Heimat ist ein Begriff, den man häufig hört. Im Alltag, in der Politik, in Reden und einfachen Gesprächen. Doch was bedeutet das eigentlich – eine Heimat? Ein Heim?
Würde ich dich nach einem Heim fragen, würdest du vermutlich an dein Haus oder die Wohnung denken, in der du lebst. Bei Heimat wird es schon schwieriger – deine Wohnung? Deine Stadt? Dein Landstrich, dein Bundesland? Das ganze Land oder Europa – oder gar die ganze Welt? Und kommt es von deinem Verstand, deinen Worten, oder auch von deinem Gefühl?
Ich gehe davon aus, dass das Gefühl von „Heimat“ etwas sehr subjektives ist. Eine Heimat kann eine Wohnung sein. Der Garten hinterm Haus kann auch zur Heimat gehören. Vielleicht ist es die ganze Stadt? Oder die Felder, in denen man als Kind gespielt hatte. Vielleicht auch der Garten der Freundin oder des Freundes.
Ich denke, Heimat hat viel mit Gefühl und konkreten Orten zu tun. Eine Heimat ist etwas, wo man sich wohl fühlt. Ein Ort, mit dem man verbunden ist, unabhängig von den Menschen, die dort leben oder gelebt haben. Heimat ist etwas, das man im Herzen spürt und immer mitnimmt, egal wohin man geht.
Im Herzen? Hat man dann immer eine Heimat, ist man immer daheim?
Stell dir den Ort vor, wo du dich wohl fühlst, wo deine Heimat ist. Fange bei deinem Zuhause an. Stell dir die Zimmer vor, wie sie aussehen, wie sie riechen, was du dort Schönes erlebt hast. Stell dir vor, die Haustür geht zu, sie wird sich für dich nie wieder öffnen. Die Wände zerbröseln, sie sind nicht mehr. Stell dir vor, du siehst einen von dir geliebten Baum, du hast ihn schon lange beobachtet. Das Holz, die Rinde, die Blätter oder Nadeln, durch die Jahreszeiten hindurch. Und du weißt ganz genau – auch dieser Baum, dieser Ort, ist nicht mehr. Auch die Felder und Wiesen sind nicht mehr, genauso wenig wie die Straßenzüge und Laternen. Vielleicht existieren sie noch, aber du weißt, dass du sie nie wiedersehen wirst. Vielleicht hattest du noch Zeit, dich zu verabschieden. All die Orte aufzusuchen, die du geliebt hast, die für dich Heimat waren. Vielleicht konntest du das nicht tun und es gab keinen Abschied, wird ihn auch nie geben. Stell dir den Wind vor, den Regen, den Sonnenschein und die Luft, wie sie in deiner Heimat duftet. Dort bist du nicht mehr, wirst es vielleicht nie wieder sein. Die Sonne deiner Heimat nie wieder spüren und die Luft nie wieder atmen.
Du bist an einem anderen Ort, doch ist es dein Herz auch? Vielleicht bist du mit lieben Menschen zusammen, doch können sie die Lücke wirklich füllen, die in deinem Herzen ist?
Vielleicht denkst du jetzt, es ginge um Gewöhnung. Um Alltägliches. Mit der Zeit gewöhnt man sich an das, wo man ist. Doch das macht noch keine Heimat aus, das macht Routine aus. Dein Herz ist es, das eine wirkliche Heimat akzeptieren muss und das Herz, das hört nicht auf Gewöhnung und Wiederholung.
Stell dir vor, du bist ein Mensch, der in seinem Leben nie eine Beziehung zu einem Ort herstellen konnte. Stell dir vor, du bist seit Kindertagen von einem Ort zum anderen gezogen, immer weiter, in einer Gesellschaft, in der alle sesshaft sind.
Einige solcher Menschen werden eine Heimat gefunden haben, ihr Herz wird dort schlagen, wo sie gerade sind, ganz gleich, wo das ist. Andere dieser Menschen werden durch die Straßen und Felder wandeln, unter Bäumen hindurch und auf Spielplätzen. Sie werden die Welt um sich sehen, sie vielleicht sogar mögen und als ihr zuhause bezeichnen. Doch ihr Herz können sie nicht öffnen. Für sie ist der Ort, an dem sie leben, einfach nur ein gewohnter Ort. Sie kennen die Straßen, sie kennen den Geruch der Luft, sie verbinden so manche schöne Erinnerung mit dem, was sie sehen. Doch ist es ihre Heimat?
Kann irgendein Ort auf der Welt ihre Heimat werden?
Ich glaube, die Antwort lautet: Ja. Doch die Suche kann ein Leben lang dauern und sie ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Heimatlos könnten sie bleiben, ihr ganzes Leben lang.
Macht das Angst? Macht das Sorge? Das kann es, denn keine Heimat zu haben bedeutet auch, keine Stabilität zu haben. Eine Heimat, das sind Wurzeln, die einen stützen. Wurzeln, die einen gegen die größten, kräftigsten Stürme des Lebens standhalten lassen. Wurzeln, die Nahrung für das Herz bringen. Was, wenn all das nicht ist? Wie soll man damit umgehen?
Vielleicht wirst du dir jetzt denken, dass ein Mensch, der nie eine wirkliche Heimat hatte, gar nichts hat, das ihm oder ihr fehlt. Ich denke, es ist anders: Eine solche Person kann dir vielleicht nicht sagen, was ihr fehlt. Aber dass etwas fehlt, das wird ihr Herz ihr sagen, immer wieder und es wird durch alle Schichten durchdringen, die ein Mensch um sein Herz legen kann.
Vielleicht wirst du denken, dass eine liebevolle Verwandtschaft und Freunde dazu führen können, dass jemand eine Heimat hat. Und es stimmt, auch in seinem Umfeld kann man eine Heimat finden. Doch es ist nur ein Teil dessen, was das Herz und das „Selbst“ nährt. Etwas wird fehlen.
Eine Heimat also, ein Ort. Das gilt es zu finden, für jeden Menschen, der sie noch nicht in seinem Herzen gefunden hat.
Hier, am Schluss, will ich dir noch ein offenes Geheimnis verraten. Sozusagen die Königsdisziplin des Heimat-Habens.
Ich habe viel vom Herzen gesprochen. Das Herz muss eine Heimat, einen Ort, annehmen, um es zur Heimat zu machen. Ich habe viel von physischen Orten geschrieben – diese sind uns einfach nahe und sie sind das, was man allgemein als Ort versteht. Sie gehören zu dem, was viele Menschen mit „Heimat“ assoziieren.
Doch es gibt noch einen Ort, der Heimat sein kann. Dieser Ort liegt nicht außerhalb von dir, er liegt innerhalb von dir. Dieser Ort ist dein Herz selbst. Dein Herz kann in sich Heimat tragen und diese Heimat wird es mitnehmen, wohin du auch gehst. Es wird jeden Ort als ein Stückchen Heimat betrachten und annehmen können. Denn das Herz hat sich mit dem Verstand und dem Bauchgefühl beraten und sie haben festgestellt und anerkannt: Die Heimat liegt in dem Menschen selbst.