POV Joanne Stark
In dieser neuen Welt war jeden Tag zu überstehen und zu überleben schon ein kleiner Sieg für uns, für die Menschen.
Wir kämpften, gewannen hier einen Kampf oder eroberten da mal etwas Gebiet zurück. Nur blieb der Siegestaumel nur kurz, denn Tage später sah es schon wieder anders aus. Da wurden die Menschen aus ihren Häusern vertrieben, ihre Habseligkeiten gingen in Flammen auf.
Wir hatten manchmal Wochen lang Ruhe, bis dann die nächste Angriffswelle kam. Da dachte man schon, vielleicht ist es vorbei. Vielleicht wurden die Vampire und Ghule besiegt.
Das dachte meine Mutter auch. Sie war der Meinung, es sei sicher dort, wo sie mit meinen Halbgeschwistern und meinem Stiefvater lebte. Deswegen hatten wir oft gestritten, bis ich schließlich genug hatte und auszog. Gut, es lag nicht nur an ihr, auch an meinem schlagwütigen, dauerbetrunkenen Stiefvater. Aber am meisten auch daran, dass ich endlich mit Paul zusammenleben wollte.
Wir gingen auf das Collage in der ersten sicheren Zone. Dort nahmen wir uns auch eine kleine Wohnung. Es war perfekt. So perfekt, dass wir uns verlobten und nach unserem Abschluss heiraten wollten. Doch kommt es meistens anders als man denkt.
Paul überredete mich, mich mit meiner Mum auszusprechen. Er arrangierte ein Essen zu meinem 20. Geburtstag, das bei meiner Familie stattfinden sollte. Die Begrüßung fiel recht kühl aus.
Natürlich war mein Stiefvater nicht da. Der betrank sich vermutlich irgendwo oder war bei seiner Geliebten, oder beides. Sie entschuldigte ihn und meinte er hätte noch an der Arbeit zu tun.
Ich war froh drum gewesen, denn unser letztes Zusammentreffen bestand darin, dass ich ihm die Nase brach und dann auszog.
Das Essen verlief ruhig und gesittet ab, wobei meine Mutter aber beharrlich schwieg. Paul und ich erzählten von unserem Studium, auch von unseren Hochzeitsplänen. Meine Mum schien nicht begeistert, sagte aber auch dazu nichts.
Beim anschließenden Kaffeetrinken wollte ich noch einmal versuchen mit meiner Mum zu reden, während Paul mit meinen Geschwistern spielte. Julie und Ethan hatten ihn sofort ins Herz geschlossen gehabt.
Meine Mum und ich sahen ihnen zu. Über diesen Anblick musste ich lächeln. Ich malte mir aus, dass er so irgendwann mit unseren Kindern spielen würde. Was mich dazu brachte, warum ich hier war.
„Ihr solltet lieber in eine der Zonen ziehen“, begann ich das unangenehme Gespräch.
„Warum sollten wir?“, entgegnete die und nippte an ihrer Tasse Kaffee.
„Ihr seid hier auf Dauer nicht sicher. Irgendwann werden die Vampire auch hier einfallen.“
„Es ist sechs Jahre her. Dein Stiefvater glaubt nicht, dass die Vampire noch weitere Gebiete angreifen werden.“
Ich schlug die Hände über ihren Kopf zusammen. „Wisst ihr denn nicht, was da draußen los ist! Es wurden bereits zwei weitere Zonen errichtet und hunderte von Menschen mussten fliehen. Und wir sind nicht die einzige Stadt, oder das einzige Land. So sieht es auf der ganzen Welt aus. Ihr könnt die Augen nicht länger davor verschließen, nur weil es bequemer ist.“
„Das ist eine Lüge der Medien“, sagte sie empört.
„Warum sollten die lügen?“ Ich konnte es kaum fassen, dass meine Mutter sich so von Manuel manipulieren ließ.
Mir war klar, warum er nicht weg wollte, aber ich werde ihr nicht sagen, dass es wegen seiner Geliebten war. Wenn sie lieber davor die Augen verschließen wollte bitte, kann sie machen, aber doch nicht auf die Kosten ihrer Kinder. Dass sie hier nicht sicher waren, musste ihr auch klar sein.
Plötzlich stellten sich mir die Nackenhaare auf. Sie waren hier, das spürte ich. Dann waren Schreie zu hören. Ich zwang meine Mutter mit uns zu gehen. Paul schnappte sich Julie und Ethan.
Draußen ging es drunter und drüber. Ich versuchte so gut es ging meine Familie dadurch zu lotsen, bis es nicht mehr weiter ging und uns Trümmer den Weg versperrten.
Schnell waren wir von Vampiren umzingelt. Ich errichtete einen Schutzschild um uns herum. Lange hielt er nicht gegen die Attacken der Vampire stand. Er zerplatzte einfach. Ich war dann zu geschwächt, um einen neuen Schild zu erschaffen. Schnell übergab Paul Julie in meine Arme, küsste mich und zog plötzlich eine Pistole hervor. Er stellte sich den Feinden.
Es ging alles so schnell. Ich konnte nur noch tatenlos zusehen, wie mein Verlobter von den Vampiren zerfetzt wurde.
Wieder tauchten die schwarzgekleideten Kämpfer auf.
„Los! Folgt mir“, rief einer von ihnen und packte mich am Arm.
Wie in Trance ließ ich mich wegführen und stieg in einen Transporter. Der brachte uns in eine sichere Zone.
An diesem Tag haben die Vampire einen Sieg errungen und mir alles genommen.