"Versteh mich bitte nicht falsch." Olivia tippte mit ihren frisch manikürten Fingernägeln gegen ihr Kinn. "Du denkst wirklich - dass es eine gute Idee ist, bei diesem Wetter einen Spaziergang zu machen?" Ich grinste sie nur an.
"Wo liegt das Problem, Liebling?" Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich sie an. "Heute ist ein wunderbarer Tag. Die Sonne scheint, keine einzige Wolke ist am Himmel zu sehen."
"Und es liegt verdammt noch mal Schnee!"
"Olivia, Liebling." Ich rückte ein Stück näher zu ihr und gab ihr einen sanften Kuss auf ihr vom schmollen ganz runzlig gewordenes Kinn. "Seit wann bist du so ein Spielverderber geworden? Was ist an einem Schneespaziergang denn auszusetzen?"
"Du weißt doch, dass ich Schnee hasse!"
Natürlich wusste ich das. Allerdings überging ich ihren Kommentar einfach und ging zurück in die Küche. "Mach dich fertig. In Fünf Minuten gehen wir los", rief ich ihr über die Schulter hinweg zu. Ich konnte ihr genervtes schnauben sogar noch in der Küche hören. Ein grinsen Stahl sich auf mein Gesicht, während ich einen Rucksack mit allen möglichen Köstlichkeiten füllte.
Eine riesengroße Thermoskanne mit Olivias Lieblingsgetränk - heißer Schokolade - packte ich auch noch dazu. Und ein kleines schwarzes Kästchen.
"Kommst du endlich?" Ich zuckte kurz zusammen und schloss schnell den Reißverschluss meines Rucksacks. Dann drehte ich mich zu ihr um. Olivia stand mürrisch und übertrieben warm in einen Schneeanzug und eine dicke Pudelmütze gekleidet in der Tür.
"Ich bin soweit." Mit einem breiten Lächeln warf ich mir den Rucksack über die Schulter. "Lass uns gehen."
Kaum dass wir vor der Türe standen atmete ich die frische, kalte Winterluft ein. Olivia sah nicht sehr begeistert aus. Ich nahm ihre behandschuhte Hand und zog sie hinter mir her.
"Wohin gehen wir?", fragte Olivia nachdem wir eine Weile still nebeneinander hergelaufen waren.
"Das siehst du wenn wir da sind."
"Was ist in dem Rucksack?"
"Du weißt, dass du neugieriger bist als gut für dich ist, oder?"
"Jetzt komm schon Leon. Sag es mir."
Ich schüttelte den Kopf und wir mussten beide lächeln.
Als wir an einem kleinen Stück Wald ankamen blieb ich stehen. "Warte kurz." Ich nahm den Rucksack von den Schultern und holte eine meiner selten benutzten Krawatten aus einem der Nebenfächer.
"Vertraust du mir?"
"Was hast du denn vor?" Olivia sah mich mit ihren staunenden Augen an. Ihre kirschroten Lippen hatte sie leicht geöffnet. Sie war wunderschön.
"Vertraust du mir?", fragte ich erneut.
"Ich vertraue dir."
Ich stellte mich hinter sie und verband ihr die Augen. Dann dreht ich sie ein paar Mal um sich selbst.
"Spielst du jetzt mit mir Topfschlagen im Schnee?"
"Sehr witzig! Und jetzt gib mir deine Hand und sei still."
Zu meinem Überraschen gehorchte sie mir.
Die Welt war eine gänzlich andere, als ich Olivia hinter mir in den Wald führte.
Alle Geräusche waren gedämpfter. Die Luft duftete nach einem Gemisch aus Schnee und Nadelbäumen. Unsere Schritte wurden von den herabgefallenen Blättern so gut wie unhörbar. Hier und da hörte man das knacken und rascheln der Tiere, die im Unterholz nach Futter suchten.
Und zwischen all diesen Wundern, stand eine kleine, hölzerne Bank.
"Setz dich." Ich platzierte Olivia vor der Bank und drückte sie sanft nach unten.
"Darf ich die Augenbinde jetzt abnehmen?"
"Warte noch einen Moment."
Ich holte alles, was ich in meinen Rucksack gepackt hatte heraus und baute uns ein regelrechtes Buffet auf. In zwei große Tassen füllte ich den heißen dampfenden Kakao. Das kleine schwarze Kästchen verstaute ich in meiner Jackentasche. Dann nahm ich Olivia die Krawatte ab.
Sie blinzelte ein paar Mal, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten und schaute sich dann um.
"Es ist wundervoll", flüsterte sie andächtig.
Ich reichte ihr ihre Tasse Kakao.
"Womit hab ich das verdient, Leon?"
"Nun ja, weißt du...", setzte ich an. Jetzt begann der schwierige Teil.
"Wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile. Und sind schon fast 5 Jahre zusammen."
Olivia schaute mich nur an und wartete.
Ich nahm einen kräftigen Atemzug. Dann holte ich das schwarze Kästchen aus meiner Jackentasche. Ich klappte das Kästchen auf und zum Vorschein kam ein einfacher silberner Ring, mit einem Diamanten. In den Ring hatte ich unsere Namen eingravieren lassen.
"Olivia. Willst du... "
Doch ehe ich meinen Satz zu Ende bringen konnte, hörte ich einen lauten Knall. Olivias Augen weiteten sich. Langsam blickte sie an sich hinunter. Dann fiel sie von der Bank. Die Tasse fiel ihr aus der Hand und zeichnete dunkle Flecken in den Schnee.