„Freust du dich schon?“
„Ich fühle mich mehr wie ein Opferlamm auf dem Weg zur Schlachtbank! Du bist ein sadistisches Arschloch!“, schimpfte Julian den Mann, der sein breites Grinsen nicht mehr loswerden wollte.
„Das weiß ich doch, nicht zu viel des Guten!“, bedankte dieser sich und streckte die Hand aus, um seinen Vorgesetzten hochzuziehen. Beide wussten genau, wie sie in die Situation gekommen waren, in welcher sie sich jetzt gerade befanden und beide wussten auch, dass es keine andere Möglichkeit gab. Deprimiert sah Julian zum Fenster hinaus, während er gleichzeitig mit der Hand, die er nun wieder frei hatte, seine Krawatte richtete. Halb konnte er sich in der Spiegelung sehen, halb sah er nach draußen auf den See, vor welchem das Firmengebäude schon immer gestanden hatte. Den See, den er jeden tag stundenlang hatte sehen können, wenn er am arbeiten war. Oder das tat, was andere in seinem Beruf auch taten. Einfach nur die Zeit überbrücken. Es war schon immer schwer gewesen, diese Firma zu leiten. Nie hatten sich die Besitzer mit seinem Engagement oder seiner Arbeit im generellen zufrieden gegeben. Und ständig hatte man ihm auf die Finger geschaut. Trotzdem gab es da sehr wohl Tage, an denen er nichts anderes getan hatte, als auf seinem Handy Candycrush zu spielen, während er eigentlich hätte arbeiten müssen. Vielleicht hatte er das ganze nicht so ernst genommen wie er es hätte sollen, aber wen interessierte das schon großartig? Außer seinen Chefs und jetzt ihn, wo er für die Fehler der anderen geradestehen musste. Aber in dem Moment selbst war es ihnen allen noch am Arsch vorbeigegangen. Nur jetzt war es halt blöd. Alles war blöd. Und alles nur, weil er sich nicht auf seine Mitarbeiter verlassen hatte! Man würde ihn rauswerfen, ganz einfach. Wahrscheinlich durch ein neues Arschloch ersetzen, wie er selbst auch eines war. Und höchstwahrscheinlich würde man ihn einfach in eines der niedrigeren Werke als Werksleiter einsetzen und ihn so in die ewige Verdammnis degradieren. Von da konnte man sich nicht mehr hocharbeiten, man war bis ans Ende seines Lebens gefangen und würde sich nie wieder irgendwo blicken lassen können!
Das schlimmste war ja, dass es nicht einmal an irgendwelchen Dingen lag, die seine Arbeit an sich betrafen! Es war anscheinend nur nicht erlaubt, mit Leuten zu schlafen, die vielleicht in irgendeiner Art und weise wichtig für den Typen waren, für den Julian arbeitete. Wieso er es getan hatte? Das wusste er selbst nicht! Damit hatte alles angefangen! Wenn dieser hübsche, feste, runde Arsch ihm nicht so ins Blickfeld gezwängt worden wäre, dann hätte er niemals Sex mit diesem Menschen gehabt, er hätte sich niemals den obersten aller Manager der Firma zum Feind gemacht und es wäre niemals zu den internen Ermittlungen wegen Veruntreuung und anderen Verstößen gekommen. Einfach ein Mal nicht mit dem Schwanz denken war für ihn dann doch schwieriger als Gedacht gewesen. Und jetzt musste er sich eben mit den Konsequenzen herumschlagen. Die nicht wirklich einfach zu bewältigen waren, für ihn, den jungen, ambitionierten Mann mit dem großen Aussichten. Das einzige, was ihm jetzt noch übrig blieb, war um eine Versetzung zu betteln und auf Gnade zu hoffen. Vielleicht war er ja gar nicht das Opfer? Sondern hatte sich einfach falsch verhalten und musste jetzt die Strafe in Kauf nehmen? Ach was! Er war nicht halb so ein Arschloch wie die anderen Leute in seiner Position, die er kannte. Er war ein guter Mensch, wenn man ihn mit denen verglich! Er war in Ordnung!
„Fühlst du dich immer noch so aufgeregt? Oder geht es jetzt wieder? Ich fand das Beispiel mit dem Opferlamm gar nicht Mal so schlecht, auch, wenn du nicht was Gutes für alle tust, sondern nur deine eigenen Fehler ausbaden musst!“, erinnerte ihn der Mann, der immer noch vor ihm durch das große Gebäude eilte.
„Wieso? Freut sich nicht jeder, wenn ich endlich weg bin? Ihr mögt mich doch sowieso nicht, also ist es doch eigentlich was Gutes, auch für euch!“, erwiderte der Jüngere. Ihn hatte schon immer brennend interessiert, wieso Gustav sich sein Leben lang mit der Stelle als Sekretär zufrieden gegeben hatte. Vor allem, weil es für ihn nicht wirklich nach einem guten Job aussah. Miserabel bezahlt, viel zu viel Arbeit und ständig wechselte das Arschloch, dem man gerade in besagten Arsch kriechen musste. Obwohl er das anscheinend schon seit Jahren aufgegeben hatte. Sicher machte es ihm Spaß zu sehen, wie einer nach dem anderen ging, weil sie sich blöd stellten. Gleich am Anfang, als er hier angefangen hatte, wurde ihm von Gustav prophezeit, dass er es nicht lang machen würde.
Da standen sie. Alle in Reih und Glied, wie kleine Zinnsoldaten. Sie warteten darauf, dass er ihnen die Nachricht verkündete, die jeder schon gehört hatte. Absolut unnötig. Auf der anderen Seite wäre es sicher einfach gewesen, wenn es nicht so gelaufen wäre. Ihm bleib doch keine andere Wahl als sein Rück-. Weiter dachte er dann nicht mehr. Er stellte sich auf das Pult und begann seine kleine, aber feine Rede zu halten:
„Wie ihr sicher alle mitbekommen habt, gab es schon längere Zeit ein kleines Problem, welches sich aus der Meinungsverschiedenheit von mir und unser aller Vorgesetzten entwickelt hat. Aus diesem Grund möchte ich euch mitteilen, dass ich euch verlassen werde. Ich werde kündigen.“
Mehr war es nicht, als er von dem Pult wegging und wieder den Raum verließ, in welchem sich alle Anwesenden nur irritiert anschauten. Gustav war ihm nachgeeilt und hatte schnell wieder zu ihm aufgeschlossen.
„Ein mutiger Schritt. Zu sowas hatte bisher noch niemand den Mut. Schade, dass wir sie verlieren werden! Vielleicht hätte sich eine ganz wundervolle Freundschaft entwickelt, wenn sie diesen Charakterzug an ihnen schon früher zum Vorschein gebracht hätten!“