"Lass uns das spielen. Bitte. Bitte, bitte, bitte." Bettelte Kaminari ziemlich nervtötend.
"Ja ja, schon gut. Hier hast du Karten und da Würfel."
Wir spielten eines dieser Familienbrettspiele auf die ich in aller Regel echt keinen Bock habe.
Aber was tut man nicht alles, wenn einem langweilig ist.
"Boah ey. Was gäb ich drum mal wieder Essen gehen zu können.
Oder ins Kino! Immer nur Netflix ist auf Dauer auch nix."
Heftiger als nötig schmiss ich die Würfel auf den Tisch und schon vielen zwei von dreien auf den Boden.
Just my luck.
Natürlich genau die Zahlen, die ich gebraucht hätte, aber so galten sie natürlich nicht.
"Oh man..."
Frustiert hob ich sie wieder auf.
"Weißt du was, lass uns was anderes machen, bevor ich hier noch jemanden umbringen muss."
Meine Laune war sowas von im Keller.
Da fiel mir ein, im Keller lagen noch haufenweise Spielsachen rum.
Darunter auch Ballspiele für draußen.
"Hey Kami, was hältstn von ner Runde Softball im Garten?"
"Hm? Ist doch öde."
Brummelte mein Freund gelangweilt und ein bisschen traurig, weil er nicht mal dran gekommen war.
Kaminari liebte Brettspiele im gleichen Maße, wie ich sie hasste.
"Na dann schlag du was vor was wir machen."
Seufzend ließ sich der junge Mann mit den blonden Wuschelhaaren aufs Bett fallen, streckte Arme und Beine von sich und starrte an die Decke.
Ich konnte den innerlichen Kampf, den er mit sich selber ausfocht, regelrecht auf seinem Gesicht sehen.
"Na gut." Maulte er schließlich.
"Dann also Softball."
Beim letzten Wort streckte er gequält die Zunge raus.
Einige Minuten des Suchens und Findens später standen wir auf der Wiese hinterm Haus.
Ein leichter Wind wehte.
Es war sonnenklar und das Himmelblau von oben hob meine Laune schlagartig um ein paar Level an.
Kami schien es ebenso zu gehen, auch wenn sein Stolz ihm verbot es zu zeigen.
Schließlich ging es hier um Softball.
Zum Glück gebot ihm gleichzeitig sein Ehrgeiz trotzdem alles zu geben und so waren wir bald in ein halbwegs flüssiges Spiel verwickelt.
Lediglich unterbrochen, wenn ein Windstoß uns den Ball entriss oder einer von uns zu hoch, zu weit oder zu flach spielte.
Das mag ich an diesem Spiel.
Es geht darum zusammen zu spielen und nicht gegeneinander.
"Sag mal, wann hast du zuletzt mit Mario gesprochen?
Muss doch jetzt auch schon ne ganze Weile her sein."
Kaminari hechtete gerade meinem schräg gespielten Ball hinterher.
"Hä? Ach keine Ahnung.
Irgendwie läuft da in letzter Zeit nicht wirklich was.
Und Dank Ausgangsbeschränkung sogar noch weniger."
Er spielte den Ball mir zu.
"Wieso fragst du? Vermisst du ihn etwa?"
"Schon irgendwie. Vielleicht hat er ja inzwischen jemand anderes gefunden."
Ich versuchte gleichgültig zu klingen, aber dafür kannte mich mein blonder Wuschelkopf zu gut. Er lachte.
"Was?" Ich fühlte mich ertappt und verfehlte einen leicht erreichbaren Ball.
"Weißt du manchmal frag ich mich schon, wer von uns beiden in ihn verliebt ist."
Mir wurde heiss und ich war mir sicher, dass mein Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate angenommen hatte.
"Selbst wenn." Giftete ich zurück.
"Er steht nur auf Männer."
Kaminari und ich lebten seit etwa drei Jahren in einer schwer definierbaren Beziehung.
Wir wussten selber nicht so genau, wie wir es definieren sollen, weil Begriffe wie offene Beziehung, polyamore Beziehung, feste Beziehung mit Erlaubnis Affairen zu haben irgendwie nie so ganz zu trafen.
Dafür war das was wir hatten einfach viel zu dynamisch und ständig Änderungen unterworfen.
Manchmal - so wie jetzt gerade, wenn auch eher gezwungenermaßen - lebten wir fast wie ein monogames Pärchen in einer festen Beziehung.
Zu anderen Zeiten hatte mal er noch einen weiteren Partner oder auch eine Partnerin oder ich jemanden zusätzlich.
Wobei auch da nie vorhersehbar war wie locker oder fest die Beziehung zu dieser dritten Person sich entwickeln würde.
Mario war bis vor kurzem Kaminaras zweite Beziehung gewesen.
Es war mehr was Körperliches zwischen den Beiden, aber wir drei verstanden uns sehr gut und unternahmen auch ab und an gemeinsam etwas.
Fahrradtouren oder Wanderungen und dergleichen.
Mario sah nicht unbedingt aus wie ein Supermodel, aber er hatte etwas an sich, das ihn dennoch attraktiv machte.
Verliebt war ich aber nicht in ihn.
Abgesehen davon vermisste ich ihn einfach.
Was angesichts der Tatsache, dass Kami und ich uns momentan ziemlich auf die Nerven gingen, nicht weiter verwunderlich war.
Wenn mensch es wie wir gewöhnt ist mehrere tiefe Bindungen zu anderen Menschen zu haben, ist die plötzliche Reduktion auf nur eine Beziehung zu einem Menschen überraschend anstrengend.
Diverse Telefonate mit Freunden, Bekannten und Verwandten waren da nur ein leidlicher Ersatz.
Mir fehlte schlicht und ergreifend die Nähe zu Menschen.
Zu anderen als Kaminari. So sehr ich ihn mochte und auch anziehend fand.
"Scheiß Krise."
Während der letzten paar Minuten waren sowohl Kami als auch ich in unsere eigenen Gedanken versunken.
Er hatte mit diesem deftigen Ausspruch das Schweigen gebrochen, fing den noch immer zwischen uns hin und her fliegenden Ball mit der Hand aus der Luft und ging Richtung Haus.
"Ich zock ne Runde. Muss mich abreagieren."
Er drückte mir im Vorbeigehen seinen Schläger und den Ball in die Hand und verschwand in seinem Zimmer.
Ich wusste genau wie er sich fühlte.
Auch in mir stauten sich Frust und andere negative Emotionen an.
Ich brachte die Spielsachen zurück ins Haus, nahm meine Sonnenbrille und ging eine Runde spazieren.
Hoffentlich ist diese Ausgangsbeschränkung irgendwann auch mal wieder Geschichte, sonst hilft mir auch das strahlende Himmelblau bald nicht mehr gegen die schlechte Stimmung.