Warnungen: Blut, Opferrituale, Tod
Jonas sah sich kritisch in seiner Umgebung um. Es war dunkel, nass und furchtbar kalt. Aber gut, was erwartete er auch, wenn er um kurz vor Mitternacht am 31. Oktober, an Samhain, Halloween oder wie auch sonst man den Tag nennen mochte, durch den Wald stiefelte. Gruselig sah es aus. Die Äste der Bäume reckten ihre kahlen Äste gen Himmel und am Boden raschelte und knirschte das Laub bei jedem Schritt, den Jonas tat. Vor einer Weile schon hatte er einen alten Waldfriedhof betreten und die verrotteten Kreuze und Grabsteine, Moos bewachsene Statuen und das ein oder andere baufällige Mausoleum machten den Trip durch den Wald nicht angenehmer.
Hinter ihm schlurfte Jannik durch die Nacht und ächzte unter dem Gewicht einer hin und wieder panisch vor sich hin blökenden Ziege, die er sich über die Schultern geworfen hatte.
“Bist du dir sicher, dass wir das machen sollen?”, fragte Jonas zum wiederholten Male in die Nacht herein und schrak zusammen, als über ihm ein Käuzchen schrie.
“Ja, Jonas. Ich bin mir sicher, dass wir das machen sollen. Ich mein, was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall gibt es morgen Braten”, erwiderte Jannik ruhig.
Jonas nickte einfach nur und warf einen Blick auf die uralte G-Shock, die er von seinem Vater geerbt hatte. “Wir müssen uns beeilen. Nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht und wir müssen das Ritual noch vorbereiten.”, meinte er.
“Wir sind fast da … schau … da vorne ist die alte Kapelle”, keuchte Jannik.
Jonas nickte und eiligen Schrittes betraten sie das baufällige Gemäuer. Jonas stellte seinen Rucksack ab und fegte mit den Händen trockene Blätter und Äste, die der Wind wohl durch die offene Tür und das halb eingestürzte Dach rein geweht hatte, von dem langsam zerbröckelnden Altar. Er öffnete den Rucksack, holte eine weiße Leinendecke mit einem aufgestickten Pentagramm heraus, legte sie über den Altar und begann dann Kerzen auf die Spitzen des Pentagramms zustellen und zu entzünden. Dann stellte er noch eine kupferne Schale in die Mitte. Dort hinein würde das Blut ihres Opfers fließen.
Jannik mühte sich derweil mit der Ziege ab.
Jonas blickte durch das baufällige Dach in Richtung Himmel. Zwischen dem kahlen Geäst der Bäume konnte er den Himmel sehen und den Vollmond. Ein Blick aus der Tür, die sie durchquert hatten, zeigte Nebelschwaden, die über den Friedhof waberten und ein unheimlicher Schauer rann über Jonas Rücken. Er verkniff sich seine Frage nun und biss sich auf die Unterlippe.
Jannik hielt die wild blökende Ziege über den Altar.
“Es ist Zeit”, teilte er Jonas mit.
Schwer schluckend griff Jonas ein letztes Mal in seinen Rucksack und zog ein Ka-Bar, ein Militärmesser, heraus. Noch einmal atmete er tief ein und beim Ausatmen schnitt er der Ziege die Kehle durch, wie er es auf dem Hof seines Großvaters gelernt hatte. Ein gurgelndes Röcheln entwischte der Ziege. Blut quoll aus ihrem Hals und ihre Augen waren vor Panik geweitet. Die kupferne Schale füllte sich und ein Windzug ließ die Kerzen flackern, warf unheimliche Schatten auf die halbverfallenen Bänke und Wände.
Etwas schien durch die wabernden Schatten zu huschen. Hinter ihm ertönte ein Schrei und die tote Ziege lag mit einem Mal am Boden. Jonas fuhr herum und stellte fest, das Jannik fort war.
“Jannik?”, rief er und Panik kroch in ihm hoch. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging.
Ein Schrei gellte durch die Nacht, verstummte dann nach einem gurgelnden Röcheln.
“Jannik?” Leiser und gefüllt von Panik trat Jonas einen Schritt in Richtung Ausgang, als ihm ein leises, schmatzendes Geräusch in seinem Rücken das Blut in den Adern gefrieren ließ. Langsam drehte er sich herum und entdeckte eine ausgemergelt wirkende Gestalt, welche die Kupferschale in den Händen hielt und langsam das Blut trank.
“Ah … es ist sogar noch warm”, seufzte die Gestalt mit einer Stimme, die so rau klang, als wäre sie Ewigkeiten nicht benutzt worden.
Janniks Augen waren kugelrund, als er der langen Eckzähne gewahr wurde, da die Gestalt ihn anlächelte.
“Dein Freund hat die Nacht leider nicht überlebt … aber du … der du mir zwei Opfer gebracht hast, du mein Freund, wirst ewig leben”
Mit diesen Worten stürzte sich die Gestalt blitzschnell auf ihn und bevor Jonas auch nur einen Schrei von sich geben konnte, spürte er, wie sich zwei scharfe Zähne in seinen Hals bohrten und die Gestalt an seinem Hals saugte, sein Blut trank. Er wurde schwächer, sein Blickfeld wurde kleiner und seine Augen wurden trüb. Dann wurde etwas feuchtes an seine Lippen gedrückt. “Trink, mein Freund. Trink und werde ein Kind der Nacht”, flüsterte die raue Stimme an sein Ohr.
Und Jonas gehorchte …