„Also gut. Und wo willst du hingehen?“
„Zur Landesgartenschau.“
„Aber das Gelände ist noch geschlossen. Die Eröffnung ist erst morgen“, überlegte sie mit gerunzelter Stirn. „Willst du es also verschieben?“
„Nein“, antwortete er mit einem Grinsen im Gesicht, das immer breiter wurde.
„Du willst doch nicht etwa einbrechen?“
„Als ob das jemals jemand erfahren würde“, meinte er mit einem Schulterzucken und immer noch breitem Grinsen im Gesicht.
Rove verschränkte ihre Arme vor der Brust und schien zu überlegen.
„Denk nicht zu viel darüber nach. So wie ich das sehe, wird ab morgen das ganze Areal überfüllt sein mit Leuten, die schon seit Wochen auf die Eröffnung warten. Bis wir die Eintrittskarten hätten, müssten wir wohl stundenlang anstehen oder hast du bereits eine? Und“, er hob beim Sprechen einen Zeigefinger, „ich weiß, dass du sie dir gerne ansehen würdest, aber Menschenmengen nicht ausstehen kannst.“
Rove rümpfte kurz die Nase bei der letzten Aussage. Das stimmte so nicht. Aber er hatte Recht. Wenn sie sich vorstellte, in einen Garten zu gehen, wimmelte es dort nicht von Menschen. Es war ruhig und friedlich, nichts als Natur und Stille. Vielleicht hatte er Recht. Wem würde schon auffallen, dass sie dort gewesen waren? Und irgendwie reizte sie der Gedanke, etwas Verbotenes zu tun. Zwar etwas banales, immerhin würden sie sich nur in einen Garten schleichen, nicht in eine Bank oder andere Anlagen, dennoch…
„Also gut. Ich möchte mich vorher noch einmal umziehen, dann können wir los“, entschied sie letztendlich und wandte sich dabei bereits um zum Gehen. „Aber wenn wir schon dort sind, möchte ich auch sehen, was sich hinter dem Zaun befindet.“
Dieses Areal, um das ein so großes Geheimnis gemacht wird?, dachte Araz. Na gut, warum nicht. Wenn sie schon einmal dort waren, würden sie sich das sicherlich nicht entgehen lassen.
Etwa eine halbe Stunde später standen sie vor dem Haupteingang der Landesgartenschau.
„Warum stehen wir hier?“, wollte Rove mit in die Hüften gestemmten Händen wissen.
„Vielleicht ist ja offen“, meinte Araz mit einem Schulterzucken und näherte sich dem großen Gittertor. Rove folgte ihm, ließ den Blick aber über die hohe Umzäunung schweifen. Teilweise war das Gelände der Landesgartenschau von einfachem, aber hohem Gitterzaun mit Sichtschutz umgeben, an anderen Stellen ging der Zaun sogar in Mauern über, die zu überqueren sicherlich einfacher wären. Doch bevor sie einen Vorschlag machen konnte, sah sie, wie Araz das Tor bereits auf schob.
Erstaunt hob sie die Brauen. „Es war nicht verschlossen?“
Araz zuckte mit den Schultern und trat durch den geöffneten Spalt hindurch. Rove folgte ihm schnell, nachdem sie noch einmal kurz ihre Umgebung überprüft hatte. Niemand war in der Nähe. Zumindest niemand, der ihnen in diesem Moment Beachtung schenkte.
Innen im Park begaben sie sich schnell außer Sichtweite des Gittertors.
Trotz ihres hektischen Ganges durch den Eingangsbereich, fühlte sich Rove gleich sehr viel ruhiger und gelassener, als eben noch auf der anderen Seite des Tores. Die Atmosphäre im inneren des Areals war ganz anders als die der Stadt hinter dem Zaun. Sie hatten sich beim Bau wirklich viel Mühe gegeben, die Umgebung schön natürlich und möglichst unberührt zu halten. In der Ferne konnte man ein paar Gebäude erkennen, die wohl zum neu angelegten Park gehörten und neben den ausgetretenen Kieswegen die einzigen Zeugen von zivilem Leben waren. Eine Schande, dass die Stadt von den Besuchern verlangte, Eintritt dafür zu bezahlen. In Roves Augen gehörte so ein Stück friedvolles Land zu den Grundrechten eines jeden Lebewesens. Allerdings… vielleicht war es auch besser so. Um all diejenigen von diesem Ort fern zu halten, die ihn nicht zu schätzen wüssten.
Während sie die Kieswege entlang spazierten, ließ sie ihren Blick über das Gelände schweifen. Die Wege waren geziert von einzelnen Büschen und Bäumen, farbenfrohe Blumen säumten den Wegesrand. Sie waren so eingestreut oder eingesetzt worden, dass es den Eindruck erweckte, sie wären dort wild gewachsen. Die sich neben den Wegen erstreckenden Wiesen waren meist von gestutztem Rasen gesäumt, auf den man sich im Sommer setzen konnte. Doch weiter hinten war das Gras höher und vermischte sich mit ebenso bunten Blumen, wie jene, an denen sie eben vorüber gingen.
Es war so still hier.
Der Lärm der Stadt drang nicht so weit vor. Das einzige was Rove hörte, war das Knirschen des Kiesels unter ihren Füßen, das muntere Zwitschern von Vögeln, das Rauschen des sanften Windes in den Blättern der Büsche und Bäume um sie herum. Selbst die Luft schmeckte hier besser, frischer. Die Sonne bewegte sich immer näher auf den Horizont zu und tauchte die Welt in ein goldenes Licht. Die Farben ihrer Umgebung mischten sich mit der, der Sonne, in einen gleichmäßigen, warmen Ton.
„Es ist schön hier“, meinte Rove nach einer Weile, die sie schweigend nebeneinander her gegangen waren. Sie musterte Araz aus ihrem Augenwinkel. Das goldene Licht ummalte die Konturen seines Gesichts und spiegelte sich in seinen dunklen Augen. Offensichtlich machte es ihm nicht so viel aus, gegen die Sonne zu sehen, wie ihr selbst. Wieder spürte sie das Kribbeln unter ihrer Haut, das Vibrieren in ihrer Brust. Ob es wirklich eine so gute Idee war, sich mit ihm alleine zu treffen?
„Mhm“, murmelte Araz leise, während er den Weg weiter entlang ging.
Seufzend ließ Rove die Schultern hängen. Sie hätte gerne die Stille durchbrochen. Sie genoss die Ruhe dieses Ortes zwar sehr, doch mit ihrer Begleitung ließ es sie langsam unruhig werden. Ohne miteinander zu reden, fühlte sich der gemeinsame Ausflug irgendwie… merkwürdig an. Noch einmal sah sie zu ihm hinüber. Seine Brauen waren recht streng zusammengezogen, aber alles in allem wirkte er entspannt und beachtete Rove neben sich kaum. Beruhigt begann auch Rove sich zu entspannen und konnte die Stille langsam genießen.
Mit der Abenddämmerung wurden auch die Insekten der umliegenden Felder lauter. Zu dem Zwitschern der Vögel mischte sich das Zirpen von Grillen. Noch immer spazierten sie ziellos über das Gelände, sahen sich die Anlagen an. Neben den bunten Wiesen mit vereinzelten Büschen und Bäumen gab es auch abgegrenzte, kleinere Gärten, in denen bunte Blumenbeete kunstvoll angelegt waren. Durch das schwindende Licht waren die Farben der Blüten zwar kaum noch zu erkennen, doch dass die Beete mit viel Sorgfalt und Liebe gepflegt worden waren, sah man im Zwielicht noch gut. Zwischen den Blumenbeeten befand sich auch ein kleiner Gemüsegarten, den man betreten durfte. Die Büsche, an denen man hier vorbei ging, trugen allesamt süße Beeren, von denen man beim vorbei spazieren naschen konnte. Sie kamen hier auch an den Gebäuden vorbei, die auf der Anlage gebaut waren. Eines davon stellte sich als Bar und Restaurant heraus, mit einem großen Außenbereich, in dessen Mitte ein einfacher, aber schöner Springbrunnen stand. Das andere Gebäude, nur wenige Meter entfernt, war deutlich größer. Davor war eine Bühne aufgebaut, die man auch von dem Außenbereich des Restaurants noch gut sehen konnte. Innerhalb des größeren Gebäudes befand sich sicherlich ebenfalls eine Bühne – für die nicht so sonnigen Tage.
„Wollen wir uns setzen?“, fragte Araz und brach damit das erste Mal seit einer Weile wieder die Stille. Rove nickte und schlenderte zu den Sitzgelegenheiten vor dem Restaurant zurück. „Aber nicht allzu lange. Du magst im Dunkel vielleicht gut sehen können, aber ich habe nicht viel von dem abgesperrten Areal, wenn die Sonne ganz weg ist.“
Araz Mundwinkel formten sich zu einem schmalen, amüsierten Lächeln, während er sich ebenfalls auf einem der Stühle niederließ und seinen Rücken tief in die Lehne sinken ließ.
„Es tut gut, die Welt einmal wieder von ihrer schönen Seite zu sehen“, meinte Rove, bevor sich erneut eine Stille ausbreiten konnte.
Araz nickte zustimmend und ließ seinen Blick zunächst über die Umgebung schweifen, bevor er sich ihr zuwandte. „Gerade bei unserer Berufung sollte man das nicht vergessen.“
Rove seufzte bei diesem Gedanken und zog ihre Beine zu ihrem Körper heran, winkelte die Knie vor ihrer Brust an und nahm dabei ihre Füße mit auf den Stuhl.
„Ich wollte dir noch einmal danken“, durchbrach Araz ihre Gedanken.
Verwirrt sah sie wieder auf. „Wofür?“
„Abgesehen von den anfänglichen Schwierigkeiten…“ er machte eine kurze Pause und blickte sie erwartungsvoll an. Allerdings wusste sie nicht, worauf er hinauswollte, woraufhin er fortsetzte: „Aber ohne dich, säße ich sicherlich noch hinter einem Schreibtisch oder gar einem Verhörraum fest.“
Diesmal war Rove es, der ein schmales Lächeln über die Lippen schlich. Jetzt ergab das mit den ‚anfänglichen Schwierigkeiten‘ auch Sinn.
„Und… in der Hoffnung, nicht zu viel zu sagen, aber ich bin froh, dass wir Freunde geworden sind.“
Für einen kurzen Augenblick stutze Rove, bevor das Lächeln zurückkam und noch etwas breiter wurde. „Ja, geht mir genauso.“
Auch Araz wagte sich nun an einem breiteren Lächeln.
„Auch wenn der Anfang wirklich schwierig war…“, lachte Rove plötzlich. „Tut mir leid. Wie ich anfangs mit dir umgegangen bin“, fügte sie, ohne dabei zu lachen, hinzu.
„Das muss es nicht. Nicht nachdem, was ich dir angetan habe“, meinte Araz zuerst ernst, zwinkerte dann aber, um die Stimmung wieder etwas aufzulockern. Unwillkürlich fasste Rove sich an ihren Hals, fuhr mit den Fingerspitzen über ihr Schlüsselbein. Sie dachte zurück an ihre erste Begegnung, in der sie sich noch als Feinde gegenüber gestanden hatten. Die sie um ein Haar beide nicht überlebt hatten.
Und nun saßen sie hier, wie zwei alte Freunde und betrachteten den Sonnenuntergang.
„Nach unserer ersten Begegnung… ich hatte schon so ein Gefühl, dass wir uns wieder begegnen würden“, setzte Rove vorsichtig an.
Araz hob neugierig die Brauen. „Das kann ich mir gut vorstellen.“
„Ach ja?“, fragte Rove misstrauisch. Von allen Antworten, die er zu ihrer Aussage haben könnte, traf sie diese am meisten unerwartet.
„Wir sind uns einige Male in deinen Träumen begegnet.“
Für einen Augenblick schien Roves Herz auszusetzen. Was? Woher-? Große Güte, nein. Das hätte sie wissen müssen. Araz war zwar kein Vampir, doch auch Dämonen konnten die Fähigkeit besitzen, sich in den Geist anderer Personen zu schleichen. Aber dass er… es hatte sich alles wie normale Träume angefühlt. Es gab keine Hinweise auf die Anwesenheit eines anderen Geistes…
„Dafür sollte ich mich entschuldigen. Das war… keine böse Absicht. Ich wusste nur nicht, was ich machen sollte. Ich war… sehr verzweifelt. Ich wusste nicht, wer oder wo ich bin. Du warst mein einziger Anhaltspunkt. Ich hatte keine andere Möglichkeit, dich zu finden“, erklärte Araz langsam. Offensichtlich war ihm das Thema auch nicht besonders angenehm. Doch da es nun angesprochen war, wollte er es nicht verstecken.
Rove schluckte. Ihr Hals fühlte sich auf einmal ganz trocken an. Sie erinnerte sich an die Albträume, die rot glühenden Augen, die Rufe. Doch all das war immer mit ihren üblichen, alltäglichen Träumen vermischt gewesen. Sie hatte es für einen Teil der Verarbeitung des Geschehenen gehalten.
„Ich... ich habe nicht…“, setzte Rove an, verstummte aber. Sie wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte.
„Schon in Ordnung. Für mich war es auch sehr verwirrend“, antwortete Araz auf die Frage, die er hinter ihrem Verstummen vermutete. „Normalerweise läuft es etwas anders ab. Wenn ich einen Traum betrete, kontrolliere ich meist die Umgebung, das Geschehen. Bei dir war es… anders.“ Nach einem Blick in ihr verwirrtes Gesicht, fügte er hinzu: „Du hast einen starken Verstand. Selbst im Traum beschützt du deinen Geist. So war ich mehr ein Besucher, zwar anwesend, aber mit weit weniger Einfluss, als es üblich ist. Das ist an und für sich nichts ungewöhnliches, aber es ist selten, einer solchen Person zu begegnen. Jetzt, da wir uns besser kennengelernt haben, wundert es mich aber nicht mehr.“ Er setzte zu einem kurzen Lächeln an, doch Rove schien noch zu schockiert, um sich davon beruhigen zu lassen.
Rove nickte stumm und versuchte, das gehörte zu verarbeiten. Sollte sie wütend sein? Sie müsste wohl wütend sein. Ein so drastischer Eingriff in ihre Privatsphäre… Doch in diesem Augenblick fühlte sie sich noch wie betäubt, um eine Reaktion darauf zeigen zu können. Immer noch spielten sich die Bilder der Träume vor ihren Augen ab. So lange, wie sie sie verfolgt hatten, wie sie sogar schweißnass inmitten der Nacht hochgeschreckt war. Also war es doch…?
Diese roten Augen, der Schatten, der sich in ihrer Nähe aufgehalten hatte. Seine Stimme… Seine Rufe, seine Schreie. Wo bist du? Langsam ergab es einen Sinn. Die Bilder hatten sie nicht in ihre Träume verfolgt, weil sie ein Trauma verfolgte. Sie waren ein Hilferuf gewesen.
Mit einem Mal kam ihr ein ganz anderer Gedanke. Der Schatten.
Nicht alle Teile ihrer Träume waren von Angst und Schmerz gefüllt. Zumindest einer dieser Träume hatte eine sehr… überraschende Wendung genommen.
Die Schamesröte schoss Rove unvermittelt ins Gesicht, unbewusst hielt sie für einen Moment den Atem an, der gesamte Körper für einen Moment in Anspannung erstarrt. Oh nein, das darf nicht sein… dann… dann hat er…? Sie hoffte inständig, dass auch er in der aufkommenden Dunkelheit die Röte in ihrem Gesicht nicht mehr sehen konnte. Oder schlimmer… wenn er so einfach in die Träume anderer eindringen konnte, wusste er dann auch, was sie dachte? Sie wollte seinen Anblick zwar meiden, doch bei diesem Gedanken schnellten ihre Augen zu ihm – als könnte sie dadurch überprüfen, ob sich der Verdacht bestätigte.
„Keine Sorge, deine Gedanken sind vor mir sicher“, klärte Araz sofort auf, der ihren entsetzten Blick offenbar sofort verstanden hatte, „beziehungsweise, du würdest es merken, wenn ich versuche, sie zu manipulieren. Das Eindringen in einen wachen Geist ist ein ganz anderes Unterfangen, als das Eindringen in einen Traum. Die meisten Personen, egal wie stark sie sind, bemerken einen Eindringling sofort. Aber das weißt du sicher ohnehin schon.“
Rove nickte langsam. Ja. Diese Erfahrung hatte sie auch bereits gemacht. Und im Grunde hatte sie die ganze Zeit über gewusst, dass Araz derartige Fähigkeiten besitzen musste… sie hatte bisher nur nicht glauben gewollt, dass er sie auch bei ihr eingesetzt hatte. Allerdings war das noch, bevor sie sich, richtig, kennengelernt hatten. Machte diese Tatsache es weniger schlimm?
Rove seufzte tief, als ihre Gedanken zurück zu ihren Träumen schwankten. Sie sah die Szenen wieder vor sich, spürte sie in ihren Gliedern. Wieder fühlte sie die aufkommende Hitze in ihrem Gesicht, die sich diesmal auch im Rest ihres Körpers ausbreitete. Ich Herz begann erneut ganz aufgeregt zu flattern und sie spürte die Anspannung deutlich in ihren Gliedern. Sie schlang ihre Arme enger um ihre Knie, krallte ihre schmalen Finger geradezu in ihre Unterarme.
„Wenn du… in meinen Träumen warst…“, setzte sie langsam an. Während sie sprach, starrte sie abwesend auf ihre Füße, die sie immer wieder streckte und anzog, „…konntest du alles sehen, was passiert ist? … warst du immer da, wenn ich dich gesehen… oder gespürt habe?“ Den letzten Teil brachte sie nur schwer heraus. „Oder kann es sein, dass manche… Begegnungen… nur ein einfacher, normaler Traum waren?“ Bitte, bitte sag mir, dass das möglich ist.
Araz blickte ihr zuerst mit gerunzelter Stirn entgegen, bevor sich ein breites Grinsen über sein Gesicht legte.
Oh nein. Hat er mich durchschaut? Oh nein.
„Oh. Ich fürchte, ich war immer da, wenn du mich gesehen oder …gespürt hast.“ Das ohnehin schon breite Grinsen wurde noch ein wenig größer. Mit dem kurzen Zwinkern am Ende seiner Antwort, rutschte Rove fast das Herz in die Hose.
Roves ohnehin schon große Augen waren so weit aufgerissen, dass Araz die irrationale Angst packte, sie könnten gleich aus ihren Höhlen kullern.
„Für mich war das auch sehr unerwartet. Überraschend“, fügte er hinzu und ließ sein Grinsen wieder schmaler werden. Doch ganz verschwinden wollte es nicht.
Große Güte… Rove fuhr sich mit der flachen Hand fest über das Gesicht. Sie schämte sich mit einem Mal so sehr, dass sie am liebsten einfach verschwinden würde. Wie sollte sie ihm denn nun wieder in die Augen sehen können? Sie hatten eben noch über ihre Freundschaft gesprochen – doch wie würde sich nun dieses Wissen darauf auswirken?
Ein kurzes Lachen drang aus Araz Kehle und ließ sie unwillkürlich wieder zu ihm blicken. Mit einer Mischung aus Wut und Scham funkelten ihm ihre giftgrünen Augen entgegen.
„Mach dir nicht so viele Gedanken. Wir sind doch beide erwachsene Leute. Darüber sollten wir stehen können, oder nicht?“, meinte Araz schließlich. Sein Lächeln wirkte nun nicht mehr amüsiert, sondern beschwichtigend.
Roves Blick tastete ihn argwöhnisch ab, doch letztlich entspannte sie sich wieder. Sie meinte, in seinem Gesicht Ehrlichkeit zu erkennen. Keine Spur davon, dass die Gedanken in seinem Kopf genauso stürmten, wie in ihrem. Das beruhigte sie. Wenn er sich wirklich keine Gedanken machte, dann müsste sie es auch nicht. Und er hatte Recht: Sie waren beide erwachsen.
„Also gut“, meinte sie schließlich auch mit einem kurzen Lachen. „Du hast Recht. Was soll’s. Ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen. Aber... es ist alles gut zwischen uns? Es bleibt alles … normal?“
„Keine Sorge, ich werde dich nicht anrühren“, antwortete Araz mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. „Solange du nicht willst.“ Damit war das schelmische Grinsen auf sein Gesicht zurückgekehrt.
Augenblicklich fuhr die Röte wieder in Roves Wangen, doch diesmal war sie nicht nur peinlich berührt. Wütend schmetterte sie ihre Faust in seine Schulter. „In deinen Träumen vielleicht“, zischte sie wütend, woraufhin Araz laut auflachte. „Vielleicht“, antwortete er mit einem gefährlichen Blitzen in seinen Augen.
Als ihr bewusst wurde, dass ihre Worte als Entgegnung nicht besonders geschickt gewählt worden waren, entwich ihr ebenfalls ein Lachen. Ja, wenn sie so darüber nachdachte, war die ganze Situation irgendwie absurd und lächerlich. Dennoch. Wenn sie in sein Gesicht sah, spürte sie, dass er es ehrlich meinte. Dass ihm offensichtlich die Freundschaft genauso wichtig war, wie ihr. Und dass es ihm auch genauso wichtig war, sie zu erhalten. Was auch immer schon alles zwischen ihnen vorgefallen war.
„Nur eine Sache noch“, fiel Rove dann ein, „…warum? Wie konnte das überhaupt passieren?“
Araz zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich auch nicht. Wie schon gesagt, ich war selbst… überrascht.“
Rove musterte ihn mit hochgezogener Braue. „Du hast es aber auch nicht unterbrochen.“
Erneut zuckte Araz mit den Schultern und hob seinerseits beide Brauen. „Wieso sollte ich auch?“
Zuerst sah er sie ernst an, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Rove indessen überlegte, ob sie nun doch wütend sein sollte. Doch irgendwie… legte sich unwillkürlich auch ein Schmunzeln über ihre Lippen. Was soll’s…
Erneut lachten sie beide. Schließlich erhob sich Araz und wartete, bis Rove es ihm gleich tat.
„Also sehen wir uns noch die geheime Anlage an?“
„Ja klar“, antwortete Rove und trat ihm voraus den Weg an. So düster, wie es in der Zwischenzeit geworden war, zweifelte sie aber, dass sie noch viel davon erkennen würde.