Ich machte meinen Abschluss mit 32 Jahren. Als Kommissar der Mordkommission zog es mich glücklicherweise in die Heimat zurück. Glücklicherweise, dachte ich, da ich in Berlin studiert hatte und die Gewalttaten dort, das Ausmaß meiner Vorstellungskraft an Brutalität sprengten. In Stuttgart sollte es ruhiger zugehen, so sagte man unter Polizisten. Auch wenn oft darüber berichtet wurde, dass die Grausamkeiten, die ein Polizist bei der Kriminalpolizei zu sehen bekommt, das Vorstellungsvermögen eines Streifenpolizisten ohnehin sprengen. Das war ich gewesen, vier Jahre lang, ein Streifenpolizist in Frankfurt und es war nun schon der dritte Umzug in meinem Leben.
Ich zog zurück zu meinen Wurzeln, auch wenn diese sich bereits verwässert hatten. Ich zog an den Spielplatz meiner Kindheit, dorthin wo meine Seele einst in meinen Körper einzog.
Ihr werdet merken, ich bin ein wenig spirituell. Das liegt an Julia, meiner damaligen Verlobten. Sie hat Sport studiert und eben auch Kunst, somit hatten wir immer einen leichten Hang zur alternativen Weltanschauung, fernab des Materialismus, zur Welt der Seelen und Geister meine ich.
Als Polizist weiß ich, dass vieles unserer Wahrnehmung entgeht. Denkt nur einmal daran, wie viele Verbrechen unentdeckt bleiben, da die Täter professionell genug vorgehen. Das Alles, das Unbekannte könnte ohne eine Seele ja gar nicht bestehen, nicht wahr?
Und mögt ihr auch anderer Meinung sein, ich bin Kommissar und kein Philosoph. Aber meine Geschichte, meine Geschichte möchte ich euch erzählen. Es war als die Welt damit begann meine Vorstellungskraft zu sprengen.
Erstes Kapitel
„Das passt ja alles gar nicht in den Karton.“, sagte sie. Julia stand mit ihren blonden Haaren gebeugt über dem Karton und starrte darauf, als würden sich die Dinge so von allein einsortieren.
„Gib mal her!“, sagte ich und nahm die Dinge selbst in die Hand. Den Drucker musste ich lediglich horizontal in den Karton packen und den Rest konnte ich obenauf legen.
So wurde unsere geräumige Studentenwohnung stetig leerer. Wir hängten die abstrakten Bilder ab, die Julia gemalt hatte und legten den alten Fernseher auf die Straße. Karton um Karton beluden wir den Sprinter und schlossen die Türen. Ein letztes Mal gingen wir durch die leere Wohnung und ein letztes Mal warf ich einen Blick auf den rot blinkenden Fernsehturm in der Ferne.
„Tschüss Berlin!“, sagte Julia.
Die Wohnung hatte das einsame Hallen einer leerstehenden angenommen und mit einem leichten Schmerz in der Brust ging ich zur Tür um sie hinter mir zu schließen. Julia wartete bereits im Wagen, als ich den Schlüssel zweimal umdrehte, ihn in den Briefcouvert für den Nachmieter steckte und bei den Nachbarn abgab.
„Ich werde das hier vermissen.“, sagte Julia, als wir losfuhren.
„Ich auch.“, sagte ich, denn ich verließ mein gesamtes Umfeld, der letzten 4 Jahre. Doch ich war mir anders als Julia immer darüber bewusst gewesen, Berlin wieder zu verlassen. Julia hingegen, war aus kulturellen Gründen, von München nach Berlin gezogen. Es war schwierig gewesen, sie zu diesem Umzug zu überreden.
„Ich werde alles aufgeben müssen.“, hatte sie gesagt. „Ich werde einen neuen Job brauchen und neue Freunde. Ein neues Atelier, einfach alles.“
Als ich dann zu ihr sagte, dass sie in einem anderen Fall, einen neuen Verlobten bräuchte, entschied sie sich für den Umzug.
Die Fahrt über die Autobahn war lang und Julia und ich wechselten nur wenige Worte. Sie sah die ganze Zeit über aus dem Fenster, wie die Wälder an ihr vorbei zogen und mit der Zeit Hügeln und Feldern wichen.
Nach etwa 8 Stunden erreichten wir Stuttgart. Meine Eltern warteten bereits vor der neuen Wohnung.
Mit einer Umarmung empfing mich meine Mutter:
„Warst du aber lange weg!“, sagte sie und ich bemerkte die Falten, die das Alter in ihr Gesicht gebrannt hatte.
Doch auch ich war älter geworden, das merkte ich. Ich war lange nicht mehr der Realschüler, der hier gelebt hatte. Mittlerweile hatte ich ein Abitur und ein Bachelorstudium mit einer Fortbildung zur Mordkommission. Ich hatte Lebenserfahrung und sah die Stadt in einem anderen Licht. Dort von der Spitze des Berges herab in den Kessel, sah ich jedes Licht brennen wie einen leuchtenden Stern. Anders als in Berlin, hatte mein Blick eine bestimmte Höhe erreicht, die einen Ausblick ans andere Ende der Stadt ermöglichte. In Berlin, kommt man sich in den Häuserblocks oft wie gefangen vor, während man in Stuttgart, nur den Berg nach oben gehen muss, um dem Gefängnis zu entkommen.
„Das ist wunderschön!“, sagte Julia und sah über das Lichtermeer.
Mein Vater stand dort mit seinem Krückstock, sah auf die Stadt und sagte:
„Dann haben die Verbrecher hier ja nichts mehr zu lachen. Wenn du wieder da bist.“
Das im Gesamten über meine Rückkehr weit weniger gelacht wurde, als man glauben mag, kann ich an dieser Stelle schon einmal verraten. Doch in wie viel Tiefe der Hass begraben lag, das mag nur mein Schöpfer verstehen. Tatsächlich hatte ich keine alten Freunde oder Telefonnummern parat, die uns unseren ersten Abend etwas erleichtert hätten. So saßen wir dort, tranken Wein und spielten Karten. Das Lichtermeer der Stadt, zierte wie ein malerisches Bild unsere Wand und der Ausblick war nicht das Einzige, worin die neue Wohnung die alte bei Weitem übertraf.
Sie war zweistöckig, mit sieben Zimmern und einer großen geräumigen Küche, genau damit ausgestattet, was wir in der alten Wohnung so vermisst hatten. Julia kochte Nudeln mit Speck und ich trug die, für die erste Nacht essentiell wichtigen, Kartons aus dem Auto.
Nachdem wir gegessen hatten, legten wir uns erschöpft schlafen.
Am nächsten Tag begannen wir damit die Wohnung einzurichten. Julia, war besonders für die Dekoration verantwortlich, während ich mich auf die Installation, von sanitären Anlagen und Maschinen konzentrierte. Ich schraubte das Bett, die Schränke und die Kommoden. Ich schraubte die Regale und die Tische.
„Fertig!“, sagte ich und rieb mir die Hände. Das Wohnzimmer war nun vollständig ausgestattet und damit auch das letzte Zimmer dieser Wohnung.
„Dann kann es ja los gehen.“, sagte Julia und setzte sich an den Laptop um nach Stellenausschreibungen zu sehen.
Zweites Kapitel
Ich begann meine Arbeit Montags um 7:00 Uhr. Die neuen Kollegen begrüßten mich und es war mir noch neu, der Vorgesetzte zu sein.
„Du da! Mach mir einen Kaffee!“, sagte ich zu Joachim, dessen Name ich noch nicht kannte.
Danach stellte ich mich, mit einem frischen Kaffee in der Hand vor.
„Mein Name ist Daniel Wirz. Ich bin 33 Jahre alt und Polizeihauptkommissar. Meine Spezialisierung liegt im Gebiet Mord.“ Ich sah einmal in die Runde und erfüllte sie so mit Schweigen. „Wer kann mir den aktuellen Stand erklären.“
„Das mache ich!“, sagte Janine Benzinger, Polizeikommissarin im gehobenen Dienst. „Wir haben keine aktuellen Fälle, jedoch eine ungelöste Mordserie von vor zwei Jahren im Bereich der Innenstadt.“ Sie zeigte auf einen an der Wand hängenden Plan der Innenstadt mit rot eingezeichneten Punkten.
„Da arbeiten wir seit zwei Jahren dran. Ich kann Ihnen eben die Unterlagen holen, die sind...“, sie sah mich an während sie in einer der Schubladen wühlte. „...hier!“. Sie gab mir die Unterlagen.
„Vielen Dank!“, sagte ich und begann direkt damit die Unterlagen zu überfliegen.
Die Akten berichteten von einer lokal begrenzten Straftat, die in immer ähnlicher Weise ausgeführt wurde. Der Täter stach mit einem Messer von hinten in den Rücken um kurz darauf Wertgegenstände und Schmuck zu entwenden. Ich sagte:
„Das spricht für einen Mehrfachtäter mit einem finanziell ausgerichteten Motiv. Es mag möglich sein, dass er von Stadt zu Stadt zieht, das machen Raubmörder meist. Ich schätze, er ist vor zwei Jahren weiter gezogen. Vermutlich ins Ausland. Haben Sie einen internationalen…?“
„Internationalen Haftbefehl gegen Unbekannt erlassen. Aber natürlich.“, sagte Frau Benzinger und tippte etwas in den Computer.
„Und haben Sie bereits ausgeschlossen, dass der Mörder mit dem Raub vom eigentlichen Motiv ablenken wollte?“, fragte ich.
„Wie meinen Sie?“, fragte sie.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir die Unterlagen genauer anzusehen. Besonders im Bezug darauf, was vermutlich entwendet wurde und welche Spuren der Täter hinterlassen hatte.
Nach der Arbeit war ich eingeladen, mit den Kollegen etwas trinken zu gehen, was ich tat. Wir saßen im Irish Pub und wir tranken einen Pitcher Cider. Mir wurde gesagt, dass ich wesentlich lockerer wirken würde, als der vorangegangene Vorgesetzte und ich glaubte angesichts meines Pegels, alles. Ich erzählte den Kollegen, dass meine Hochzeit kurz bevorstand und erzählte von meiner Studienzeit in Berlin, sowie vom gehobenen Dienst. Ich erzählte zu viel vielleicht, wie ich auch zu viel getrunken hatte. Aber daran sollten sich die Anderen stören, dachte ich mir.
Ich sah wie ich vom Nachbartisch aus, seltsam beäugt wurde, bis schließlich eine blonde Frau in meinem Alter aufstand und fragte:
„Daniel?“
Ich erkannte sie nicht wieder und so sagte ich nur:
„Ja?“
„Wir kennen uns aus der Grundschule.“, sagte die Frau verunsichert. „Lisa. Vielleicht erinnerst du dich?“
Da brach etwas wie ein Stein in meiner Brust und ich sagte laut:
„Lisa! Lange nicht gesehen.“ Denn ich hatte sie seit der Grundschule nicht mehr gesehen. Wir waren gute Freunde gewesen, doch sie wechselte auf das Gymnasium, während mein anderer Kumpel Robin und ich auf die Realschule wechselten.
Lisa hatte noch immer die selben Sommersprossen, ihr Gesicht war mit ihnen gealtert und sie wirkte kein Stück hässlicher als damals, als ich sie noch liebte, wie ein Kind liebt.
„Was macht die Schule?“, fragte sie und ich lachte.
Während einer innigen Unterhaltung erzählte mir Lisa, dass sie Medizin studiert und gerade dabei ist ihren Abschluss zu machen. Ich sagte:
„Ich habe gerade meinen Abschluss gemacht. Und weshalb bist du noch in Stuttgart?“, fragte ich.
„Ich war viel auf Reisen.“, sagte sie und fuhr fort: „Stuttgart war die einzige Universität die mich trotz meinem Abitur angenommen hat. Aber vielleicht kann ich mit meinem Abschluss dann von hier verschwinden. Es wäre schön.“
Während wir uns unterhielten, kam sie mir immer näher, bis ich sie fast im Arm hielt. Ich erzählte ihr von meiner Verlobung, woraufhin sie ihre Hüfte zurück zog, lächelte und sagte:
„Zur Hochzeit bin ich aber eingeladen.“
„Klar.“, sagte ich und gerade erst wurde mir bewusst was ich getan hatte. Ich war zurück gezogen. Hier war etwas gewesen und es war die Hälfte meines Lebens. Ich hatte meine Spuren hier hinterlassen und sie waren nicht mehr weg zu denken. Was immer ich auch tat, was immer ich auch sagte, diese Spuren ließen sich nicht mehr davon abbringen neue Muster in mein Leben zu bringen. Sicher wahr, ich brauchte dieses neue Umfeld. Und je kräftiger das Netzwerk ist, umso stabiler ist die soziale Situation, dachte ich mir und nickte meiner neuen alten Freundin zu. Wir hatten die Nummern ausgetauscht, als wir gemeinsam das Lokal verließen.
Ich verabschiedete mich von meinen Kollegen und von Lisa und fuhr betrunken nach Hause. Das mache ich normalerweise nicht, aber in dieser Situation gab es keinen anderen Ausweg, da die U-Bahn bereits nicht mehr fuhr. Ich beschloss erst ab dem nächsten Tag, das Fahrrad zu nehmen. Julia schlief bereits, als ich unsere Wohnung erreichte.
So verging Tag um Tag, mit der Auswertung von Akten und dem ständigen Warten auf einen neuen Fall. So wenig man es auch zugeben mag, aber die Langeweile lässt einen bei der Mordkommission manchmal auf das Schlechteste hoffen.
Der Fall kam, doch zunächst zu meiner Hochzeit.
Drittes Kapitel
Es ist der Moment, wenn Enttäuschung einer unglaublichen Welle von Trauer voraus geht.
So stand ich vor dem Altar und wartete vergebens auf meine Braut. Zuerst glaubte ich, sie sei einfach nur abgesprungen und hätte sich umentschieden bis ein ohrenbetäubender Schrei mich zwar nicht aufweckte, mich aber in meinem Dämmerzustand in Besorgnis versetzte.
Sie war tot aufgefunden worden.
Julia war mit 24 Stichen im Brautzimmer erstochen worden und mit Rosenblättern dekoriert worden. Blut färbte das weiss gestaltete Zimmer und das weisse Brautkleid. Die Trauzeugin, die sie so aufgefunden hatte, war ebenfalls mit Blut befleckt, an den Händen, die verzweifelt versuchten die Braut aus ihrem Schlaf aufzuwecken. Doch der Schlaf meiner Prinzessin währte für ewig und sie sollte niemals Königin werden. Ihr Leben sinnlos geraubt und ich meiner Sinne.
Meine Fassungslosigkeit, dass mir das ausgerechnet als Kriminalhauptkommissar widerfahren war, war von den Tränen untergraben die mir die Sicht nahmen.
Im Studium, wie in der Ausbildung hatte ich gelernt, alles mit dem nötigen Abstand zu sehen, alles hinter einer Art Schutzfilm, hinter Panzerglas zu sehen, doch das ging jetzt nicht mehr. Man hatte mir meinen Schutzschild geraubt, meine Schönheit und Sicherheit genommen.
Sie mögen vielleicht verstehen, weshalb ich nicht mehr zu meiner Hochzeit sagen will. Sagen wir einfach, ich habe genug erzählt und den Rest können Sie sich vorstellen. Es dauerte zwei Wochen, bis ich die Arbeit wieder aufnahm. Man riet mir zum Urlaub, doch ich sann nach Rache und ich vertiefte mich in meinen eigenen Fall. Zusammen mit Janine Benzinger ermittelte ich nach der Ursache meines Wittwerdaseins.
„Und Sie sind sich sicher, dass Sie das machen wollen?“, fragte sie und sah mich von der Seite aus an.
„Es gibt keinen besseren für diesen Job als mich.“, sagte ich. Dank des Tillidins, spürte ich keinen Schmerz mehr. Ich fuhr fort: „Ich kenne das Umfeld des...“, ich schluckte. „…Opfers, und die Umstände.“ Ich wischte mir eine Träne unter dem Auge weg.
„Dann haben Sie bestimmt einen Verdacht.“, sagte Janine und tippte auf der Tastatur.
„Horand Winterberg.“, sagte ich. „Ihr Exfreund.“
Horand war schon seit Julia und ich zusammen gekommen waren, ein Problem. Er stalkte Julia und desöfteren musste ich ihm beweisen, wer der Stärkere ist. Ich glaubte fest an meinen Verdacht und daran, dass er uns aus Berlin gefolgt ist und irgendwie gefunden hat. Ich sagte:
„Die Hochzeitsgäste müssen wir alle ausschließen. Das Blut auf der Kleidung wäre aufgefallen. Der Täter muss aus dem Gebäude geflüchtet sein.“, während ich das aussprach, ballte ich die Faust. Ich war mir sicher, dass das keine gewöhnliche Verhaftung werden würde.
„Haben Sie ihn schon einmal polizeilich überprüft?“, fragte Janine.
Stumm sah ich an die Wand. Mir wurde so viel klar. Meine Fehlerhaftigkeit wurde mir bewusst.
„Nein.“, sagte ich.
Nachdem Janine eine Reihe von Informationen abgefragt und in den Computer getippt hatte, sagte sie:
„Er hat eine Vorstrafe wegen Drogenhandels und Körperverletzung.“
Ich sagte:
„Und ich werde derjenige sein, der ihn in den Knast bringt. Koste es was es wolle.“
Ich war emotional verwirrt. Als meine Kollegen mich fragten ob ich mit ihnen etwas trinken gehe, verneinte ich und als ich zu Hause ankam, schlug mich die Einsamkeit. So war nichts mehr, wie es sein sollte, nachdem Julia mich verlassen hatte.
Ich war seit langer Zeit wieder mit dem Auto gefahren und parkte in der Garage. Das Klacken meiner Schuhe war das Einzige, was in der Dunkelheit zu hören war, während ich zur Tür ging und doch sah ich eine dunkle Gestalt vor der Tür stehen, die schlagartig weg rannte.
Horand, dachte ich nur und begann die Gestalt zu verfolgen. Doch hatte ich schon nach der ersten Abbiegung die Fährte verloren. Nach Atem ringend kehrte ich um.
Ich öffnete den Briefkasten und fand den Zettel:
-Ich hab dir das Licht aus den Augen gestohlen.
Bin der Engel der Finsternis.
Für dich erschienen,
wo deine Seele einst gelacht,
bring ich tiefste Nacht. -
Ein kalter Schauer durchfuhr mich, als ich den Zettel las. Ein Dichter war Horand nicht. Doch was sollte nun noch folgen. Noch weitere Verbrechen? Sollte auch noch mein Vater sterben, gar meine Mutter? Ich hatte beide unter Polizeischutz gestellt. Was suchte er hier?
Meine Wohnung war unberührt als ich eintrat. Ich griff zum Schnaps, wie jeden Abend, seit ihre Hüften verschwunden waren und machte den Fernseher an. Etwas huschte am Fenster vorbei, wie ein Lichtstrahl eines vorbeifahrenden Autos, nur schneller. Eine Taschenlampe, ich griff nach der Waffe unter meinem Sofa und ging mit den Fingern am Abzug zum Fenster. Hinter dem Gebüsch, leuchtete die Taschenlampe auf und ich sah einen schwarz vermummten Mann durch den Busch gehen.
Ich öffnete das Fenster und rief:
„Auf den Boden!“
Da begann der Mann zu rennen und ich sprang über die Fensterborde und verfolgte den Mann, bis ich ihn schließlich von hinten umwarf. Die Kamera gab ein Klackern von sich, als sie mit Horand zu Boden fiel.
Stöhnend drückte ich ihn auf den Boden. Fest nach unten drückte ich ihn und schlug ihm mit der Waffe auf den Hinterkopf.
Nach all dem was passiert war, drückte ich ihm den Lauf meiner Waffe auf den Hinterkopf und schlug erneut zu. Ich griff nach der Kamera und sah mir die Videos an, suchte nach Beweismaterial, doch fand ich nur Videos von einer lebendigen Julia, die duschte, oder sich rasierte.
Viertes Kapitel
„Und ich schwöre Ihnen. Ich habe Julia nicht umgebracht.“, sagte Horand in dem kleinen Verhörzimmer.
Das Zimmer hatte keine Fenster und es herrschte striktes Rauchverbot, welches ich ignorierte. Ich fragte:
„Was machen Sie in Stuttgart?“
„Ich habe keinen festen Wohnsitz.“, antwortete er und steckte sich eine Zigarette in den Mund.
Ich schlug ihm die Zigarette aus dem Mund und sagte:
„Sie haben meine Frau gefilmt.“, und ich zeigte ihm das Beweismaterial und fuhr fort: „Nicht wahr?“
„Ich sage nichts dazu.“
„Mehr noch.“, sagte ich. „Sie haben meine Frau kaltblütig ermordet. Aus Neid und angesichts meiner bloßen Überlegenheit wählten Sie meine Frau. Sie wollten mich im Schlaf überraschen und töten!“
Stille. Eine kurze Zeit herrschte ein elektrisierendes Schweigen.
„Ich wusste nicht, dass sie tot ist.“, sagte er und verzog das Gesicht. „Ich wollte wichsen.“
„Sperrt ihn weg!“, sagte ich zu meinen Kollegen, die ihn mit Gewalt hochrissen und abführten. „Perverser Sack!“, schrie ich ihm hinterher.
Das brachte nicht einmal die Hälfte meiner Wut zum Ausdruck. Ich war mir sicher, noch eine Gelegenheit zu finden, ihn zu verschlagen. Doch alles hat seine Zeit. Ich fuhr nach Hause.
Zu dieser Zeit begann es, dass ich wie Julia viel meditierte, teils um einen Kontakt zu meiner verstorbenen Verlobten aufzubauen, zum anderen Teil um mich selbst zu beruhigen. Julia, dachte ich mir. Ich bin mir sicher, dass etwas von dir weiterlebt. Irgendetwas ist geblieben, da ist mehr als nur die körperliche Hülle. Ich murmelte:
„Ich hätte ihn umbringen sollen, Schatz. Aber ich… Ich habs nicht geschafft. Ich schaffe nichts.“. Dann begann ich zu weinen. Und schrie:
„Ich Versager!“, so dass es durch die ganze Wohnung hallte, gefolgt von einem bitterlichen Schluchzen.
Doch es half nichts, es kam nicht wieder was man mir genommen hatte. Und ich blieb nächtelang allein und betrunken, besonders wenn ich frei hatte, sah ich kaum Tageslicht.
Ich träumte von Julia, wie sie lachte, wie sie sich bewegte und oft wachte ich tränenüberströmt auf, weil ich in der Nacht geweint hatte. Dann nahm ich einen weiteren Schluck um wieder schlafen zu können, doch wurde dann von Albträumen geplagt, Träumen von der Zeit in der ich nicht bei Julia war, doch hätte da sein sollen. Eines Nachts aber wachte ich auf, weil ich angerufen wurde, von Lisa, sie fragte:
„Hast du Zeit?“
Ich sagte:
„Es ist mitten in der Nacht, was ist denn los?“
„Das soll kein Hindernis sein. Auf einen Drink.“, sagte sie.
Ich überlegte, sollte ich weiterhin in Einsamkeit ertrinken und mich meinen nächtlichen Träumen hingeben, oder sollte ich aufstehen und alte Bekanntschaften pflegen? Der Mensch braucht Freunde, so entschied ich mich und verabredete mich mit ihr auf einen Drink im Irish Pub.
Schon als sie mich sah, sagte Lisa:
„Du brauchst mir nichts erzählen. Ich habe alles schon erfahren. Es stand in der Zeitung.“
„Schön, dass ich doch noch berühmt geworden bin.“, sagte ich und sah auf die Uhr, es war 3 Uhr.
„Du hast mein tiefstes Beileid.“, sagte Lisa und sah mich bemitleidend an. „Ich fühle mit dir, mein Vater ist erst letzte Woche verstorben. Lungenkrebs.“
„Mein Beileid.“, sagte ich.
„Ermittelst du jetzt selbst?“, fragte sie.
„Ja.“, sagte ich und erst in diesem Moment beschlich mich jener Verdacht, der wie ein Schatten nicht mehr von mir ablassen wollte.
Der Verdacht verfolgte mich in jedem Satz, in jeder Bewegung von Lisa und mit jedem Glas versuchte ich ihn auszumerzen. Es gelang, und sturzbetrunken, torkelten ich und Lisa am nächsten Morgen zu mir nach Hause. Wir begannen uns einander auszuziehen und Liebe erfüllte die Wohnung.
Nachdem wir geschlafen hatten, machte ich Kaffee. Ich brachte ihn zu ihr und legte mich neben sie.
„Warum warst du nicht auf der Hochzeit?“, fragte ich und strich ihr durchs Haar, wie man einem Engel durch die Haare streichen würde.
„Ich habe dir doch gesagt, ich kann nicht kommen. Meine Doktorprüfung.“
Wie ein Schatten, legte sich dieser Beweis über uns. Ich fragte:
„Hast du Beweise?“
Sie lachte und sagte: „Alles klar Herr Polizist.“, dann gab sie mir einen Kuss.
Ich packte sie mit Gewalt am Handgelenk und zerrte sie durch die Wohnung, drückte sie ins Auto und sagte:
„Das ist mein voller Ernst!“
Ich ließ den Motor aufheulen, während sie schluchzend auf der Rückbank saß, ich fragte:
„Wo warst du am Tag meiner Hochzeit?“
„Bei meiner Prüfung.“, schluchzte sie.
„Hast du Beweise?“
Dr. Hofstetter brachte den Beweis aufs Revier. Am Tag meiner Hochzeit war Lisa am Doktorieren gewesen.
Ich kniff die Augen zusammen und sagte:
„Entschuldige. Herzlichen Glückwunsch!“
Sie weinte noch immer als sie aus der Tür ging. Ich ruf dich dann an, murmelte ich und trat mir ans Bein. Das eigentliche Problem war, dass wir keine Beweise für Horands Schuld an dem Mordfall hatten. Wir hatten lediglich Beweise dafür, dass er sie ausgespannt hat und offenbar auch ausspannen wollte. Denn die Mordwaffe, die er für meine Ermordung gebraucht hätte, fehlte.
Wir hatten also einen Verdächtigen und keinerlei Beweise.
Fünftes Kapitel
Ich war einsam. Wann immer ich Lisa anrief, drückte sie mich weg. Unter den Alkoholrausch zog ich einen Schlussstrich, nach der Sache mit Lisa, wollte ich nicht tiefer sinken. Ich überlegte, wie konnte ich nur Horands Schuld beweisen?
Während meiner Arbeit stellte sich die gleiche Frage: Wie können wir Horand Winterbergs Schuld beweisen?
Es war die Suche nach der Tatwaffe, die erfolglos endete. Es war die Suche nach DNA – Material, die ebenfalls erfolglos endete. So konnten wir auf keinen Fall vor Gericht, doch die Zeit wurde knapp, bald würden wir Horand aus der Untersuchungshaft entlassen müssen.
Abgesehen davon, dass es mein erster Fall als Kommissar in der Mordkommission war, war es wohl auch der schwierigste den ich je erlebte. Das Schicksal wollte es aber dass ich ihn löste und ich erzähle euch wie.
Das Brechen des Küchenfensters weckte mich. Ich schreckte auf und griff nach meinem Revolver. Ich vernahm Schritte aus der Küche und langsam bewegte ich mich frontal in diese Richtung. Ich vernahm eine Art Schatten in der Tür. Der Mann rannte mit dem Messer auf mich zu und ich erschoss ihn. Ich zog dem vermummten Mann die Mütze vom Kopf und erkannte Robin. Robin meinen alten Freund.
Wir hatten gemeinsam gespielt, in den Pausen. Dann wechselten wir auf die Realschule und ich begann mit anderen Kindern zu spielen. Robin fand nie den Anschluss. Er war ein wahrer Außenseiter. Ich weiß noch wie die anderen ihn auslachten, wie sie ihn geschlagen haben. Da habe ich zu ihm gesagt, er muss sich doch wehren. Und nun habe ich ihn erschossen.
Ich habe ihn tief im Wald beerdigt. Die Tatwaffe habe ich bei mir im Garten gefunden, sagte ich und Horand Winterberg so ins Gefängnis gebracht.
Das war es. Die Welt in der ich lebe ist eine andere und ich habe niemals studiert, um solch ein Mensch zu werden, wie ich es heute bin. Doch ist das Leben nicht wie man es sich wünscht und ist unsere Seele das einzig Reine auf dieser Welt, so glaube ich.
Wir gingen etwas trinken.
„Auf den Kommissar!“, rief ein Kollege.
„Auf den Kommissar!“, riefen die Anderen.