POV Edward Grey
„Das Schwertkampftraining war so hart“, jammerte Leo, während wir von der Trainingshalle zum Innenhof der Akademie gingen.
Ich seufzte. Er gehörte zwar zu meinen Freunden, aber oft nervte er mich mit seiner kindlichen Art. Er war kein Kämpfer. Früher beim Militär nicht und später bei den Night Watch auch nicht.
Trotzdem hatte er darauf bestanden mit uns an der Akademie das Kämpfen zu lernen. Ich hatte ihm aber vorgeschlagen, zu den Ingenieuren zu gehen. Ich meinte zu ihm, dass Waffen, Fahrzeuge und dergleichen immer repariert werden müssten und er dafür Geschick zeigte.
Daniel legte ihm, wie immer gut gelaunt, einen Arm um die Schultern. „Jetzt stellt dich nicht so an. Sieh es doch so, wie deine Lieblings- Fantasy- Geschichte.“
„Oh ja, wie in ‚Der Herr der Ringe‘“, rief Leo begeistert.
„Genau. Und die Ghule sind die Orks, die wir vernichten müssen.“
Ich sah die beiden schmunzelnd an. Leo hatte wieder gute Laune. Er war so schnell abzulenken. Das war schon irgendwie niedlich.
„Ob wie wieder über diesen dämlichen Parcours müssen?“, meldete sich nun auch Stan mürrisch zu Wort.
„Werden wir gleich erleben“, entgegnete ich und hoffte inständig, dass wir es nicht mussten.
Wir betraten den Innenhof, wo wir uns für die Fitnessübungen einfinden sollten. Da sich die Akademie unter der Erde befand, war der Hof nicht grün, wie ich es von meiner früheren Schule kannte. Sogar der Innenhof der Kaserne hatte ein paar Bäume besessen. Hier jedoch fanden wir nur kargen Beton vor.
Außerdem noch den Parcours. Stan stöhnte neben mir genervt, als wir ihn erblickten. Wieder war es an Daniel, die Stimmung aufzuhellen, indem er enthusiastisch darauf zu ging. Mit viel weniger Elan folgten wir ihm.
Der breitschultrige Trainer stand ebenfalls schon dort und erwartete seine Schüler, die er die nächste Stunde lang quälen konnte. So wie der aussah, machte ihm das vermutlich auch noch Spaß. Unsere Mitschüler sahen das wohl ähnlich, was ich an ihren unglücklichen Gesichtern feststellen konnte.
Der Trainer scheuchte uns los. Wir waren ja noch warm vom Schwertkampf. Daniel hopste vergnügt von Hindernis zu Hindernis. Ich wusste nicht, ob ich ihn dafür bewundern oder hassen sollte. Immer hatte der Kerl gute Laune. Selten sah ich meinen besten Freund traurig oder wütend.
Völlig aus der Puste trabten Stan und Leo uns nach, während Daniel und ich die Spitze anführten. Wir kamen an einer schrägen Kletterwand an.
Dan grinste mich schelmisch an. „Wer als erster oben ist“, sagte er frech und rannte los.
Er nahm zu viel Anlauf und wäre fast, als er oben ankam, herunter gefallen, wäre er nicht hängen geblieben. Er schimpfte laut, zappelte und versuchte loszukommen.
Erst als ich auch oben war sah ich, dass er mit dem Hosenboden an einem sehr großen Nagel hing, der sein Gewicht aushielt und im Holz stecken blieb. Bisher konnten wir dem immer ausweichen. In seinem Überschwang hatte er den wohl vergessen.
„Hilf mir!“, schrie er mich an.
Ich zog ihn wieder hoch. Dabei hörte ich, wie seine Hose riss. Das ließ ihn nur mehr schimpfen und fluchen. Solche Worte kannte ich nicht von ihm. Mit hochrotem Kopf rutschte er die Kletterwand wieder runter und lief, mit einer Hand auf dem Riss, wieder hinein. Wir alle konnten nicht anders, als darüber zu lachen. Damit hatte er definitiv unseren Tag gerettet gehabt.