Ryan kniete keuchend am moosbewachsenen Waldboden. Schon jetzt spürte er den Ruf des Mondes, dabei waren es noch mindestens zwei Stunden bis zum Mondaufgang. Der Wolf rumorte in seinem Inneren, heulte, verlangte freigelassen zu werden und das am Besten sofort.
Seine Augen wechselten zwischen ihrem normalen grau und dem Bernstein der Wolfsaugen. Auch das Farbspektrum, welches Ryan wahrnahm änderte sich immer wieder, flackerte wie eine Kerze im Wind. Sein Geruchssinn schärfte sich mit jeder Minute, die verging, und Ryan hatte Mühe seine menschliche Gestalt zu halten.
Warum genau Ryan sich so gegen den Wolf wehrte, wusste er selbst nicht. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag und er ließ einfach los und glitt zum allerersten Mal mühelos und ohne Schmerzen von seiner menschlichen Gestalt hinüber in den Wolfskörper. Einen vollkommenen Wolfskörper und nicht dieses Wesen, welches man aus den Legenden kannte, welches halb Mann, halb Wolf war. Diese Form hatte er in der Vergangenheit immer angenommen und jede Wandlung hatte ihm Schmerzen bereitet, ihn an den Tagen der Verwandlung müde, irritiert und aggressiv sein lassen.
Die Erkenntnis, dass er ein Werwolf war, ein Mensch, der sich in einen Wolf verwandeln konnte, wenn die Bedingungen stimmten, schien einen Knoten in seinem Inneren gelöst zu haben, denn im einen Moment war er ein Mensch, der keuchend am Boden kniete, und mit dem nächsten Herzschlag ruhte an dessen Stelle ein pechschwarzer Wolf dessen bernsteinfarbene Augen im Dämmerlicht zu leuchten schienen.
Ryans Lefzen hoben sich und seine Zunge hing zwischen den Zähnen aus der leicht geöffneten Schnauze, während er hechelnd die Witterung aufnahm. Es gab soviel neues zu entdecken in dieser Form. Hörte er da einen Hasen im Dickicht? Bevor Ryan darüber nachdenken konnte, hatte er sich schon erhoben und sich auf leisen Sohlen auf den Weg gemacht, welchen seine Nase ihm wies.
Das er wenig später mit einem frisch erlegten Hasen aus dem Unterholz zurück auf die Lichtung kam und diesen dort in aller Seelenruhe verspeiste, zeigte, wie sehr er sich seinen Instinkten ergeben hatte. Ryan war zwar bewusst, was dort passierte, aber der Wolf in ihm hatte die Führung übernommen.
Als der Alpha seines Rudels auf die Lichtung trat, ließ Ryan von seiner Mahlzeit ab und drehte sich ohne zu Zögern auf den Rücken und bot dem erfahreneren Wolf die Kehle dar. Dieser schnüffelte nur kurz an ihm und machte sich dann über die Reste von Ryans Mahlzeit her, bevor er ihn auffordernd mit der Schnauze an der Seite anstupste, nur um dann mit langen Sätzen seinen Weg tiefer in den Wald zu finden.
Ryan zögerte nicht. Er folgte. Immerhin gab es dort draußen noch mehr zu sehen und zu erkunden.
Und es gab den Rest des Rudels, welches er nun treffen würde.
Vielleicht war es doch nicht so schlimm ein Werwolf zu sein.
~Ende~
A/N: Eine überarbeitete Version der Geschichte ist hier zu finden: https://belletristica.com/en/books/19789-werwolf/chapter/81880-werwolf