Prompt: Licht und Schatten
Es klopfte.
„Herein!“, rief er.
Tom Schwarz, seines Zeichens Privatdetektiv. Ein Mann von etwas Mitte zwanzig, mit kurzen blonden Haaren, freundliches durchschnittliches Gesicht, 1.85 Meter groß, sportlich, aber nicht übertrieben muskulös. Er bevorzugte im Büro Anzug und Krawatte, die er auch heute wieder trug und ein gewohnter Anblick für seine Sekretärin Sybille Müller darstelle, die nun im Türrahmen erschien.
„Herr Schwarz? Herr Weiß wäre jetzt da.“
„In Ordnung.“ Es gelang ihm tatsächlich, sein Missmut nicht offen zu zeigen. Herr Schwarz und Herr Weiß, das klang wie in einem schlechten Film. Er vermied deshalb, den Namen direkt auszusprechen. „Schicken Sie ihn bitte herein, Frau Müller.“
„Gerne.“ Ein freundliches Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. „Ein wirkliches Sahnestückchen von einem Mann. Ich bin ja in festen Händen, aber vielleicht wäre er etwas für Sie? So fesch, wie er aussieht!“
Tom zwang sich, freundlich zu bleiben. Er mochte überhaupt nicht mit oder gar über diesem Herrn Weiß reden. Aber das durfte Sybille nicht wissen. Sie konnte nicht ahnen, dass er den Typen nur empfing, weil man ihn dazu genötigt hatte. Von ganz oben, sozusagen.
Dummerweise war Frau Müller außerordentlich schlau. Was auch kein Wunder war, denn genau deshalb hatte er sie eingestellt.
Dies kam ihm sonst entgegen, außer in dieser einen Sache.
Die Sekretärin hatte rasch bemerkt, dass Tom auf Männer stand. Etwas, was er als Privatsache ansah und außerhalb eines engen Freundeskreises nicht gerne mit anderen teilte. Was seine sexuellen Vorlieben waren und welches Geschlecht er bevorzugte, ging keinem etwas an. Dazu kam, dass die Gesellschaft immer noch genügend Vorurteile diesbezüglich hatte. Auch deshalb hängte er es nicht an die große Glocke.
So oder so, Frau Müller erwartete eine Antwort. Deshalb, und um ihr ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen, wiegelte er ab: „Es wird nur eine geschäftliche Zusammenarbeit werden. Ich bin zufrieden so, wie es im Augenblick ist.“
Er hoffte, das war überzeugend genug.
„Wie Sie meinen.“ Seit wann kicherte seine Sekretärin so albern? „Aber er ist wirklich … nun, Sie werden sehen. Und Herr Schwarz und Herr Weiß, das klingt doch lustig, finden Sie nicht? Bitte verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage, aber es ist ein seltsamer Zufall. Zumal Sie blond sind und er schwarzhaarig.“
Der Detektiv reagierte nicht, sondern starrte sie nur mit regungsloser Miene an. Er konnte darüber keine Scherze machen – das war einfach nicht lustig.
„Verzeihen Sie bitte. Dies war unangemessen!“ Sybilles Stimme klang entschuldigend und ihr Gesicht blickte nun leicht beunruhigt – selten hatte sie ihren Chef so versteinert gesehen.
Was diesen wiederum zur Besinnung brachte. Schließlich konnte seine Sekretärin nichts für die Zwickmühle, in der sich Tom befand. Sein schlechtes Gewissen regte sich, und er beeilte sich, sie zu beruhigen: „Ich bin Ihnen nicht böse, keine Sorge. Herr Weiß soll eintreten.“
„Ja, natürlich.“ Erleichtert, dass er offensichtlich nicht länger verärgert war, beeilte sie sich, zu verschwinden.
Tom hörte noch ihr „Herr Schwarz erwartet Sie“ von draußen, ehe sein Besucher sein Büro betrat.
Sybille hatte nicht übertrieben – Herr Weiß sah wirklich zum Anbeißen aus.
Genau sein Typ.
Innerlich schalt er sich für diesen Gedanken. Er hatte sich schon vorher entschieden, dass er seinen Gast nicht mögen würde. Das fehlte noch, dass sich hier Sympathien entwickelten. Schließlich hatte man ihm diesen Herrn vorgesetzt. Offensichtlich hielt man Tom für unfähig.
Keine sehr schöne Vorstellung.
Aber er musste wohl gute Miene zum bösen Spiel machen.
So schluckte er den Groll herunter, erhob sich und streckte die Hand nach seinem Gast aus. „Herr Weiß? Ich bin Herr Schwarz.“
Ärgerlich! Jetzt sprach er schon wie gerade seine Sekretärin.
Der Mann näherte sich unverschämt langsam. Fast schien es so, als würde er diese Situation viel zu sehr genießen.
„Sehr erfreut, Herr Schwarz.“
Oh, dieser Kerl hatte aber einen festen Händedruck! Und wirkte viel zu selbstsicher für Toms Geschmack.
„Ich finde das übrigens auch lustig, wie ihre Sekretärin schon bemerkte“, fuhr der Schwarzhaarige nun auch noch mit seiner Rede fort.
Wie?
Hatte dieser Typ Ohren wie ein Luchs? So laut hatte er sich doch gar nicht mit Sybille unterhalten.
Unbehaglich räusperte sich der Detektiv.
„In der Tat, es hat eine gewisse Komik“, gab er widerwillig zu.
„Vermutlich von OBEN ganz bewusst inszeniert. Deren Humor ist ja bekanntlich etwas schräg.“
„Sie mögen recht haben. Ich bin noch nicht so lange im Geschäft.“
Verdammt! Nicht gut!
Das hätte er jetzt nicht sagen sollen. Unprofessionell, denn genau das konnte man ihm vorwerfen. Herr Schwarz war erst seit kurzer Zeit ein Lichtwesen, und dies rechtfertigte es, ihm jemanden an die Seite zu stellen, um ihn zu kontrollieren.
Wollte er diesen Aufpasser wieder loswerden, so sollte er sich nicht so dilettantisch verhalten und zukünftig solche Fehler vermeiden.
Entweder jedoch fand Herr Weiß nichts dabei, oder er ließ es sich nicht anmerken. Ungefragt nahm er auf dem Besucherstuhl, auf der anderen Seite des Schreibtisches, Platz.
Irgendetwas war an diesem Herrn Weiß seltsam, ohne dass Tom sagen konnte, was es genau war.
Eine leicht düstere Aura, die aber andererseits wieder perfekt zu jenem etwas distanziert wirkenden und dunklen Mann passte. Der Privatdetektiv konnte es nicht genau benennen, was ihn konkret störte – vielleicht lag es aber einfach daran, dass er als Lichtwesen besonders sensibel auf Menschen und ihre Gedanken reagierte, ohne sie jedoch lesen zu können.
Der Satz seines Besuchers war leider nur allzu wahr – vor zwei Jahren erst hatte man Tom als Lichtwesen zurück auf die Erde geschickt. Und ihn ausgerechnet auf den Namen Schwarz getauft, wo er doch hell und gut sein wollte.
Er verstand die Logik von oben oft nicht.
Man hatte ihm eine neue Identität gegeben, damit er der neuen Berufung nachgehen konnte.
Unbelastet von seinem alten, menschlichen Sein. Tom Schwarz, Privatdetektiv, wurde von heute auf morgen erschaffen – und das so, als hätte es ihn schon immer gegeben. Eine digitale Vergangenheit, Personalausweis, Lebenslauf, Herkunft - an alles hatte man gedacht.
Außer an einen passenden Namen. Weshalb nicht einen klangvollen italienischen? Tom hatte darum gebeten – warum nur hatte man ihm diesen Gefallen nicht getan?
So war aus ihm Tom Schwarz, blond, Privatdetektiv, geworden.
Und dieser war durchaus erfolgreich. Seine Aufklärungsquote war beachtlich und er hatte sich auch schon einen Namen gemacht. Sogar mehrere Zeitungsartikel waren bereits über ihn erschienen.
Aber seinem wirklichen Ziel – das Gute in den Menschen zu sehen und zum Vorschein zu bringen – war er dadurch kaum nähergekommen. Gefühlsmäßig war es eher Zufall, ob die Schuldigen in sich gingen, bereuten und ihre Schuld einstanden. Meist war es keine echte Reue der Sünder, sondern vielmehr die Hoffnung, mildernde Umstände zu bekommen.
Toms Wirken hier auf der Erde war ein einziges Fiasko.
Er war erleichtert, dass er nur zum Lichtwesen nicht zu einem Schutzengel auserkoren worden war. Diese höchsten heiligen Wesen, sie waren eine ganz andere Liga, die er nie erreichen würde und wollte.
„Ich will nicht lange um den heißen Brei reden“, riss ihn sein Gast aus den Gedanken. „Ich habe mir, genauso wie Sie, diesen Job nicht ausgesucht. Wir sollten also das Beste daraus machen.“
Der Detektiv räusperte sich. Am liebsten hätte er sein Gegenüber gebeten, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Dem Himmel könnte dieser Herr ja dann erzählen, dass er, Tom Schwarz, keine weitere Hilfe benötigte.
Dagegen sprachen jedoch zwei Dinge: Tom kannte Herrn Weiß zu wenig, um zu wissen, ob er auf den Deal eingehen würde. Zweitens konnte keiner die da OBEN nicht so einfach austricksen.
Resigniert nickte er deshalb.
„Da haben Sie sicher recht. Vielleicht können Sie mir von sich erzählen? Also etwas mehr als das, was in dem Empfehlungsschreiben steht, welches ich von Herrn Wiedemann erhalten habe.“
Empfehlungsschreiben war mehr als untertrieben – viel mehr war es der Befehl, diesen Weiß einzuladen und letztlich offiziell als gleichberechtigten Kompagnon anzunehmen.
Das Gespräch diente lediglich dazu, den äußeren Schein zu wahren. Vielleicht noch, dass sich Tom ein wenig besser fühlte, da es das Gefühl geben mochte, der Detektiv hätte eine Wahl – die er in Wahrheit aber nicht hatte.
Herr Weiß – seine Augen waren sehr intensiv, dunkelbraun, sie wirkten fast schwarz – schmunzelte.
Tom wurde davon seltsam berührt, ohne dass er sagen konnte, warum dies so war.
„Ich kann Ihnen nicht allzu viel preisgeben, ich bedaure“, kam die enttäuschende Antwort seines Gastes. „Es ist mir nicht gestattet. Nach und nach werden Sie aber mehr erfahren, was meine Person betrifft. Vorerst nur so viel – ich bin ein ausgezeichneter Spürhund und kann sehr gut in die Köpfe anderer Menschen hineinblicken. Ich werde Ihnen helfen, Ihren Auftrag auf der Erde besser auszufüllen.“
Das klang nicht sehr ermutigend. Herr Weiß gab sich zugeknöpft und sagte ihm durch die Blume, wie unfähig er war.
„Sie verstehen mich falsch“, setzte der Besucher seine Rede fort. „Diese Anfangsschwierigkeiten sind normal.“
Tom hob erstaunt die Augenbrauen. „Verzeihen Sie bitte meine Verwirrung – Sie wirken so anders als die Lichtwesen, die ich bisher kennengelernen durfte. Sind Sie überhaupt eines?“
„Wie? Nein, natürlich nicht.“
Der Blick seines Gesprächspartners wirkte verwirrt, als habe der Privatdetektiv etwas ganz Ungeheuerliches oder Absurdes gesagt. „Ich wandle aber schon lange genug unter den Sterblichen und kann Ihnen daher vieles beibringen. Man hat nicht umsonst mich auserwählt, um Ihnen unter die Arme zu greifen.“
‚Hoffentlich war es nicht die falsche Wahl‘, dachte sich Tom, hütete sich aber, diese Zweifel laut auszusprechen.
Der Typ war ihm etwas unheimlich. Ein leicht amüsiertes, kaum wahrnehmbares Schmunzeln umspielte dessen Lippen. Hatte Herr Weiß seine Gedanken erraten?
„Uns bleibt eh keine Wahl, als es zu versuchen“, sagte er deshalb in der Absicht, von sich abzulenken.
„Wir müssen uns beide zusammenraufen, das ist richtig. Als Erstes sollten wir und duzen, das ist doch so üblich bei Teilhabern, oder? Und es würde unsere Zusammenarbeit erleichtern“, erklärte sein Besucher mit fester Stimme.
Dagegen war nichts einzuwenden. Vielleicht half es sogar.
„Einverstanden. Ich heiße Tom. Also Tom Schwarz.“
„Angenehm, Tom. Offensichtlich haben sie dir einen ähnlich kurzen Vornamen angedichtet wie mir. Ich heiße hier auf Erden Franz. Franz Weiß.“
Das klang in der Tat etwas blöd. Ähnlich komisch wie Tom Schwarz.
Zum ersten Mal des Gesprächs gelang dem Detektiv ein echtes Lächeln. „Dann haben wir wenigstens eines gemeinsam. Vielleicht ein gutes Omen, oder?“
„Gut möglich, mein Freund.“