Ich würde weinen vor Erschöpfung, wenn meine Augen nicht trocken wie die Wüstendünen unter meinen Füßen wären. Jeder Schritt ertrank erneut im feinen Sand. Jeder Atemzug verbrannte meine Lunge von innen.
„Ich kippe um, wenn ich noch einen Schritt laufen muss“, knurrte Miriam neben mir. Sie ging gebeugt, als träge sie statt einem Rucksack die Wüste zwischen ihren Schulterblättern. „Lass uns eine Pause einlegen“.
„Das geht nicht“, sagte ich seufzend, „Wir müssen die Stadt erreichen, ehe die Sonne erstirbt.“ Miriam fluchte und das nicht harmlos. Bei ihrer Wortwahl wäre jedes andere Mädchen vor Scham errötet. Das war ihr Weg, um mit Stress umzugehen.
Mein eigenes Keuchen übertönte Miriams Schimpfen. Ich bereute es, meine Sportlichkeit vernachlässigt zu haben. Das Einzige, was mich weiter vorantrieb, lag in meiner Tasche, gut verstaut.
„Kamelkacke! Ich glaub, ich halluziniere.“, sagte Miriam. Ich holte bereits Luft zum Nachfragen, als ich es auch sah. Ein ungefähr zwei Meter großer Drache. Rüstung aus fingerdicken, dunklen Schuppen und Schlitzaugen wie die einer Schlange. Es ähnelte mehr einem bösen Dämon, als einem Drachenwesen. „Faszinierend und beängstigend, aber kann es real sein…“
Miriams Schrei durchschnitt die Luft. Die ‚Halluzination‘ stürzte sich auf sie. Seine ledernen Flügel versperrten meine Sicht, doch auch wenn ich es nicht sehen konnte, hörte ich den Schmerz in Miriams Stimme. Ich griff nach meinem Dolch, rammte ihn ins Schuppenkleid. Er prallte ab. Der Kopf des Monsters fuhr herum. Ich starrte in die kalten Schlitzaugen des Feuertiers. Etwas Silbernes zischte an meinem Kopf vorbei. Ich kniff die Augen zusammen und erwartete Schmerz zu spüren. Nichts passierte. Ich blinzelte, wagte es zu schauen. Die massige Gestalt schwankte und die Schlangenaugen weiteten sich. Der Drache kippte um und die Wüste erzitterte kurz. Was war mit ihm passiert? Das mysteriöse Etwas reckte sich aus dem Drachenbauch hervor. Das hatte ich schon mal Zuhause bei den reicheren Jägern gesehen. Betäubungspfeile. Und der Größe nach zu schätzen, würde es einen Menschen sofort umbringen. Doch für einen Drachen reichte es, um ihn bewusstlos zu machen. Allzu lange konnte es nicht dauern, bis er aufwachte. Schweiß hatte sich auf meiner Stirn gebildet. Nicht nur wegen der Hitze.
Ich taumelte zu Miriam. Der Geruch von Verbranntem schlug mir entgegen. Da lag sie, zusammengekauert, hinter dem schwarzen Schuppenberg. Bleiche Haut, zerrissenes Gewand, rote Brust. „Miriam!“ Ich ließ mich neben ihr fallen.
„Len?“, flüsterte sie. Keine Träne verließ mein Auge, dennoch bildete ich mir ein zu spüren, wie sie meine Wange runter kullerten. Der Stoff bedeckte notdürftig die linke Hälfte des Oberkörpers. Die Rechte besudelte Blut, das immer mehr aus ihrer Schulter sickerte. Ich schnitt mit dem Dolch Stoff von meinen Ärmeln ab und band es um die Wunde. Hätte ich doch nur Medizin. Miriam hatte ihre Augen wieder geschlossen. Ich las ihrem Gesicht ab, dass sie mit den Schmerzen schwer zu kämpfen hatte. Ein leidendes Stöhnen verließ ihre Lippen.
Ich hörte schwere Fußstapfen hinter mir. Der Drache? Wie dumm zu glauben, ein Tier seiner Größe würde lange betäubt bleiben. Mit dem Dolch in der Hand wirbelte ich herum, aber seine Pranke kam mir zuvor. Vor Schmerz sah ich für ein paar Sekunden schwarz.
Als ich wieder sehen konnte, lag ich im Sand. Über mir ragte sich eine gut gebaute Silhouette auf. Die Person daneben sah im Vergleich zerbrechlich und winzig aus. „Können wir helfen?“, sagte sie mit einer Autorität in der Stimme, als wäre sie es gewohnt anzuführen. Von der Zerbrechlichkeit war nichts mehr zu sehen. „Ist jemand von euch, schwer verletzt wurden? “. Ihr Schmuck blendete mich, weswegen ich erst jetzt sah, dass neben ihr zwei weitere Männer standen. Beide hielten einen Bogen und stecken in dunklen Rüstungen. Der einzige Unterschied war, dass einer in seiner Hand den gleichen Betäubungspfeil trug wie der, der aus dem Drachen ragte.
„Ja, Miriam, sie wurde an der Schulter verletzt. Ich habe es erstmal notdürftig verbunden.“
Die Anführerin schickte mit einem Nicken die Männer in Rüstung zu ihr. „Ohnmacht“, murmelte Einer. Der Größere hob sie vorsichtig hoch. Instinktiv sträubte sich alles in mir zwei Fremde Miriam in diesem Zustand zu überlassen. Aber was hatte ich für eine Wahl?
„Ich seh es. Wir werden dafür sorgen, dass es ihr im Palast schnell besser geht“, meinte das Mädchen.
„Palast?“
„Ja, mein Palast. Ich bin Wüstenprinzessin Samira, Erbin der Oase.“
„Meine Hoheit!“ Ich verbeugte mich hastig. Ich sollte mich vorstellen. „Ich bin Len, Philosoph und Autor.“ Da, wo ich herkam, schätzen diese Berufung leider nur die Wenigsten.
Sie musterte mich von oben bis unten. Ihr Blick brannte auf meiner Haut. Ihr Auftreten verriet mir nichts, über das, wie sie über mich denken könnte. Schätzte sie mich als Tunichtgut oder hoffnungsloser Träumer ein, so wie es alle taten? Alle außer Miriam.
Ihre Hoheit äußerte sich nicht weiter dazu. Mit einem Handzeichen befahl sie ihren Wachen loszugehen. Ich kam kaum hinterher, meine Energie hatte sich schon bei der Hälfte des Weges verbraucht und nachdem das Adrenalin abgeklungen war, hinterließ es mich als leere Hülle.
„Willst du auch getragen werden?“, fragte die Prinzessin. Sie musste mein Schnaufen gehört haben.
Es traf mich unerwartete, weswegen ich fast über meine eigenen Füße stolperte. „Nein, nein. Geht schon. Eure Hoheit.“, rang ich schnell hinterher.
„Wie sie wünschen, Len. Dann nehmen sie doch einen Schluck unseres Wassers.“ Sie reichte mir eine teuer aussehende Wasserflasche. Ich stürzte mir das Wasser gierig in den Rachen. Len! Du trinkst hier nicht vor einem Dorfkind. Ich meinte, die Hoheit schmunzeln zu sehen. Ich täuschte einen Huster vor und trank gesitteter weiter. Mein Magen gluckste erfreut, wollte mehr. Dennoch gab ich es halb voll zurück. Sie nahm es wortlos und schritt weiter. Ihr Gesicht stets regungslos wie ein Gemälde. Wasser, das kostbarste Gut im Land, gab sie einem Tölpel, der aus Versehen in einen Drachen gelaufen war. Eine Frau wie sie, nach außen kalt wie eine Eisskulptur, sollte Innen ein warmes Herz haben. Was würde Miriam dazu sagen? Ich schaute zum Wachen, der sie trug, doch seine massige Gestalt versperrte mir die Sicht. Ich seufzte in mich hinein. Ich höre Miriam frech in meinem Kopf sagen: „So ein kaltes Biest. Ich sag es dir, das alles wird einen Hacken haben. Niemand verschenkt Wasser oder Medizin. Vielleicht musst du sie sogar heiraten als Gegenleistung.“ Dann würde Miriam lachen und ich mit einstimmen. Doch ich zuckte nicht mal mit den Mundwinkeln. Denn bei so einem undurchschaubaren Menschen wäre sogar das realistisch. Ich schaute kurz zu ihr rüber. Schwarzes Haar, das wie fließendes Wasser ihr elfenblasses Gesicht umspülte. Zweifellos verließ sie nicht oft ihren Palast, sonst wäre ihre Haut mindestens so dunkel wie meine oder Miriams. Sie wäre eine perfekte Frau, keine Frage. Sie hatte sicher viele Verehrer. Nein, eher würde die Prinzessin ein Haufen Geld verlangen. Geld, was ich nicht besaß. Das Wasser begann schmerzhaft gegen meinen Bauch zu drücken. Lieber die Hochzeit. Aber selbst, wenn meine absurden Gedanken wahr wären, mein Herz gehörte einer Anderen. Und diese Andere wusste es nicht Mal.
„Wir sind da.“ Ich stand vor einem Gebäude, das der Größe nach auch ein kleines Dorf sein könnte. Etliche wertvolle Metalle bildeten Türme und majestätische Skulpturen. Glas und Diamanten ließen den Palast leuchten. Man könnte sagen, das Schloss hatte sich die Prinzessin als Vorbild genommen. Oder andersrum.
Ein Wache, die aussah wie der identische Klon, von dem, der Miriam trug, verbeugte sich knapp und öffnete eine, im Vergleich zum Palast, lächerlich kleine Tür. Die Prinzessin trat ein, verteilte ein paar Befehle. Stille. Stimmengewirr. Ungefähr zehn Minuten später kamen Wachen raus, schwerer bewaffnet als die Zwei, die ich bisher kannte.
„Er liegt im Süd-Westen. Euch bleiben eine halbe Stunde. Beeilt euch“, gab die Prinzessin den Wachen die letzten Hinweise mit. Dann nahm sie meinem Arm und zog mich quer durch den Palast. Jeder Raum schien dem Nächsten Konkurrenz machen zu wollen. Immer Strahlender und wertvoller.
Wir hielten in einem schlichteren Schlafzimmer. Schlicht hieß, dass dieses Zimmer nicht mit unnützen Wertsachen gehäuft war.
„Eure Hoheit …“, setzte ich an.
„Nenn mich Samira.“
„Wo ist Miriam?“
„Du sollst dich erstmal ausruhen. Du siehst müde aus.“ Es war kein Rat, sondern ein Befehl. Damit ging sie. Die Erschöpfung nahm mir meine Wahl ab. Ich schlief ein.
~*~
„Len“, säuselte mir eine vertraute Stimme ins Ohr. Ich öffnete meine schweren Lider. „Hm?“ Ich guckte in ein freches Gesicht mit den schönsten Augen der Welt. „Miriam, dir geht es gut!“ Ich sprang auf und umarmte sie.
„Offensichtlich, Ja.“ Sie schmunzelte
„Ich hatte große Angst um dich“
„Ach, das war nur eine kleine Schulterverletzung“
„Du musst nicht auf cool tun bei mir“, sagte ich gespielt genervt, doch innerlich hüpfte mein Herz vor Glück, dass sie ihren alten Humor zurückhatte. „Es tut mir leid, dass der Tag so verlaufen ist. Ich hatte den Tag anderes geplant.“ Mein Blick wanderte zu der Tasche, die ich immer noch bei mir trug. Ganz anders. Ich holte den kleinen Ring raus. „Miriam, die ganz Reise war eigentlich nur- „
„Ihr könnt später weiterreden“, unterbrach eine kühle Stimme mich, „Zuerst müssen wir das Geschäftliche besprechen.“ Samira thronte auf der Bettkante.
Ich stöhnte. „Was wollen sie? Geld?“
Sie zog eine Augenbraue hoch. Ich fühlte mich so verwirrt, wie sie schaute. „Du hast etwas falsch verstanden. Dieser Drache, der euch angegriffen hat. Das war mein Drache.“ Ihre Maske saß wieder. Keine Spur von Verwunderung oder Reue.
„Was?“
„Du hast richtig gehört. Das ist mein Drache. Sagen wir, ich gebe euch einen Beutel Gold, eine Einladung zum Ball und im Gegenzug erzählt ihr keinem über den Unfall.“
Miriam kam mir beim Antworten zuvor. „Was, wenn wir es doch erzählen?“
„Dann hättet ihr mich als Feind.“
Ich schaute Miriam bittend an. Das Letzte, was ich wollte, war noch mehr Stress. Sie rollte mit den Augen und sagte: „Okay. Wir gehen den Deal ein.“ Unter Anderen Umständen hätte Samira sie für die Unhöflichkeit schon in den Kerker geworfen, da war ich mir sicher.
„Das wusste ich“, sagte Samira, „Wir sehen uns heute Abend.“ Sie verließ den Raum.
„Verblendetes Biest!“, fluchte Miriam und ich lächelte, „Mir ist dabei nicht ganz wohl mich bestechen zu lassen.“
„Ich weiß.“ Beschwichtigend legte ich meine Hand auf ihre Schulter. „Aber ich möchte den Rest des Valentinstags einfach genießen. Und ein Tanz ist dafür ein guter Abschluss, nicht wahr?“
Sie murrte zustimmend. Es sah süß aus, wenn sie wütend war.
Am Abend…
Etliche Musikanten und teure Speisen. Anders hatte ich es nicht erwartet. Eine Geige spielte langsame Musik. Ich zog Miriam enger zu mir. Der Schmuck der anderen Ballgäste, aber meine Augen lagen auf dem Juwel, welches mit mir die gesamte Wüste durchquert war. Ich räusperte mich. „Miriam, ich wollte dich etwas fragen.“
„Ja?“, fragte Miriam mit dem Blick auf ihren Füßen, um im Takt zu bleiben.
Ich hielt sie sanft an der Schulter, um ihr zu deuten, stehen zu bleiben. Das tat sie überrascht. Ich ging auf die Knie, holte den Ring raus und sagte: „Möchtest du mit mir zusammen sein?“
Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ist das ein Scherz? Bei allen Sonnenwinden, Ja, ich will.“ Und mit den Worten zog sie mich in einen leidenschaftlichen Kuss.
Fröhlichen Valentinstag!
Die Wörter zu der Geschichte waren: Tanz; Sand; Drache
Wörter: 1831