Achtung! Triggerwarnung: Krankheit, Tod
Maria ging es mit jedem Tag schlechter. Sie hatte ihre Bauchschmerzen immer als harmlos abgetan, und meinte, dass ihre Magenverstimmung schon irgendwann besser werden würde. Doch insgeheim hatte sie es geahnt. Sie hatte geahnt, dass ihr Leben nun ein Ende finden sollte. Fünfundsiebzig Jahre hatte sie ein anstrengendes, entbehrungsreiches, aber dennoch schönes Leben gehabt. Sie hatte eine Scheidung hinter sich, und drei wundervolle Kinder aus der Ehe bekommen, die sie hatte großziehen dürfen.
Nun lag sie im Krankenhaus. Eigentlich hatte sie immer zuhause bei ihren Lieben sterben wollen, dachte sie etwas traurig. Doch da die Bauchschmerzen immer schlimmer wurden, hatte sie sich ins Krankenhaus begeben müssen. Die Diagnose: Krebs im Endstadium.
Maria konnte kaum noch essen und trinken. Der Tumor hatte sich ausgebreitet und gestreut. Es war nicht nur die Bauchspeicheldrüse betroffen, sondern auch Leber und Magen.
Eines Abends lag Maria schon nicht mehr ganz bei Bewusstsein in ihrem Zimmer. Ihr Lebensgefährte schlief bereits im Bett neben ihr. Er hatte freundlicherweise ein Bett bekommen, damit er bei ihr sein konnte. Es war der Wunsch von beiden gewesen.
Maria schaute müde und benebelt von den starken Schmerzmedikamenten auf, als plötzlich eine dunkle Figur an ihr Bett heran trat. Sie sah die Person erst unscharf und blinzelte. Dies veranlasste sie, näher zu kommen. Maria bemerkte überrascht, wie wunderschön die Person war. Sie hatte lange, schwarzglänzende Haare, und trug ein festlich aussehendes, schwarzes Gewand. Dazu fast weiße Haut. Die Augen waren ebenfalls dunkel, schienen jedoch zu leuchten. Fein geschwungene Lippen öffneten sich um Maria zu begrüßen.
„Hallo liebe Maria.“, sagte sie freundlich. Ja, es war eine Frau, stellte die Blonde fest.
„Wer sind Sie? Sie habe ich noch nicht unter den Schwestern gesehen.“ Die schwarzhaarige Frau lachte leise, aber nicht unfreundlich.
„Ich gehöre nicht zum Personal des Krankenhauses. Wohl aber bin ich ein Todesengel. Und ich bin hier um dich nach Hause zu geleiten.“
„Ich darf nach Hause…? Aber ich bin doch sterbenskrank.“, sagte die Blonde müde. Ihre Sinne hatten an Klarheit verloren, was sie nun bedauerte. Die schwarze Frau verschwamm immer wieder vor ihren Augen.
„Ich meine nicht dein physisches Zuhause, meine Liebe. Ich bin hier, um dich in dein wahres Zuhause zu bringen. Dem Reich der Seelen, oder auch Jenseits, ganz wie du es nennen möchtest.“
„Was?“ Maria versuchte sich zu erheben, doch sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. „Ich habe doch noch so viele Pläne. Ich möchte einige Zeit bei meinem Lebensgefährten in den Staaten verbringen, und ihn heiraten, und...“ Maria brach ab, und schien nachzudenken.
„Ich bedaure sehr, dass dies dir leider nicht mehr möglich sein wird, in diesem Leben.“ Mitleidig aber voller Liebe sah der Todesengel Maria an.
„Nun, wenn es so sein soll… Aber was wird aus meinen Kindern, und Enkelkindern? Und aus meinem Lebensgefährten? Meine Enkeltochter macht mir etwas Sorgen...“
„Sie beschreiten ihren Weg. Und jeder von ihnen macht das wundervoll – jeder auf seine oder ihre Art. Für deinen Lebensgefährten wird ebenfalls gesorgt. Er wird dir bald nachfolgen. Mehr Informationen sind aber nicht für dich bestimmt, da es seine Angelegenheit, zwischen ihm und dem Schöpfer ist.“
„Darf ich Sie noch etwas fragen?“
„Natürlich. Und du darfst gerne du zu mir sagen.“
„Du… bist also ein Todesengel. Du bist schwarz, und machst mir ehrlich gesagt Angst vor meinem weiteren Weg. Ich hatte mir Engel immer hell und strahlend vorgestellt. Wird mein Weg mich etwa in die Hölle führen?“ Angsterfüllt sah Maria zu dem Todesengel auf.
„Hab keine Angst meine Liebe. Ich trage diese Farbe aus einem Grund. In eurer Region symbolisiert die Farbe schwarz den Tod. Doch es ist nichts, wovor du Angst haben musst! Ich habe gehört, schwarz war deine Lieblingsfarbe, und du hast häufig schwarze Kleidung in deinem irdischen Leben getragen?“
„Das stimmt! Woher weißt du das?“ Der Engel lächelte nur, wissend.
„Dann kommst du also in anderen Ländern in einer anderen Gestalt daher?“ Maria überlegte. „In Asien und buddhistisch geprägten Ländern ist ja weiß die Trauerfarbe. Kommst du dann in weißem Gewand?“
„Du weißt es. Tief in dir.“
„Heißt das, ich habe schon einmal gelebt?“ Maria war überrascht.
„Fast alle Menschen haben schon unzählige Leben hinter sich. Auch du hast schon in den verschiedensten Ländern und Kulturen gelebt. Und nach jedem Leben kehrst du in die himmlischen Welten zurück.“
„Und warum weiß ich nichts davon?“, fragte Maria etwas betrübt.
„Jeder Mensch geht vor dem Beginn seines neuen Erdenlebens durch den Schleier des Vergessens. Bestimmte Umstände erfordern negative und als schlimm angesehene Ereignisse im Leben. Würdest du so ein Leben führen wollen, wenn du von den wundervollen Welten wüsstest, die der Himmel birgt?“
„Ich verstehe, was du meinst. Ich würde wahrscheinlich nicht so leben wollen. Aber warum ist es überhaupt nötig, auf der Erde zu leben, wenn es im Himmel so schön ist?“
„Gewisse Umstände, wie karmische Verstrickungen, die ihr zum Beispiel durch Vergeltung, Streit, Mord und ähnliches angehäuft habt, machen es nötig, auf der Erde zu leben. Dort klärt ihr alte Verstrickungen, so lange, bis es Zeit ist, dauerhaft in den Himmel zurück zu kehren.“
„Ich werde also jetzt erst einmal in den Himmel kommen?“, in Maria regte sich Vorfreude.
„Du wirst mit mir kommen, und gemeinsam kehren wir zurück in die himmlischen Sphären. Bist du bereit, oder möchtest du noch etwas wissen?“
„Ich denke, dass ich nun mit dir gehen will. Werden die Qualen dann endlich aufhören?“
„Ja, meine Liebe. Du hast wirklich genug Entbehrungen und Schmerzen in diesem Leben erlitten. Nun gehen wir nach Hause.“ Liebevoll umarmte der schwarze Engel die Frau. Auf dem Rücken des Todesengels erschienen große, schwarze Schwingen. Langsam erhob sie sich und trug Marias Seele sanft in ihren Armen davon.
Als ihr Lebensgefährte erwachte, fand er nur noch ihren physischen Körper vor. Maria war laut den Ärzten eingeschlafen, und nicht mehr aufgewacht.