POV Joanne Stark
Obwohl es schon fast zehn Jahre her ist, weiß ich alles noch so genau, als sei es erst gestern geschehen. Es war September und das Herbstlaub schimmerte zum Teil schon golden an den Bäumen. Noch wollten sie nicht herunterfallen.
Ich war gerade mal fünfzehn Jahre alt, meine Halbgeschwister vier und zwei. Sie gingen je an einer Hand unserer Mutter, als wir die Einkaufsstraße entlang schritten, die letzten noch warmen Sonnenstrahlen genossen und uns Schaufenster ansahen.
Plötzlich erklang Lärm in der Ferne, den ich nicht einordnen konnte. Waren das etwa Schreie und Schüsse? Wo kamen die her? Ich blickte mich nach der Ursache um. Ich blieb stehen und sah in eine Straße, die weiter in das Zentrum der Stadt führte. Meine Mutter ließ meinen kleinen Bruder los und griff nach meinem Arm, wollte mich weiterziehen, aber ich blieb wie erstarrt stehen. Sie folgte meinem Blick und erstarrte ebenfalls. Denn was wir erblickten, konnte einfach nicht sein. Das durfte so nicht sein! Vereinzelt stürmten Soldaten auf die kleine Einkaufsstraße, gefolgt von grässlichen Monstern. Es waren Ghule. Ich erkannte sie sofort. Mein Vater hatte sie mir ein paar Jahre zuvor beschrieben: von Vampiren verwandelte Menschen, die nur noch tierische Instinkte haben und höchstens noch vom Gesicht her einem Menschen ähneln. Sie haben kaum noch Haare, eine ledrige, graue Haut und Krallen. Ihre messerscharfen Zähne durchdringen sogar Kevlar- Westen, wie ich mit Schrecken feststellen musste.
Sie fielen die Soldaten regelrecht an, zerkratzten Gesichter, Arme und Beine. Rissen Bäuche auf und tranken das austretende Blut.
Nun war es an mir, meine Mutter zu packen.
„Wir müssen hier weg!“, schrie ich sie an. Sie erwachte aus ihrer Starre. Sie ergriff wieder die Hand meines Bruders. Beide Geschwister weinten bereits.
Ich hob meine kleine, zweijährige Schwester auf den Arm und gemeinsam rannten wir in die entgegengesetzte Richtung davon. Ich warf noch einen Blick über die Schulter. So sah ich, wie weitere Soldaten, in schwarzer Kampfmontur, aus der Nebenstraße kamen und die Ghule nieder machten. Ebenso sah ich, wie dabei einige Blätter von den Bäumen fielen und durch das schwarze Blut der Ghule ihre goldene Farbe verloren.