Lieber Sohn,
wir saßen hier gerade mit Martin und Nele zusammen und haben diese aberwitzigen Mengen von Fotobüchern und Fotokisten durchgesehen. Immerhin keine Dias mehr, die Jakob so gerne hatte. Das meiste habt ihr Jungs ja zwischenzeitlich digitalisiert. Papa hat uns gestern einen neuen digitalen Bilderrahmen gekauft. Du wirst es nicht glauben, der kann auf unsere Fotogalerie auf dem PC zugreifen. Martin hat mir versucht zu erklären, wie das funktioniert, aber ehrlicherweise habe ich es nicht ganz verstanden. Nur, dass es wichtig ist, dass wir regelmäßig die Fotos dort speichern. Also vor allem die Neuen, die du uns so schickst.
Auf jeden Fall haben wir geprüft, dass wir jetzt alle Fotobände archiviert haben. Herrje, ich hatte ganz vergessen, wie viele Fotos wir von Martin in seinen ersten Monaten gemacht haben. Es war ihm fast ein wenig unangenehm, aber Nele fand es lustig. Ein paar sehr schön von euch beiden, als ihr noch klein wart, haben wir herausgefiltert und dein Bruder wird sie dir irgendwie zukommen lassen. Theoretisch könnte ich sie auch dieser Mail anhängen, aber es sind zu viele.
Du kannst dir vorstellen, dass es ein sehr spaßiger Nachmittag war. Es war schön, unsere Familienankedoten anhand der Fotos zu erzählen und Nele damit die Geschichte der Familie näher zu bringen. Auch sie hat ja leider Elli und Jakob, aber auch Margarete nie kennen gelernt. Und auch Ursel ist ja viel zu weit weg. Papa und ich überlegen, ob wir zu Ostern in die Staaten fliegen sollen. Man weiß ja nie und wir werden alle nicht jünger. Von ihrem Sturz hat sie sich leider nicht gut erholt, aber das weißt du ja bestimmt. Ich schweife ab, eigentlich wollte ich dir etwas vollkommen anderes erzählen.
Da waren noch Fotos, die wir bisher nicht digital gesichert haben. Vermutlich, weil die Qualität im Laufe der Jahre sehr gelitten hat. Und, so ehrlich müssen wir sein, sie etwas in Vergessenheit geraten sind. Ich denke aber, dass du sie haben möchtest.
Vielleicht möchtest du deinen Kindern später einmal von Elli und Jakob erzählen. Von ihrer Liebe, ihrem Leben und ihrer Bedeutung für dich. Diese Fotos sind über 60 Jahre alt. Bei dir wären sie in den besten Händen.
Etwas verblichen und viele nur in schwarzweiß.
Wenn du sie erstmal siehst, dann wirst du verstehen, warum ich beinahe weinen musste, als ich sie entdeckte.
Elli und Jakob waren noch sehr jung, frisch verlobt.
Es sind auch noch Fotografien ihrer Hochzeit dabei.
Papa als Kind und seine Brüder.
Du bist ein pures Abbild deines Großvaters.
Wir haben vorhin ein paar Fotos nebeneinandergelegt und Nele hat immer nur den Kopf geschüttelt.
Es ist fast ein bisschen unheimlich, wie in dir die beiden vereint sind.
Äußerlich bist du Jakobs Kopie, vom Wesen her gleichst du Elli.
Manchmal frage ich mich, wo die Gene meiner Familie bei dir abgeblieben sind. In Martin entdecke ich viel von Margarete, ein wenig was von Leopold, aber du bist ganz und gar ein Lehmann.
Dann betrachte deinen Vater als Kind und vergleiche ihn mit deinem Sohn. Es ist fürwahr unglaublich. Als wenn sich jede zweite Generation optisch wiederholt. Paul möchte morgen auf dem Dachboden nachsehen, ob wir noch Aufnahmen seiner Großeltern finden.
Was ich noch gefunden, aber niemandem gezeigt habe, sind ein paar Schnapschüsse. Diese werde ich dir samt den Familienfotos in einen Umschlag stecken und morgen früh zur Post bringen. Außer du schreibst mir, dass du sie nicht haben möchtest. Ich denke, es obliegt allein deiner Entscheidung, was wir damit machen. Wir persönlich haben ein paar Fotos von Anna und dir. Sehr wenige, aber sie gehörte doch lange zu unserem Leben. So wie wir auch eine Aufnahme von Dir mit Diana und David haben, die wir trotz allem aufbewahren. Auch David wird vielleicht irgendwann fragen, aber auch das wirst du entscheiden müssen. Wie so vieles, was dich und Diana angeht.
Auf jeden Fall finde ich die Fotos bemerkenswert schön, weil sie euch beide lachend zeigen. So haben wir Anna auch im Herzen behalten. Noch immer hoffe ich, dass du deinen Frieden mit ihr gemacht hast und sie als das begreifen kannst, was sie für dich war. Jemand, der dich ein Stück begleitet hat, durch sehr schwere Zeiten und der dich auf seine Art geliebt hat. Sie gehören zu uns, diese Erfahrungen. Aber wer weiß das besser als du?
Nun lasse ich es für heute gut sein, verzeih deiner Mutter diese sentimentalen Zeilen. Euch geht es hoffentlich gut und ihr seid alle munter. Melde dich, mein Schatz.
In Liebe
Mama