Mein Gesicht ist an die kalte Fensterscheibe gedrückt und ich betrachte die Welt, wie sie an mir vorbeizieht. Die Menschen, die Gebäude, das ganze Grün, welches immer mehr und mehr wird. Man merkt wirklich, dass wir hier langsam auf dem Land sind. Ich mag es, einfach nur ruhig im Auto herum gefahren zu werden, nicht sprechen zu müssen. Am besten mit Stöpsel im Ohr, so, dass ich einfach ein wenig träumen kann. Aber jetzt ist das Träumen so gut wie unmöglich. Dafür bin ich viel zu nervös.
Ich merke, wie der Blick des Fahrers auf mir liegt, er schaut durch die Rück Scheibe auf mich. Es dauert einen Moment, dann jedoch setzte ich mich normal hin, meine Wange scheinbar ein wenig rot, und sehe ihn ebenfalls an.
„Hm?“
„Schon aufgeregt?“
„Mhm.“
Was für eine dumme Frage.
Natürlich bin ich aufgeregt. Es ist immer spannend, neue Leute kennenzulernen. Aber für mich vor allem angsteinflößend. Ja, es macht mir Angst. Jedes Mal, wenn ich unter Menschen bin. Vor allem, wenn es viele sind. Wenn es neue Menschen sind. Was werden sie wohl über mich denken? Werden sie hinter meinem Rücken über mich reden? Werden Sie darüber lachen, wie ich aussehe? Werden Sie sich vor mir ekeln?
„Das wird schon!“, versichert er mir, aber das macht es auch nicht besser.
Ich seufze.
Das Auto rumpelt kurz, weil wir scheinbar über Stein fahren. Bordstein, oder so. Keine Ahnung. Auf jeden Fall fahren wir eine Einfahrt hoch, wir fahren an überdachten Mülltonnen vorbei, in einen Hof hinein, der wirklich ziemlich groß wirkt. Zwei Häuser, getrennt durch einen überdachten Parkplatz. Das hat alles einen ziemlichen Stil, wie ich finde. Wer schon mal auf dem Land war, weiß, was ich meine. Es hat einfach ein ganz anderes Flair als in der Großstadt. Es ist so ruhig, die Luft ist gut, man hört ab und zu mal Kühe muhen anstatt laute Autos.
Er parkt ein und hält das Auto an.
Ich nehme meine Tasche, die neben mir liegt und drücke sie fest an meinen Brustkorb. So, als ob sie mich beschützen könnte. Schützen vor dem, was auf mich zukommt. Vor dem Ungewissen. Als ob sie mir die Angst nehmen könnte, die ich immer habe. Die ständig bei mir ist. Egal, bei was.
Er steigt aus, ich mache es ihm gleich.
Anscheinend merkt er, wie nervös ich bin und hält mir seine Hand hin. Es dauert ein bisschen, ich zögere, doch nehme Sie dann schließlich entgegen. Unsere Finger verhaken sich ineinander und mir fällt mir wieder auf, wie gut sie ineinander passen. Ob ich der einzige Mensch bin, der sich jemals darüber Gedanken gemacht hat? Wie gut Menschen eigentlich zusammenpassen.
Wie perfekt wir unsere Finger ineinander stecken können. Wir können perfekt Händchen halten. So, als ob Menschen dafür gemacht wären. Als ob wir dafür gemacht worden wären, Körperkontakt zu haben. Als ob wir keine Wesen wären, die einfach so alleine leben können.
Ich werde aus meinen Gedanken geholt, als er anfängt, an meinem Arm zu ziehen. Nicht wirklich mit Kraft, oder aggressiv, aber er geht schon los und ich bin immer noch stehen geblieben. Mit schnellen Schritten versuche ich aufzuholen, was ziemlich nervig ist. Er ist größer als ich, hat längere Beine. Ich bin ziemlich klein, habe kurze Beine. Da ist es klar, dass ich langsamer bin als er.
Er geht mit mir an die Türe, klingelt, schließt sie dann auf. Scheinbar wollte er den Leuten im Haus nur zeigen, dass ich da bin. Dass wir jetzt kommen.
Ich schlucke.
Wir treten in das Treppenhaus ein und es riecht gut. Nach frisch gebackenem Essen, nach frisch gewaschener Wäsche und nach Wärme.
Das bringt mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen, lässt mich nicht mehr so verkrampft an meiner Tasche festhalten.
Wir laufen die Treppe hoch und langsam löse ich mich von seiner Hand. Schritt für Schritt knarrt die Treppe unter mir und für einen kurzen Moment fühlt es sich so an, als ob das daran liegen würde, dass ich zu schwer bin. Auch, wenn die logische Seite an mir mir natürlich sagt, dass das Unfug ist, fühlt es sich trotzdem anders an. Fühlt es sich so an, als hätte ich wieder viel zu viel gegessen.
„Hallo!“
Eine hohe, freundliche Stimme holt mich mal wieder aus meinen Gedanken und ich schaue nach oben. Vor mir steht eine Frau, ziemlich groß. Ähnlich wie ihr Sohn. Jetzt weiß ich, wo er das her hat… Sie hat eine schöne Ausstrahlung, eine warme Ausstrahlung. Etwas, das mich beruhigt, mir ein wenig die Angst nimmt. Sie hält mir ihre Hand entgegen, redet irgendetwas, was ich nicht wirklich verstehe. Ich bin viel zu sehr in meinen Gedanken festgefressen.
Ich gebe ihr ebenfalls die Hand und mein Freund schmunzelte ein wenig, flüstert ihr beim Vorbeigehen irgendwas zu. Wir treten ein, sie schließt die Tür hinter uns und wir begeben uns in die Küche. Ich setze mich, stelle meine Tasche neben mir ab und bin sofort wieder verkrampft. Ich schaue auf den Boden, knirsche leise mit den Zähnen und kralle mich an meine Hose.
„Es ist so schön, dass Thomas eine Freundin gefunden hat!“
Ich lächle etwas verlegen.
Sie spricht weiter, geht an den Kühlschrank, während mein Freund sich neben mich setzt. Wir sehen uns kurz an, er nickt mir zu und will mir wohl so zu verstehen geben, dass es nichts gibt, worüber ich mir Sorgen machen muss.
Sie legt uns allen ein Stück Kuchen auf den Teller, nimmt dann die Kaffeekanne in die Hand, um sich etwas davon in ihre eigene Tasse zu füllen.
„Magst du Kaffee? Wenn nicht, kannst du auch Milch haben. Oder ich koche dir einen Tee. Ich glaube, wir haben auch noch Kakaopulver im Schrank…“
„Kein Kaffee… ich hätte gerne Milch“, sage ich, viel selbstbewusster, als ich mich eigentlich fühle, als ich eigentlich bin.
Die beiden unterhalten sich ein wenig, reden über die Arbeit, über das Wetter, über Dinge, die mich nicht wirklich interessieren, auf die ich mich nicht wirklich konzentrieren kann, denn ich blicke nur auf das Stück Kuchen auf meinem Teller und rechne mir aus, wie viele Kalorien das wohl hat. Klar, jetzt liebt er mich noch. Aber wie viel Kuchen muss ich essen, wie viel Kakao muss ich trinken, bis er mich zu fett findet? Bis er mich plötzlich nicht mehr liebt?
Ich höre meinen Namen, sehe auf.
„ Er hat mir schon so viel von dir erzählt, aber dich immer noch nicht vorgestellt. Ich bin so froh, dass wir uns endlich kennenlernen.“
Sie lächelt mich an und es ist ein ehrliches Lächeln. Ein aufrichtiges Lächeln. Ein Lächeln, welches ansteckt, weshalb ich es ihr gleich tue und meine Mundwinkel sich ein wenig nach oben ziehen.
Sie ist lieb.
„Ich hoffe, er ist nett zu dir!“
Wir drei Lachen ein wenig und sie setzt sich jetzt auch wieder zu uns.
„Ja, ist er“, antworte ich wahrheitsgemäß.
Und damals war das auch wirklich so. Damals war er ein neues Ufer für mich. Ein Mann, der gut mit mir umging. Seine Familie, die mich aufnahm, als wäre ich die eigene Tochter. Aber irgendwann hat er sich verändert. Irgendwann habe ich mich verändert. Irgendwann habe ich ihm nicht mehr gereicht. Irgendwann habe ich ihn wütend gemacht. Irgendwann habe ich seine Familie wütend gemacht. So wütend, dass er nicht anders konnte als mir wehzutun. So wütend, dass sie nicht anders konnten, als mich rauszuwerfen.
Irgendwann war sie nicht mehr lieb, irgendwann war er nicht mehr nett.