Officer McCallum schaute irritiert aus dem Fenster des Polizeifahrzeugs. „Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?“
Agent Korry, McCallums langjähriger Freund und Agent beim FBI, schaltete erst das Navigationsgerät und dann den Wagen aus. „Ja, hier sind wir richtig“, antwortetet er dann grinsend und scheuchte McCallum mit einer Geste aus dem Wagen. „Hol schon mal die Tasche aus dem Kofferraum.“
Der Officer brummte unzufrieden und stieg aus dem Auto. „Du hast mir noch immer nicht verraten, was wir hier draußen machen. Vor allem soweit draußen. Wie lange sind wir jetzt gefahren?“
„Fünf Stunden und siebzehn Minuten, wenn du es genau wissen möchtest!“, rief Korry ihm zu, während der Agent ebenfalls aus dem Wagen stieg. „Aber auch nur, weil wir noch im Stau standen.“ Er ließ die Tür ins Schloss fallen, lehnte sich an die Fahrerseite des Autos und zündete sich eine Zigarette an. „Und wir waren uns doch einig, dass du keine Fragen stellst.“
McCallum schüttelte den Kopf. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Er stöhnte überrascht auf, als er versuchte, die schwarze Sporttasche aus dem Kofferraum zu holen. „Verflucht, was hast du da drin?! Beton oder was?“
Korry lachte leise und kam seinem Freund zu Hilfe. „Du wirst alt, Morgan“, neckte er den Officer und hob mit ihm zusammen die Tasche aus dem Wagen. „Vielleicht solltest du über einen Schreibtischjob nachdenken, was?“
„Sagt der richtige“, pikierte sich der Officer, musste dann aber doch schmunzeln. „Ich will ja nicht enden wie du.“
„Lass die Tasche da einfach stehen, wir haben noch ein paar Minuten.“ Korry stand bereits wieder an der Fahrertür und bot seinem Freund eine Zigarette an, als dieser sich neben ihn an den Wagen lehnte.
„Du willst mir wirklich nichts sagen, oder?“, versuchte Morgan erneut, Informationen aus dem FBI Agenten herauszukitzeln und nahm die ihm dargebotene Zigarette an. „Irgendein kleiner Hinweis?“ Während er sprach, gab er sich große Mühe, seine Nervosität nicht zum Vorschein kommen zu lassen. Ohne Frage vertraute er seinem Freund, doch dieses Verhalten war er von ihm nicht gewohnt.
„Schau mal, Morgan. Ich habe schon sehr viel für dich gemacht, wenn du meine Hilfe verlangt hast. Und ich habe nie Fragen gestellt. Jetzt bitte ich dich, dasselbe für mich zu tun.“
Morgan seufzte und blies den Rauch der Zigarette in kleinen rotierenden Kringeln in die Luft.
Frischer Wind zog an den Nasen der beiden Männer vorbei und verbreitete den erfrischenden Duft der grünen Wiese, auf der sie geparkt hatten. Erst jetzt, wo Morgan sich gründlich umschaute, fiel ihm auf, dass sie im Nirgendwo standen.
„Was ist das hier überhaupt für ein Ort?“, fragte der Officer, als sein Blick auf die Ruine hinter dem Wagen fiel. „Irgendein Denkmal? Sieht aus wie der Arsch der Welt.“
„Ich hab keine Ahnung. Hier soll ich meine Kontaktleute treffen, die haben sich den Ort hier ausgesucht.“ Der Agent zuckte mit den Schultern und schaute auf seine Armbanduhr. „Ist aber auch nicht wichtig, wir sind eh nicht lange hier. Wir geben die Tasche ab und fahren wieder zurück.“
„Und wofür hast du mich dann an meinem freien Tag hier in die Pampa geschleift? Ich wollte mir heute Golf anschauen.“
„Golf? Meine Güte, du klingst wie mein Großvater!“ Korry lachte herzlich und schlug seinem Freund kurz gegen die Schulter, dann senkte er nachdenklich den Blick und zog an seinem Glimmstängel. „Hast du mal darüber nachgedacht, mehr aus deinem Leben zu machen?“
„Was meinst du?“
„Naja, mehr eben. Du bist schon so lange bei der Polizei und machst deinen Job wirklich gut. Aber“, Korry zögerte, als müsste er sich seine nächsten Worte genau überlegen, „Aber ist das wirklich alles, was du aus deinem Leben machen willst?“
„Wieso? Willst du mir einen Job beim FBI anbieten? Dann muss ich dankend ablehnen. Das wäre nichts für mich.“ Morgan überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein, ich mag es, in meinem Streifenwagen durch die Stadt zu fahren und den Menschen zu helfen, wo sie gerade Hilfe benötigen.“
Was ist denn bloß mit ihm?
Morgan vermochte den Blick seines Freundes nicht zu deuten, doch ihm war, als würde er etwas wie Bedauern in den Augen seines Freundes sehen. Das verstärkte das Gefühl der Unsicherheit, welches sich schon seit dem Anruf seines Freundes am Vormittag in ihm ausgebreitet hatte.
„Du bist echt zu gut für diese Welt“, sagte Korry mit einem schiefen Lächeln.
„Oh, das höre ich öfter. Aber sag, steckst du in Schwierigkeiten?“, unternahm Morgan erneut einen Anlauf, an Informationen zu kommen. „Wenn du irgendwo Probleme hast, kannst du jederzeit ...“
Korry hob die Hand und unterbrach die Ausführung seines Freundes, als sein Smartphone klingelte. Schnell nahm er das Gespräch an. „Ja? Ja, wir sind hier. Wo? Gut, ist okay.“ Dann legte er auf.
„Wer war das?“
„Meine Kontaktperson. Sind sind da, wir sollen die Tasche in die Ruine bringen.“
Der grimmige Ton, mit dem Korry das sagte, machte Morgan nur noch nervöser. „Alles klar.“
Zusammen schleppten der Police Officer und der FBI Agent die schwere Sporttasche in die Ruine. Dort wurden sie bereits von vier Männern erwartet. Jeder von ihnen hielt ein Sturmgewehr im Anschlag, die Mündungen zielten auf die beiden Freude. Ihre Gesichter verbargen die Bewaffneten unter schwarzen Masken, in denen Löcher für die Augen geschnitten wurden. Hinter ihnen stand ein weißer Van.
„Das ist nah genug!“, rief einer der Männer und hob zur Verdeutlichung seiner Worte die Waffe. „Stellt die Tasche da vorne ab!“ Er machte eine Bewegung mit seiner Waffe.
Morgan wurde es eiskalt, als er die Männer sah.
Wo hat mich Korry da nur mit reingezogen?
Er folgte mit seinen Augen dem Lauf der Waffe. Die Mündung zeigte auf einen flachen Felsen. Ohne zu zögern stellten die beiden Freunde die Tasche darauf ab.
„Und jetzt die Hände hoch!“, rief der Mann, der anscheinend die Befehlsgewalt innehatte. „Und macht ja keine Faxen, klar?“
Morgan versuchte seinen rasenden Puls zu beruhigen und warf seinem Freund einen finsteren Blick zu. „Worauf hast du dich hier nur eingelassen?“, zischte er leise, bekam jedoch einen Stoß in den Rücken, der ihn verstummen ließ.
„Schnauze halten und die Augen nach vorne!“, bellte der maskierte Mann und tastete Morgan ab. „Und die hier werde ich nehmen“, sagte er und zog die Waffe des Officers aus dem Gürtel, um sie einem seiner Kollegen zuzuwerfen.
Doch Morgan wollte sich nicht kampflos ergeben. Noch während der Mann die Waffe warf, wirbelte der Officer herum und verpasste dem maskierten einen Schlag mit der geballten Faust gegen die Wange.
„Nicht, Morgan!“, hörte er Korry rufen, doch da war es bereits zu spät.
Überrumpelt von der Aktion wurde der Mann – laut fluchend - herumgeschleudert. Morgan legte einem Arm um den Hals des Mannes und hielt ihn als Schutzschild vor sich. Sofort hoben die anderen Männer die Waffen und zielten auf Morgan.
„Lass ihn sofort los!“, brüllte einer von ihnen, doch Morgan dachte nicht daran.
„Komm hinter mich, Korry!“ Schnell warf er einen Blick zu seinem Freund. „Wir werden jetzt zum Auto zurückgehen“, verkündete er an die bewaffneten Männer, die sich gegenseitig anschauten. „Und ihr werdet uns nicht folgen, klar?“
Das Adrenalin pulsierte in Morgans Körper, sein Herz raste und sein Blut wallte in seinen Adern. Dass er vollkommen überstürzt und unüberlegt gehandelt hatte, kam ihm nur langsam in den Sinn. Er hatte ja nicht einmal eine Waffe!
Korry stellte sich hinter Morgan und seufzte anklagend. „Es tut mir Leid, Morgan, aber ich kann nicht zulassen, dass du von hier abhaust.“
Morgan erstarrte vor Schreck, als er die kalte Mündung an seinem Hinterkopf spürte. „Was hat das zu bedeuten, Korry?“, verlangte er mit zittriger Stimme zu wissen. „Du steckst mit denen unter einer Decke?“
„Gewissermaßen, ja. Und jetzt lass den Mann los!“ Der Nachdruck, mit dem Korry das sagte, ließ keine Zweifel daran zu, dass er keine Widerrede zulassen würde. Zusätzlich verstärkte sich der Druck der Mündung auf den Hinterkopf des Officers.
Geschockt vom Verrat seines Freundes lockerte Morgan den Griff und entließ den Maskierten in die Freiheit. Seine Gedanken rasten, doch bevor er einen von ihnen klar greifen konnte, packte der Mann ihn fest an den Schultern, drehte ihn grob herum und fesselte ihm wortlos die Hände mit den eigenen Handschellen auf den Rücken. Das letzte, was Morgan sah, war Korry, der mit erhobener Waffe vor ihm stand und ihm in die Augen blickte.
„Es tut mir leid“, sagte Korry.
Mit Bedauern erkannte Morgan, dass von der Freundschaft zwischen ihm und dem FBI Agenten, nur noch eingestürzte Ruinen übrig blieben.
Dann zog jemand Morgan mit Schwung einen Sack über den Kopf und warf ihn unsanft in den Van.