„Irgendwie enttäuschend“, murmelte Ntokozo, während sie das Treiben auf dem Platz beobachtete.
Izisa saß neben ihr, kaute sehr auffällig ihr Kaugummi und wandte sich nun ihr zu. „Was?“ Sie übertrieb ihren Dialekt absichtlich.
„Na, hast du diese alten Filme geschaut? Die meinten wir hätten Hoverboards. Tja, so viel dazu.“
Das entlockte Izisa ein spitzes Lachen. „Ja, das stimmt.“
Tatsächlich waren auf dem Skateparks nur enttäuschend an den Boden gebundene Boards und Skates verschiedener Arten zu sehen. Klar, die waren nicht so alte Modelle, wie so manch ein Sammler sie hatte. Diese Boards waren verziert, oft von kleinen Motoren verstärkt und mit allen möglichen leuchtenden Elementen verziert, doch so ein wenig schweben wäre halt schon cool.
Und Linda konnte Ntokozo nirgends entdecken.
Sie seufzte. Schlürfend leerte sie ihr Getränk, fixierte den nächsten Mülleimer und warf.
„Daneben!“, kommentierte Izisa schon, als der Becher am Rand des alten Stahleimers abprallte, der nicht ganz in das Design des renovierten Rinks passte. Da aber machte der Becher einen kleinen Salto in der Luft und landete dann doch im Eimer.
Das konnte nur eins bedeuten. „Linda!“, rief Ntokozo aus und sah sich so hastig um, dass ihre dünnen Flechtzöpfe prompt in ihr Sichtfeld flogen.
Doch vom Jungen sah sie keine Spur. Man. Er musste hier sein. Das war seine Art der Telekinese gewesen. Da war sie sich sicher. Wie gemein. Versteckte er sich vor ihr?
„Du und dein Crush.“ Izisa lachte, als Ntokozo ihr eigenes Board auf den Boden stellte.
Sie schenkte ihrer besten Freundin nur einen frechen Blick. „Ja, und?“ Damit stellte sie sich aufs Board, nahm Anschwung und ließ das Board den Rest regeln. Immerhin erlaubte moderne Technik zumindest ein wenig Schnickschnack.
Gemeinsam mit Izisa hatte sie auf den Treppen am Rand des Parks gehockt, der über einen Hektar Fläche hatte. Sie kannte viele, die herkamen. Die meisten von ihrer Schule. Die meisten von den anderen Schulen. Genug Studenten, als dass es immer wieder Streits darum gab. Aber nur wenige Mutanten. Warum eigentlich? Immerhin gab es ja eigentlich keine Gründe dafür. Aber wahrscheinlich waren Dinge passiert, bevor sie wirklich aktiv war.
Ihr Hoodie war dunkel, damit die Schrift darauf richtig hervorgehoben wurde. Die Perlen in ihren Zöpfen leuchteten matt in der Dunkelheit, genauso wie die Absätze ihrer Schule. Das hatte sie unter anderem Linda zu verdanken, der ein echtes Händchen dafür hatte, Schuhe und Kleidung ein wenig aufzupeppen.
Ntokozo suchte die Umgebung ab, während ihr Board beschleunigte. Die Anzeige im Hyperview sagte ihr, dass sie knapp zwanzig km/h machte. Da ging noch mehr. Sie lenkte in eine der Bowls, wich geschickt einem der Skater auf und genoss das Gefühl, als ihr Board noch einmal beschleunigte. Schon lenkte sie auf der anderen Seite der Bowl hoch, kam ein wenig in die Luft, aber nicht genug. Man. Wo war eigentlich Linda?
Sie fuhr weiter, umfuhr die Pyramiden, den Vulkan und steuerte dann den Gap an. Ja, sie suchte Linda, aber dann war da halt auch immer dieser Wunsch. Einmal richtig Fliegen. Die große Rampe bot da sicher mehr, aber ihr letzter Sturz hätte ihr fast 'nen Zahl gekostet, weshalb sie es nicht noch mal drauf anlegte.
Tempo. Seitlich. Sprung. Flip. Das konnte sie mittlerweile ziemlich gut. Jetzt hatte sie den Platz beinahe durchquert.
Auf der anderen Seite, gegenüber der langen Treppen die zum eigentlichen Park führten, waren die alten Industriegebäude. Die Hälfte davon waren aber schon so lange Bars, Pubs und Diskotheken, dass es von ihnen niemand gewusst hätte, hätten sie nicht „die Industrie“ geheißen. Außerdem war da Halle A. So nannten sie das riesige Wellblechgebäude, dessen Wände komplett mit Graffiti verziert waren und auf dessen Dach man die beste Aussicht hatte.
Eigentlich 'ne gute Idee.
Schon steuerte Ntokozo die Halle an, als sie eine Gestalt auf der Treppe am Rand bemerkte. Sie erkannte ihn sofort. Nicht am Haar, das heute schon wieder in eine neue Farbe – violett – gefärbt war, sondern an den angepassten rot leuchtenden Schuhen, aus denen seine Prothesen ragten. Marke Eigenbau. Sie sahen einfach nur geil aus.
„Linda!“, rief sie aus, als sie den Fuß der Treppe erreichte.
Er wandte sich ihr zu. Ein Grinsen zeigte sich auf seinen Lippen. Mit der Hand zeigte er nach oben und beschleunigte dann seinen Schritt. Die Ränder seiner Prothesen leuchteten bei jedem Schritt in Regenbogenfarben, während die Prothese selbst federte, ihm teilweise erlaubte zwei, drei Stufen auf einmal zu nehmen.
Ntokozo schnaubte. So ein Angeber! Dennoch sprang sie ab, beförderte das Board mit einem geschickten Flip in die Luft und fing es auf. Mit ihm unter dem Arm hastete sie Linda hinterher.
Dennoch erreichte er das Dach sicher zwei Minuten bevor sie sich keuchend die letzten Stufen hinausschleppte. Er lehnte schon gegen den Zaun am Rand des Daches und schaute auf den Park hinab.
„Hey, Girl“, rief er grinsend, als sie auf ihn zukam.
„Habe ich dir schon gesagt, dass du gemein bist?“, fragte sie.
Er rieb sich das glatte Kinn, als müsse er überlegen. „Hmm. Ne, ich glaube nicht. Heute noch nicht zumindest.“
Sie boxte ihn gegen den Oberarm. „Du bist gemein! Du Aap!“
„Autsch.“ Er rieb sich den Arm. Seine Augen leuchteten golden im Licht der Ballons, die über dem Dach schwebten.
„Haste dir verdient!“, erwiderte sie. „Warum bist du weggelaufen.“
„Na, komm doch. Wolltest doch auch nicht vor Izisa Kram besprechen, oder?“
„Kram?“ Ntokozo schaute ihn an. Bevor sie es verhindern konnte, hatte sie sich nervös ein paar Zöpfe aus dem Gesicht gewischt. Warum musste sein Grinsen nur so gewinnend sein? Warum musste es ihr Herz so rasen lassen. Aap. Chommie. Paw-Paw!
„Nur so ein Gefühl“, meinte er und zuckte mit den Schultern.
Sein Haar war geglättet und hing in dieser wilden violetten Mähne über seine Schulter. Sein Shirt war weit, zeigte seine Figur aber dennoch irgendwie. Er schaffte es halt auch gleichzeitig muskulös und feingliedrig zu sein. Perfekt, halt, wenn man Ntokozo fragte. Auch wie er seine Prothesen trug, fand sie irgendwie cool. Immerhin versuchten so viele so zu tun, als wären ihre Beine normal – halt normal, nur besser. Doch seine Prothesen? Einfach nur cool! Genau wie die rot leuchtenden Schuhe, die er selbst genäht hatte, als er keine gefunden hatte, die zu den Prothesen passte.
Na, und jetzt wollte er sie herausfordern, oder?
Echter Chommie.
Sie lehnte sich neben ihn gegen das Geländer, bemüht entspannt zu wirken. „Na ja“, meinte sie matt. „Hatte dich ja schon was fragen wollen.“
„Ja?“
„Ja“, erwiderte sie und runzelte die Stirn. „Ich wollte dich fragen, ob du mir mal über die Rampe helfen kannst.“
„Was?“
Na, so leicht ließ sie sich nicht herausfordern. Sie hatte Standards. Warum sollte er sie nicht fragen?
„Na, die Rampe. Deine Telekinese oder so könnte mir helfen, mich nicht wieder auf die Schnauze zu legen.“
„Du meinst, du willst schummeln.“ Jetzt versetzte er ihr einen sanften Boxschlag gegen die Schulter.
„Nein. Ich will mit Sicherheitsgurt üben“, erwiderte sie. „Und dann will ich fliegen!“ Sie breitete die Arme in einer entsprechenden Geste aus, was Linda dazu brachte, loszuprusten.
„Du kannst auf einfach auf die Nase fliegen.“
Ntokozo gab sich unbeeindruckt. „Na, was ist. Hilfst du mir, Paw-Paw?“
Noch immer gluckste Linda. Dann aber gab er einen übertriebenen Seufzer von sich. „Ich will mal nicht so sein, Stukkie.“ Er klopfte ihr auf die Schulter. „Aber ich bekomme etwas dafür.“
„Und was?“
Ein freches Grinsen zeigte sich auf seinen Zügen. „Deine eigentliche Frage.“ Damit beugte er sich vor, küsste sie auf die Wange und ging dann rasch aus ihrer Reichweite. „Schlimmstenfalls vor Izisa.“ Er lachte und rannte zur Treppe.
„Aap!“ Doch auch wenn der Schweiß noch immer auf Ntokozos Stirn stand, rannte sie ihm hinterher.