„Alles in Ordnung mit dir Karin?“, fragte Nils besorgt, als ihn die Frau an Handy anrief.
„Ja, keine Sorge. Ich brauche nur deine Hilfe. Mein Auto springt nicht an“, kam die hastige Antwort. „Es tut mir leid, dich zu so später Stunde zu stören, aber ich weiß ja, dass du nachts oft wach bist und…“
„Kein Problem, ich hole dich ab. Wo bist du?“
„Im Foyer der Turn- und Festhalle. Du weißt doch, ich hab dir von der Halloweenparty in unserem Ort erzählt.“
Natürlich erinnerte er sich. Ganz Deutschland war seit einigen Jahren verrückt nach diesem Hokus Pokus, der von Amerika über den großen Teich hierher geschwappt war. Gepflegter kontrollierter Grusel, ohne echte Angst haben zu müssen, das war nichts für ihn.
Karin wusste das und hatte Nils deshalb erst gar nicht gefragt. Trotzdem hatte sie es nicht lassen können, ihm ausführlich über die bevorstehende Veranstaltung zu berichten.
Was war er eigentlich für sie?
Diese Frage stellte sich Nils nicht zum ersten Mal, als er wenig später in seinem Auto war und aus der Garage fuhr.
So etwas wie ein Bruder? Oder war er doch mehr für sie? Jemanden, von dem sie sich insgeheim eine Beziehung erhoffte, früher oder später? Warum hatte sie ihn angerufen und nicht einer ihrer Freunde?
Andererseits – warum nicht ihn? Die meisten ihrer Bekannten waren am Wochenende unterwegs, vermutlich mehr oder weniger alkoholisiert auf irgendwelchen Feiern.
Glücklicherweise war es nicht allzu weit bis zur erwähntem Turn- und Festhalle.
Zunächst einmal war es wichtig, die Frau sicher nach Hause zu bringen – um ihr Kfz konnte man sich später kümmern. Er war ein netter Kerl und stets hilfsbereit, wenn es sich einrichten ließ.
Nils seufzte, während er vor dem Ortsschild vom Gas ging. Mehr wie ein guter Kumpel würde er niemals für Karin sein. Das war verboten.
Noch etwa zehn Minuten, dann hatte er sein Ziel erreicht.
Karin
Erleichtert atmete sie auf, als die Türe aufschwang und Nils eintrat.
Auf ihn war wirklich Verlass – er musste alles stehen- und liegengelassen haben, nachdem sie angerufen hatte – sie wusste ja schließlich, dass er ein eher langsamer Fahrer war.
Wie immer war er ein wenig blass um die Nase, aber er war nun einmal ein sehr hellhäutiger Typ mit Sommersprossen und kurze rote Haare, die in alle Richtungen abstanden.
Freudig lief sie auf ihn zu. „Nils! Du bist ja schon da.“
„Natürlich“, antwortete er mit einem Lächeln. „Ich kann doch meine beste Freundin nicht im Stich lassen.“
Innerlich seufzte sie. Wie gerne wäre sie mehr für ihn als das – aber wann immer sie entsprechende Andeutungen in diese Richtung machte, blockte er ab. Er war leider nicht an ihr interessiert. Vermutlich überhaupt nicht am weiblichen Geschlecht.
Sie kannte sich in dieser Szene nicht aus. Aber dass Nils immer irgendeine Art von Halstuch trug, passte dazu ins Bild, das sie von Schwulen hatte.
Wie auch immer – sie war froh, dass er so schnell gekommen war und ihr half. Dankbar eilte sie auf ihn zu und gemeinsam traten sie ins Freie.
„Ganz schön neblig heute, findest du nicht?“, bemerkte Karin, als sie nebeneinander herliefen. Vor einigen Stunden war der Himmel sternenklar gewesen.
Nils zuckte mit den Schultern. „Es ist Halloween. Da will jemand den Grusel offensichtlich verstärken.“
„Ganz bestimmt“, kicherte sie. „Ist es weit bis zu deinem Auto? Wo hast du denn geparkt?“
„Am Friedhof, wo glaubst du denn?“, lachte er. „Und nun komm.“
Der Nebel schien immer dichter zu werden, je weiter sie in die Dunkelheit hineinliefen. Man sah ja fast die Hand vor Augen nicht. Die Frau blieb nahe bei ihrem Freund, der damit weniger Probleme zu haben schien. Ein Glück war, dass es nicht sonderlich weit war.
Fast wäre sie gestürzt, hätte Nils sie nicht gestützt. „Vorsicht! Nicht dass du noch stolperst, wenige Meter vor dem Parkplatz.“
Tatsächlich. Da vorne war schon der Friedhof.
Nils griff in seine Hosentasche und zog den Autoschlüssel hervor. Das kurze Aufblinken der Lichter wirkte für sie wie ein Rettungsanker in dieser düsteren Umgebung.
„Gott sei Dank“, rief sie laut, was er nur mit einem amüsierten Lachen quittierte.
„Alles gut. Wir haben es ohne Unfall hierher geschafft.“ Galant öffnete er die Türe. „Steig ein!“
Der Nebel schien von draußen in sein Auto einzudringen, als habe er ein Eigenleben.
Sie hatte doch nichts getrunken – weshalb dachte sie solch seltsame Dinge?
Gut, dass sie wohlbehalten seinen Wagen erreicht hatte und sich entspannt zurücklehnen konnte. Der Sitz war überraschend bequem und der Motor war so leise, dass man nur ein dezentes Brummen hörte.
„Ein edler Wagen hast du da, Nils“, seufzte sie zufrieden. Dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern. „Man tut, was man kann.“
„Echt blöd zum fahren mit dem Nebel. Es tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht rausgeklingelt habe.“
„Kein Problem!“ Routiniert legte er den Rückwärtsgang ein und ließ den Motor kommen.
„Sag mal Nils, möchtest du nicht mal mitkommen? So eine Party macht echt Spaß.“
Die Miene des Mannes war schwer zu deuten. „Ich mache mir nichts aus Grusel und dem ganzen Drumherum“, erklärte er mit einem Achselzucken, während er konzentriert auf die Fahrbahn starrte.
Sie sollte ihn nicht länger ablenken. Nicht, dass deshalb etwa passierte. Fuhr er nicht eh ein wenig schnell, angesichts der geringen Sicht?
Seufzend blickte sie durch das Autofenster nach draußen, um sich abzulenken.
Man meinte geradezu, seltsame Gestalten zu sehen, die mit dem Nebel über den Boden krochen.
Angespannt runzelte sie die Stirn. Was war das für eine Illusion?
Zerlumpte bleiche Geister, manche auch ohne Kopf, die sie aus Augen ohne Pupillen anstarrten. Das pure Weiß als Zeuge ihrer widernatürlichen Existenz.
Nils fluchte.
Also sah er sie auch und alles war keine Einbildung?
„Ein Unfall. Die sperren gerade die Straße ab. Wir werden einen Umweg fahren müssen.“
Tatsächlich! So sehr war die Fantasie mit ihr durchgegangen, dass sie das Blaulicht gar nicht registriert hatte.
So ein Pech. Wenigstens waren sie selbst nicht darin involviert. Glück im Unglück, sozusagen.
Grummelnd wendete er das Auto.
„Findest du den Weg?“, fragte sie zaghaft.
„Mach dir da keine Sorgen, ich kenne mich aus. Nur diese Suppe gefällt mir nicht.“
Wie wahr.
Und weshalb fiel ihr gerade jetzt der Film „Nebel des Grauens“ ein?
So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte diese Wesen nicht mehr deutlich erkennen. Sie schienen sich in die Schatten zurückgezogen zu haben.
Ein unangenehmer Kloß steckte mit einem Male in ihrem Hals. War das tatsächlich alles nur Einbildung? Oder gab es solche übernatürlichen Phänomene in Wirklichkeit?
Sie war gewiss nicht abergläubisch, aber diese Gespenster…
Einerseits wollte sie sich vor Nils nicht lächerlich machen – andererseits wurde es ihr zunehmend unbehaglich.
„Sag mal, Nils, findest du diesen Nebel nicht auch etwas unheimlich?“
„Hm?“
„Fast könnte man meinen, Geister darin zu sehen.“ Ihr Lachen wirkte ein wenig schrill und unnatürlich.
„Sicher, mit ein wenig Fantasie schon.“ Er blickte sie beruhigend an. „Du hast den ganzen Abend nichts als kostümierte Skelette und was weiß ich sonst noch alles gesehen. Da sind solche Assoziationen ganz normal. Und diese Suppe ist außergewöhnlich dick und zäh, da muss ich dir recht geben. Halloweenparty at its best, sozusagen.“.
Damit war ja dann wohl ihre Frage, ob sie sich das alles einbildete, beantwortet.
(Teil 2 und damit das Ende folgt demnächst, ist schon geschrieben, muss noch überarbeitet werden)