Mit meinem nassen Regenschirm in der einen und meinem Handy in der anderen Hand stand ich auf dem Bahnhof und sah die Anzeigetafel böse an. Schon wieder stand dort nichts außer der wenig hilfreichen Information, dass aufgrund einer Störung auf meiner Linie die Bahnen zurzeit nur unregelmäßig fuhren - als hätte ich das noch nicht bemerkt.
Ich wartete nun schon seit zehn Minuten darauf, dass die Anzeigetafel sich endlich entscheiden würde, ob die nächste Bahn nun in sechzehn Minuten hier ankommen würde, oder eben nicht. Beinahe minütlich wechselte sie nämlich ihre Meinung dazu.
Mit der Zeit versammelten sich mehr und mehr Menschen auf dem Bahnsteig und bald schon verdrehten wir gemeinsam die Augen, als die altbekannte Computerstimme uns darauf hinwies, dass wir doch am besten auf andere Linien ausweichen sollten - doof nur, wenn man nicht in Berlin sondern in Brandenburg wohnte und einen nur diese eine Bahnlinie zum entsprechenden Bahnhof bringen konnte ...
Da ich es langsam leid war, die Anzeigetafel weiterhin zu hypnotisieren, vertrieb ich mir die Zeit lieber damit, meine Mitmenschen zu mustern.
Eine Mutter schob ihren Kinderwagen auf der Stelle hin und her, um ihr weinendes Baby zu beruhigen. Eine Gruppe Arbeitskollegen stand zusammen und unterhielten sich lautstark über ihren Tag, einige von ihnen mit einer Bierflasche in der Hand. Dann gab es da noch einige Menschen, die sich mit Musik abschotteten und ganz auf ihr Handy fokussiert waren und eine Frau Mitte dreißig, die nicht so ganz in der Menge untergehen wollte.
Die schwarze Handtasche, die an ihrem Arm baumelte, war mit schickem goldenen Muster und unverkennbarem Markenlogo versehen und das nach oben gereckte Kinn gab den Blick auf eine zierliche goldene Kette mit einem großen Stein als Anhänger frei. Auch der pompöse Mantel, in dem die eher zierliche Frau beinahe zu versinken schien, wirkte nicht gerade erschwinglicher als der Rest ihres Outfits.
Die Dame telefonierte lautstark und marschierte hin und her, immer wieder an einem älteren Mann vorbei, den das sichtlich störte, doch davon nahm sie überhaupt keine Notiz.
Ich schüttelte nur meinen Kopf und registriete die S-Bahn auf dem anderen Gleis nur am Rande, als sie im Bahnhof einfuhr und immer langsamer wurde.
Erst die Ansage riss mich dann wirklich aus meinen Gedanken, denn sie teilte uns mit, dass dort gerade unsere Bahn eingefahren sein sollte!
Ich sah verwirrt zur Anzeige auf meinem Gleis auf, die gerade wieder voraussagte, dass unsere Bahn in zwölf Minuten kam und hastete zum nebenliegenden Gleis, dessen Anzeige mir versicherte, dass das dort wirklich unsere Bahn war!
Als einer der ersten war ich in einen Wagon gehuscht und konnte nun amüsiert beobachten, wie in die Menge nach und nach Bewegung kam. Einige schienen die Durchsage auch gehört zu haben, andere wiederum wunderten sich nur, wo die anderen denn plötzlich hin wollten. Nachdem die Erkenntnis dann auch dem Letzten gekommen war, dauerte es nicht mehr lange, bis sich alle in der Bahn eingefunden hatten.
Die werte Dame, die immer noch telefonierte und nun auch noch anfing, in ihrer wunderschönen Handtasche zu wühlen, war leider in meinem Wagon eingestiegen und das wollte mir schon die Laune verderben. Allerdings fuhr die Bahn nicht wie vermutet los - sie blieb einfach am Bahnsteig stehen. Ich wartete noch einen Moment ab, doch nachdem sie auch nach drei Minuten noch nicht angefahren war, wechselte ich schnell den Wagon und ließ das Geschnatter dieser anstrengenden Frau hinter mir.
Irgendwann setzte sich die Bahn dann ruckelnd und quitschend in Bewegung und ich betete nur noch, dass sie es bis zu meinem Bahnhof schaffen würde - was sie zu meiner großen Erleichterung wirklich tat.