Beitrag zur Sixty-Minutes-Challenge zum Prompt "Sieben Minuten"
„53“, meint er und deutet zur Bahn hinüber. „Das schaffen wir noch.“
„Gerne“, erwidere ich und klaube meine Maske, das Florett und den Handschuh vom Hallenboden auf. Sieben Minuten haben wir noch. Dann müssen wir uns umziehen und abbauen, um den Bus nicht zu verpassen. Sieben Minuten. Das genügt für ein gutes Gefecht.
Ich gehe zur Kabelrolle, hake das Kabel an dem Haken an der E-Weste ein, ziehe meinen Handschuh an und schließe das Florett an das Kabel an, das aus meinem linken Jackenärmel hervorlugt. Ich beuge mich herab und klemme die Maske unter meinen rechten Arm.
Wir gehen aufeinander zu, heben im Einvernehmen die Waffen und zielen auf die Brust des jeweils Anderen. Zwei Lampen leuchten auf dem Melder, die Kabel funktionieren. Ich nicke und schreite zurück an die Linie. Mit ausgestrecktem Florett grüße ich meinen Gegner, den Obmann und die Zuschauer, die hauptsächlich aus erschöpften Mitfechtern bestehen. Dann setze ich meine Maske auf, vergewissere mich noch ein letztes Mal, das mit der Ausrüstung alles stimmt und gehe in die Fechtstellung.
Mein Gegner hebt die linke Hand und zeigt drei Finger an. Ich nicke. Auf drei Treffer zu fechten, scheint mir in sieben Minuten gut machbar zu sein.
Der Obmann, der rechts von mir steht, gibt das Zeichen zum Start. Mit einem Schritt überschreite ich die Linie. Auf keinen Fall will ich meinen Gegner die Geschwindigkeit bestimmen lassen. Zunächst verhalten wir beide uns ruhig, tasten uns ab und variieren in den Schritten, um den Abstand zwischen uns zu verkleinern. Mein Gegner zögert. Ich weiß, dass er darauf wartet, dass ich angreife. Wenn ich mit meinem Angriff scheitere, wird er parieren und eine Riposte durchführen. Ich warte. Wir weichen hin und her, laufen in Fechtschritten über den Hallenboden und suchen auf den Fehler in der Deckung des anderen. Schließlich wage ich mich in einen Sprung und falle mit ausgestreckter Waffe in einen Ausfall. Ich versuche seine Klinge zu umgehen, scheiterte jedoch an seiner schnellen Parade. Die Klingen treffen aufeinander, schaben aneinander vorbei und er stößt vor. Mit einem Sprung bewege ich mich zurück, aber ich bin zu weit in den Ausfall gegangen und zu langsam. Hinter mir piept der Melder auf und der Obmann verkündet einen Treffer meines Gegners. Hinter der Maske verziehe ich wütend mein Gesicht, während ich die Situation in Gedanken wiederhole. Mein Angriff kam zu früh, erkenne ich, die Mensur war noch zu groß, sodass ich nicht treffen konnte. Dann war ich in meinem Ausfall zu weit nach vorne, bin in ein Ungleichgewicht geraten und die doppelte Parade, um seinem Angriff entgegenzuwirken, ist mir misslungen. Das kann ich besser.
Schon jetzt läuft mir der Schweiß in die Augen, er fließt hinab und sammelt sich am unteren Rand der Maske an, wo er langsam im Stoff versickert. Eilig blinzle ich ihn weg, während ich an die Linie zurückgehe und mich aufstelle. Schon bald ist er vergessen und es zählt nur noch mein Gegner, der mir gegenübersteht.
Dieses Mal geht er aktiver voran. Kaum dass ich die Linie überschritten habe, kommt er auf mich zu und verkleinert die Mensur beständig. Wachsam beäuge ich seine Waffe, denn ich weiß allzu gut, wie schnell seine Umgehungen und Paraden sind. Seine Schrittfolge verändert sich. Ich spüre, wie er sich bereit macht, während er mich immer weiter in die eigene Hälfte zurückdrängt. Sei wachsam, schärfe ich mir ein, Und strecke dich bei der Riposte.
Da. Sein Arm kommt nach vorne, er geht in den Ausfall und streckt die Waffe. Ich hebe meine eigene, vollführe eine leichte Bewegung aus dem Handgelenk und pariere den Angriff. Das Metall klirrt und übertönt für den Moment unser Keuchen. Ich strecke mich nach vorne, um einen Gegenangriff zu beginnen, doch seine Klinge ist schon wieder da, sodass ich nur seinen Oberschenkel treffe. Hinter uns leuchtet eine weiße Lampe.
„Ungültig von links“, verkündet der Obmann, „Stellung und Start.“
Durch das Gitternetz der Maske beobachte ich meinen Gegner, der mit gestrecktem Florett auf mich zukommt. Jetzt, denke ich und gehe nun meinerseits nach vorne. Der Abstand zwischen uns verkleinert sich in Sekundenschnelle. Meine Schritte werden schneller. Als die Mensur klein genug ist, greife ich an und falle in einen Ausfall. Ich versuche mich an einer Finte, die zu meinem Erstaunen gelingt. Rasch umgehe ich seine Klinge, die dieses Mal nicht schnell genug ist und ziele auf einen Punkt unter seinem rechten Arm. In demselben Moment geht sein Florett nach vorne. Zwei Lampen leuchten. Mein Gegner nickt mir zu.
Zufrieden lächelnd gehe ich an die Linie zurück. Ich weiß, dass es mein Treffer ist, weil ich das Angriffsrecht hatte und mein Gegner keine Parade ausgeführt hat. Ich liebe diese kleinen Tricks, die meine Linkshändigkeit mir beim Fechten ermöglicht, wodurch ich Punkte erreiche, an denen Rechtshänder es nicht gewohnt sind, getroffen zu werden.
Jedoch bezweifle ich, dass mir dasselbe noch einmal gelingt. Mein Gegner ist ein deutlich besserer Fechter als ich und kann sich schnell auf meine Taktiken einstellen. Aber das ist nicht schlimm. Aus jedem Gefecht nehme ich nicht nur blaue Flecken und Muskelkater mit sondern auch Erfahrungen. Auf diesen einen Treffer bin ich stolz, weil ich mein Wissen anwenden konnte und mir ziemlich sicher bin, dass er mir diesen Treffer nicht geschenkt hat.
Ich merke, wie sich Erschöpfung in mir breit macht, als ich mich an der Linie bereit mache. Es war nicht mein erstes Gefecht, ich bin müde und verschwitzt. Dennoch entschließe ich mich, für die letzten paar Minuten noch einmal alles zu geben.
Zwei geltende und einige ungültige Treffer später grüßen wir uns und schütteln vor dem Melder die Hände. Erschöpft nehme ich die Maske ab, ziehe mir den Handschuh aus und streiche mir einige verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bevor ich mich abkable, blicke ich zur Uhr. Der kleine Zeiger steht auf der 10, der große auf der 12. Tatsächlich. Wir haben exakt sieben Minuten gebraucht. Sieben Minuten, die sich gelohnt haben. Noch immer spüre ich den einen Treffer, den er gerade an der Stelle erzielt hat, wo der Brustschutz endet. Morgen werde ich dort einen blauen Fleck vorfinden. Doch viel wichtiger ist der Stolz über meinen einen Treffer. Beim nächsten Mal werde ich dies noch einmal ausprobieren.
Zufrieden über diesen Abend schäle ich mich aus meiner Kleidung, helfe abzubauen und begebe mich dann auf den Weg nach Hause.
Jetzt möchte ich nur noch ins Bett.