Sein Boot schaukelte, schwankte in den Wellen, die mit jedem Atemzug ein wenig höher, wilder wurden. Gischt stob auf, legte sich eisig auf seine Haut; der Wind, der nicht minder wärmer war, peitschte ihm ins Gesicht, wirbelte erste Regentropfen durch die Luft. Er sah zum Horizont. Dort, in der weiten Ferne, ballten sich dunkle Wolken. Der Sturm sammelte sich schon, um dann mit all seiner Wucht über ihn und das kleine Boot herzufallen, die ihm schutzlos und einsam auf dem weiten Meer völlig ausgeliefert waren. Das konnte nur schlecht für ihn enden. Er hätte daran denken müssen, dass ein Sturm aufkommen könnte … Nein, er würde es durchstehen! Komme was wolle, er würde überleben! Niemand würde ihn in die Knie zwingen! Niemand! Mit neuer Entschlossenheit blickte er dem Sturm entgegen. Die Wolkenfront war beträchtlich näher gekommen, der Wind heulte klagend um ihn und sein Boot, peitschte das Wasser zu gewaltigen Wellenbergen, die um ihn aufragten. Dann brachen sie … Das Wasser stob auf und strömte ihm um die Füße, eisig kalt durchnässte es seine Sandalen und Kleider. Mit klammen Fingern suchte er in seinem Boot nach seinem Mantel. Es schwankte und immer mehr Wasser drang durch die Holzlatten hinein. Er watete durch das kalte Wasser, grub seine Finger in das nasse Holz. Da sah er seinen Mantel: Völlig durchnässt lag er am Boden, wurde vom Wasser umspült. Er würde ihm keine guten Dienste mehr leisten. Er stand taumelnd wieder auf. Um ihn herum wuchsen die Wellen zu wahren Giganten an. Brachen und wuchsen erneut zum Himmel hinauf. Er ließ seinen Blick zum immer finsterer werdenden Horizont schweifen. Blitze zuckten dort in der Ferne, der Donner kam unmittelbar darauf und grollte bedrohlich sein unheilverkündendes Lied. Der Regen fiel nun auch schon bei ihm dicht und ließ keine Zeit zum Atemholen. Eisig strömte er vom grauen Himmel hinab und durchtränkte alles, was die Wellen noch nicht durchnässt hatten. Prasselnd laut trommelte er auf das Holz des kleinen Bootes und verschleierte ihm die Sicht. Der Sturm peitschte mit immer mehr Macht das Meer. Ihn warf die Wucht um, schleuderte ihn zu Boden und gegen die Holzlatten, die das einzige noch waren, was ihn von den tödlichen Tiefen und der Gewalt des Ozeans trennte. Der Sturm warf auch seinen Mut nieder, ließ die Angst wieder hochkommen. Doch ihm blieb keine Zeit, auch nur über die Gefahren nachzudenken! Ihm blieb keine Zeit! Keine Zeit!
Die Welle brach. Mit all ihrer Macht und Wucht stürzte sie auf ihn nieder, umgab ihn mit ihrem schwarzen Wasser und zertrümmerte sein Boot. Er ruderte mit den Armen, als sein Halt unter ihm wegbrach. Ohne Vorwarnung schlug das Wasser über ihm zusammen und ließ ihn in völliger Finsternis zurück, die sich eisig in ihn fraß. Er wollte an die Oberfläche, an die Luft, an das Licht! Doch die Schwärze um ihn herum ertränkte seinen Orientierungssinn, bot ihm keinen Halt. Er brauchte Luft! Er brauchte doch Luft! Aber es gab keine für ihn, nicht hier unten, wo Kälte und Dunkelheit regierten, und Wasser, Wasser … Seine Lunge brannte und langsam drang das Wasser durch seine geschlossenen Lippen … Das Feuer in seiner Kehle vermochte es nicht zu löschen. Nein, eher noch fachte das salzige Wasser es an, bis er einzig noch aus Feuer, Flammen und Glut zu bestehen schien. Die Schwärze drängte auf ihn ein, erstickte all seine Wahrnehmungen … Doch der Schmerz blieb. Mit jedem Herzschlag wurde er stärker. Mit jedem Herzschlag, der ihn noch vom Tod trennte … Die Finsternis zog ihn noch weiter hinab in ihren tödlichen Schlund …
Land! Endlich Land! Land! Er war gerettet. Endlich. Das Schicksal war ihm gnädig, hatte wohl entschieden, es bei seinem Beinahe-Tod zu belassen und ihm einen Neuanfang zu schenken. Er war gerettet! Mit eiligen Schwimmzügen schwamm er dem Ufer entgegen, das steil und felsig vor ihm aufragte. Doch er kam nicht schnell voran. Die Erschöpfung setzte ihm zu und ließ seine Glieder schwer werden. Dennoch gab er nicht auf. Er gab nicht auf! Er würde niemals wieder aufgeben. Schon gar nicht jetzt, wo das Ziel so nahe war … Gegen die Müdigkeit ankämpfend zog er sich an den feuchten Felsen, die aus dem Wasser ragten, zum Ufer hin. Immer näher kam er der Rettung. Seinem Ziel. Ein letzter Zug und er war ihm seichteren Wasser. Er watete nun durch die Kälte. Dann kam der letzte Schritt. Der letzte Schritt vor seinem Ziel. Er hielt kurz inne, sah zurück auf das schwarze Meer, dem er in letzter Sekunde entkommen war. Er bereute es nicht, die Hoffnung niemals aufgegeben zu haben. Hoffnung sollte nicht sterben. Schon gar nicht dann, wenn man sie am dringendsten benötigte. Mit einem entschlossenen Lächeln tat er den letzten Schritt. Die Hoffnung hatte ihn hierhergeführt. Sie sollte ihn auch zu weiteren neuen Ufern führen und ihn niemals im Stich lassen. Mit müden Gliedern, aber einem zufriedenen, glücklichen Lächeln ließ er sich in den Sand fallen und betrachtete den Himmel, der endlich wieder blau war. Nicht mehr grau. Blau. Hoffnung. Und ein Neuanfang. Ein erreichtes Ziel. Sonnenaufgang.