PROMPT: Weißer Nebel - nachgeschrieben 11.02.20 / 16:50 - 17:50
Was haben wir um dein Leben gebangt.
Immer wieder.
Schon zu Beginn, in den letzten Wochen der schwierigen Schwangerschaft.
Als du dich dann viel zu früh auf den Weg gemacht hast, wagte ich es kaum zu denken. Und dennoch mussten wir der Tatsache ins Auge sehen.
Es hätte auch ganz anders ausgehen können und ich werde niemals den Moment vergessen, als man dich mir weg nahm - um dich zu retten. Dich nicht bei mir zu haben, in diesen ersten Stunden und Tagen....glaub mir, es war die Hölle auf Erden. Was waren wir erleichtert, als du über dem Berg warst und wir dich endlich in die Arme schließen durften. Und trotzem, das weiß ich heute, ist schon damals etwas zerbrochen. Da kann man niemandem einen Vorwurf machen.Doch ideal war diese Situation für die Entwicklung deines Ur-Vertrauen nicht.
All deine schwierigen Phasen im Leben, auf der Suche nach einem Platz in dieser Welt. Da mag es nicht so existenziell um Leben oder Tod gegangen sein, aber wir bangten dennoch. Man leidet ja mit, wenn das eigene Kind in kein Schema, keinen Entwurf passen kann. Durch dich haben wir aber in dieser Zeit lernen dürfen, dass "normal" ein furchtbar falsch definierter Begriff ist. Genauer gesagt ist der Umgang mit diesem Begriff oft fahrlässig. Wie erschreckend es doch ist, wenn man auf den Kpf zugesagt bekommt: Ihr Kind ist nicht normal - das klang nach: Ihr Sohn ist falsch.
Du bist richtig, mein Schatz. So wie du bist - und unsere Aufgabe war es, dir eine Umgebung zu bieten, in der du das auch bleiben darfst. Dabei haben wir versucht nicht aus den Augen zu verlieren, dass du alle Chancen bekommst und dass du glücklich wirst.
Dann aber mussten wir erstmals konkret bangen. Als die Trauer dich das erste Mal gefangen nahm und du in der Folge Auffälligkeiten an den Tag gelegt hast, die wir erst später als Alarmzeichen erkennen konnten. Heute würden wir früher reagieren, uns allen diese Krisen und Kämpfe ersparen. Und die Ängste in den Jahren danach.
Wir haben mit dir gelitten, als deine Träume und Wünsche auseinanderbrachen. Wir haben aufgeatmet, als du Schritt für Schritt zurückgefunden hast und ahnten doch auch damals schon, dass dich irgendwann einholen wird, was nicht aufgearbeitet wurde.
Als es dann soweit war und du zudem noch diese grausige Erfahrung machen musstest, hatte ich wochelang fürchterlich Angst um dich.
Eine völlig unbekannte Hilflosigkeit.
Du warst ein Gehetzter, voller Unruhe.
Jeder Schnitt, den du dir selbst zugefügt hast, konnte ich im Herzen spüren.
Du wirst sie immer als Narben tragen, als Mahnung, nicht nur auf den Armen.
Wie du immer weniger wurdest und mit jeder Faser signalisiertest, dass du dir selbst nicht über den Weg trautest.
Du hattest so viel Glück mit den beiden Suizidversuchen, die du so geschickt verstecken konntest. Warst eine tickende Bombe.
Deine Ängste fraßen dich, deine Erinnerungen quälten dich und verschütteten jeden Tag ein bisschen mehr von dir.
Du hast Gott sei Dank selbst die Reißleine gezogen und den Alarmknopf gedrückt. Tief in dir wusstest du, dass du leben willst. Und ebenso tief in dir war dir klar geworden, dass du vor lauter Verzweiflung trotzdem nicht mehr leben wolltest. Du hast dich für den aktiven, den aber einzig richtigen Weg entschieden.
Dennoch mussten wir weiter bangen, als du vermeintlich in Sicherheit warst. Zumindest vor dir selbst. Doch in der ersten Zeit des Klinikaufenthalts wehrte sich dein geschwächter Körper. Vielleicht war dieser Zusammenbruch die logische Folge - du hattest eine schwere Infektion verschleppt, kaum noch gegessen oder geschlafen, die Selbstverletzungen hatten sich entzündet. Wir warteten jeden Tag auf die Anrufe deines Arztes. Des Menschen, dem wir vermutlich dein Leben zu verdanken haben. Es waren schwere Tage, die mich die nach deiner Geburt erinnert haben.
Das Lauschen und Warten auf das Telefon.
Die Agst vor einer Hiobsbotschaft.
Tagelang dieses Fieber.
Der Verdacht auf Blutvergiftung.
Die immer schlechter werdenden Werte.
Die heftigen Albträume.
Der massive Gewichtsverlust.
Deine Weigerung zu essen.
Immer kürzere Wachphasen.
Diese Erleichterung, als der Verdachtsmoment auf die Vergitung ausgräumt war und endlich ein Antibiotika erste Wirkung zeigte.
Das Aufatmen, dass die Ärzte sowohl auf eine Fixierung als auch auf eine Zwangsernährung verzichteten.
Ich habe geweint, als es hieß, dass du deine erste Schüssel mit Brühe zu dir genommen und bei dir behalten hast.
Wir haben uns ein Glas Wein gegönnt, als das Fieber dich aus seinen Klauen entließ und du wieder ansprechbar warst.
Zu gerne wären wir direkt gekommen, aber die Ärzte blieben in diesem Punkt streng. Wir durften uns nach dir erkundigen, aber dich weder sprechen noch sehen. Einige lange Wochen lang.
Es war richtig, so schwer es auch war.
Irgendwann spürten auch wir, dass es half, die Verantwortung und Sorge zu übertragen. Du warst in den besten Händen und wir mussten darauf vertrauen.
Dieses Loslassen, das aktive Herausgehen aus dieser Krisensituaion, ohne dich im Stich zu lassen, war auch für Isabelle eine Reinigung.
Du warst am Tiefpunkt deines Lebens.
Und helfen konnten wir dir einfach nicht.
Weil wir dich lieben.
Und es immer noch tun.
Wir haben versucht, mit dir zu kämpfen, dir den Kampf abzunehmen, aber so funktioniert dies nicht.
Es ist und bleibt dein Kampf, wenn der weiße Nebel dich verführt.
Wir können dir nur die Hand reichen, den Rücken frei halten oder ein Ohr schenken.
Vor allem aber sind wir dafür da, dir jederzeit bedingungslose Liebe zu geben. Eine Heimat, einen Zufluchtsort und Geborgenheit. Wir haben gelernt, nicht zu werten, was du dir angetan hast. Wir haben verstanden, dass du im Rahmen deiner Erkrankung nicht immer nachvollziehbare Entscheidungen triffst.
Du hast aber gelernt, damit zu leben. Jeden tag ein bisschen mehr.
Wir lieben Dich.
Wir sind da, wenn du kämpfst.
Wir sind auch da, wenn es dir so gut geht, dass dein Übermut dich in die Wolken schickt.
Gemeinsam, das haben wir uns immer gesagt, schaffen wir alles.
Du bist nicht allein.
Wirst es niemals sein.