Das Klingeln der Türglocke riss mich aus meinen Gedanken. Gut, endlich ist er da!
Er war pünktlich, also konnte ich ihm nicht vorwerfen, zu spät zu sein. Es war eher meine Ungeduld, für die ich mich hätte rügen sollen. Aber ich wartete nicht gerne.
Schnell eilte ich zur Tür und öffnete sie, um den Mann nicht auch unnötig warten zu lassen.
„Ah, da Sind sie ja“, begrüßte ich ihn und reichte ihm die Hand.
Der Mann ergriff meine Hand und schüttelte sie.
Was ein fester Griff!, dachte ich mir nur überrascht. Ich selbst hätte mich schon als kräftig eingeschätzt, doch in seinem Griff lag etwas anderes. Etwas Bestimmtes. Er wusste jedenfalls, was er wollte und war von seinem Auftreten überzeugt. Das gefiel mir.
„Bin ich zu spät?“, fragte der Mann etwas unbehaglich, doch ich schüttelte nur den Kopf und bat ihn herein.
„Nein, keine Sorge. Ich habe Sie einfach nur schon erwartet.“
„Ah, sehr schön.“ Der Mann trat mit einem Lächeln ein, nachdem er seine Schuhe an einer der Stufen abgetreten und auf der Matte saubergemacht hatte.
Schnell half ich ihm dabei, seinen Mantel auszuziehen und hängte ihn an die Garderobe.
„Kalt draußen, nicht wahr?“, fragte ich, um das Gespräch irgendwie am Laufen zu halten.
Der Mann lachte nur. „So, wie ich es mag, ja.“
„Sie mögen Kälte?“ Während wir sprachen, führte ich den Mann ins Wohnzimmer und bat ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
„Ich komme aus Finnland“, sagte er, als ob damit alles gesagt sei und stellte seine kleine Tasche, die er in der Hand gehalten hatten, neben sich auf den Boden.
Ich musste ihn wohl ziemlich unwissend angeschaut haben, jedenfalls lachte er kurz. „Da ist es in der Regel immer etwas kälter als hier in Deutschland. Es mag die Macht der Gewohnheit sein.“
„Oh, ich verstehe.“
Ich spürte, wie mir die Verlegenheit in die Wangen schoss. Normalerweise konnte ich gut Gespräche führen, aber ich kannte diesen Mann kaum und wusste daher auch nicht so Recht, was ich sagen sollte. „Ähm, da ich nicht wusste, ob Sie lieber Tee oder Kaffee trinken, müsste ich das jetzt noch vorbereiten.“
„Ein Kaffee wäre mir sehr lieb. Mit zwei Stück Zucker, bitte.“
Ich nickte und ging in die Küche, um den Kaffee aufzusetzen.
Als ich wieder in die Wohnstube trat, griff der Mann gerade in seine Tasche.
„Ich hab doch gesagt, ich bringe eine kleine Überraschung mit“, grinste er und zog eine Schachtel Pralinen aus der Tasche.
„Das sind ja meine Lieblingspralinen!“, platzte es überrascht aus mir heraus. „Woher wussten Sie das?“
„Sie haben es mir beiläufig erzählt, als wir im Lokal saßen. Verzeihung übrigens, dass es mir an diesem Tag nicht so gut ging.“
„Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen. Sie sagten, Sie hätten vielleicht etwas schlechtes gegessen?“
Der Mann schaute ein wenig verlegen, als er lachte. „Der Fisch muss es gewesen sein, aber ich würde meine Hand dafür nicht ins Feuer legen!“
Ich lachte ebenfalls, vielleicht, weil ich diese Situation nur zu gut kannte. „Wie gut, dass nichts Schlimmeres passiert ist.“
Der Mann nickte zustimmend.
In dem Moment hörte ich die Kaffeemaschine und eilte in die Küche.
Ich kam mit einer Kanne, Tassen, Untersetzern und Zucker wieder und stellte alles auf dem Tisch ab. Danach setzte ich mich in meinen Sessel. Ich fühlte mich nicht unwohl in der Gegenwart des Mannes, aber ich wollte ihm selbst nicht zu nahe treten.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fiel mir die Frage siedend heiß ein.
„Ah, wir sind noch gar nicht dazu gekommen, die Namen auszutauschen. Stimmt ja! Mein Name ist Noel. Noel Virtanen.“
Ich streckte ihm die Hand erneut entgegen. „Ich heiße Matthias. Schön, Sie kennenzulernen, Noel.“
Erneut ergriff er meine Hand, noch immer mit diesem Lächeln im Gesicht.
„Sie sprechen akzentfrei“, merkte ich kurz an. „Ich hätte nicht vermutet, dass sie gar nicht aus Deutschland kommen.“
„Meine Mutter kam aus Deutschland, mein Vater aus Finnland. Ich bin mit beiden Sprachen aufgewachsen. Ah, bevor ich es vergesse, ich wollte mich entschuldigen wegen der Sache auf dem Flohmarkt.“
„Hm? Was genau meinen Sie?“ Ich schaute ihn irritiert an, weil ich mich an nichts erinnerte, was einer Entschuldigung bedurfte.
„Ich fürchte, ich habe Sie wegen des Buches ziemlich bedrängt.“
„Oh, ach so, das. Das ist doch nicht so schlimm. Sie scheinen Bücher zu mögen, jedenfalls habe ich das in dem Moment gedacht.“
Noel lächelte wieder, doch dieses Mal wirkte es etwas melancholisch.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte ich sofort, besorgt, etwas angesprochen zu haben, was meinem Gast unangenehm war.
„Nein, nein. In gewisser Weise haben Sie Recht. Ich liebe Bücher wirklich sehr. Nur dieses Buch ist etwas Besonderes.“
„Darf ich fragen, warum?“
Er schenkte sich etwas vom Kaffee in die Tasse, ließ die Zuckerwürfel hineinfallen und rührte die Mischung mit einem Löffel durch, bevor er antwortete. „Dieses Buch hat mein Vater während des zweiten Weltkrieges geschrieben.“
„Ehrlich?“
Noel nickte.
„Möchten Sie mir davon erzählen?“
„Wenn Sie etwas Zeit haben, gerne.“
„Ich habe alle Zeit der Welt, immerhin sitzen wir beide nun hier. Nicht wahr?“
Noel grinste und nahm einen Schluck vom Kaffee.
Dann begann er zu erzählen.