Nachgeschrieben 15.03.2020
Fast fünf Jahre trennen unsere Söhne. Als wir schon nicht mehr daran glaubten, bekam unser "Großer" doch noch ein Geschwisterchen.
So viel kann man heute lesen, über den besten Altersunterschied zwischen Kindern. Nicht zu knapp, aber auch nicht so weit auseinander sollen sie sein. Ob unsere Söhne eine enge Bindung haben?
Ob es harmonischer hätte laufen können?
Hängt das nicht viel mehr von den Charakteren an sich ab?
Martin war unser Wunschkind, Jan das Kind, auf das wir so lange warten mussten.
Martin war ein purer Sonnenschein, pflegeleicht als Baby und ein Draufgänger durch die gesamte Schulzeit. Kommunikativ, wissensdurstig und ein einnehmendes Wesen zeichnen ihn aus - bis heute. Er liebt es, immer Freunde um sich zu haben, engagiert sich in diversen Vereinen und ist Mannschaftsportler durch und durch. Schon als kleiner Bub lachte er viel, es zog ihn immer ins Freie und kein Abenteuer war ihm zu gefährlich.
Gleichzeitig war er früh bereit Verantwortung zu übernehmen, auch wenn er uns häufig Kummer machte. Er eckte an, fiel immer auf und bis heute kann man ihn schon hören, ehe man ihn sieht.
Als der kleine Bruder auf die Welt kam, reagierte er maximal neugierig. Eifersucht war ihm fremd, aber viel anfangen konnte er mit dem zarten Nachzögling in den ersten Jahren wenig.
Jan war ein Problemkind, ein Frühchen, welches von Anfang an besondere Aufmerksamkeit bedurfte. Sensibel, still und schüchtern, aber mit einem großen Herz. Unser Nesthäkchen hatte einen holprigen Start ins Leben, was ihn (und uns) tief geprägt hat. Dabei ist er immer ein aufmerksames Kind gewesen, dass sich viel von uns und seinem Bruder abguckte und letzterem als Kleinkind auf Schritt und Tritt folgte. Er wollte dem Älteren nacheifern, bewunderte ihn und hatte ganz andere Talente. Die es zu fördern galt, weil ihm beinahe der schulische Untergang gedroht hatte. Ob wir bei ihm nachgiebiger waren? Weil er der Kleine war? Der Stille, der gern übersehen wurde? Vielleicht hätten auch wir ihm mehr zutrauen müssen, ihn mehr darin bestärken, dass er hier und da auch Ellbogen braucht.
Inwieweit fallen wir auch heute als Eltern in diesen Rollenverständnis?
Machen wir uns mehr Sorgen um den Jüngeren, weil er eben der Jüngere ist oder weil es dazu immer viel Berechtigung gab?
Stehen wir einem Sohn näher als dem anderen?
Unbewusst?
Wir haben das Glück, dass der Große nach dem Studium seine Zelte bei uns aufschlug. Er lebt bis heute auf dem Grundstück, schaut fast täglich vorbei und er ist ein fester Bestandteil unseres Alltags.
Das macht den Umgang natürlich einfacher.
Wir sind ganz nah dran und Martin holt sich für so gut wie jede Entscheidung unsere Meinung ein.
Das hat er im Gegensatz zu seinem Bruder schon immer getan.
Über zu wenig Kommunikation kann man sich bei ihm weiß Gott nicht beschweren.
Anders verhält es sich mit Jan.
Ihm musste man schon als Kind vieles aus der Nase ziehen. Er machte schon da vieles mit sich selbst aus und das hat sich kaum geändert. Jan durchdenkt erst alle möglichen Szenarien, ehe er mit einer Idee oder einem Gedanken um die Ecke kommt. Dass er daran oft gescheitert ist, machte es nicht besser.
Natürlich reagieren wir anders auf ihn, gerade wenn es still wird um ihn.
Er lebt weiter weg, man sieht sich selten und oft klopft ein mulmiges Gefühl an.
Ich denke eigentlich nicht, dass es an der Konstellation an sich liegt, sondern an den Persönlichkeiten der Jungen.
Es gab Zeiten, da waren sie wie Katz und Maus - wobei es eher Martin war, der den Kleineren von sich schubste. Ihr Verhältnis hat sich in den letzten Jahren immerhin auf respektvoll verändert. Es ist nicht so, dass Martin seinen kleinen Bruder nicht beschützt oder ihm nicht geholfen hätte, aber sie sind einfach unglaublich verschieden.
Manchmal glauben wir es ja selbst kaum, dass sie Brüder sind.
Das Alter bringt es mit sich, dass auch Martin ruhiger geworden ist.
Er tanzt nicht mehr auf jeder Hochzeit, ist aber nach wie vor ein geselliger Mensch. Einer von denen, die immer was zu erzählen haben.
Das Leben bringt es mit sich, dass auch Jan etwas offener geworden ist.
Er igelt sich nicht mehr so ein, ist aber noch immer ein melancholischer Typ. Einer von denen, die sich gerne in Träumen verlieren.
Wir lieben sie beide.
Ich liebe es, wenn Martin nur auf einen Kaffee vorbeischaut und mir den Dorftratsch erzählt.
Ich liebe es, wenn Jan zu Besuch kommt und uns ein bisschen in seine Welt schauen lässt.
Trotzdem musste ich mir die Tage auf die Zunge beißen.
Ich stand in der Küche und bereitete einen Pudding zu.
Für Jan, der für ein paar Tage nach Hause gekommen war.
Martin lehnte mit seinem Kaffee am Türrahmen und in seinen Augen blitzte es frech.
"Pudding fürs Nesthäkchen?", fragte er mich.
Dabei zuckten seine Mundwinkel.
Dann grinste er.
"Ist schon okay, Mama. Wir alle sind Gefangene unserer Rollen."
Mit zwei langen Schritten war er im Raum, stellte seine Tasse auf die Arbeitsplatte und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
Vielleicht liebe ich Martin auch deswegen so sehr, weil er immer pur und ehrlich ist. Und es uns bis auf wenige Ausnahmen nie krumm genommen hat, dass Jan oft diese besondere Aufmerksamkeit von uns benötigte.
Der große Bruder hatte nämlich früh verstanden, wie der Kleine tickte.
Und ich muss auch heute immer noch schmunzeln wenn Martin ihn als "Kleiner" bezeichnet. Gleichzeitig weiß ich, wie liebevoll es an und für sich gemeint ist. Denn die Rolle des großen Bruder legt man genauso wenig ab wie die des Nesthäkchens.