Er zog die Jacke enger um seine Schultern und schloss den Reißverschluss ungeduldig nach oben. Er wartete, während er immer weiter unermüdlich auf seinem Lenker herumtrommelte. Doch Akin war immer noch nicht da, oder gar bereit.
Auch Josey schien langsam nicht mehr warten zu wollen und warf Elian einen vielsagenden Blick zu: »Ich habe doch gesagt, er kommt nicht!«, fauchte sie genervt und gab etwas in ihr Handy ein. Andere grummelten zustimmend. Aber Elian wusste, dass die Sache Josey nicht egal war, weshalb sie nachsah, wo in der Stadt Akin war.
»Wir sollten echt nicht länger warten«, kam es zustimmend von jemand anderem. Dabei hätte er gerne auf ihn gewartet. Akin war sein bester Freund, seit er denken konnte, aber es schien auch nicht weiter wichtig, wenn er nicht kam, würde er auch nicht kommen. Akin war nie zu spät und wenn, dann konnte man auf den Jungen nicht mehr zählen. Das war schon immer so gewesen.
»Außerdem warten die anderen an der Ziellinie«, fügte Josey hinzu und hielt ihm ihr Telefon entgegen. Es stimmte: Alle die für das Motorradrennen eingeladen waren, waren in einer Menschentraube, auf der anderen Seite der Stadt zu erkennen. Josey hatte sich in die Bevölkerungsüberwachung eingeloggt, um nach zu sehen, wo Akin war und ob sie starten konnten. Aber auch nur deshalb, weil Elian sonst noch länger gewartet hätte.
»Akin?«, wollte er dennoch wissen, so wie immer.
Seine Familie wohnte in der Nähe eines nicht gekoppelten Bereichs mit dem System. Laut Josey konnte man diesen Bereich gar nicht in das System mit aufnehmen. Es hatte verschiedene Gründe, aber einer der größten, war der Bermudadreieckeffekt. Wer den Bereich betrat, kehrte nie wieder zurück. Das wusste man, weil es, dort oft seltsame Übergriffe gab und häufig Menschen verschwanden und Tage später im System als tot gemeldet waren. Ein Grund, weshalb man niemals zulassen würde, dass ein Rennen dort entlanglief. Man traute dem Gebiet nicht und trotzdem ließ man dort Menschen wohnen.
Josey grummelte etwas Unverständliches, suchte die Daten jedoch, ohne weiter darüber zu diskutieren, heraus und hielt sie Elian wieder entgegen: »Zuhause. Er kommt nicht. Er hatte bestimmt wieder Stress mit seinen Eltern«, sagte sie und warf dann wieder ihrem heutigen Schiedsrichter einen Blick zu, bevor sie liebevoll über ihr Motorrad streichelte: »Aber ich muss sagen, ich möchte los, Elian. Über alle Berge und noch weiter«, säuselte sie, nachdem sie die Daten mit dem Schiedsrichter abgeglichen hatte und er Akin aus der Teilnehmerliste für das System strich.
»Über alle Berge und noch viel weiter. In Richtung Süden – Richtung Freiheit, vielleicht sogar Richtung Norden?«, kam es von Elian zurück und einige andere, die am Rennen teilnehmen brachen in schallendes Gelächter aus. Manchmal gab der Junge seltsame Sachen von sich und das quittierte auch Josey mit einem Augenrollen.
»Träum weniger und besiege mich endlich!«, gab sie zurück und fuhr an die Startlinie, wo alle anderen fünfundzwanzig Teilnehmer bereits auf das Startsignal warteten.
Es würde einmal quer durch die Innenstadt gehen. Die Straßen waren abgesperrt, so wie bei jedem Straßenrennen, das abgehalten wurde. Die restliche Bevölkerung informiert, da man zur Sicherheit jener, so etwas anmelden musste. Es war dann leichter, für die Bevölkerungssicherung eventuelle Maßnahmen zu ergreifen, die nicht selten unwichtig waren. Unangemeldet konnten solche Veranstaltungen auch sehr schnell als Vergehen, an die Völkerrechte der Stadt verstanden werden. Es war auch schon vorgekommen, dass Menschen, die an solchen Aktionen nicht angemeldet waren und die Rennen dennoch besucht wurden, in den Behörden Erklärungen abliefern mussten. Schließlich war der Terminkalender jedes Einzelnen digital in den Behörden festgehalten. Abweichungen könnten immer Überfälle und Vergehen bedeuten.
Josey kannte sich mit diesen Informationen und Daten aus. Gerade mit Elian oder Akin geriet sie deshalb regelmäßig aneinander. Aber am Ende des Tages eher mit Ersterem, da Akins Eltern dann doch darauf achteten, dass alle Daten, die der Behörde gemeldet waren, fehlerlos vorlagen. Die Optimierung eines solchen Systems war nur schwierig, wenn es Menschen wie Elian gab, erklärte sie immer.
Sie war intelligent und konnte Dinge schnell erfassen, wodurch sie in der Sicherheitsbehörde geschätzt wurde, weil sie neugierig war und immer den größten Wunsch verfolgte, das System verbessern zu können. Gerade deshalb war es manchmal schwierig zu erkennen, ob sie gerade in ihrer Rolle als Beamtin mit einem sprach, oder mit einer guten Freundin, die für alles zu haben war, wie für ein Motorradrennen.
Ein Tosen ging durch die Menge, die nun ebenfalls lange genug gewartet hatte, als die Motoren aufheulten und das Signal in wenigen Minuten erklingen würde. Mit angehaltenem Atem warteten die Zuschauer, die sich bereit erklärt hatten, in der kalten Nachtluft zu stehen, und das Rennen nicht auf ihren Bildschirmen zuhause zu verfolgen. Zu Recht wollten sie wissen, wer sich dieses Mal an die Spitze des Rennens setzte. Dabei hätten alle zu Hause viel mehr sehen können. Die Räder waren ebenfalls gechipt, wie jeder Einzelne von ihnen und das System bot gerade zu solchen Veranstaltungen exklusives Videomaterial von Rädern und Fahrern, nicht zuletzt durch die Überwachungskameras an jeder Kreuzung. So konnten Unfälle oder Gefahren besser eingeschätzt werden. Die Kontrolle dieser Rennen war also nicht unwichtig.
Doch Elians Gedanken schweiften einmal mehr ab:
Was wäre, wenn das alles anders wäre? Es die Kontrolle nicht gäbe? Wenn es die Möglichkeit gäbe, dass nicht jeder jeden seiner Schritte verfolgen könnte. – Denn ob er das wirklich wollte, stellte er schon seit vielen Jahren infrage. Sein Bruder war genau aus diesem Grund irgendwo in einen Wald gezogen und arbeitete in der Forstwirtschaft. Er wurde immer noch kontrolliert, wie jeder andere der Bevölkerung auch, aber er hatte nicht mehr den direkten Druck der Gesellschaft, wie den, den Elian von Josey kannte. Stets schwärmte er von diesen größeren Freiheiten, aber das Richtige war es für Elian dennoch nicht.
Vielleicht hatte sein Bruder recht, dass er aus der Stadt floh, aber es war nicht das, was er gewollt hätte. Wenn er sich Freiheit vorstellte, dann konnte er sich gar nicht vorstellen, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden.
Der Drang nach Freiheit lag allgemein in seiner Familie, jedoch unterschieden sich ihre Träume ganz klar voneinander, was sich auch in der Aufmerksamkeit des Systems an ihm bemerkbar machte. Denn er wurde oft in die verschiedensten Behörden eingeladen, um seine gesellschaftlichen Diskrepanzen zu besprechen und zu versuchen ihn davon zu überzeugen, dass das System nur das Beste für ihn wollte. Schließlich bekam man alles von der Regierung zur Verfügung gestellt, was man brauchte, oder was man wegen privaten Gründen benötigte jeder Zeit.
Aber wenn er darüber sprach, dass er gerne Abenteurer werden würde, wurde er für verrückt erklärt. Also hatte er die Devise entwickelt, dass wenn ihm keiner zuhörte, er dem System auch nicht zuhören wollte.
Viel mehr hatte er immer mehr eine Faszination für die Bermudagebiete der Welt entwickelt, die gerade Josey mit Sorge betrachtete, weil sie ihn kannte. Oft betonte sie in seiner Gegenwart, dass er vorsichtig sein sollte und einen Beruf, der ihm laut System Freude machte, sollte er auch wahrnehmen. In Truppenvorstößen in die Bermudagebiete, würde er bloß sein Leben verlieren.
Aber er hatte keine Angst davor, sein Leben zu verlieren. Im Gegenteil. Er wünschte, er würde näher an diese Gebiete herankommen, ohne dass die Behörden bei seinem Standpunkt die Nerven verloren und jemanden ausschickten, um ihn wieder aus dem für ihn gefährdeten Bereich herauszubringen. Etwas das mit Freiheitsberaubung zu tun hatte, ganz sicher! Aber er wollte eben die Welt entdecken und nicht unsinnig herumsitzen und auf besseres Wetter warten.
Reisen war nur leider nicht so einfach, in einer Welt, in der jeder Schritt dokumentiert wurde. Oder gar die Papiere, die man dafür ausfüllen musste. Das war Elian zu lästig, weil es einfach keinen Spaß machte, nur um ein Abenteuer erleben zu können so viel ausfüllen zu müssen. Das war schließlich auch völlig unnötig! Er wollte Abenteurer werden und kein Büromanager. Darauf konnte er gut und gerne verzichten. Und das Verlangen der Regierung regelmäßig in die Heimat zurückzukehren, war ebenfalls nichts für ihn.
Es war ein goldener Käfig, in dem sich Elian befand – besser die ganze Welt und genau deshalb wollte er damit auch nichts zu tun haben. Wollte ihm sich nicht beugen, da er Besseres zu tun hatte. Dafür sah er mehr in der Welt als das.
Josey schein Elians Träumereien zu bemerken und warf ihm einen warnenden Blick zu und kaum hatte er diesen wahrgenommen und sich wieder auf die Straße konzentriert erklang das Startsignal und er jagte wie alle anderen auch über die Straße davon. Und Elian fühlte sich frei, weil er jetzt der Freiheit und dem Abenteuer für einen Sekundenbruchteil dieser tristen Welt folgen konnte. Aber es war keine echte Rebellion, die die Jugendlichen hier spielten, sondern ein gewolltes Spiel, dass sie sich nicht gegen die Regierung auflehnten, das war dem Jungen durchaus bewusst.
Sie ließen diese Rennen zu, aber auch nicht mehr. Sie wussten, dass sie die Jugend in dem Glauben lassen mussten, dass sie erhört wurden und das auf sie Rücksicht genommen wurde.
Und trotzdem ließ er seinen Motor aufheulen und jagte der Freiheit hinterher, um sie für den Moment zu kosten. Weil wie er dem Ganzen entfliehen sollte, wusste er einfach nicht. Er legte sich in die nächste Kurve und genoss den Fahrtwind und die Möglichkeiten der Technik, obwohl er sie in ihrem Kontrollzwang verfluchte. Die Reifen quietschten ohrenbetäubend, aber das störte ihn nicht weiter.
Kaum, dass die Maschine wieder aufgerichtet und gerade fuhr, lenkte das Licht des Mondes ihn einmal mehr wieder ab. Selten konnte man ihn in diesem weiß sehen und die Mondsichel faszinierte ihn so sehr, dass er langsamer wurde, um den Moment noch tiefer in sich aufnehmen zu können. Er war ein schrecklicher Träumer und er konnte jetzt schon Josey hören, die ihm gegen die Schulter boxen würde und ihn für völlig wahnsinnig erklären würde. Nur wegen dem Mond stehen geblieben – er hätte sie nicht mehr alle. Aber all diese gesellschaftliche Kritik war in diesem Moment wie weggeflogen.
Das Schicksal hatte andere Pläne mit dem jungen Mann. Es war etwas am Rande seines Bewusstseins, was ihn langsamer fahren ließ, was ihn lieber verzaubern wollte, als dass er weiterfuhr.
Immer mehr Teilnehmer des Rennens überholten ihn, aber das interessierte ihn nicht länger. Denn seine gesamte Aufmerksamkeit lag auf dem Mond. Kurze Zeit später stellte er das Motorrad endgültig ab und sah sich genauer um. Am liebsten hätte er sich einfach auf die Straße gesetzt und den Mond betrachtet, aber ein leises Maunzen unterbrach ihn und er sah sich genauer um.
Es war eine kleine Katze, die auf der Straße lag. Zusammengekauert und verlassen und Elian überlegte sich, wie diese dort hingekommen war. Die ganzen Motorräder hätten das kleine Kerlchen sicherlich überfahren. Aber nun würde ihm nichts mehr passieren. Ohne weiter darüber nachzudenken bückte er sich und wollte es hochnehmen.
Ein leises Gefühl, dass die Katze etwas Besonderes war, beschlich ihn und er betrachtete sie besorgt. Aber auch das Bewusstsein, dass es jetzt einmal mehr einen Grund gegeben hatte, dass er stehen geblieben war, erfüllte ihn. Er witterte das Abenteuer, nachdem er sich schon so lange sehnte.
Ein einziger Griff in die Elektronik seiner Maschine und der Film eben dieser war gestoppt, sodass die anderen, die zu Hause das Rennen verfolgten nicht mehr wissen würden, was er tat. Sie hätten die Katze nicht einmal gesehen, es wäre bloß ein Schock gewesen, wenn er über sie hinüber gesegelt wäre. Ganz automatisch, meldete er sich von dem weiteren Rennen ab. Einen Grund gab er nicht an, die Fragen würden sowieso kommen und Josey wäre sauer auf ihn. Genau wie Akin, der jetzt sicher zu Hause saß und sich um seinen besten Freund Sorgen machte. Filmmaterial konnte Elian aber gerade nicht brauchen. Das würde den Moment zerstören.
Er bückte sich wieder zu der kleinen Katze. Sein Blick war kurz der Straße gefolgt, um zu sehen, ob irgendwelche Passanten neugierig geworden waren, um zu sehen, was er tat. Aber da war niemand. Die Straße war wie ausgestorben. Auch die Zuschauer vom Start waren nicht hier. Sie würden vielleicht an der Ziellinie warten, die meisten waren jetzt aber sicher in irgendwelchen Clubs, in denen man das Rennen gemeinsam verfolgen konnte.
Wieder wanderten seine Gedanken zum Mond und er erinnerte sich, dass er der Katze helfen wollte. Er hob die junge Katze hoch und plötzlich legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter.
»Der Mond bringt uns die Magie zurück«, folgte eine dunkle Stimme und Elian wirbelte erschrocken herum.
Doch das, was er sah, ließ ihn nicht kalt, wo er doch so sehr erschrocken war. Der Mann ihm Gegenüber hatte ein starkes Auftreten und eine klare Aura, die nur so von Mut und Abenteuer erzählte. Es war erstaunlich und erfüllte ihn mit einer ungekannten Ruhe. Aber er war kein gewöhnlicher Bewohner, da war er sich sicher.
»Wer bist du?«, fragte er daher etwas eingeschüchtert, aber der andere antwortete nicht, sondern berührte das Kätzchen in seinem Arm. »Gut gemacht, Yuki«, meinte er und packte Elians Arm, um ihm dort etwas Tattoo ähnliches zu zeigen, was bisher sicher nicht dort gewesen war. Eine Mondsichel und die Silhouette einer Katze.
»Wie heißt du?«, wollte der Fremde wissen.
»Elian«, antwortete Befragter, weil seine Erziehung genau das von ihm verlangte. Das er freundlich war und aufgeschlossen, dass er nicht vergaß, dass man auf Fragen stets antwortete. Egal wer einem gegenüberstand. Aber auch weil die Aura des Mannes ihn in seinen Bann zog.
»Diarmid, freut mich, dich kennenzulernen, Elian. Meinerseits Staubkrieger und vom Volke der Mondhüter. Deinem Volk, welches du schon so lange gesucht hast«, sagte er und nahm das Kätzchen aus Elians Armen. Ohne auf den Jungen zu Warten setzte sich der Mann in Bewegung, aber Elian folgte, ohne zu zögern. Er hatte Vertrauen in diesen Mann gefasst, den er nicht kannte. Wenn Josey das an der Ziellinie überprüfte, sie würde ihn umbringen, da war er sicher. Aber das war ihm dieses Mal egal. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, legte Diarmid ihm die Katze wieder in die Arme. Stumm und leise ließ diese das über sich ergehen.
»Yukis Kraft wird den Chip außer Kraft setzen. Niemand wird wissen, wo du bist. Das willst du doch, oder? Unsichtbar sein und frei sein. Ein Leben in einer wahren Gemeinschaft führen?«, wollte der Fremde wissen, während er Elian durch die unterschiedlichsten Straßen führte, die er niemals wirklich betreten hatte und ein verdattertes Nicken, dass jemand das Erkennen würde folgte. Er wollte Fragen stellen, aber er fand keine Worte.
»Magie und Technik funktionieren nicht zusammen, Elian. Das war der Grund, weshalb du angehalten bist. Weil du das spüren kannst. Dein Bewusstsein ist anders ausgerichtet als das von anderen. Und ich Suche nach Leuten wie dir. Oder eher: Yuki sucht nach Menschen wie dir«, erklärte der Fremde nach einer Weile und lächelte leicht. »Die Regierung glaubt, dass sie mit der Technik und der Kontrolle, die sie über jeden Einzelnen hat, die Magie im Keim ersticken könnte. Doch das stimmt nicht. Das hat noch nie gestimmt. – Es gibt Gebiete, die verfluchen sie, als Bermudadreieck, dabei gibt es dort Leben und die Menschen, die dort herkommen, kommen auch nicht wirklich in Frieden, wenn wir eine andere Person nicht einladen, das stimmt. Aber die Gebiete sind nicht verflucht. Die Welt hier draußen ist gefährlich. Du weißt schließlich instinktiv, dass ich nicht in deine Welt gehöre, obwohl es auch nicht deine ist, Elian. In dir brennt ein Feuer, das Ziele hat, die du selbst noch nicht kennst. Das macht dich zu einem von uns.«
Diarmid betrat Straßen, die der Junge kennte. Es war Akins Heimat. Das Bermudadreieck von dem Josey immer erzählte, es war ganz in der Nähe und Elian hätte sich am liebsten gegen die Stirn geschlagen, dass er nie verstanden hatte, dass das was er suchte, immer direkt vor ihm gelegen hätte. Und er wäre aufgenommen worden. Da war er sich sicher! Hier würde er die Freiheit finden, die er schon so lange suchte. Ohne Scheu folgte er dem Fremden, weil ihn immer mehr Vertrauen erfasste.
»Willkommen zu Hause, Elian«, sagte er schließlich und schob einige Äste beiseite und bedeutete dem Jungen, hindurch zu treten. Ohne weiter darüber nachzudenken betrat er den mondbeschienen dunklen Pfad, um dahinter ein Meer aus Lichtern wieder zu finden. Es war ein Abenteuer, welches er nie für möglich gehalten hätte. Alles Leuchtete in den buntesten Farben. Ein Lichtermeer, welches bis eben gar nicht zu erkennen gewesen war.
»Heute Nacht, ist das Fest der Mondhüter. Die Mondkäfer erfüllen die Nacht, die uns vor der Technik und der Überwachung schützen«, erklärte der Fremde und lächelte, bei dem Staunen in Elians Augen. »Es gibt den köstlichsten Birkna. Ein Geheimrezept der Ältesten. Du wirst den Tee lieben, genau wie wir«, beteuerte Diarmid und führe Elian durch die fast unscheinbaren Pfade, in das innerste des Biotops.
»Was ist in dem Tee drinnen?«, das Misstrauen in seiner Stimme konnte Elian nicht verbergen, was ihm leidtat, aber er war zu neugierig, um nicht zu fragen.
»Tannennadeln, Birkenrinde und der beste Honig, den du finden kannst – Naja, viel Honig kann man ohnehin nicht finden«, erklärte Diarmid und legte eine Hand auf Elians Schulter.
Die schwarze Katze, die immer noch auf seinen Armen lag, sprang plötzlich auf und anstelle der Katze, befand sich plötzlich eine junge Frau vor seinen Augen, die sich streckte und schüttelte. Sie neigte den Kopf, sagte aber nicht viel mehr, stattdessen begrüßte sie Diarmid, als würden die beiden sich schon ewig kennen.
Erst nach einer Weile stellte sie sich vor, als der Fremde sie durchdringlich angesehen hatte: »Ich bin Yuki. Wie Diarmid bin ich ebenfalls eine Staubkriegerin. Nur das ich die Magier zeichne und sie schütze, dass die Technik euch nicht findet«, erklärte sie kurz und lächelte leicht. Diarmid schimpfte leise darüber, wie fahrlässig und leichtsinnig sie sich verhalten hatte, aber das schien die junge Frau nicht zu stören, stattdessen ging sie schließlich einfach ihren eigenen Weg.
Elian war begeistert von der Welt, in die er hineinstolperte, auch wenn er es nicht ganz verstand. Aber das minderte seine Faszination kein bisschen. Ausgelöschte Magie, die Wirklichkeit, erfüllte sogar eher, seine größten Wünsche! Die Regierung hatte also unrecht, so wie er es immer wieder beteuert hatte, vor sich selbst. Es war eine Erleichterung, dass zu wissen, definitiv.
Ein weiterer Mondhüter kam ihnen entgegen und reichte dem Fremden einen Tonbecher, aus dem ein klarer waldiger Geruch zu kommen schien. Diarmid hob den Becher dankbar und stellte, den Mondhüter als Linus vor und bedankte sich, bevor er anfing, sich mit ihm über alles Mögliche zu unterhalten. Woher das Bewusstsein der Geborgenheit und Ruhe kam, wusste Elian nicht. Aber es fühlte sich so an, weil die Stadt fern schien, obwohl sie doch so nah war.
Yuki war zurückgekommen und führe ihn nun zu einem großen Kessel, indem der Tee leise brodelte, um ihn einen Becher der Birkna Mischung zu geben. Er bedankte sich bei ihr, doch viel weiter kam das Gespräch nicht, weil er abgelenkt war, von all den Eindrücken um sich herum:
Lachende und glückliche Menschen, in einer völlig anderen Harmonie. Einer Harmonie, die Elian selbst bei seinen Freunden niemals gesehen hatte, weil sie einfach anders gewesen waren. Eine Erkenntnis, die ihn erschütterte, wieso waren diese Menschen so aufgeschlossen, während die Welt, die er bisher gekannt hatte, niemals wirklich gewesen war?
Yuki unterbrach seine Gedanken, als hätte sie ihm diese von der Nasenspitze abgelesen: »Die Menschen deiner Welt sind rachsüchtig und niemals gut zu uns. Sie haben die Freude am Leben verloren, weil sie über etwas herrschen wollten, was unbeherrschbar ist. Sie können nicht damit umgehen, wenn jemand anders ist, obwohl das so wunderschön sein kann. – Es war genau das: Dieses gegen den Strom schwimmen, weshalb du hier bist. Weshalb du dich zu Hause fühlst, weil es hier nicht unterbunden ist. Es ist wichtiger, was dein Herz berührt, als das, was ein anderer sagt, oder meint, zu wissen. Daher beherrschen wir die Magie. Weil wir uns von unserem Inneren leiten lassen, und nicht von innen heraus verkümmern.
Insgeheim sehnen sich die Menschen nämlich wie wir, nach Natürlichkeit und nicht nach Technologie, da bin ich mir sicher. Aber ich bin hier aufgewachsen. In einem Gebiet, in dem es niemals eine Kontrollmacht geben kann. Wir singen und tanzen schließlich für uns und jeden anderen. Und der Mond ist unser Freund. Von ihm haben wir alles, was wir wissen«, Yuki lächelte glückselig und er erwiderte es erfreut.
Genau das hatte Elian sich gewünscht, eine größere Rolle, in etwas Großem und Ganzen. Wo man nicht kritisiert wurde, für das, was man tat oder sagte. Hier wäre sicher nicht alles möglich, aber so unfassbar viel, von dem er nicht einmal zu träumen gewagt hatte!
»Jeder Mensch sehnt sich nach einem Ort, an dem er sich ausruhen kann und er selbst sein kann«, kam es von Diarmid, der wie aus dem nichts, plötzlich wieder neben Yuki stand.
»Hm, das ist eine gute Frage – wie fühlst du dich?«, wollte Yuki lächelnd wissen und Elian antwortete, ohne zu zögern:
»Ein neues Leben. Altertum, welches nicht schlecht ist, weil es so völlig neu ist. Freiheit. Aber ich sehe auch Nordlichter und Sterne. Die gibt es bei uns nicht. Alles ist dreckig. Die Lichter der Stadt verdecken sie – wie ist das möglich?«, wollte er wissen und aus großen Augen sah er in den Himmel, von dem er einmal mehr abgelenkt war, was Diarmid zum Lachen brachte.
So etwas hatte er noch nie gesehen, aber es war genau das, was er sich auch irgendwo gewünscht hatte zu sehen. Auch wenn er nicht gewusst hatte, dass es das war, was er suchte. Schließlich hatte auch sein Bruder, welcher in der Forstwirtschaft aktiv war, niemals von Sternen oder gar so etwas Wunderschönem erzählt. Er hielt den Atem an, um den Moment für immer im Herzen zu behalten, weil er einfach unglaublich war. Als hätte irgendwas seine Rufe und Wünsche gehört und hatte sich nun dazu herabgelassen, ihm diesen Herzenswunsch, der Änderung, zu erfüllen. Was Diarmid zum Lachen brachte.
»Die Technik kann hier nicht eindringen«, erklärte Diarmid plötzlich, um das Thema auf etwas andere zu lenken: »Die Mondkäfer sind daran schuld. Sie schützen das alles. Sie erlauben nur den Magiebegabten sicheres Geleit. Andere werden verschleppt. Jedoch können unsere Mondkäfer nur hier leben und wir müssen die Menschen, die ihnen zum Opfer fallen immer weit wegbringen. Sonst würde die Regierung einen Weg finden, uns zu zerstören. Das ist sicher. Aber sie sind hübsch, oder?«, fragte er und lächelte leicht. Einer der Käfer flatterte gerade an ihnen vorbei und jetzt erst erkannte Elian erst, dass das Licht, nicht von Kerzen oder Lampions kam, sondern von diesen Käfern!
»Wunderschön, nicht? Sie können Wünsche erfüllen, sagt man«, fügte Yuki verträumt an und Elian hatte einen Grund mehr, weshalb er sich wohlfühlte. Er befand sich unter Träumern, die das Gleiche in der Welt sehen konnten wie er. Mit den gleichen begeisterten Augen, wie er.
»Jeder verdient einen Platz, wenn er dazu bereit ist. Wähle weise, denn es könnte der Neuanfang sein, nachdem du schon so lange suchst«, fügte Diarmid hinzu und das erste Mal überhaupt fühlte der Junge sich wirklich frei. Ihm war selbst überlassen, was er tat, und weshalb er das tat. Und damit war er fast schon ein wenig überfordert. »Man sieht dir an, dass du gerade an etwas schnupperst, was du niemals auch nur für möglich gehalten hättest«, brach Yuki in Gekicher aus und es stimmte. »Aber vergiss nicht, dass man dich außerhalb unserer verborgenen Mondlichtung überall noch finden kann. Das würde uns alle in Gefahr bringen«, sie sah Elian durchdringend und fast verzweifelt an. Das war das Schrecklichste, was sie sich vorstellen konnte, und Elian konnte es nachvollziehen.
Er nickte und bedankte sich herzlich, denn er witterte tatsächlich eine Chance, die er nicht verspielen wollte. Und er war sich sicher, dass sein ganzes Wissen, aus der Alten Welt ihn dabei unterstützen würden, seinen neuen Plan umzusetzen. Einen Plan voller Veränderung.
Irgendwann würde er Josey erklären können, was er an der Sicherheitsbehörde seltsam fand und ihr zeigen, dass sie Lücken hatte, weil die Technik nicht gebieten konnte. Er würde der Welt zeigen, dass alles anders sein konnte. Und auch Akin würde er das beweisen. Dass er recht behalten würde, dass Technik niemals alles sein würde. Das Träume in einer Welt Wirklichkeit werden konnten, in der so was wie Magie offiziell nicht existierte.