Nachdem das Gewitter vorüber war, öffnete sich die Wolkendecke und ich konnte wieder auf die unten liegende Welt blicken. Ein Regenbogen, der wie eine riesige Brücke wirkte, streifte in prachtvoll schimmernden Farben mein Reich und endete irgendwo in der trostlos wirkenden Menschenwelt, die vom Regen getränkt eher düster wirkte, als sie es sonst tat. Ich hoffte, dass ich durch mein Tränenvergießen keinen großen Schäden angerichtet hatte. Ob mein Mann unsere Tiere in der Tenne untergebracht hatte? Hatte Charlie ihm dabei geholfen?
Ich suchte den kleinen grünen Fleck unter mir, doch hinderte mich die farbenfreudige Brücke daran. So eine hatte Charlie das erste Mal gesehen, als er ein Jahr alt war.
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Es war Ende August und wir saßen Zuhause auf der Terrasse, als der Himmel sich langsam verdunkelte. Ich sah unser geplantes Grillen schon wortwörtlich in das Wasser fallen. Gabriel schien das nichts auszumachen, denn soeben legte er ein Stück Putenbrust auf das Rost und zischend stiegen Rauchschwaden auf.
»Meinst du, wir schaffen das noch bevor es regnet?« Gedanklich war ich schon einen Schritt weiter und sah mich mit Charlie auf dem Arm in das Haus flüchten.
»Vor dir steht der Grillmeister, schon vergessen? Außerdem ist deins gleich schon durch.«
»Nein Charlie, damit spielt man nicht.« Ich nahm ihm die Gabel aus der Hand, die sich mein Sohn vom Tisch stibitzt hatte. Daraufhin zog er eine Schnute und begann zu weinen. »Super«, stöhnte ich und hievte den Kleinen auf meinen Schoß, um ihn anschließend im Arm hin und her zu wiegen, bis er sich wieder beruhigte. Damit hatte ich vergessen meinem Mann zu antworten, aber das schien ihn nicht weiter zu stören, denn stattdessen lagen seine Augen auf dem Jungen und ein seeliges Lächeln umspielte seine Lippen. »Natürlich habe ich das nicht vergessen. Du bist doch der einzig wahre Grillgott für mich«, scherzte ich und zwinkerte Gabriel zu. Charlie brabbelte etwas an meiner Brust und zog an meinem T-Shirt. Sanft nahm ich ihm den Stoff aus seiner Hand und hob ihn weiter Richtung Schultern zu mir hoch, drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel und flüsterte beruhigende Worte in sein kleines Ohr.
»Hier, das müsste gut sein«, riss mich Gabriel aus meinem Tun und legte mir das Stück Pute auf den Teller vor mir. Der Duft von Gebratenem stieg mir in die Nase und mein Magen begann wie auf das Stichwort zu knurren.
»Danke, Schatz. Reichst du mir bitte Charlie sein Gläschen? Ich glaube, er hat auch Hunger.« Behutsam griff ich mit beiden Armen dem Jungen unter die Arme und drückte ihn etwas von mir weg. »Na, kleiner Mann … du möchtest doch bestimmt auch was essen, mhm? Happi-happi?« Mein Mann reichte mir das kleine Glas mit dem Gemüsebrei und ich fütterte meinen kleinen Spatz, während meine nicht mehr dampfend Putenenbrust auf dem Teller sehnlichst darauf wartete, von mir gegessen zu werden. Soeben setzte sich Gabriel zu uns an den Tisch und erneut erreichte mich der Geruch von gegrilltem Fleisch, mein Magen knurrte. Das war so ungerecht, ich wollte auch endlich etwas essen. Als Charlie endlich das Glas geschafft hatte, widmete ich mich meiner nur noch lauwarmen Putenbrust. Die Gabel im Fleisch, das Messer ritzte es gerade an, platzte ein Regenschauer über uns herein. Wie von der Terantel gestochen schnappte ich mir meinen Sohn und flüchtete ohne einen Bissen zu mir genommen zu haben unter das Carport direkt in das Haus. Aus der Tür schauend sah ich Gabriel beim Tischabräumen zu.
»Wuah! Mir läuft's den Rücken runter«, sagte Gabriel und schüttelte den Kopf, dadurch fielen ihm ein paar nasse Strähnen in sein Gesicht, die durch die Feuchtigkeit fast schwarz wirkten. Ein paar Tropfen bekam ich ins Gesicht und zwinkerte darauf ein paar Male.
»Geh’ rein, Schatz, und mach dich trocken. Nicht, dass du mir morgen noch krank wirst.« Ich trat zur Seite und ließ meinen Mann in das Haus. Als er verschwunden war und ich kurz darauf klappernde Geräusche aus dem Badezimmer vernahm, musste ich schmunzeln. Charlie brabbelte gerade etwas und zeigte mit seinen kleinen Händen nach draußen. Ein Regenbogen hatte sich im Schein der wiederkehrenden Sonne gebildet und verlief in einer bildschön geschwungenen Form über den Feldern. »Das ist ein Regenbogen, Schatz«, erklärte ich meinen Sohn, »und weißt du was? Dort wo er die Erde berührt, steht ein Topf voller Gold. Toll, nicht?« Ich drückte ihm einen Kuss in sein Haar und zusammen betrachteten wir die kunterbunte Regenbrücke, die an Farbe weiter zunahm und dem grauen Himmel etwas Farbe schenkte. Wenn ich irgendwann einmal im Himmel wäre, dann würde ich über Regenbögen laufen können.
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Ich wollte es immer einmal ausprobieren, aber ich hatte mich bisher nie getraut, da die Angst, ich hätte herunterfallen können, zu groß war. Gut, ich war bereits tot, aber hätten Engel noch einmal sterben können? Diese Frage beschäftigte mich ungemein und ich schaute noch einmal herab zu der Menschenwelt, jedoch war der Regenbogen spurlos verschwunden. Dafür sah ich nun diesen kleinen Fleck Erde, der einst mein Zuhause gewesen war. Weit unten, das rechteckige Feld, das mit einer zwei Meter hohen Hecke umrandet war. Wie sehr mir das alles fehlte.
Gruppe: Sixty-Minutes –Die Challenge
Prompt: Spurlos