb noch lange nicht.
Diesmal waren die Mädchen die Ersten, die am Treffpunkt ankamen. Doch gerade in dem Moment, als sie den Hof betraten, kam Diana aus dem Haupthaus und winkte ihnen im Schein der Außenlaterne zu. »Hallo, ihr zwei. Ist sonst noch niemand da?«
»Keine Ahnung. Im Stall vielleicht?« Tatjana warf einen kurzen Blick hinein, doch außer den Pferden war dort niemand.
Nach und nach trafen die anderen ein. Wirklich alle durften dabei sein, worüber sich Alina sehr freute. Jeder hatte auch ein Tütchen oder Geschenk dabei, die Diana jedoch einsammelte, damit Alina sie erst beim Picknick auspacken durfte.
»Das wäre echt nicht nötig gewesen, dass ihr mir was schenkt. Dass ihr heute dabei seid, ist schon Geschenk genug. Das wird ein Heidenspaß, wetten?«
Eine halbe Stunde später ging es los. Die Sommernacht war noch angenehm warm und es wehte nur hin und wieder ein laues Lüftchen.
Diana ritt vorneweg. Jeder zweite Reiter hatte eine Stirnlampe bekommen, damit sie in der Dunkelheit auch den Weg sehen konnten. Natürlich konnten sie nicht wild drauflosreiten. Es ging die ganze Zeit im Schritt und nur ab und an im Trab. Denn es konnte immer sein, dass man im Dunkeln ein Hindernis – und sei es nur eine Wurzel – übersah und das Pferd samt Reiter stürzte.
»Das ist gefährlich und deshalb haltet euch bitte immer an meine Anweisungen. Sonst war das hier leider der erste und letzte Ausflug dieser Art. Haben wir uns da verstanden?«, hatte Diana gesagt, bevor sie auf ihre Pferde gestiegen waren.
»Klar! Versteht sich doch von selbst. Oder, Leute?« Alina blickte sich zu den anderen um, die zustimmend nickten.
Etwa eine Stunde lang ging es erst über Feldwege, wo sie über ihnen die vielen Sterne sehen können, und dann durch den finsteren Wald. Denn das Picknick sollte auf einer Waldlichtung stattfinden, die nicht allzu weit von der Forststraße entfernt lag, sodass Alinas Eltern die ganzen Leckereien nicht zu weit schleppen mussten.
Als sie die Lichtung herreichten, traute Alina ihren Augen kaum. Ihre Eltern hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Neben dem Kuchen, den die Mädchen gebacken hatten, gab es auch eine Torte, auf der ihre Mutter die Kerzen angezündet hatte, als sie die Pferdehufe hörte.
Schnell sprangen die Kinder von den Pferden und banden diese an den Bäumen fest, wo diese sofort anfingen das frische Gras, das die Lichtung hergab, zu fressen.
»Oh Mama, Papa, das ist toll! Ich freu mich ja so!« Sie umarmte ihre Eltern.
Ihr Vater sah auf die Uhr. »Jetzt sind es noch genau zwei Minuten bis Mitternacht.« Als die letzten Sekunden anbrachen, eröffnete er den Countdown, in den alle sofort mit einstimmten: »Zehn … neun … acht … sieben … sechs … fünf … vier … drei … zwei … eins … Alles Gute zum Geburtstag, Alina!«
Nachdem alle noch Happy Birthday gesungen hatten, durfte Alina endlich die Kerzen auspusten und die vielen Geschenke auspacken.
»Oh, Wahnsinn! Ein Tagebuch! Tatjana, du bist verrückt! Danke!«
»Du hattest mal erwähnt, dass du mal eines führen möchtest.«
Alina nickte. Ja, das hatte sie. Aber um ehrlich zu sein, hatte sie das auch schon wieder vergessen. Aber nun gab es keine Ausflüchte mehr. Und ihr erster Eintrag würde der beste Geburtstag aller Zeiten werden.
Noch eine ganze Weile saßen sie auf der Lichtung zusammen, saßen und tranken, bis sie platzten, und erzählten sich lustige und auch gruselige Geschichten.
»So, ich denke, es wird Zeit, wieder aufzubrechen. Wir haben noch ein gutes Stück vor uns, bis wir wieder auf dem Heinrichshof sind. Aber keine Sorge, wir werden eine schnellere Route nehmen als auf dem Hinweg«, löste Diana die Party auf.
Alle gemeinsam räumten sie die Sachen zusammen, die Alinas Eltern wieder im Auto mitnahmen. Diese boten außerdem an, dass sie die Kinder zu Fuß am Reiterhof abholten und alle nach Hause brachten, was großen Jubel lostrat.
Der Ritt zurück war tatsächlich kurzer und so waren sie schneller als erwartet wieder auf dem Heinrichshof. Die Pferde wurden versorgt und als sie den Stall verließen, warteten Alinas Eltern bereits auf sie.
Nach und nach wurde jedes Kind nach Hause gebracht, bis nur noch Tatjana und Alina übrig waren.
»Na, Alina, war dein Geburtstag so, wie du ihn dir erhofft hast?«, wollte ihre Mutter wissen.
Doch Alina schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht?«
»Wie bitte?« Ihr Vater war entsetzt.
Da konnte Alina nicht mehr an sich halten und strahle über das ganze Gesicht. »Er war noch viel besser, als ich gedacht hätte.«
Ihre Mutter stöhnte. »Ohje, das heißt, diesen Geburtstag irgendwann mal zu toppen, wird eine Herausforderung sein.«
Alle lachten und Alina sowie ihre Eltern verabschiedeten sich von Tatjana, als sie vor ihren Häusern ankamen.
Jetzt war Alina zu müde, aber morgen – ach nein, wenn sie aufwachte, hatte sie ja immer noch Geburtstag – also später würde sie diesen Tag auf jeden Fall in ihrem Tagebuch festhalten, damit er niemals verlorengeht.